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ARCHIV
FÜR DAS
STUDIUM DER NEUEREN SPRACHEN
UND LITTERATUREN.
HERAUSGEGEBEN
LUDWIG HERRIC.
XL. JAHRGANG, 75. BAND.
BRAUNSCHWEIG.
DRUCK UND VERLAG VON GEORGE WESTERMANN.
1886.
0
^
^^V 4
Inhalts-Verzeichnis des LXXV. Bandes.
Abhandlungen.
° Seite
Die Hamlet-Periode in Shaksperes Leben. Von Hermann Isaac. (Fort-
setzung) 1
Die neueste Schrift über die Zeit der Abfassung von Luthers Lied: Ein
feste Burg ist unser Gott. Von K. Biltz 45
Volkssage und Volksglaube. Von WilhelmSchwartz 63
Johann Fischarts religiös-politisch-satirische Dichtungen. Von L. Wirth . 69
Über die Verdoppelung der Konsonanten im Altnormannischen. Von
E. Eickershoff . 113
Die Lieder des Hugues de Bregi. Von Dr. Karl Engelcke .... 147
Deutsche Kultur und Litteratur des 18. Jahrhunderts im Lichte der zeit-
genössischen italienischen Kritik. (IL Teil.) Von Dr. Th. Thiemann 241
Die Hamlet-Periode in Shaksperes Leben. Von Hermann Isaac. (Schlufs) 269
Über die Verdoppelung der Konsonanten im Altnormannischen. Von Dr. E.
Eickershoff. (Schlufs) 285
Deutsche Kultur und Litteratur des 18. Jahrhunderts im Lichte der zeit-
genössischen italienischen Kritik. (Teil IL Schlufs.) Von Dr. Th.
Thiemann 353
Die Technik der Luzerner Heiligenspiele. Von Dr. Ren ward Brand-
stet ter 383
Über die Ausfprache der Dentallaute in den alten Sprachen. Von G. Michaelis 419
Sitzungen der Berliner Gesellschaft für das Studium der neueren Sprachen 447
Beurteilungen und kurze Anzeigen.
J. Fölsing, Elementarbuch der englischen Sprache, in zweiundzwanzigster Auf-
lage neu bearbeitet von Dr. John Koch. (Lenk) 177
J. Verne, Le Tour du Monde en Quatre-vingts Jours. Zum Schulgebrauch
bearbeitet von Dir. Prof. Dr. K. Bandow. (R. Scherffig). ... 182
Gramätica sucinta de la langua inglesa, per G. C. Kardgien 183
IV
Seite
Materials for translating English into German. First Part. By Dr. Emil
Otto. (G. Boyle) 183
Lazarus Geiger, Seine Lehre vom Ursprünge der Sprache und Vernunft und
sein Leben dargestellt von L. A. Roseathal 184
Readings still to be elucidated in the Text of Shakespeare. A List of
„Cruces" compiled by F. A. Leo 185
Joost van den Vondel, sein Leben und seine Werke. Ein Bild aus der
niederländischen Litteraturgeschichte. Von Alexander Baumgartner, S. J. 185
Ältenglische Bibliothek. Hrsgb. von E. Kölbing. Dritter Band : Octavian. —
Zwei mittelenghsche Bearbeitungen der Sage. Hrsgb. von Gregor Sarrazin 186
Englische Sprach- und Litteraturdenkmale des 16., 17. und 18. Jahrhunderts.
Hrsgb. von K. Vollmöller. 2) Marlowes Werke. Historisch-kritische
Ausgabe von Hermann Breymann und Albrecht Wagner. L Tambur-
laine. Hrsgb. von Albrecht Wagner 187
Germanisches E. Erster Teil: Die lautgasetzliche Entwickelung des indo-
germ. e in den ältesten germanischen Sprachen. Leipziger Dissertation
von Otto Bremer 189
Die Sprachforschung der Gegenwart mit Bezug auf die französische Litte-
ratur im Mittelalter. Von Ferd. Brunetiere. Mit Genehmigung des
Verfassers übersetzt von E. Laur 189
L'instruction primaire et ses effets sur la civilisation d'une nation. Con-
ferences d'hiver de la Philosophical Institution d'Ecosse. Discours pro-
nonce a Edinbourg le 7 novembre 1884 par M. Aug. Couvreur . . . 190
Zeitschriftenschau 190
Die deutsche Bibelübersetzung der mittelalterlichen Waldenser in dem Codex
Teplensis und der ersten gedruckten deutschen Bibel nachgewiesen. Mit
Beiträgen zur Kenntnis der romanisclien Bibelübersetzung und Dogmen-
geschichte der Waldenser von Herman Haupt 337
Ein Beitrag zur Kenntnis des Sprachgebrauchs Klopstocks von Christoph Würfl 337
Der allgemeine deutsche Sprachverein, als Ergänzung seiner Schrift : Ein
Hauptstück von unserer Muttersprache. Mahnruf an alle national ge-
sinnten Deutschen. Von Herm. Riegel 338
Phonetische, etymologische und orthographische Essays über deutsche und
und fremde Wörter mit harten und weichen Verschlufslauten. Von
W. Jütting 338
Tres Humble Essai de Phonotique Lyonnaise par Nizier Du Puitspelu . . 339
Beiträge zur französischen Syntax des XVI. Jahrhunderts von Selly Gräfenberg 340
0. Dolch, Elementarbuch der französischen Sprache. — 0. Dolch, Schul-
grammatik der französischen Sprache. Erster Teil: Formenlehre . . 341
Valentin und Namenlos. Die niederdeutsche Dichtung. Die hochdeutsche
Prosa. Die Bruchstücke der mnl. Dichtung. Nebst Einleitung, Biblio-
graphie und Analyse des Romans Valentin et Orson. Von W. Seel-
mann, (H. L.) 342
In Sachen Sarrazin gegen Ramsler, (Friedrich Ramsler) 343
Repetitionen zur französischen Syntax, für den Schulgebrauch zusammen-
gestellt von Dr. Karl Thiem. (Lenk) 459
V
Seite
Prof. Dr. A. Mahn, Etymologische Untersuchungen über geographische
Namen 464
Supplement zur Englischen Schulgrammatik. Einleitung und Paradigmen
zur Lehre von der Aussprache und Wortbildung. Von M. Arnold
Schröer 465
Englisches Lesebuch von Dr. Joseph Holzamer, (H. Bieling) . . . . 466
Zeitschriftenschau 467
Programmenschau.
Tristan-Studien Von Oberlehrer Dr. Fr. Bahnsch. Programm des königl.
Gymnasiums zu Danzig 203
Andreas Gryphius als Lustspieldichter. Von Dr. Heinr. Hitzigrath. Pro-
gramm des Gymnasiums zu Wittenberg 203
Otto von Guericke. Biograpische Ergänzungen. L Otto von Guerickes
Sammlung lateinischer,- französischer, italienischer, holländischer und
deutscher Sinnsprüche. Nach einer im Stadtarchiv zu Magdeburg auf-
gefundenen Original-Aufzeichnung. Geordnet und mit einer Übersetzung
herausgegeben von Direktor Karl Paulsiek. Programm der Guericke-
Schule (Ober Realschule) zu Magdeburg 204
Der Lausitzer Dichter Aug. Ad. von Haugwitz. Ein Beitrag zur Litteratur-
gesch. des XVIL Jahrh. Von Oberl. Dr. Hühner. Progr. des Pro-
gymn. zu Trarbach 205
Cober, ein Moralprediger aus dem vorigen Jahrhundert. Von Dr. Moritz
Geyer. Programm des Gymnasiums zu Altenburg 206
Lessings Ansichten über das Verhältnis der Tragödie zur Geschichte. Kri-
tisch dargestellt von G. A. Lambeck. Programm der Ober-Realschule
zu Koblenz 207
„Was wir in einem Kunstwerke schön finden, das findet nicht unser Auge,
sondern die Einbildungskraft durch das Auge schön." Lessing, Laokoon
Kap. VI. Materialien für die Erklärung der Stelle in der Prima, zu-
sammengestellt von Baranek. Programm des Gymnasiums zu Gleiwitz 209
Sophie von La Roche in Schönebeck. Von Dr. Steiner. Programm der
Realschule in Schönebeck 210
Beiträge zur Metrik Goethes. Zweiter Teil. Von Dr. Ed. Belling. Pro-
gramm des Gymnasiums zu Bromberg 210
Das Goethesche Gleichnis. II. Von Direktor H. Henkel. Programm des
Gymnasiums zu Seehausen 211
Schiller in seinen Beziehungen zur Musik. Von Oberlehrer Klötzer. Pro-
gramm des Gymnasiums zu Zittau 211
Vorarbeiten und Beiträge zu einer kritischen Ausgabe Hölderlins. Von Dr.
Robert Wirth. Programm des Gymnasiums zu Plauen i. V. ... 212
Zur Feier deutscher Dichter. 17. Abend: Kopisch und Hoffinann von
Fallersleben ; 18. Abend: K. Simrock und R. Reinick. Von Direktor
K. Strackerjan. Programm der Ober- Realschule zu Oldenburg . . . 213
„Markgraf Rüdeger von Bechelaren" von F. Dahn und das Nibelungenlied,
VI
Seite
Von Emil Plaumann. Programm des Gymnasiums zu Graudenz.
(Hölscher) 214
Dr. J. B. Peters : Einige Kapitel der französischen Grammatik in tabellarischer
Übersiebt. Progr. der höheren Bürgerschule zu Bochum, (H. P. Junker) 214
Die Sage vom ewigen Juden. Von Professor Dr. V. Sucbomel. Programm
der II. deutschen Staats-Oberrcalschule in Prag. (Antpn Nagele) . 215
Französische Einflüsse bei Schiller. Von Prof. Otto Schanzenbach. Pro-
gramm des Eberhard-Ludwigs-Gymnasiums in Stuttgart. (Dr. Koste r) 216
M i s c e 1 1 e n.
Seite 218—237. 346—350. 470—478.
Bibliographischer Anzeiger.
Seite 288—240. 351—352. 479—480.
Die Hamlet-Periode in Shaksperes Leben.
Von
Hermann Isaac.
III. Die Abfassung des „Hamlet." 1.
Wir gehen nun zu der Vergleichung des Gedankengehalts
der 1. und der 2. Quarto von Hamlet über, um aus den Paral-
lelismen, welche sie, entweder einzeln oder gemeinsam, mit an-
deren Dramen oder den Sonetten Shaksperes aufweisen, klar zu
machen, dafs der geistige und poetische Gehalt derjenigen Teile
der Q. 2, welche in der Q. 1 nicht enthalten sind, vorwiegend
einer anderen und zwar wesentlich späteren Zeit angehört als
der Gehalt der Q. 1, d. h. dafs eine zweifache Redaktion des
Dramas stattgefunden hat. Während wir unser Material im
einzelnen aufführen, wollen wir nicht versäumen, gelegentliche
Kritik zu üben an der Theorie Tangers, der, wie den Le-
sern dieser Zeitschrift bekannt ist, die entgegengesetzte Ansicht,
dafs nämlich die Q. 1 weiter nichts als eine Verstümmelung
der Q. 2 ist, in einem äufserst sorgfältigen und eingehenden
Verfahren nachgewiesen zu haben glaubt.*
1, 1.
164. I, 1, 69 sagt Horatio von der Geistererscheinung
this bodes some stränge eruption to our State.
Im Cffis. und 1 H. IV. werden die übernatürlichen Vorkomm-
nisse als stränge ermptions bezeichnet:
* „The First and Second Quartos and the First Folio of Hamlet: their
Relation to each other." Reprinted from The New Shakspere Society's
„Transactions" 1880 — 2, Part. I — und „Hamlet nach Shakespeares Manu-
skript.« Anglia, IV. Bd., 1. Hft, 1881.
Archiv f. n. Spracken. LXXV. 1
2 Die Hamlet- Periode in Shaksperes Leben.
fearful, as these stränge eruptions are
Cces. I, 3, 78.
Diseased nature oftentimes breaks forth
In Strange eruptions. 1 H. IV. III, 1, 27.
165. Horatio nennt den verstorbenen König
our valiant Hamlet —
For so this side of cur known world esteemed him.
Haml. I, 1, 85.
Fast dasselbe sagt ein volskischer Edler von Coriolan:
The man is noble and bis fame folds in
This orb o'the earth. Cor. V, 6, 126.
166. Wie Haml. I, 1, 112 von a moih in the rnincrs eye die
Rede ist, so in H. V. IV, 1, 189 von 77ioth of the conscience. —
Diese Stelle kommt nur in Q. 2 vor, sowie
167. Die ganze Rede Horatios, an deren Beginn sie steht
und die durch die in Q. 1 fehlenden Worte ßernardos hervor-
gerufen ist.
In the most high and palmy State of Rome,
A little ere the mightiest Caesar feil,
The graves stood tenantless^ and the sheeted dead
Did squeah and gibber in the Roman streeis:
Äs Stars with strains of fire and dews of blood,
Disasters in the sun; and the moist star
Upon whose influence Neptune's empire Stands
Was sick almost to doomsday with eclipse:
And even the like precurse of ßerce events,
As harbingers preceding still the fates
And prologue to the omen Coming on,
Have heaven and earth together demonstrated
Unto our climatures and countrymen.
Haml. I, 1, 113.
Im Cses. werden die „horrid sights^\ am Vorabend der Iden
des März folgendermafsen geschildert :
A lioness hath whelped in the streets ;
And graves have yawned, and yielded up their dead;
Fiercc fiery warriors fought upon the clouds,
In ranks and squadrons and right form of war,
Which drizzled blood upon the Capitol;
The noise of battle huitled in the air,
Horses did neigh, and dying men did groan,
Die Hamlet-Periode in Shaksperes Leben. 3
And gJiosfs dkl shriek and squeal about the streets.
The heavens themselves blaze forth the death of princes.
CcEs. II, 2, 17.
Diese Stelle ist als solche für die Handlung und Charakteristik
bedeutungslos, sie hat nur den Zweck auf Ereignisse von ähn-
licher Furchtbarkeit wie die Ermordung Casars vorzubereiten,
tragische Stimmung zu erwecken. Da der Parallelismus einer
der auffallendsten ist, welche bei Shakspere vorkommen, und
darum schwerlich ein bedeutender Zwischenraum zwischen der
Niederschrift der beiden Passus angenommen werden kann, so
haben wir hier ziemlich sicher einen von jenen im Titel der
Q. 2 angezeigten Zusätzen vor uns, der durch das lebhafte In-
teresse des Dichters an seinem Cffis. (1599, s. 162) zum Teil
veranlafst worden ist. Diese Annahme wird um so wahrschein-
licher, da diese erste Scene in Q. 1 sonst keine Auslassungen
enthält und offenbar von dem Nachscbreiber absichtlich mit
möglichster Korrektheit wiedergegeben ist, um dem Leser einen
guten Begriff von der Authenticität der Ausgabe zu geben.
168. Marcellus, nachdem er nach dem Geiste geschlagen
hat, sagt:
it is, as the air, invulnerable,
And our vain blows malicious raockery.
Haml. I, 1, 145.
Ähnlich Macbeth zu Macduff:
Thou losest labour:
As easy mayst thou the intrencha^it air
With thy keen sword impress as make me bleed ;
Let fall thy blade on vulnerable crests,
I bear a charmed life. Macb. V, 8, 8.
I, 2.
Die Figur des Königs ist in Q. 2 so unendlich viel fei-
ner und sorgfältiger ausgeführt, dafs dieser Umstand allein es
fast unmöglich macht, an eine einmalige Redaktion zu glauben.
Das gleisnerische Wortgepränge, mit dem er sich in Q. 2
einführt und das jeden Menschenkenner von vornherein gegen
ihn einnehmen mufs, fehlt in Q. 1 ganz. Dementsprechend
finden sich denn auch für diesen Teil seiner Rede zwei hüb-
sche Parallelen in späteren Dramen {Cor., Macb.):
4 Die Hamlet-Periode in Shaksperes Leben.
169. Therefore our sometime sister, now our queen . . .
Have we as't were with a defeated joy,
With an mispicious, and a droppmg eye,
With mirth in funeral, and with dirge in marriage
In equal scale weighing delight and dole,
Taken to wife. Haml. I, 2, 10.
ril report it,
Where Senators shall mingle tears with joys.
Cor. I, 9, 3.
170. thinking by our late dear brother's death
Our State to he disjoint and out of frame . . .
Haml. I, 2, 20.
But let the frame of things disjoint.
Mach. III, 2, 16.
Nebenbei möchte ich auf die erste Rede des Laertes auf-
merksam machen, die in Q. 1 ganz anders lautet als in Q. 2
und doch sich durch Korrektheit und eine angemessene poe-
tische Form auszeichnet:
My gracious Lord, your favourable licence,
Now that the funeral rites are all performed,
I may have leave to go again to France ;
For though the favour of your grace might stay me,
Yet something is Ihere whispers in my heart
Which makes my niind and spirits bend all for France.
Wenn man mit derartigen Stellen, auf die ich wiederholt auf-
merksam machen werde, das vergleicht, was der Nachschreiber
zweifellos aus eigenen Kräften hinzugefüo-t hat, z. ß. die in
derselben Scene vorkommenden fürchterlichen Verse in Ham-
lets Rede:
Hirn (father) have I lost I miist of force forego
(für: But I have that within which passes show)
These but the Ornaments and suits of woe,
so ist es undenkbar, dafs er jene auch gemacht habe. Der
Nachschreiber war eben nur Schnellschreiber, im übrigen ein
roher, ungebildeter Patron ohne jede Spur von poetischer Em-
pfindung, der nachweislich nicht Sinn von Unsinn unterscheiden
konnte. Eine Schwäche der Tanger sehen Beweisführung ist
es, dafs er auch obige Stellen dem Stenographen zuschreibt; er
kann das nicht thun, ohne diesen als einen Proteus erscheinen zu
lassen, der sich mit Leichtigkeit aus einem Rhinozeros in einen
arabischen Vollbluthengst verwandeln konnte. Erklärt werden
Die Hamlet-Periode in Shaksperes Leben. 5
solche Abweichungen nur durch eine doppelte Redaktion und
dadurch, dafs es dem Kopisten gelang, viele Stellen ganz kor-
rekt zu Papier zu bringen.
171. Nighted für dunkel kommt nur in Q,. 2 und aufserdem
nur noch einmal bei Shakspere vor :
Good Hamlet, cast thy nighted colour off.
Haml. I, 2, 68.
his (des geblendeten Gloster) 7iighted life.
Lear IV, 5, 13.
172. Die folgende Rede Hamlets, welche er in Q. 1 an
den König und in Q. 2 an die Mutter richtet, hat eine vor-
treffliche Parallele in einem früheren Stück:
'Tis not alone my inky cloak, good mother . . .
Together with all forms, moods^ sliapes of grief,
That can denote me tridy : these indeed seem,
For they are actions that a man might play :
But I have that within which passes show ;
These but the trappings and the suit of ivoe.
Haml. I, 2, 77.
The shadoiu of my sorrow! ha! let's see;
'Tis very true, my grief lies ad within;
And these external manners of laments
Are merely shadows to the unseen grief,
That swells with silence in the tortured soul;
There lies the substance. R. II. IV, 1, 294.
173. Es ist merkwürdig, dafs gerade die in Q. 1 fehlen-
den beiden Schlufsverse der folgenden Rede Anklänge in späte-
ren Stücken finden:
This gentle and unforced accord of Hamlet
Sits smiling to my heart; in grace whereof,
No jocund health that Denmark drinks lo-day,
But the great cannon to the clouds shall teil
And the hing's rouse the heavens shall bruit again,
Re-speaking earthly thitnder. Haml. I, 2, 126.
Farewell ....
you mortal engines, whose rüde throats
The immortal Jove's dread Glamours coiinterfeit.
Oth. III, 3, 355.
Had cur great palace the capacity
To camp this host, we all would sup together
6 Die Hamlet-Periode in Shaksperes Leben.
And drink carouses to the next day's fate,
Which proniises royal peril. Trumpeters,
With brazen din blast you the city's ear;
Make mingle with our rattling tabourines;
That heaven and eartli may strike their sounds together,
Applaiiding our approach. Ant. IV, 8, 34.
Der folgende Monolog ist leidlich korrekt in Q. 1, nur
etwas durcheinandergewürfelt im Vergleich zu Q. 2, in der er
übrigens etwas gröfseren Umfang hat und mehr rhetorischen
Schmuck aufweist:
174. 0, that this too too solid flesh would melt,
Thaw, and resolve itself into a dew. Haml. I, 2, 130.
yet look up, behold
ruft die Königin beim Anblick ihres gefangenen Gemahls
Richard IL aus :
That you in pity may dissolve to dew. R. IL V, 1, 9.
Ähnlich sagt Albany bei der Erzählung Edgars von dem Un-
glück seiner Familie:
I am almost ready to dissolve.,
Hearing of this. Lear V, 3, 203.
175. thad the Everlasting had not fixed
His canon ^gainst self-slaiighter. Haml. I, 2, 131.
— Against self-slaugliter
There is a proliibition so divine
That cravens my weak band. Cyinb. IH, 4, 78.
Diese Stelle findet sich nur in Q. 2 ; desgleichen die folgende,
die einen anklingenden Gedanken in As hat :
176. How weary, stale, flat, and unprofitable
Seem to me all the uses of this world!
Fie on't! ah fie! 'tls an unweeded garden.,
That grows to seed. Haml. I, 2, 133.
O, how füll of briers is this loorking-day ivorld.
As I, 3, 12.
177. Der folgende Ausruf findet sich nur in Q. 2 und
überhaupt nur zweimal bei Shakspere:
Heaven and carth !
Haml. I, 2, 142. Lear I, 2, 105.
178. Über die kurze Trauer der Witwen lassen sich Hamlet
und Benedick sehr ähnlich aus :
Die Hamlet-Periode in Shaksperes Leben. 7
A little month, or ere those shoes were old
With which she followed my poor father's body,
Like Niobe, all tears . . .
Ere yet the salt of most unrighteous tears
Had left the flushing in her galled eyes,
She married. Haml. I, 2, 147.
If a man do not erect in this age his own tomb ere he dies, he
shall live no longer in monument ihan the bell rings and the widow
weeps. Ädo V, 2, 82.
In dem übrigen Teil der Scene findet sich nur noch ein
Parallelismus mit Coes.
171). He was a man, take him for all in all.
Haml. I, 2, 187.
His life was gentle, and the elements
So mixed in him that Nature might stand up
And say to all the world , This was a man V
Cces. V, 5, 75.
I, 3.
Drei Reden des Laertes zu Ophelia in Q. 2 sind in Q. 1
in eine von 11 Versen zusammengezogen. Es ist wohl kein
Zweifel, dafs in der ersten Redaktion mehr gestanden hat, als
Q. 1 uns bietet; andererseits aber ist die schöne Moralpredigt
des Laertes wohl erst in der zweiten Redaktion so ausführlich
und fein ausgearbeitet worden, wie sie die Q. 2 enthält; dar-
auf scheint der Umstand hinzuweisen, dafs die Q. 1 kein
Wort von dem gesellschaftlichen Mifsverhältnis der Liebenden
enthält. Die Rede des Laertes macht hier einen fragmentari-
schen Eindruck, wenn sie auch korrekt und sinnvoll und in
ihren Einzelheiten ehaksperisch ist.
180. Ein in beiden Qs. vorkommender Gedanke ist un-
zweifelhaft ein jugendlicher:
Virtue itself 'scapes not calumnious strokes:
(Der Nachschreiber von Q. 1 hat sich verhört und thoughts
geschrieben, desgleichen die beiden folgenden Verse ausgelassen.)
The canker galls the infants of the spring,
Too oft before their buttons be disclosed. I, 3, 38.
For slanders mark was ever yet the fair . . .
For canker vice the sweetest buds doth love.
Sonn. 70.
8 Die Hamlet-Peiiüde in Shaksperes Leben.
in the sweetest bud
The eating canker dwells. Gentl. I, 1, 42.
Der erste Vers findet sich dem Sinne nach freilich auch in Maas.:
back-wounding calumny
The whitest virtne strikes. Meas. III, 2, 197.
181. Der letzte Vers der Rede in Q. 1, den Tanger als
ein „rohes" Fabrikat des Nachschreibers bezeichnet:
therefore keep aloof,
Lest that he trip thy honour and thy fame,
ist doch gut shaksperisch, ebenso wie das
trip the course of law in 2 II. IV. V, 2, 87.
182. Dem nur in Q. 2 vorkommenden
as the wind gives benefit (günstig ist)
Haml. I, 3, 2
entspricht ein
With the next benefit of the wind. CTjmb. IV, 2, 342.
183. Das seltene Adjektiv crescent icachsend
For nature, crescent, does not grow alone
(Q. 2) I, 3, 11
kommt nur noch zweimal in späteren Stücken vor: Cymh. I,
4, 2; Ant. II, 1, 10.
184. (If you) lose your heart, er your chaste treasure open
To his unmastered importunity. (Q. 2) I, 3, 31.
In dieser Bedeutung findet sich treasure nur noch zweimal :
Zay down the treasnres of your hody. Meas. II, 4, 96.
I have picked the lock and ta'en
The treasure of her honour. Cymh. II, 2, 42.
185. Die einleitenden Verse zu den Lebensregeln, die Po-
lonius seinem Sohne mit auf den Weg giebt:
And these few precepts in thy memory
Look thou character. (Q. 1 giebt sinnlos nur den 1. Vers.)
I, 3, 59
finden ihren Widerhall in einem späteren Sonett aus den letzten
Neunzigern.
Thy gift, thy tables are ivithin my brai7i,
Füll charactered with lasting memory. Sonn. 122.
Die Hamlet-Periode ia Sbaksperes Leben. 9
186. Season in der Bedeutung reif machen kommt im Haml.
dreimal, aber 7uir in Q. 2 vor:
Farewell, niy blessing season this in thee.
(Q. 1: Farewell, my blessing witli thee.) I, 3, 81.
Who in want a hollow friend does try,
Directly seasons him as enemy. III, 2, 219.
When he (king) is fit and seasoned for his passage.
III, 3, 86.
Aufserdem nur noch einmal:
Season the slaves for tubs and baths.
Tim. IV, 3, 85.
187. Ophelia mit Bezug auf Laertes' Ratschläge:
'Tis in my memory locked,
And you yourself shall keep the key of it.
Haml. I, 3, 86.
König Heinrich zu Scroop :
Thou that didst bear the key of all my counsels,
That knew'st the very bottom of my soul.
H. V. II, 2, 96.
188. Menschen, die in der Liebe sich auf den Leim
locken lassen, werden als woodcocks bezeichnet: Haml. I, 3,
115; Ado V, I, 185; LL. IV, 3, 82.
189. When the blood burns, how prodigal the soul
Lends the tongue vovvs (so weit auch in Q. 1): these
blazes, daughter,
Giving more light than heat, extinct in both,
Even in their promise, as it is a-making.
Haml. I, 3, 116.
Der Vergleich der Liebeseide mit Strohfeuer, nur in Q. 2,
findet sich noch in:
the strengest oaths are straw
To the fire in the blood. Temp. IV, 1, 52.
190. In Q. 1 finden sich in dieser Rede des Polonius
wiederum merkwürdige Abweichungen :
Ofelia, receive none of his letters,
For lovers' lines are snares to entrap the heart :
Refuse his tokens, both of them are keys
To unlocke chastity unto desire.
Das Bild von den Schlingen ist so gewöhnlich, dafs selbst des
Nachschreibers Sterilität so fruchtbar gewesen sein könnte, diese
10 Die Hamlet-Periode in Shaksperes Leben.
poetische Reminiscenz an der passenden Stelle einzufügen. Das
zweite Bild hingegen kann nicht von ihm herrühren, sondern
ist Shaksperes Eigentum; vergl. Lu. 16; Merch. I, 1, 139.
191. Die Q 2 bezeichnet die Liebeseide als Kuppler {hro-
kers) (I, 3, 127); dasselbe Bild findet sich in Compl. 173 und
John II, 1, 568.
192. Das Wort Investment (fig. = dress) dieser Stelle der Q. 2
(I, 3, 128) kommt nur noch einmal vor: 2 IL IV. IV, 1, 45.
I, 4.
193. Die folgende Stelle, die eine vortreffliche Parallele in
einem Stücke aus der Mitte der Neunziger hat, findet sich den-
noch nur in Q. 2:
So, oft it chances in particular men,
That for some vicious mole of nature in them,
As, in their birth — wherein they are not guilty,
Since nature cannot choose bis origin —
By the o'ergrowth of some complexion,
Oft breaking down the pales and forts of reason,
Or by some habit that too much o'erleavens
The form of plansive manners, that these men,
Carrying, I say, the stamp of one defect,
Being nature's Hvery or fortune's star, —
Their virtties eise — be they as pure as grace
As infinite as man may undcrgo. —
iShall in the general censure take corrtiption
From that particiäar fault: the dram of e'il*
Doth all the noble siibstance -|- of a doubt
To his own scandal. Haml. I, 4, 23.
The least of which (pride, haughtiness etc.) haunting a
nobleman
Loses men's hearts and leaves behind a stain
lipon the heauty of all parts besides,
Beguiling them of commendation.
1 H. IV. III, 1, 186.
Die Stelle mag schon in der ersten Redaktion gestanden haben
und auf der Bühne fortorelassen sein, da sie sich auch nicht in
der Fol. findet ; andererseits mag der gleiche Gedanke in
1 H. IV. vielleicht ein späterer Zusatz sein, welchen der Dich-
* Dafs „eal" der Q. 2 = „evil" ist, geht mit Sicherheit daraus her-
vor, dafs sie „devil" auch in „deal" verkürzt.
Die Hiimlet-Periode in Shaksperes Leben. 11
ter bei der Herausgabe der korrektesten 1. Q. 1598, oder
später (5. Q. 1613, Grundlage der Fol.) einfügte, eine Frage,
zu deren Entscheidung mir das Material fehlt. Schliefslich
kann ja für die Übertragung eines Parallelismus keine be-
stimmte Zeitsrenze bezogen werden ; der Gedanke konnte 1596
in 1 H. IV. zum ersten, 1601 in Haml. IL zum zweitenmal
ausgesprochen werden. Es ist nicht meine Absicht, den Gegen-
stand dieser Abhandlung nach einzelnen Parallelen zu ent-
scheiden, sondern nach dem Gesamtbild aller Parallelismen.
194. Der Gebrauch von {o'er)leaven im Sinne von ver-
derben findet sich nur noch einmal bei Shakspere in einem
späteren Stücke;
Imogen. thou, Posthumus,
Wilt lay the leaven on all proper men.
Cjj7nb. III, 4, 64,
d. h. deine Schurkerei, die Schurkerei eines Einzelnen wird den
ganzen Ritterstand zu Schurken stempeln, wie ein einzelner
hervorragender Fehler alle guten P^igenschaften als nicht vor-
handen erscheinen läfst.
195. What if it tempt you toward the flood, my lord,
Or to the dreadful summit of the cliff.
That heetles der his hase into the sea,
And there assuine some other horrible form,
Which might deprive yoiir sovereignty of reason
And draio you into madness? Haml. I, 4, 70.
There is a clijf, luhose high and hending head
Looks fearßdly in the conßned deep. Lear IV, 1, 76.
Als Gloster sich auf dem „Shakspere's Cliff" zu befinden glaubt,
sagt Edgar:
I'll lock no raore;
Lest my hrain turn, and the deficient sight
Topple "down headlong. IV, 6, 23.
196. Als Symbol der Stärke wird der Nemean Hon ge-
nannt: Haml. 1,'4, 83; LL, IV, 1, 90.
I, 5.
197. I could a tale unfold whose lightest word
Would harrow up thy soul, freeze thy young blood,
Make thy two eyes, like stars, start from their spheres.
Haml. I, 5, 15.
12 Die Hamlet-Periode in Shaksperes Leben.
How have mine ejjes out of their spheres heenfitted!
Sonn. 119.
Das Sonett ist etwa Mitte der Neunziger entstanden.
198. Hamlet will zur Rache eilen „with wings as sinft as
meditation or the thought of love" (I, 5, 29); in Troil. IV, 2, 14
(Liebesgeschichte) finden wir dasselbe Bild: „Hies with wings
more momentary-Ä^ü^/?! than thought.'-''
199. 0, my prophetk soul! Haml. T, 5, 40.
Not mine own fears, nor the prophetic soul
Of the wide world dreaming on things to come. . .
Sonn. 107 (c. 1598).
200. lust^ thoiigh to a radiant angel linked,
Will säte itself in a celestial bed,
And prey on garbage. Haml. I, 5, 55.
The cloyed will,
That satiate, yet unsatisßed desire, that tub
Both filled and running, ravening first the lamb
Longs after for the garbage. Cymb. I, 6, 47.
(Will hat hier die Bedeutung Liebesverlangen, ist also mit
lust nahezu gleichbedeutend.)
201. from the table of my memory
I'll wipe away all trivial fond records —
And thy commandment all alone shall live
Within in the book, and volume of my brain.
Haml. I, 5, 98.
Thy gift, thy tables are within my brain
Fidl charactered, loith lasting memory,
Which shall above that idle rank remain
Beyond all date . . . Sonn. 122 (16. Jh.)
202. An die Worte Hamlets
O villain, villain, smiling. damned villain !
My tables, — meet it is I set it down,
That one may smile, and smile, and, be a villain.
Haml I, 5, 106
erinnern offenbar die mit derselben Tendenz gesprochenen
Worte Hotspurs in Bezug auf Heinrich IV.:
this king of smiles, this Bolingbroke.
1 H. IV. I, 3, 246
und a villain with a smiling cheek.
Merch. I, 3, 101.
Die Hamlet-Periode in Shaksperes Leben. 13
203. The time is out of Joint. Haml. I, 5, 188.
He (Ajax) hath the joints of every thing, but every thing
so out of Joint. Troil. I, 2, 29 (Liebesgeschichte).
204. Die Worte Paulinas, in denen sie ausspricht, dafs,
falls Leontes eine zweite Frau heiraten würde, der Geist Her-
miones erscheinen und ihm zurufen müfste
„Remember mine" [Wint, V, 1, 63 — 68)
enthalten eine offenbare Rerainiscenz an die fünfte Scene des
ersten Aktes.
II, 1.
205. (We) By indirections find directions out.
HamL II, 1, 66.
though indirect,
Yet indirection grows thereby direct.
Johl III, 1, 275.
206. Die äufsere Erscheinung der Liebeskranken wird in
gleicher Weise geschildert von Ophelia und ßosalind.
My lord, as I was sewing in my doset,
Lord Hamlet with bis doublet all unbraced',
No hat lipon Ins head; his stockings fouled,
Ungartered, and down-gyved to his ancle ;
Pale as his shirt ; his knees knocking each other;
conies before me.
Haml. n, 1, 78.
Then your hose should be ungartered, your bannet imbanded,
your sleeve unbuftoned, your shoe untied and every thing
about you demonstrating a careless desolation.
As III, 2, 397.
Die Schlufsverse des Polonius in dieser Scene sind ganz
verschieden in Q. 1 und Q. 2 :
Let's to the King, this madness may prove
Though wild a while, yet more true to thy love. (Q. 1.)
This must be known, which being kept close, might move
More grief to hide, than hate to utter love.
Come. CQ. 2.)
Tanger mufs die merkwürdige und zugleich sinnvolle Ab-
weichung der Q. 1 anerkennen; dennoch soll der Nachschrei-
ber aus den Reimwörtern prove und love die Verse selbst er-
gänzt und wieder einmal einen Geschmack und Verstand be-
wiesen haben, von dem er im übrigen nachweislich frei i:;t.
14 Die Hamlet-Periode in Shakspeies Leben.
Hier ist wieder ein Beweis der Autorschaft Shaksperes ; der
Untersciiied der beiden Qs. ist hier wie überall, dafs die
Q. 1 die Dinge direkt beim Namen nennt, die Qu. 2 alles
feiner, diskreter behandelt und die Intentionen der Handelnden
mehr verschleiert. Denn dafs Polonius mit einem Auge nach
einer Verbindung zwischen Hamlet und Ophelia schielt, dafs
er nur deshalb ihr Zusammentreffen im Schlosse veranlafst —
was Tanger nicht glaubt — geht auch aus der Q. 2 unzwei-
felhaft hervor; „es thut ihm eben leid"', dafs er Hamlet so vor
den Kopf gestofsen hat.
II, 2.
Die Anrede des Königs an Rosenkranz und Güldenstern
ist in den beiden Qs. ganz verschieden ; die von Q. 1 ist
offenbar verstümmelt, aber Teile daraus, die sehr wohl von
Shakspere herrühren können und dennoch verschieden sind,
deuten auf eine frühere Redaktion des Hamlet hin. So die
ersten Worte, die der Nachschreiber doch höchst wahrschein-
lich gefafst haben wird:
Right noble friends, that cur dear cousin Hamlet etc.
Und ferner gegen den Schlufs die Worte
207. to wring from him
The cause and ground of his distemperancy .
Wie hätte ein Nachschreiber der Q. 2 einen so seltenen Aus-
druck in so eigentümlicher Bedeutung wie distemj)erancy (=
distemper, rneiital derangement) in den Text einsetzen können,
einen Ausdruck, der dennoch echt shaksperisch ist? Er erscheint
in dieser Bedeutung nur noch einmal in Per. V, 1, 27 (Fol.,
freilich mit der Endung -ance). Und in demselben Sinne
braucht Shakspere distemperahire in Rom. II, 3, 40.
208. Andererseits gebraucht Shakspere den nur in Q. 2
vorkommenden Ausdruck neigliboured (= intimate) nur noch
Lear I, 1, 121.
Die Rede der Königin
Good gentlemen, he hath much (alked of you
(8 V.) sowie ein Teil der späteren fehlt ganz in Q. 1, wieder
eines der zahlreichen Zeichen, dafs diese Figur in der zweiten
Redaktion eine tiefere Charakteristik empfing.
Die Hamlet-Periode in Shaksperes Leben. 15
Die Rede des Voltimand ist in Q. 1 auffallend korrekt;
es ist daher sehr möglich, dafs dem Nachschreiber das Me.
dieser Nebenrolle vorgelegen hat.
208 a. Wortspiele mit effect und defect finden sich Haml. II,
2, 101; Mich. III, 1, 40; Merch. II, 2, 152.
209. Der ungewöhnliche Ausdruck ,,perpencl'-'' {= consider)
der Q. 2 in der Rede des Polonius wird nur von komischen
Personen in den Stücken der letzten neunziger Jahre gebraucht :
Haml. II, 2, 105; As 111, 2, 69; Ttv. V, 307; Wiv. II, 1, 119;
H. V. IV, 4, 8.
210. Hamlets Brief ist adressiert und zwar nur in Q. 2,
In her excellent white bosom these etc.
Thy letters . . . shall be delivered
Even in the milk-whlte bosom of thy love.
Gentl. III, 1, 250.
Diese Stelle ist indessen von keiner Beweiskraft, da Shakspere
offenbar Hamlet den gezierten Stil der Sonettisten, dem er in
jüngeren Jahren in beschränkter Weise selbst gehuldigt hat,
nachahmen läfst.
Das Gedicht Hamlets lautet in den beiden Ausgaben ver-
schieden:
Doubt that in earth is fire,
Doubt that the stars de move ... Q. 1
211. Doubt thou the stars are fire
Doubt that the sun doth move. Q. 2. II, 2, 116.
Die gleiche Versicherungsformel findet sich in Co7\:
As certain as I know the sun is fire.
Cor. V, 4, 48.
Was auf diese Unterredung in Q. 1 und Q. 2 folgt, ist
ein sehr mächtiger Beweis, dafs zwei verschiedene Redaktionen
von Haml. existiert haben. In Q. 1 bringt Corambis (Polonius)
Ophelia sogleich an den Hof mit und läfst sie sofort den Be-
weis der Verliebtheit Hamlets antreten ; es folgt also sofort der
Monolog „To be or not to be", die Scene zwischen Hamlet und
Ophelia, dann erst die Gespräche Hamlets mit Polonius und
Rosenkranz und Güldenstern. In Q. 2 kommen diese Ge-
spräche zunächst und erst nach der Scene mit den Schauspie-
16 Die Hamlet-Periode in Shaksperes Leben.
lern und einer neuen Scene zwischen König, Königin, Polonius
und Ophelia, die jetzt erst am Hofe erscheint, der berühmte
Monolog. In Q. 1 geht Polonius direkt ans Ziel, d. h. zur
Hauptprüfung durch Ophelia, dann versucht er sein Heil bei
dem Prinzen; in Q. 2 verfährt er feiner, zuerst macht er sich
an den Prinzen; dann die Schulfreunde, und da diese Schritte
erfolglos sind, spielt er den Haupttrumpf, Ophelia, aus. Dafs
das letztere Arrangement das scenisch und charakteristisch
bessere ist, braucht nicht auseinandergesetzt zu werden. Da
nun auch der Kontext, d. h. das, was vorausgeht und nachfolgt,
diesem veränderten Scenen- Arrangement entsprechend ist, so
hätte der sonst über alle Mafsen tölpelhafte Nachschreiber eine
hervorragende poetische Intelligenz entwickeln müssen.
Tano;ers Erkläruno; dieser Erscheinunsj ist eigentümlich :
er schreibt, der Nachschreiber der Q. 2 hätte infolge seiner
mangelhaften Notizen Polonius die selbstgemachten Worte in
den Mund gelegt:
The Prince's walk is here in the gallery,
There let Ophelia walk until he comes.
Durch diese Unvorsichtigkeit hätte er sich selbst in die Enge
getrieben und nun gleich die Scene zwischen Hamlet und
Ophelia folgen lassen müssen. — Diese Annahme scheint mir
gänzlich unhaltbar. Denken wir uns den allernachlässigsten,
allerungeschicktesten Nachschreiber, so wird er, wenn er auch
keine Scene mit erträglicher Genauigkeit zu Papier bringen
sollte, jedenfalls so viel leisten, dafs er den Gang der Handlung
fixiert, dafs er von jeder Scene, resp. jedem Auftritt die Namen
der sprechenden Personen notiert. Der Nachschreiber von Q. 1,
den wir annehmen, mufste also folgende Angaben in seinen
Notizen finden: King, Queen, Corambis, Ophelia. — Corambis,
Ophelia — Ophelia, Hamlet — Ophelia, King, Corambis —
Corambis, Hamlet. Also: 1. die Scenenfolge mufste er richtig
zu Papier bringen. 2. Hätte er eine Transposition der Scenen
von Q. 2 — absichtlich oder aus Versehen — vorgenommen
(welche Annahme indessen rein willkürlich, durch nichts be-
rechtigt ißt), so würden wir das an der Ungereimtheit des Kon-
textes gemerkt haben. Denn die Fähigkeit der durch die ver-
änderte Scenenfolge nötig gewordenen poetischen Einrieb-
Die Hamlet-Periode in Shaksperes Leben. 17
tung besafs der Nachschreiber der Q. 1 nicht, wofür die
ganze Q. 1 eben ein Beweis ist.
212. Hamlet antwortet auf die Frage des Polonius —
„What do you read, ray lord?" — :
Words, ivords, loords.
Pol. What is the matter, my lord? Haml. 11, 2, 194.
In Troil. (Liebesgeschichte) heifst die Frage: What sat/s
she there (im Briefe)? und die Antwort:
Words, words, mere words, no matter from the heart.
Troil. V, 3, 108.
213. Der methodische Walinsinn findet sich in Hamlet (Q. 2),
Meas. und Lear:
Though this be madness, there is method in't.
Haml. II, 2, 207.
If she be mad . . .
Her madness hath the oddest frarae of sense,
Such a dependency of thing on thing,
As e'er I heard in madness. Meas. V, 1, Gl.
O matter and impertinency mixed !
Reason in madness.
sagt Edgar von Lear (IV, 6, 179).
214. Die folgende Stelle findet sich ebenfalls nur in Q. 2 :
O, most true, she (^Fortune) is a strumpet.
Haml. n, 2, 240.
And Fortune, on his damned quarrel smiling,
Showed like a rebel's ivhore. Mach. I, 2, 15.
Fortune, that arrant whore. Lear II, 4, 52.
215. There's nothing either good er bad, but thinking makes it so.
Haml. II, 2, 256 (Q. 2).
Nothing is good, I see, without respect.
Merch. V, 2, 99.
216. Die Rede Hamlets / have of late . . . lost all my
mirth ist in der Q. 1 nur in ein paar trostlosen Ruinen ver-
treten, aber es findet sich darunter der Ausdruck spangled
heaven, der in Q. 2 nicht vorhanden ist. Es ist nicht anzu-
nehmen, dafs der Nachschreiber dieses hübsche Bild selbst er-
funden hat, zumal es in früheren Dramen mehrfach wieder-
kehrt :
Archiv f. n. Sprachen. LXXV. 2
18 Die Uamlet-Periode in Shaksperes Leben.
What Stars do spangle heaven with such beaufy.
Shrew IV, 5, 31.
Vergl. auch Mich. II, 1, 29 (spangled starlight) und in etwas
anderer Fassung;:
Look how the floor of heaven
Is thick inlaid with patines of bright gold.
Merch. V, 1, 59.
Das Bild hat in der ersten Redaktion gestanden, und ist in
Q. 2 ersetzt worden durch
217. This majestical root fretted with golden fire.
HamL II, 3, 313.
Dieser Gebrauch des Wortes fretted = adorned, der ja, wenn
wir an fretwork denken, entschieden unpassend ist, findet sich
dagegen wieder in einem späteren Drama:
The roof of the Chamber
With golden cherubins is fretted. Cymb. II, 4, 88.
218. Und die Verbildlichuno; des Firmaments als ea-
nopy Q. 2, II, 2, 311 kommt nur noch einmal in Cor. IV,
5, 41 vor.
Es ist dies einer von den scheinbar geringfügigen, in Wirk-
lichkeit aber sehr gewichtigen Beweisen für eine doppelte Re-
daktion. (Vergl. 207. 208.)
219. Hamlet nennt den Menschen quintessence of dust
(II, 2, 321), Holofernes a tuft of earth {L. L. IV, 2, 90),
Beatrice den Mann a j^iecß of valiant dust {Ada II, 1, 64).
220. Man delights not me; no, nor woman neither, though by
your smiling you seem to say so. Haml. II, 2, 322.
I meddle with no trades?rtan'5 matters, nor women^s matters,
but with awl. Cws. I, 1, 25.
Serv. How, sir! do you meddle with iny master?
Cor. Ay; 'tis an honester service than to meddle with thy
mistress. Cor. IV, 5, 50.
221. They say, an old man is twice a child.
Haml. II, 2, 403.
An old man twice a hoy. Cymb. V, 3, 57.
222. Die Deklamation des Schauspielers Haml. II, 2, 490
handelt von dem Tode des Priamus beim Brande Trojas;
Northumberland scheint Morton so zu zittern wie der Diener,
Die Hamlet-Periode in Shaksperes Leben. 19
der Priamus mitten in der Nacht weckte, als alles in Flammen
stand. 2 H. IV. I, 1, 70.
223. Eine auffallende Ähnlichkeit findet sich in der Rede
des Schauspielers:
with the lühiff and wmd of his {Pyrrhus') feil sword
The unnerved father /alls. Haml. 11, 2, 495
und in den Worten des Troilus:
the captive Grecian falls,
Even i)i the fan and wmd of jour fair sword.
Troil. V, 3, 41 (Liebesgeschichte).
224. Nur in Q. 2 :
Then senseless Ilium
— — — — — with flaming top
Stoops to his base. Haml. II, 2, 497.
palaces and pyrainids do slope
Their heads to their foundations. Mach. IV, 1, 57.
Yond towers .... Must kiss their own feet.
Troil. IV, 5, 221.
(Troil. IV, 5 gehört zu den in der ersten Fassung vorhandenen
Scenen, die später jedoch mancherlei Zusätze erhalten haben
[s. Archiv LXXIII, 3751, auch diese Worte des Ulysses sind
im Tone der später verfafsten Teile gehalten, vgl. Troil. III, 3.)
225. Nur in Q. 2:
his (Pyrrhus') sword
Which was decHning on the milky head
Of reverend Priam, seemed in the alr to stick.
Haml. II, 2, 499.
thou hast hang thy advanced sword i'the air,
Not letting it decline on the declined.
(Nestor zu Hektor.) Troil. IV, 5, 188.
(Die obige Bemerkung ist auch auf diese Stelle zu beziehen.)
226. Nur in Q. 2:
his (Pyrrhus') sword
— — — — seemed in the air to stick:
So, as a painted tyrant, Pyrrhus stood. Haml. II, 2, 502.
Dieselbe Beziehung, wahrscheinlich auf ein wirkliches Bild, liegt
der folgenden Stelle zu Grunde:
We'll have thee
Painted lipon a pole, and underwrit,
„Here may you see the tyrant."
(Macduff zu Macbeth.) Mach. V, 8, 26.
20 Die Hamlet-Periode in öhaksperes Leben.
227. Das zu Shaksperes Zeit schon veraltete, dem Mittel-
englischen angehörige eterne kommt nur in Haml. II, 2, 512,
Q. 2 und Mach. III, 2, 38 vor.
228. Das altertümliche Wort „bisson^'' gebraucht Shakspere
nur zweimal: in Q. 2 von Haml. (II, 2, 529) in der Bedeu-
tung blind machend (Deklamation des Schauspielers) und Co):
(II, 1, 70) in der Bedeutung blind (Rede des alten Menenius).
Die Reihe von Übereinstimmungen mit späteren Stücken
gerade in dem der Q. 1 fehlenden Teil der Rede des Schau-
spielers ist höchst beachtenswert.
229. Der nur in Q. 2 vorkommende Ausdruck unpregnant
im Sinne von uniliätig findet sich bei Shakspere zweimal:
Haml. II, 2, 595 und Meas. IV, 4, 23.
III, 1.
230. Die Art, wie Hamlet seine Jugendfreunde aufgenom-
men hat, bezeichnet Rosenkranz (nur in Q. 2) als niggard of
question [loortkarg) (III, 1, 13). Ebenso sagt Macduff [Mach. IV,
3, 180) zu Rosse:
Be not a niggard of your speech.
231. Pol. loith devotion's visage
And pioiis action we do sugar d'er
The devil himself.
The harlots cheek, beautified wifh plastering art,
Is not more ugly to the thiiig that helps it
Than is my deed to my most painted word.
Haml. III, 1, 47.
Divinity of hell !
When devils will the blackest sin put on,
They do suggest at first with heavenly shows.
Oth. ir, 3, 357.
Der Gehalt des Monologs To be or not to he ist der-
selbe in Q. 1 und Q. 2 ; wer aber die beiden Fassungen ver-
gleicht (s. S. 22 u. 23), wird, bei voller Einräumung der argen
Verstümmelungen, deren sich der Nachschreiber der Q. 1 schul-
dig gemacht hat, die Möglichkeit einer vervollkommnenden Über-
arbeitung des Dichters, deren Resultat der Monolog von Q. 2
ist, nicht für ausgeschlossen halten. Diese Annahme wird be-
stätigt durch eine Reihe von auffallenden Parallelismen, die sich
Die Hamlet-Periode in Sliaksperes Leben. 21
einerseits in Dichtungen aus der zweiten Hälfte der Neunziger,
andererseits in Dramen des 17. Jahrhunderts finden.
232. Den Teil des Monologes, der Hamlets Weltüberdrufs
auseinandersetzt, wird in einem Sonett der letzten neunziger
Jahre, das wahrscheinlich vor diesem Monologe verfafst ist,
(s. Sh.-Jahrb. XIX, S. 256. 258 f.) mit entsprechender Ähnlich-
keit ausgeführt:
Tired with all tliese, for rostful death I cry,
As, to behold desert a beggar born,
And needy nothing trimmed in jollity,
And pnrest f'aith unhappily fbrsworn.
And gilded honour shamefully niisplaced,
And maiden vhtue rudely strumpeted,
And right perfection wrongfully disgraced,
And strength by limping sway disabled,
And art made tongue-tied by authority,
And folly doctor-like Controlling skill,
And simple truth miscalled simplicity.
And captive good attending captain ill:
Tired with all these, from these would I he gone,
Save that, to die, I leave my love alone. Sonii. 66.
Auch die Worte Arragons gehören hierher:
Let none presume
To wear an undeserved dignity.
O, that estates, degrees, and offices
Were not derived corruptly, and that clear honour
Were purchased by the nierit of the wearer !
How many then should cover that stand bare!
How many be commanded that command etc.
Merch. II, 9, 39.
Die Übel, die Hamlet hier als überall vorhanden schildert,
wünscht Timon in seinem Monologe IV, 1 in verbreiterter Aus-
führung den Athenern:
Matrons, turn incontinent! (Haml. III, 4.)
Obedicnce fall in children ! slaves and fools,
Pluck the grave wrinkled Senate from the bencb,
And minister in their steads! to general filths
Convert o'the instant, green virginity,
Do't in your parents' eyes! bankrupts, hold fast;
Ralher than render back, out with your knives,
And cnt your trusters' throats ! bound servants, steal I
Large-handed robbers your grave masters are
22 Die Hamlet-Periode in Shaksperes Leben.
Q. 1.
To be, or not to be, I there's the point,
To Die, to fleepe, is that all? I all:
No, tosleepe, todreame, I mary there it goes,
For in that dreame of death, when wee awake,
And borne before an euerlafting Judge,
From whence no palTenger euer retur'nd,
The vndifconered conntry, at whofe fight
The happy fmile, and the accurfed damn'd.
But for this, the joyfull hope of this,
Whol'd bear the fcornes and flattery of the world,
Scorned by the right rieh, the rieh cur/Ted of the poore?
The widow being opprelied, the orphan wrong'd,
The tafte of hunger, or a tirants raigne,
And thoufand more oalamities befides,
To grünt and fweate vnder this weary life,
When that he niay his füll Quietus raake,
With a bare bodkin, who would this indure,
But for a hope of fomething after death ?
Which pufles the biaine, and doth confound the sence,
Which makes vs rather beare those euilles we haue,
Than flie to others that we know not of.
I that, 0 this confcience makes cowardes of vs all,
Lady in thy orizons, be all my finnes reraembred.
And pill by law. Maid, to thy master's bed ;
Thy mistress is o'the brothell Son of sixteen,
Pluck the lined crutch from thy old limping sire,
With it beat out his brains ! Piety, and fear,
Religion to the gods, peace, justice, truth,
Domestic awe, night-rest, and neighbourhood,
Instruction, manners, mysteries, and trades,
Degrees, observances, customs, and laws,
Decline to your confounding contraries,
And let confusion live !
Anklänge hieran finden eich im Monologe IV, 3; unter anderm :
the learned pate
Ducks to the golden fool ; all is oblique.
Some rise by sin, and some by virtue fall.
Meas. n, 1, 38.
233. Die beiden Hauptgedanken des Monologes To be or
not to he werden in zwei Reden der ersten Scene des dritten
Aktes von Meas. ausgeführt: die Leiden und die Wertlosigkeit
Die Hamlet-Periode in Shaksperes Leben. 23
Q. 2.
To be, or not to be, that is the queftion,
Whether tis nobler in the minde to fuffer
The flings and arrowes of outragious fortune,
Or to take Armes againft a fea of troubles,
And by oppofing, end them, to die to fleepe
No more, and by a fleepe, to fay we end
The hart-ake, and the thoufand naturall fhocks
That flefh is heire to ; tis a confumation
Deuoutly to be wifht to die to fleepe,
To fleepe, perchance to dreame, I there's the rub,
For in that fleepe of death what dreames may come
When we haue fhuffled off this mortall coyle.
Muft giue vs paufe, there's the refpect
That makes calaniitie of fo long life:
For who would beare the whips and fcornes of time,
Th'opprefTors wrong, the proude mans contumely,
The pangs of despiz'd loue, the lawes delay,
The infolence of office, and the fpurnes
That patient inerrit of th'vnworthy takes,
When he himfelfe might bis quietas make
With a bare bodkin ; who would fardels beare,
To grünt and fweat vnder a wearie life,
Bnt that the dread of something after death,
The vndisconer'd country, from whose borne
No trauiler returnes, puzzels the will,
And makes vs rather beare thofe ills we haue,
Then flie to others that we know not of.
Thus confcience dooes make cowards,
And thus the natiue hiew of refolution
Is fickled ore with the pale caft of thought,
And enterprises of great pitch and nioment,
With this regard theyr currents turne awry,
And loofe the name of action. Soft you now,
The faire Ophelia, Nimph in thy orizons
Be all my finnes remembred.
des Lebens in der lang-en Trostrede des als Mönch verkleideten
Herzogs (V. 7) — darunter die Verse:
Thy best of rest is sleep,
And that thou oft provokest; yet grossly fear'st
Thy death which is no more,
und die Ungewifsheit dessen, was nach dem Tode folgt, von
Claudio in der Rede, welche beginnt :
Ay, but to die and go we know not where (V. 118).
24 Die Hamlet-Periode in Shaksperes Leben.
234. In Hamlets Monolog heifst es:
Who would fardels bear,
To grünt and siveat uiuler a lueary life.
Dasselbe Bild vom Esel wird von Antonius auf Lepidus an-
gewandt:
He shall but bear them (honours), as tlie ass bears gokl,
To groan and siveat under the husiness.
Ca's. IV, 1, 22.
Auch Shylock vergleicht die Sklaven der Christen mit Eseln
und fragt:
Why sweat tliey under hurthensf Merch. IV, 1, 95.
235. Die gleiche Methapher findet sich in den Versen :
The sUngs and arrows of outrageous fortiine.
Haml. III, 1, 58 (Q. 2).
The shot of accident nor dart of chance.
Oth. IV, 1 , 278.
236. Schönheit und Ehrlichkeit werden als unverträglich
einander entgegengesetzt:
The power of beauty will sooner transform honesty from what
it is to a bawd than the force of honesty can translate
beauty into his likeness. Harah III, 1, 111.
Those tbat she (Fortune) makes fair she scarce makes hon-
est, and those tbat she makes honest she makes very ill-
favouredly. Äs I, 2, 38.
237. Be thou as cliaste as ice, as pure as snow^ thou sbalt not
escape calumny. Haml. III, 1, 140.
The noble sister of Publicola,
The moon of Rorae, chaste as the icicle
That's curdied by the frost from purest snow.
Cor. V, 3, 65.
the very ice of chastity is in them. Äs III, 4, 18.
Die Worte, welche Ophelia nach Hamlets Abgange spricht,
sind in Q. 1 jammervoll verstümmelt, so dafe es schwer ist,
spätere Verbesserungen von des Dichters Hand in Q. 2 nach-
zuweisen: vielleicht haben wir in der folgenden Stelle eine:
238. Now see that noble and most sovereign reason,
Like sweet bells Jangled, out of tune (Q. 2 time) and harsh.
Haml. III, 1, 166.
Cordelia sagt mit Bezug auf ihren Vater;
Die Hamlet-Periode in Shaksperes Leben. 25
0 you kind gods,
Cure this great breach in his abused nature!
The untuned and jarring senses. Lear IV, 7, 17.
239. Vielleicht mag der Ausdruck rose auch in Q. 1 ge-
standen haben:
The expectancy and rose of the fair State ;
Haml. III, 1, 160.
Köniof Richard wird
that sweet lovely rose 1 IL IV. I, 3, 175
genannt. — Vergl. Sonn. 109; des. I, 3, 78 u. Tim. IV, 5, 171.
240. Die Schilderung männlicher Vortreflflichkeit, wie sie
Ophelia in beiden Qs. giebt, findet sich fast wörtlich wieder
in 2 H. IV., aufserdem ähnlich noch zweimal.
The cotii'tier's, saldier'' s, scholar's, eye, tongiie, sioord;
The expectancy and rose of the fair State,
The glass of fashioii and the mould of form,
The ohserved of all ohservers. Haml. III, 1, 159.
Die auf ihren Gemahl bezüglichen Worte der Lady Percy lau-
ten sehr ähnlich ;
he was indeed the glass
Wherein the noble youth did dress themselves . . .
in speech, in gait.
In diet, in affections of delight,
In military ndes, humours of blood,
He was the marh and glass, copy and book,
That fashioned others. 2 IL IV. 11, 3, 21. 28.
Auch Posthumus wird in ähnlicher Weise herausgestrichen:
A sample to the youngest, to the more matiire
A glass that feated them. Cymb. I, 1, 49.
Und der Herzog in Meas. schildert Angelo als a scholar, a
statesman, and a saldier (111, 2, 154).
III, 2.
241. Man vergleiche mit dem, was Hamlet von den Schau-
spielern, overdoing Termagant, sagt:
O, there be players that have so strutted and bellowed that I
have thought sonie of nature's jonrneymen had made men and
not made them well, they hnifated humanity so abominably,
und von dem pitifid amhilion des Narren
Haml. III, 2, 15. 32. 49.
26 Die Hamlet-Periode in Shaksperes Leben.
die Schilderung der Art, wie Achilles den Agamemnon dar-
stellt:
like a strutting player, whose conceit
Lies in bis hamstring, and doth think it rieh
To hear the wooden dialogue and soiind
'Twixt Jas streiclied footing and the pcaffoldage, —
Such to-be-pitied and oerivrested seeming
He acts thy greatness in: and when he speaks,
'Tis like a chime a-mending
roaring Typhon.
TroiL I, 3, 153.
Die Q. 1 enthält in der Rede Hamlets über die Schau-
spielkunst einen längeren Zusatz über die Witzlosigkeit der
Clowns, von dem Tanger vergeblich uns glauben machen will,
dafs er von dem Nachschreiber verfafst sei. Der scharfe witzige
Ausfall ist von Shaksperes Hand; wenn der Nachschreiber
etwas Derartiges hätte erfinden sollen, dann hätte sich eben wie-
der einmal seine uns bekannte Natur in ihr gerades Gegenteil
verkehren müssen.
Das Freundschaftsgeständnis Hamlets an Horatio ist in der
Q. 1 nicht blofs sehr viel kürzer, sondern auch anders; es ent-
hält z. B. (241a) den echt Shakspereschen Ausdruck „tirae-
pleasing tongue" (s. Tiv. II, 3, 160; Cor. III, 1, 45), der in Q. 2
getilgt ist. Und merkwürdigerweise findet das, was beiden ge-
meinsam ist, seine Parallele in einem Stücke des IG. Jahrb.; wäh-
rend das, was die Q. 2 mehr hat, in späteren Stücken wiederkehrt.
242. Nay, do not thinh I flatter
For lohat advancement may I hope froni thee ?
Why sbould the poor be flattered ?
No, let the candied tongue lick absurd pomp . . .
Since my dear soul was mistress of her choioe
And could of men distinguish, her eleciion
liath sealed thee for herseif: Haml. III, 2, 61.
Ahnlich spricht Hotspur zu Douglas:
By God, I cannot flatter ; I do defy
The tongues of soothers; hnt a braver place
In my heart's love hath no man than yourself.
1 H. IV, IV, 1, 6.
Nur in Q. 2 finden sich die folgenden Stellen;
Die Hamlet-Perlode iü Shaksperes Leben. 27
243. let the candied tongue lick absurd pomp,
And crook the pregnant hinges of the hiee
Where thrift may folloio fawning.
Haml. III, 2, 66.
Ähnlich sagt Apemantus zu Timon :
Be thon a flatterer now, and seek to thrive
By that which has iindone thee: hinge thy hiee
And let bis very breath, whom thou'lt observe,
BIow otrthy cap. Tim. IV, 3, 210.
You shall mark
Many a duteous and knee-crooking knave,
That, doting on his own obsequious bondage,
Wears out his time, much like his master's ass,
For noiight but provender. Oth. I, 1, 45.
244. thou hast heen
As one, in suffering all, that suflfers nothing,
A man that fortunes hiiffets and rewards
Hast ta'en loith eqiial thanks . . .
Give me the man
That is not passio7i's slave, and I will wear him
In my heart's core. Haml. III, 2, 72. 77.
Die Worte Lodovicos über Othello sind :
Is this the nature
Whom passion could not shake ? whose solid virtue
The shot of accident, nor dart of cliance
Coidd neither graze 7ior pierce. Oth. IV, 1, 277.
245. Gleiche Ausdrucksweise:
I will wear hira
In my heart's core, ay, in my heart of heart.
Haml. III, 2, 78.
[bid] welcome from heart of very heart.
Trau. IV, 5, 171.
(S. die Bencierkung zu 224.) Ähnlich:
this and what needful eise
That calls upon us, by the grace of Grace,
We will perform. Ilacb. V, 8, 72.
246. Was Hamlet von sich sagt in beiden Qs.:
/ eat the air, proinise-crammed
Hamh m, 2, 99
wird auch von Hotspur ausgesprochen :
28 Die Haiiilet-Pcriode iti Shaksperes Leben.
who lined himself with hope,
Eating the air on promise of supply.
2 H. IV. I, 3, 27.
247. Eine auffallende Übereinstimmung findet eich in Harn-
lets "Worten zu Ophelia :
How cheerfully my mother looks, and my fatlier died within
these tivo hours.
Oph. Nay, 'tis twice two months, my lord.
Haml. So long? . . . O heavens! die two months ago and
not forgotten yet? Then there's hope a great man's memory
may outlive his life half a year. Haml. III, 2, 132.
und Benedicks zu ßeatrice :
If a man do not erect in this age his own tomb ere he dies,
he shnll live nojotiger in monument than the bell rings and
the widoio weeps.
Beat. And how long is that, think you?
Bene. Question : why an hovr in clamour and a quarter in
rheum. Ado V, 2, 79.
Vergleiche hierzu die auf seine Mutter bezüglichen Worte
Hamlets im ersten Monologe (I, 2).
Schon von Tschischwitz ist als ein Hauptbeweis für eine
doppelte Redaktion Hamlets geltend gemacht worden die von
der Q. 2 sehr abweichende, und dennoch in sich zusammen-
hängende, in richtigen Versen und guten Reimen aufgebaute
Fassung des Schauspiels in Q. 1. Man müfste geradezu eine
einmalige Inspiration annehmen, wenn man nach den sonstigen
Leistungen des Nachschreibers es für möglich halten sollte, dafs
er der Verfasser dieses Schauspiels wäre.
247 a. Eine Stelle daraus, die in der Q. 1 merkwürdiger-
weise ein zusammenhängendes Ganzes bildet, während sie in
Q. 2 durch ein umfangreiches Einschiebsel getrennt erscheint,
erinnert lebhaft an ein in der zweiten Hälfte der Neunziger ver-
fafstes Sonett:
I do believe you think what now you speak ;
But what we do determine oft wc break.
For our devices still are overthrown,
Our thoughts arc ours, their ends none of our own.
Haml. III, 2, 196. 222.
Die Hamlet-Periode in Shaksperes Leben. 29
But reekoning time, whose millioned accidents
Creep in 'twixt vows, and change decrees of kings,
Tan sacred beauty, blunt the sharp'st intents,
Divert strong minds to Ihe course of altering things.
So7m. 115.
248. Der Ausdruck turn Turk im Sinne von sich untreu
werden oder allgemeiner ei?ie auffallende Wandelung vom Besse-
ren zum Schlimmeren durchmachen, kommt zweimal bei Shak-
spere vor:
if the rest of my fortunes turn Turk with me . . .
Haml. III, 2, 287.
an yon be not turned Turk . . . Ado III, 4, 57.
249. Was Hamlet von sich sag-t:
'Sblood, do you think I am easier to be played on than a
pipe? Call nie what instrument you will, though you can
frei me, yet you cannot plai/ upon me.
Haral. III, 2, 387,
sagt Rosalind zu Silvius mit Bezug auf Phebe:
What, to male thee an instrument and play false strains upon
thee! As IV, 3, 67.
250. 'Tis now the very witching time of night,
When churchyards yawn and hell itself breathes out
Contagion to this world : now could I drink hot blood,
And do such bitter business as the day
Would quake to look on.
Haml. III, 2, 406 (Q. 2).
Now o'er the one half- world
Nature seems dead, and wicked dreams abuse
The curtained sleep ; witchcraft celehrates
Pale Hecate^s offerings, and withered murder,
Alarumed by his sentinel, the wolf,
Whose howl's his watch, thus with his stealthy pace,
With Tarquin's ravishing strides, towards his design
Moves like a ghost. Mach. II, 1, 51.
251. I will speak daggers to her Haml. III, 2, 414.
She speaks poniards. Ado II, 1, 255.
I wear not
My dagger in my mouth. Cymb. IV, 2, 78.
252. Auf Nero als Muttermörder wird zweimal angespielt:
Soft ! now to my mother.
0 heart, lose not thy nature; let not ever
30 Die Hamlet-Periode in Shaksperes Leben.
The soul of Nero enter this firm bosom . . .
I will speak daggers to her, but use none.
Haml. III, 2, 412.
you ingrate revolts,
You bloody Neroes, ripping up the womb
Of your dear mother England.
John V, 2, 152.
m, 3.
Der Auftritt zwischen König, Rosenkranz und Güldenstern,
sowie die Worte des Polonius fehlen in Q. 1, die mit dem
Sündenbekenntnis des Königs beginnt. Die folgende Stelle
findet sich daher nur in Q. 2.
253. The cease of majesty
Dies not alone ; but, like a gulf, doth draw
What's near it with it : it is a massy wheel,
Fixed on the summit of the highest mount,
To whose huge spokes ten thousand lesser things
Are mortised and adjoined ; which, when it falls,
Each small annexment, petty consequence,
Attends the boisterous ruin. Hainl. III, 3, 15.
Ganz der nämliche Gedanke wird ausgeführt in der folgen-
den Stelle von der greatness, die in place^ riches, favour be-
steht:
Which, when they fall, as being slippery Standers,
The love tbat leaned on them as slippery too,
Do one pluck down another and together
Die in the fall. Troü. III, 3, 84.
An den obigen Passus erinnert auch der folgende:
Let go thy hold, when a great wheel runs down a hill, lest
it break thy neck with foUowing it.
(Der Narr zu Kent mit Bezug auf Lear.) Lear II, 4, 73.
Es kann nicht behauptet werden, dafs in dem folgenden
Monolog des Königs in Q. 1 die verstümmelnde Hand des
Nachschreibers nicht zu erkennen wäre; aber nichtsdestoweni-
ger steht es fest, dafs wir hier ebenso wie in dem Schauspiel
der vorigen Se&ne eine von der Q. 2 wesentlich abweichende
Fassung von Shak^ere selbst vor uns haben.
254. O, ray oflFence is rank, it smells to heaven.
Haml. III, 3, 36 (Q. 2).
Die Hamlet-Periode in Shaksperes'Leben. 31
Die gleiche Wendung mit ganz ähnlicher Beziehung gebraucht
Menenius den Tribunen gegenüber:
You are the musty chafF; and you are smelt
Äbove the moon. Cor. V, 1, 32.
255. Den Worten des Königs Claudius bei seinem ver-
geblichen Versuch zu beten gleicht ein Monolog des Angelo auf-
fallend:
Pray can I not,
Though inclination be as sharp as will :
My stronger guilt defeats my sträng intent . . .
My words fly up, my thoughts remain below:
Words lüüliout thoughts neuer to heaven go.
Haml. III, 3, 38. 97 (Q. 2).
When I would pray and think, I thifik and pray
To several siibjects. Heaven hath my empty words;
Whilst my invention., hearing not my tongue,
Anchors on Isabel: Heaven in 7ny jnouth,
As if I did but only chew bis name;
And in my heart the strong and swelling evil
Of my conception. Meas. II, 4, 1.
In Q. 1 heiftjen die letzten Verse :
My words fly up, my sins remain below :
No King on earth is safe, if God's bis foe.
Auch diese Verse hat Shakspere verfafst. Betrachten wir den
Unterschied zwischen ihnen und Q. 2 — Gegensatz von words
und sins anstatt von tcords und thoughts, und den ganz un-
ähnlichen Schlufsvers, so ist er derartig, dafs er gerade jede
Parallelität mit der Stelle in Meas. aufhebt.
in, 4.
256. Dem Ausdruck icring your heart in Q. 2 (III, 4, 35)
entspricht ein wringing of the conscience in H. VIII. II, 2, 28.
257. Hamlet charakterisiert die Sünde seiner Mutter fol-
gendermafsen :
heaven's face doth glow ;
Yea, this solidity and Compound mass,
Wüh tristfid visage, as against the doom,
Is thought-sick at the act. Haml. III, 4, 48 (Q. 2).
Othellos Worte auf die teuflischen Einflüsterungen Jagos
lauten ähnlich:
32 Die Hamlet-Periode in Shaksperes Leben.
Do deeds to make heaven lueep, all earth amazed;
For nothing canst thou to damnation add
Greater than that. Oth. III, 3, 371.
258. Der juristische Ausdruck 2'>resent'nient im Sinne von
presentation, representation kommt nur zweimal bei Shakspere
vor: Haml. 111, 4, 54 (Q. 2) und Tim. I, 1, 27.
259. Der Vergleich des alten Hamlet mit verschiedenen
Göttern ist ein schöner Zusatz der Q. 2, Q, 1 legt nur Ge-
wicht auf kriegerischen Mut (a face to outface Mars himself)
und Tugend. Und fast ebenso wie Hamlet seinen Vater be-
schreibt :
Hyperion's curls; i\iQ front of Jove lihnself',
An eye like Mars, to threaten and comraand ;
A Station like the herald Mercury . . .
Haml. III, 4, 56,
80 Imogen ihren Posthumus:
His foot Mercurial; his Martial thigh ; •
The brawns of Hercules ; but his Jovial face . . .
Cymb. IV, 2, 310.
260. Have you eyes?
Could you on this fair mountain leave to feed.
And hatten on this raoor ? Ha ! have you eyes ? . ..
what judgement
Would Step from this to this ? Sense, siire, you have,
Else could you not have motion ; but sure, that sense
Is apoplexed ; for madness ivould not err,
Nor sense to ecstasy was ne'er so thralled
But it reserved some quantity of choice,
To serve in such a difference.
Haml. III, 4, 65. 70 (Q. 2).
Dieselben Erwägungen stellt Jachimo über Posthumus an, wie
er ihn als treulos seiner Gattin schildert:
What, are men mad? Hath nature given them eyes
To see this vaulted arch, and the rieh crop
Of sea and land,
and oan we not
Partition make with spectacles so precious
' Twixt fair and foul ? . . .
It cannot he i'the eye, for apes and monkeys
'Twixt two such shes would chatter this way and
Contemn with mows the other ; nor ihhe judgement^
Die Hamlet-Periode in Shaksperes Leben. 33
For idiots in this case of favour would
Be wisely deßiüte; nor i'the appetite;
Sluttery to such neat excellence opposed
Should inake desire vomit emptiness,
Not so allured to feed. Cymb. I, 6, 32.
Die Ähnlichkeit liegt hier weniger in einzelnen Worten als in
dem ganzen Tenor der Erwägungen.
Ahnlich drückt sich Brabantio über die Liebe seiner Toch-
ter zu Othello aus :
For nature so preposieronly to err,
Being not deficient^ blind, or lame of sense,
Sans witchcraft could not. Oth. I, 3, 62.
2fil. Die Strafrede, welche Hamlet seiner Mutter hält
(111, 4, Q. 2), gleicht an Höhe des Pathos und an Kraft der
Hyperbeln derjenigen, in der Heinrich V. Scroop seinen Verrat
vorwirft (H, 2, 102). Die Reden sind zu lang, um citiert zu
werden ; bei der Lektüre wird man einige unzweifelhafte Re-
miniscenzen an Haml. darin finden.
An dieser Stelle der Q. 1 mache ich auf die Verse
Why, appetite with you is in the wane,
Your blood runs back ward now from whence it came.
aufmerksam, die shaksperesches Gepräge haben und an welche
die Q. 2 nicht den geringsten Anklang enthält.
262. Der Geist des alten Hamlet giebt den Grund seines
Wiedererscheinens seinem Sohne in den Worten :
this Visitation
Is but to whet thy almost blunted intent.
Haml. III, 4, 111.
Ähnlich sagt Malcolm zu Macduff im Anschlufs an die
Nachricht von der Ermordung seiner Familie :
Be this the whetstone of your sword; let grief
Convert to anger; blunt not the heart, enrage it.
Mach. IV, 3, 228.
IV, 1.
263. King. Hovv does Hamlet?
Queen. Mad as the sea and wind, when both contend
Which is the mightier.
Haml. IV, 1, 7 (Q. 2).
Archiv f. n. Sprachen. LXXY. 3
34 Die Hamlet-Periode in Shaksperes Leben.
he (Lear) was met even now
As mad as the vexed sea. Lear IV, 4, 2.
(Die Q. 1 hat für den ganzen Passus nur: as raging as the
sea.)
IV, 2.
Diese Scene und infolgedessen auch die darauf hinweisende
Anfangsrede des Königs in der folgenden Scene fehlen in Q. 1
gänzlich.
264-. Hamlet sagt auf die Frage des Rosenkranz, was er
mit Polonius' Leichnam gethan habe:
Compounded it with dust, whereto 'tis kin.
Haml. IV, 2, 6.
Heinrich IV. ruft vor seinem Tode:
Only Compound me with forgotten dust.
2 IL IV. IV, 5, 116.
Vergleiche auch:
The brain of this fooUsh-comj'iounded claij, man, is not able
to invent etc. (Falstaff) 2 H. IV. I, 2, 8.
und : you look upon this versa
When I perhaps compounded am with clay.
Sonn. 71 (Ende der Neunziger).
265. Haml. IV, 2, 12 wird ein Schwätzer, Merch. I, 2, 108
ein Säufer mit einem sponge verglichen. (Die schmückende
Bezeichnung „sponge" erhält Rosenkranz in Q. 1 in seinem
Gespräch mit Hamlet nach dem Schauspiel.)
IV, 3.
266. Das Verbum nose riechen kommt nur vor Haml.
IV, 3, 38 und Cor. V, 1, 28.
267. Was König Claudius von Hamlet sagt:
like the hectie in my blood he rages
Haml. IV, 3, 68 (Qu. 2),
fast dasselbe sagt Dumain von Katharina.
a fever she
Reigns in my blood. LL. IV, 3, 95.
IV, 4.
Die Begegnung Hamlets mit dem Kapitän des auf seinem
Durchzuge durch Dänemark begriffenen Fortinbras fehlt auch
in Q. 1.
Die Hamlet-Periode in Sbaksperes Leben. 35
IV, 5.
Der fünften Scene geht in Q. 1 ein kurzes Gespräch des
Königs und der Königin voraus, in welchem die letztere mitteilt,
dafö Ophelia wahnsinnig geworden, der erstere von den Gefahren
spricht, welche die Rückkehr des volksbeliebten Laertes seinem
Throne bereiten könne. Die Spuren der ungeschickten Hand
des Nachschreibers sind in diesem Gespräche unverkennbar;
nichtsdestoweniger scheint es mir nach der bei 211 aufgestellten
Erwäffuno; unhaltbar, es als eine reine Erfindunor von ihm zu
betrachten ; die Scene ist eben in der ersten Redaktion anders
d. h. wenisfer »ut als in der zweiten arrano-iert o-ewesen. Nach
diesem Gespräche tritt dann in Q. 1 sofort, also in Anwesen-
heit des Königs, Ophelia auf mit dem Gesänge „How should I
your true love know." — In den Worten des Königs nach dem
ersten Abgange der Ophelia mache ich auf die Endverse der
Q. 1 aufmerksam :
Content on earth was never certain bred,
To-day we laugh and live, to-raorrow dead,
die, wenn sie nicht in dieser Gestalt von Shakspere selbst ge-
formt sein sollten, doch sicher zwei ähnliche, die in Q. 2 feh-
len, ersetzen sollen.
268. both the lüorlds I give to negligence
Let conie what comes ; only I will be revenged.
Haml. IV, 5, 134 (Q. 2).
let — — — hoth the worlds suffer,
Ere we will eat cur meal in fear.
Mach. III, 2, 16.
Dafs die nur in Q. 1 vorkommenden Worte des Königs
Although I know your grief is as a flood,
Brimful of sorroiv, biit forbeare a while . . .
und des Laertes :
I'll strive
To bury grief ivithin a tomb of wrath,
Which once unhearsed, then the world shall haar
Laertes had a father he held dear.
auf Shakspere zurückzuführen sind, scheint mir um so unfrag-
licher mit Rücksicht auf die folgenden Stellen:
3'
36 Die Hamlet-Periode in Shaksperes Leben.
269. To make tbe Coming hour
O'erflow with joy and pleasiire droivn ihe brim.
AWs II, 4, 48.
270. words seemed buried in my sorroiv's grave.
R.IL I, 4, 15.
(Dieser metaphorische Gebrauch von hury ist überhaupt in
Jugendstücken beliebt, s. Sh.-Lex.)
IV, 6.
Nun weichen wieder einmal die beiden Q.s in einer
Weise voneinander ab, die keine andere Erklärung als eine
doppelte Redaktion des Dichters zuläfst: es sind nämlich zwei
total verschiedene Scenen, welche die Handlung des Dramas
ganz wesentlich beeinflussen. In Q. 2 erfährt H oratio durch
einen ihm von Seeleuten überbrachten Brief, dafs Hamlet
wieder in Dänemark ist. In Q. 1 teilt H oratio der Köni-
gin mit, dafs Hamlet ihm seine Rückkunft angezeigt habe;
Hamlet sei hinter den mörderischen Anschlag des Königs ge-
kommen, habe sich ans Land setzen lassen, und dafür den Ver-
rätern Güldenstern und Rosenkranz ihr Todesurteil ausgestellt.
Die Q. 1 anticipiert also den Bericht, welchen in der Qu. 2
Hamlet dem Horatio in der zweiten Scene* des fünften Aktes
giebt, in ein paar Worten, die gar keinen Anklang an diese
voll auegeführte Scene enthalten, und berichtet von einem Kampfe
mit Seeräubern als der Veranlassung der Landung Hamlets
kein Sterbenswörtchen. Die Königin aber wird in Q. 1 zur
Mitwisserin des Racheplanes, den Hamlet gegen den König
gefafst hat ; verspricht, ihrem Sohne auf jede mögliche Weise
Vorschub zu leisten und läfst ihn bitten, doch ja vorsichtig zu
Werke zu gehen.
Nach Tanger ist der Nachschreiber wieder durch seine ge-
wohnheitsmäfsige Unvorsichtigkeit zu dieser poetisch weisheits-
vollen V^eranstaltung gezwungen worden: unvorsichtigerweise
hatte er die Königin in der grofsen Scene mit Hamlet schwö-
ren lassen, dafs sie an dem Morde ihres ersten Gatten unschül-
* Dieser Teil der Scene ist darum in Quarto 1 auch gar nicht vor-
handen.
Die Hamlet-Periode in Shaksperes Leben. 37
dig und deshalb auch bereit sei, Hamlets Pläne gegen ihren
zweiten zu unterstützen, und die unerläfsliche (??) Folge davon
war, dafs er nun auch im weiteren Verlaufe der Handlung in
einer eigens dazu von ihm erfundenen Scene sie als Helfershelfe-
rin Hamlets darstellen mufste. — Hätte der Nachschreiber in
HI, 4 Dinge hineingeschrieben, die er auf der Bühne weder
gesehen noch gehört hatte, so entspricht es seiner Natur einzig
und allein, dafs er die an jene Neuerungen sich knüpfenden
Konsequenzen dennoch nicht erkannt und ausgeführt haben
würde; er hätte den Widerspruch, resp. den Unsinn, wie so
oft, auch dieses Mal in seiner Nachschrift nicht bemerkt und
darum stehen lassen. Bemerkte er aber ausnahmsweise die
Inkongruität dieses Verhaltens der Königin mit der nachfol<j;en-
den Entwickelung der Handlung der Q. 2 (die er ja nach
Tanger kopiert haben soll), so entsprach es wiederum seiner
gedankenfaulen Ungeschicklichkeit, dafs er jene paar Verse in
IH, 4 wieder strich, nicht aber, dafs er um ihretwillen die
ganze Handlung umgestaltete und eine vollständig neue Scene
hinzudichtete. — Was übrigens in dieser Scene (IV, 6) der
Q. 1 von ihm ist, sind wiederum, wie immer, nur die Ver-
derbnisse und Ungeschlachtheiten; dafs dieser poetische Flick-
schneider eine solche ganze Scene geschaffen haben könnte, ist
undenkbar. Und schliefslich mufs auch bestritten werden, dafs
diese Scene und die ganze Veranstaltung der Handlung eine
notwendige Folge der von Tanger behaupteten Unvorsich-
tigkeit (in HI, 4) war. Wenn der Nachschreiber die Q. 2 ko-
pierte, so konnte er trotz jener unauthentischen Versicherung
der Königin (III, 4) die Scene des Horatio mit den Seeleuten
(IV, 6 in Q. 2) und das Gespräch Hamlets mit Horatio (V, 2)
bestehen lassen ; er brauchte keine neue Scene zu erfinden und
überhaupt nichts an der Handlung zu ändern. Die durchgrei-
fenden Abweichungen der Q. 1 von der Q. 2 im vierten
und fünften Akte sind daher auf Shakspere allein zurückzu-
führen.
Der Ausdruck siigar o'er Jus villany, Q. 1, ist shak-
sperisch, s. 231. (Q. 2); desgl. commend a mother's care to
liivi := cleliver (s. Sh.-Lex.) — bid Mm he loary of Ms presence
(s. Haml. I, 3, 121 be scanty of your presence) — tMngs feil
38 Die Hamlet- Periode in Sbaksperes Leben.
not to Ms mind (s. C«s. III, I, 146 my misgiving falls to the
purpose). Die Verse sind in dieser Scene der Q. 1 richtig,
und nur vom Nachschreiber falsch abgeteilt; er hat also, wie
oft, Verse gehört und nicht als solche verstanden (s. die drei
Reden des Horatio: Yes Madame, and he liatli appoynted me,
der Königin : 0 falle not, good Horatio^ und des Horatio :
3Iadam, never mähe doubt of tliat). Hätte er die Verse selbst
gemacht, so würde er sie auch richtig abgeteilt haben. In der
letztgenannten Rede ist sogar ein Reim mitten im Verse ver-
steckt, den also der Nachschreiber auch nicht einmal bemerkt
hat {find : mind).
IV, 7.
Es ist undenkbar, dafs Shakspere eine Scene geschrieben
haben sollte wie die zwischen König und Laertes in Q. 1 ;
andererseits aber ist der Unterschied der beiden Q.s (37 und
163 Zeilen) so aufserordentlich grofs, dafs es unbegreiflich wäre,
wie der Nachschreiber ein derartiges Machwerk hätte liefern
können, wenn er die Q. 2 zum Muster gehabt hätte.
270a. Mit den Anfangsworten des Königs:
New must your conscience ray acquittance seal
Haml. IV, 7, 1 (Q. 2)
vergleiche :
[they] had the virtue
Which their own conscience sealed them.
Cymb. TU, 6, 85.
271. Der König schildert sein Verhältnis zu Gertrud in
den Worten (der Folio):
She's so conjunctive to my life and soul^
That, as the star moves not but in bis sphere,
I could not but by her. Haml. IV, 7, 14.
(Die Q. 2 hat „conclive", eine Verstümmelung, die entstanden
ist durch Auslassung der Silbe -jun- und Nichtbeaclitung des
^Striches in der Endung -ctivc.)
Reffan fürchtet, dafs Edmund
conjunct and bosomed with her (sister)
Lear V, 1, 12
gewesen sei.
Die Hamlet-Periode in Shaksperes Leben. 39
273. Das Wort conjunctive erscheint nur noch einmal in
dieser Bedeutung: Oth. I, 3, 374.
274. Ge77i im flg. Sinne mit Bezug auf Menschen braucht
Shakspere zweimal:
he is the brooch indeed
And gern of all the nation.
Haml. IV, 7, 95 (Q. 2).
a gein of women. Änt. III, 13, 108.
275. There lives within the very flame of love
A kind of wick or snuff that will abate it;
And nothing is at a like godness still ;
For goodness, growing to a plurisy,
Dies in his own too much. Haml. IV, 7, 115.
Der Gedanke: die Liebe (reep. das Glück, die Ruhe, die Kraft)
stirbt an ihrem Zuviel — kehrt in den Dichtungen besonders
der zweiten Hälfte der Neunziger so häufig wieder, dafs sie
hier nicht alle angeführt werden können. (Ich verweise auf das
19. Sh.-Jahrb. S. 252 f. Sonett 118.) Es ist daher durchaus
nicht unwahrscheinlich, dafs dieser Passus schon in der ersten
Redaktion vorhanden war, obgleich er in der Q. 1 fehlt.
276. Der König nennt den Seufzer
a spendthrift, that hurts by easing.
Haml. IV, 7, 123.
Hero sagt von Benedick, er möge
Consume away in sighs, waste inwardly.
Ado III, 1, 78.
277. Man vergleiche auch die Worte des weinenden
Laertes:
when these (tears) are gone,
The woman will be out. Haml. IV, 7, 189 (Q. 2)
mit denen Exeters :
And all my mother came into my eyes
And gave me up to tears. H. V. IV, 6, 31.
I would play the woman with mine eyes.
Mach. IV, 3, 230.
Auch Wolsey nennt sein Weinen:
play the xuoman. H. VIII. HI, 2, 431.
40 Die Hamlet-Periode in Sbaksperes Leben.
V, 1.
278. Das Wortspiel mit anns Arme und Wappen findet
eich an zwei Stellen:
/See. Clown. Was he (Adam) a gentleman?
First Clown. He was the first that ever bore arms.
See. Cloion. Why, he had none.
First Cloiun. What, art a heathen? The scripture says
„Adam digged": could he dig ivithout arms?
Haml. V, 1, 37.
Pet. I swear I'll cuff you, if you strike again.
Kath. So you ?nay lose your arms:
If you strike me, you are no gentleman ;
And if no gentleman, why then no arms.
Shrew II, 1, 222.
279. Die Ausbreitung des Euphuismus bis in die untersten
Volksschichten beklagt Hamlet:
How absolute the knave is! we must speak by the card, or
equivocation will undo us . . , The age is grown so picked
that the toe of the peasant comes so near the heel of the
courtier, he galls his kibe.
Haml. V, 1, 148.
Ähnlich spricht sich Lorenzo aus in Bezug auf Launcelot:
How every fool can play upo7i the word! I think the best
grace of wit will shortly turn into silence, and discourse
grow commendable in none only but parrots.
Mereh. IH, 5, 48.
280. Imperious Cresar, dead and turned to clay,
Might stop a hole to keep the wind away :
O, that that earth., which kept the world in awe,
Should pateh a wall to expel the winter's flaw.
Haml. V, 1, 237.
I will tread this unbolted villain to mortar, and daub the
wall of a jalces with him.
Lear II, 2, 71.
281. Die beiden letzten Verse sind ein Zusatz der Q. 2
und haben einen wörtlichen Anklang an Cws. Dieselbe Wen-
dung wird von dem Imperator gebraucht :
Die Hamlet-Periode in Shaiisperes Leben. 41
And that same eye whose bend doth aive the tvorld
Did lose his lustre. Cces. I, 2, 123.
282. Mahn im fig. Sinne mit den Objekten Wte, judgment,
Jurisdiction findet sich dreimal: Haml. V, 1, 242 (Q. 2); Oth.
I, 3, 99; H. VIII. IIl, 2, 312.
283. Das griechische Wort emphasis kommt bei Shakspere
nur zweimal vor: Haml. V, 1, 278 und Ant. 1, 5, ^^.
284. Dem eigentümlichen Ausdruck iconder-iooxinded hearers
(Haml. V, 1, 280, Q. 2) entspricht in Wint.
how attentiveness ivoiinded his daughter.
Wint. V, 2, 94.
Die ganze erste Scene des fünften Aktes ist in Q. 1 auf-
fallend korrekt und nicht wesentlich abweichend von Q. 2 ;
die mehrfachen Kürzungen, welche darin vorkommen, weisen
nicht die Zusammenhanglosigkeit und Inkonsequenz auf, die
uns an dem Nachschreiber gewohnt ist. Die Erscheinung er-
klärt sich, wie eine Reihe vorausgehender gleicher Erschei-
nungen, durch eine frühere andere Fassung der Scene.
Als besonders merkwürdig und wiederum für die letztere
Annahme sprechend, hebe ich die verschiedene Angabe in
betreff des Alters Hamlets hervor. (S. darüber 16. Sh.-Jahrb.
S. 310.)
V, 2.
Das Gespräch zwischen Hamlet und Horatio, in welchem
ersterer seinem Freunde eine Schilderung seiner Reiseerlebnisse
giebt, fehlt in Q. 1, wie oben bereits bemerkt.
285. Pall im Sinne von fehlschlagen gebraucht Shakspere
nur zweimal: Haml. V, 2, 9 (Q. 2); Ant. H, 7, 88.
286. Das Wort statist für statesman findet sich nur
zweimal bei Shakspere: Haml. V, 2, 33 (Q. 2) und Cymb.
II, 4, 16.
287. Der Höfling Osrick wird von Hamlet a loater-fly
genannt (Haml. V, 2, 84), desgleichen Patroclus von Thersites
{Troil Y, 2, 38).
42 Die Hamlet-Periode in Shaksperes Leben.
288. Chough (Dohle) nennt Hamlet den nichtssagenden
Schwätzer Osrick In Q. 2 (V, 2, 89); in Temp. (II, 1, 266)
wird die Geschwätzigkeit Gonzalos damit charakterisiert.
289. Thus has he — and many raore of the same bevy that I
know the drossy age dotes on — only got the tune of
Ihe time and outward habit of encoiinter; a kind of yesty
coUection, which carries them through and through the most
fond and winnowed opinions.
Haml. V, 2, 196.
Vergl. dazu die Worte Lorenzos:
0 dear discretion, how bis words are suited!
The fool hath planted in bis memory
An army of good words; and I do know
A many fools, that stand a better place,
Garnished like bim, tbat for a tricksy word
Defy the matter. Merch. III, 5, 70,
und hiermit 279, wo eine ähnliche Stelle auch in Q. 1 vor-
kommt.
290. Als Horatio Hamlets bange Herzeni?stimmung vor
dem Wettkampf für eine Art von Todesfurcht hält, erwidert
dieser:
We defy augury; tbere's a special providence in the fall of
a sparrow. If it be now, it is not to come; if it be not
to come, it will be now; if it be not now, yet it loill come;
the readiness is all. Haml. V, 2, 230.
Dieselbe tapfere Gesinnung hat Cäsar dem Tode gegenüber:
Of all the wonders that I yet have heard,
It seems to me most stränge that men shoidd fear;
Seeing that death, a necessary end,
Will come, when it will come. Cces. II, 2, 35.
Die Q. 1 giebt denselben Gedanken in verkürzter Form.
We defy augury — Worte, die genau auf die Situation Cäsars
passen, der soeben die Warnungen der Augurn empfangen
hat — fehlt, desgl. The readiness is all. Dafür die folgende
Parallele. ,
291. Men miist endure
Their going hence, even as their Coming hither;
Bipeness is all. Lear V, 2, 11.
Die Hamlet-Periode in Sbaksperes Leben. 43
Für den ganzen mittleren Passus (// it be now etc.) hat die
Q. 1:
If danger be now, why, then it is not to come.
292. this feil Sergeant^ death,
Is strict in bis arrest. Haml. V, 2, 347 (Q. 2).
When the feil arrest
Without all bau shall carry me away.
Sonn. 74 (Ende des IG. Jh.).
293. AVenn Horatio den Prinzen nicht überleben, sondern
eich den Tod geben will und sich darum
more an antique Roman than a Dane (V, 2, 352)
nennt, so bezieht er sich offenbar auf den Gleichmut, mit
dem die Römer ein wertloses Leben wegzuwerfen pflegten.
So sagt auch Titinius, als er sich bei der Leiche des Cassius
ersticht :
By your leave, gods: — this is a Roman'' s pari:
Come, Cassius' sword, and find Titinius' heart.
Cces. V, 3, 89.
Auch in Antonio sieht man [appear]
The ancient Roman honour. Merch. III, 2, 297.
294. Laertes will „seinen Namen" ungored halten in dem
Ehrenhandel mit Hamlet (V, 2, 261). So sagt auch Achilles:
My fame is shrewdly gored. Troil. III, 3, 228.
Ähnlich gebraucht findet sich auch das Wort in Lear-.
Friends of ray soul, you Iwain
Rule in this realm, and the gored State sustain.
Lear V, 3, 320.
295. The rest is silence. Haml. V, 2, 369.
all the rest is mute. AWs II, 3, 83.
296. Die Schlufsworte des Fortinbras lauten:
Take up the bodies: such a sight as this
Becomes the field, but here shovvs rauch amiss.
Haml. V, 2, 412.
Dieselbe Wendung braucht Rosalind von dem auf der Erde
liegenden Orlando:
44 Die Hamlet-Periode in Shaksperes Leben.
Celia. There lay he, stretched] along, like a wounded
knight.
Rosalind. Thought it be pity to see such a sight.^ it well
becomes the ground. As III, 2, 255.
297. Die folgenden Worte sprechen den Gedanken aus,
den Shakspere in der Figur Hamlets darstellte:
to some kind of men
Their graces serve them but as enemies.
No more do yours: your virtues, gentle master,
Are sanctified and holy traitors to you.
O, what a World is this, when what is comely
Envenoms him that bears it. As II, 3, 10.
Die neueste Schrift über die Zeit der Abfassung
Luthers Lied: Ein feste Burg ist unser Gott.
Die alte Streitfrage, wann Luther sein Lied: „Ein feste
Burg ist unser Gott" gedichtet habe, darf jetzt wohl als ent-
schieden angesehen M'erden : wenn ich zu dieser Entscheidung
durch meine zuerst an dieser Stelle gegebenen, dann in den
Sonntagsbeilagen der „Neuen Preufsiechen Zeitung" vom 2. April
1882 und vom 12. bis 26. Juli 1885 abgedruckten Ausführungen
beigetrasen habe, so rechne ich mir dies keinesweccs als Ver-
dienst an. Es war meinerseits eben nur ein glücklicher Fund,
welcher sich an die Besprechung der eine andere Hypothese in
jener Frage adoptierenden Schererschen „Geschichte der deut-
schen Litteratur" -anreihte, und zwar lag dieser Fund so offen
zu Tage, dafs es eigentlich zu verwundern ist, wie ihn noch
kein anderer vor mir hat machen können. Dafs Luther, worauf
ich hinwies, sein Lied angesichts eines drohenden Feldzuges
und zur Ermutisuns; der Seinio^en bei dieser Gefahr gedichtet
habe, spricht sich in jeder Zeile desselben aus. Gleich die
erste beginnt mit dem Hinweis auf die feste Burg, die gute
Wehr und Waffe, deren sich die Evangelischen bei dem Ansturm
des übrigens alten Feindes gegen ihre Sache zu getrösten hätten.
So grofs die Macht, so grausam die Rüstung desselben, so gering
im Gegensatz hierzu die Streitkräfte der Evangelischen seien, so
* Vortrag, gehalten in Jer „Berliner Gesellschaft für das Studium der
neueren Sprachen" am 10. Novbr. 1885.
iC, Abfassungszeit von Luthers Lied: Ein feste Burg ist unser Gott.
brauchten die letzteren doch deshalb ihre Sache keinesweffs verloren
zu geben, da für sie Jesus Christus als Alliierter streite, welcher
den Evangelischen auf dem Kampfplätze mit jseinem Geiste bei-
stehen und auf alle Fälle das Schlachtfeld behaupten würde.
Wie man gfegenüber diesem hell wie der lichte Taor vorliesfcn-
den Inhalte und Gedankengange des Liedes, den auch ältere
Geschichtschreiber, die des Liedes Erwähnung thun, ein Chy-
träus, Sleidanus u. a. vollkommen anerkennen, dem Verfasser
ganz andere, fern liegende Motive, den Schmerz über den am
16. August 1527 stattgefundenen Märtyrertod seines Freundes
Leonhard Kaiser, die Angst vor der im Oktober desselben Jahres
in Wittenberg herrechenden Pest, oder gar die Sorge wegen
der übrigens erst im nächsten Frühjahr bevorstehenden Entbin-
dung seiner Gattin unterschieben und daher mit Dr. K. F. Th.
Schneider in der 18.56 erschienenen Schrift: „ür. M. Luthers
geistliche Lieder" jene Herbsttage des Jahres 1527 als die Ent-
etehungszeit des Liedes annehmen konnte, mufs geradezu un-
fafsbar erscheinen. Da Luther in seinem Liede es ganz klar
ausspricht, dafa nicht nur ein mächtiger, sondern besonders auch
ein listij^er Feind die Evangelischen bedrohe, und da der Aus-
ruf: „Das Wort sie sollen lassen stahn" ganz unzweifelhaft
beweist, dafs jener Angriff der Ausrottung des evangelischen
Bekenntnisses als solchen gelte, so lag es sehr nahe, in
diesem Angriffe jenes geheime Bündnis zu erkennen, welches
Herzog: Georgr von Sachsen mit anderen mächtifjen katholischen
CO o
Fürsten, wie Ferdinand König von Ungarn, mit den Herzögen
von Bayern, dem Kurfürsten von ßiandenburg und Mainz, den
Bischöfen von Salzburg, Würzburg und Bamberg zur Be-
kämpfung der Evangelischen geschlossen haben sollte. Der
ehemalige Rat Herzog Georgs, Otto von Pack, hatte dieses
daher Packsche genannte Bündnis am 18. Februar 1528 dem
Landgrafen Philipp von Hessen verraten und dadurch nicht nur
diesen, sondern auch den Kurfürsten von Sachsen und ganz
Wittenberg, Luthern vor allen, in die gröfste Aufregung ver-
setzt, eine Aufrenunfj, welche das ganze Jahr 1528 bis in den
Februar 1529 hinein dauerte und in dem Wechsel leidenschaft-
licher Kontroversen, in welchen Luther mit dem jenes Bündnis
ableugnenden Herzog Georg geriet, seinen Höbepunkt er-
Abfassungszelt von Luthers Lied: Ein feste Burg ist unser Gott. 47
reichte.* Da der Höhepunkt jenes Streites mit Herzog Georg
in den Schlufs des Jahres 1528 und den Anfang des Jahres
1529 fällt und zu Ostern 1529 das Joseph Klugsche Gesang-
buch erschien, in welchem nach allen unzweifelhaften Zeugnissen
das Lied: „Ein feste Burg ist unser Gott" seinen ersten Ab-
druck gefunden hat, so ergab sich leicht für mich die Ver-
mutung, dafs Luther in jenen verhängnisvollen beiden Monaten
seinen Besorgnissen vor der der evangelischen Sache drohenden
Gefahr durch dieses Lied Luft gemacht habe. Der Umstand,
dafs gerade in seinen Briefen aus dem Dezember 1528 und Januar
1529 sich die deutlichsten wörtlichen Anklänge an jenes Lied vor-
finden, macht jene Vermutung zur Gewifeheit. In dem Briefe an
den Kurfürsten Johann vom 31. Dez. 1528 nennt Luther, worauf
ich schon in meinem ersten Aufsatze über diese Frage auf-
merksam gemacht habe, den Herzog Georg einen „Kriegsgörgel",
einen „unrugigen Teufel", der „nichts anderes denn Unfried,
Krieg, Mord, Schaden und Unglück suche."** Aber das Toben
des Herzogs und seiner Genossen gegen die evangelische Sache,
fahrt Luther in jenem Briefe fort, werde ihnen nichts nützen.
„Es sey denn," heifst es wörtlich weiter, „dafs Jesus Christus
* Der Umstand,, dafs sich jenes Bündnis in der That später als er-
diclitet herausgestellt hat, ändert in Bezug auf den Einflufs, welchen es auf
die Hervorbringung unseres Liedes hatte, an sich nichts, da Luthers un'l
der Seinigen Besorgnis vor der ihnen angeblich bevorstehenden Gefahr
genau ebenso grofs waren, als ob jene thatsächlich bevorgestanden hätte.
Von Einflufs ist die spätere Erkenntnis, dafs man es wirklich nur mit einer
fingierten Gefahr zu thun gehabt, in Bezug auf unser Lied nur insofern ge-
wesen, als diese spätere Erkenntnis dazu gedient hat, die eigentliche Ent-
stehunjiszeit und Ursache desselben unbewufst zu vei'dunkeln. Es genierte
die Evangelischen unwillkürlich, dafs jenes im Laufe der Zeit mehr und
mehr zum Bannerliede der evangelischen Sache gestempelte Lied nur eine
Fiktion zur Unterlage gehabt haben sollte. Man hat daher, wie die An-
gaben von Schriftstellern aus dem Ende des 16. Jahrb., eines Chyträus,
Sleidan und später eines Weller beweisen, schon zeitig angefangen, jene
Entstehungsursache zu verschieben und dieselbe, da man niemals verkennen
konnte, dafs sie in einem bevorstehenden Kriege bestanden hatte, auf die
Zeit des Augsburger Reichstages zu verlegen, wo, wie Sleidan sagt, den
Evangehschen „horrenda quEedam videbatur imminere tempestas" oder, wie
Wellers Worte sind, „die Feinde des Evangelii Luthern sammt allen christ-
lichen Lehrern wollten auffressen."
** Beiläufig bemerkt, widerlegt sich auch durch solche Worte die mir
von dem Verfasser der neuesten Schrift über die Packschen Händel, Hilar
Schwarz, entgegengehaltene Behauptung, dafs die Evangelischen Ende 1528
nicht mehr an einen Krieg gedacht hätten. (S. 18 der genannten Schrift
vom Jahre 1884.)
48 Abfassungszeit von Luthers Lied : Ein feste Burg ist unser Gott.
nichts sey, welchen sie verfolgen, so solle ihr Trotz mit Schanden
ein Ende nehmen." Die Evangelischen möchten den Teufel
ruhig trotzen und toben lassen. „Müssen wir doch," heifst es
ebenfalls wörtlich weiter, „ohn das alle Stunde unsern Leib
und Gut, Ehre und Alles in die Fahr setzen."* In dem
Briefe an Joh. Hefs vom 31. Januar 1529 bemerkt Luther, bis
dahin sei alles, was der Satan gegen ihn geplant habe, nur
Spiel und Scherz gewesen: nun aber wüte und tobe er ernst-
haft („mit Ernst er's jetzt meint"). Da Luther gerade in die-
sen letzten Tagen des Januar 1529 von dem sich damals in
Kassel aufhaltenden Otto von Pack einen Brief und expressen
Boten erhielt, welche jenes inzwischen von den betreffenden
katholischen Fürsten abgeleugnete Bündnis nochmals bestätigen
und die ganze Gröfse der Gefahr desselben Luthern vor Augen
halten sollten (siehe Walchs Ausgabe von Luthers Werken
Bd. XVI, S. 520), so nehme ich an, dafe unter dem Eindruck
dieser persönlichen Schilderungen Luther jenes sein Heldenlied
zum Tröste der Seinigen und zur Abwehr gegen jene Bedro-
hungen in eben diesen Tagen gedichtet habe. Eine, wie ich
denke, unzweifelhafter durch die Natur der Verhältnisse und den
Wortlaut des Liedes begründetere Annahme als jene Schneider-
sche, dafs Luther, bedrückt von dem Kummer wegen des Todes
eines Freundes und den betreffenden intimen Familiensorgen,
am 1. November 1527 zu seinem Psalterbuche gegriffen und
in der Paraphrase des 46. Psalms Trost dafür gesucht habe.
Den Widerspruch, welchen diese gutgemeinte, aber sicher-
lich äufserst willkürliche Schneidersche Annahme von Anfang
an bei allen hymnologischen Autoritäten, wie Ph. Wackernagel,
Geffcken, A. Fischer u. a. gefunden hatte und bei jedem Un-
befangenen immerdar finden wird, konnte die bibliographische
Stütze, welche der gegenwärtige Herausgeber von Luthers Wer-
ken, Pastor Knaake in Drakenstedt, im ersten Hefte der Lut-
hardtschen Zeitschrift für kirchliche Wissenschaft und kirch-
liches Leben vom Jahre 1881 ihr zu geben versuchte, nicht be-
* „Die Not", die Luther zunächst persönlich „betroffen", ist die schwere
Bedrängnis, in welche ihn die heftige Anklage versetzt hatte, welche Herzog
Georg bei seinem Landesherrn wider ihn erhoben hatte und fiir welche eben
dieser Brief ein beredtes Zeugnis ist.
Abfassungszeit von Luthers Lied : Ein feste Burg ist unser Gott. 49
seitiffen. Es geschah dies mit Bezugnahme auf ein in Knaakes
Besitze befindliches defektes „Enchiridion", in dem sich das
Lied: „Ein feste Burg" ebenfalls findet. Um aus diesem Um-
stände das Abfassungsjahr dieses Liedes zu ermitteln, mufste
Knaake zu den allergewagtesten und unsichersten Schlüssen
seine Zuflucht nehmen. Weil in dem Knaakeschen, infolge
seines defekten Zustandes jeder Angabe von Jahr, Ort oder
Officin des Drucks entbehrenden Enchiridion ein initiales D auf
der Rückseite des Titels mit dem initialen D in einem Drucke
Michael Blums zu Leipzig vom Jahre 1533 übereinstimmte,
daraus (von ein paar anderen belanglosen Ähnlichkeiten ab-
gesehen) schlofs der sonst so umsichtige Eorscher, dafs sein
Büchlein von demselben Drucker und zwar, mit Rücksicht auf
einen anderen gleich zu erörternden Umstand, dafs es im Jahre
1528 oder Anfang 1529 von demselben gedruckt worden sei!
Ich habe schon in einem der oben erwähnten Aufsätze nachge-
wiesen, dafs dies ein Ding der Unmöglichkeit sei. In Leipzig
ist während der tyrannischen Regierung Herzog Georgs, von
Anfang der zwanziger Jahre an bis zu seinem 1539 erfolgten
Tode überhaupt kein evangelisches Buch, weder ein Luthersches
Neues Testament noch ein Luthersches Gesangbuch gedruckt
worden. Herzog Georg hatte dies bei den schwersten Leibes-
und Vermögensstrafen verboten und setzte seinen Willen mit
eiserner Strenge durch: einem Nürnberger Buchhändler Johann
Herrgott wurde, wie uns Panzer in seiner Geschichte der römisch-
katholischen deutschen Bibelübersetzung S. 33 erzählt, zu Leip-
zig der Kopf abgeschlagen, nur weil er lutherische Bücher nach
Leipzig gebracht hatte. Unter einem solchen Regiment, bei so
drohenden Gefahren konnte kein Leipziger Buchhändler unter
den Augen des Herzogs selbst es wagen, ein Luthersches Ge-
sangbuch zu drucken und herauszugeben, am wenigsten in der
Zeit von 1528 bis 1529, wo der Ingrimm des Herzogs gegen
Luther infolge der Beschuldigungen des letzteren wegen der
Teilnahme des Herzogs an dem Packschen Bündnisse die höchste
Höhe erreicht hatte! Man lese die wutschnaubende Vorrede
des Herzogs zu dem Emserschen Testamente vom 1. August
1528 nach, um die ganze Haltlosigkeit einer solchen Annahme
zu erkennen. In dieser Vorrede beschuldigt der Herzog Luthern,
Archiv f. n. Sprachen. LXXY, ■i
50 Abfassungszeit von Luthers Lied: Ein feste Burg ist unser Gott.
sich „aufgelehnt zu haben wider die Häupter der heiligen christ-
lichen Kirche und alle geistliche und weltliche Obrigkeit nicht
allein mit Murmeln und Rebellion, sondern auch mit unerhörten
Injurien und Schmachworten, also dafs sein Mund wohl genannt
werden möge der Mund der Bestien, von welcher Johannes
schreibet in seiner Offenbarung am dreizehnten" ! Der Herzog
erklärt daher, dafs er „geneigt sei, Luthers und der anderen
falsch genannten Evangelischen Prediger betrieglich Lehr, Pre-
digt und Schriften in seinen Landen zu dämpfen." Wie gründ-
lich dem Herzoge dies „Dämpfen" gelungen ist, beweist die
Thatsache, dafs, während in Städten wie Wittenberg, Erfurt,
Zwickau, Strafsburg die Lutherschen Neuen Testamente und
Enchiridia massenhaft so zu sagen aus der Erde schössen, von
Leipzig uns aus jener Zeit nicht ein einziges bekannt oder in
den so genauen und vollständigen Verzeichnissen bei Panzer,
Ph. Wackernagel und Goedeke zu finden ist. Allerdings wurde
im Jahre 1529 ein Gesangbuch in Leipzig gedruckt, aber ein
katholisches; der Herausgeber und Drucker, eJakob Thanner,
bekämpft in der Vorrede auch seinerseits die evangelische Sache
(er sagt, „Luder" spiele mit Bapst, Kaiser und Königen) auf
das heftigste. Michael Blum selbst druckte in jenen Jahren die
Schriften der grimmigsten Gegner Luthers. 1534 erschien bei
ihm eine Abhandlung „Von der heyligen Mefs" von Jo. Coch-
leus und in demselben Jahre ein „Lobgesang auff des Luthers
Winckel Messe" vom Abt zur Alten Zell. Mit Gefahr Lei-
bes und Lebens in jener Zeit ein Luthersches Gesangbuch
nachzudrucken, dazu war er wie seine Kollegen alle, wie
sich Jakob Thanner in den Kolophons seiner Schriften zu
nennen pflegt, viel zu „vorsichtige Männer"! Herrn Pastor
Knaake scheint dieses Bedenken auch nicht ganz entgangen zu
sein. Während aber jeder gewöhnliche Mensch daraus den
Schlufs gezogen hätte, dafs eben jenes sein Enchiridion trotz
der Ähnlichkeit des einzigen Initialbuchstabens mit dem Michael
Blumschen Drucke unmöglich aus Leipzig stammen könne,
findet H. Knaake ganz im Gegenteil darin eine neue wertvolle
Eigenschaft seines Büchleins, auf welches er einmal geneigt ist,
die seltensten Qualitäten zu häufen. Es sei eben „der einzige
Fall eines Leipziger Nachdruckes evangelischer Lieder zu dem
Abfassungszeit von Luthers Lied : Ein feste Burg ist unser Gott. 51
Zeiten Herzog Georgs, welcher bekannt geworden und, eines
Beweises dafür, dafs dessen Wüten gegen den Reformator die
reformatorische Bewegung in seinen Landen nicht zu untei'-
drücken vermocht habe." Liebe macht bekanntlich blind, aber
es gehört doch die ganze Verliebtheit eines Sammlers in ein
seltenes Büchlein dazu, diese aller Wahrscheinlichkeit schnur-
stracks widersprechende, geradezu umgekehrte Schlufsfolgerung
zu ziehen. Wunderbar ist es, dafs umsichtige Forscher wie
Köstlin und Scherer sich dieser seltsamen Folgerung auch nur
einen Augenblick anschliefsen konnten. Der letztere beabsich-
tigte, wie es heiff«t, sogur jenes Enchiridion in die unter seiner
Leitung von der hiesigen Groteschen Verlagsbuchhandlung her-
auszugebenden Faksimiles älterer kostbarer Druckwerke aufzu-
nehmen. Ich möchte davon entschieden abraten : jenes famose
Knaakesche Enchiridion, ich wiederhole es, ist nicht „der ein-
zige bekannte Fall eines Leipziger Druckes evangelischer Lieder
aus jener Zeit", es ist nicht der erste noch vorhandene Druck
des Liedes : Ein feste Burg ist unser Gott" — es ist weiter
nichts als eine der wunderlichsten Spukgestalten, welche jemals
irreführend durch die Gefilde der deutschen Wissenschaft ge-
wandelt sind.
Der Schlufs seines Besitzers, dafs es diesen ersten Druck
unseres Liedes enthalte und dafs es Ende 1528 oder Anfang
L529 gedruckt sein müsse, ist womöglich noch phantastischer
als jener andere, dafs es aus Leipzig aus Michael Blums Officio
stamme. Dieser zweite Schlufs basiert darauf, dafs ein Witten-
berger Buchhändler Georg Rhaw einmal an einen Magister
Stephan Roth zu Zwickau in einem eilend aus Wittenberg
Montag nach Septuagesima 1528 datierten Briefe berichtet hat,
der dortige Buchdrucker „Hans Weysse drucke das Sang-
büchlein". Als ob dieses vielleicht nur projektierte Sang-
büchlein, von dem sonst nirgends in der Welt weiter die
allergeringste Spur aufzuweisen ist, überhaupt zu stände ge-
kommen sein müsse! Als ob es, wenn dies selbst der Fall ge-
wesen, notwendig ein geistliches Gesangbuch gewesen sein
müsse, wie schon Ph. Wackernagel gefragt hat. War der Name
Sangbüchlein und Gesangbuch doch damals für weltliche Lieder-
bücher der ganz gewöhnliche! Hans Sachs berichtet z. B. in
52 Abfassungszeit von Luthers Lied: Ein feste Burg ist unser Gott.
der „Summa seiner Gedicht" vom Jahre 1567, dafs eine ge-
wisse, von ihm aufgeführte Zahl seiner Lieder enthalten ge-
wesen sei „in der sechzehn Gesangbücher summ", wo unter
diesen „Gesangbüchern" doch eben ganz klar nur weltliche zu
verstehen sind. Abgesehen davon, 'dafs es sehr unwahrschein-
lich ist, worauf Ph. Wackerna^el ebenfalls schon aufmerksam
gemacht hat, dafs der Druck eines geistlichen Gesangbuches
im Jahre 1528 zu Wittenberg, falls er auch wirklich beabsich-
tigt war, zu Stande gekommen sein sollte, da Ostern 1529 das
bekannte Joseph Klugsche erschien, welches nach so kurzer Zeit
gewifs nicht schon wieder erforderlich gewesen wäre. Und von
diesem völlig problematischen, so zu sagen in der Luft schwe-
benden Hans Weysseschen „Sangbüchlein" soll das Michael
Blurasche, welches zu Leipzig gedruckt worden sein soll, als
schlechterdings kein evangelisches Gesangbuch dort gedruckt
werden konnte, eine Kopie sein!
Herr Pastor Knaake hat sich wohl inzwischen von der
gänzlichen Hinfälligkeit aller dieser Trugschlüsse selbst über-
zeugt. Er hat seit jenem erwähnten Aufsatze in. der Luthardt-
schen Zeitschrift vom Jahre 1881 kein Wort wüeder über die
Frage verloren, ebenso wie K. F. Th. Schneider sich völlig
einer weiteren Befürwortung jener seiner Annahme von der an-
geblichen Abfassung unseres Liedes am 1. November 1527 ent-
halten hat. Es ist, wie gesagt, Ruhe in der Frage eingetreten,
in dem Bewufstsein, wie ich hoffen darf, dafs mit meinem Nach-
weise der Abfassung des Liedes Anfang 1529 aus Anlafs der
Befürchtungen wegen des Packschen Bündnisses die Sache end-
gültig entschieden sei.
Nur ein Streiter hat sich bemüfsigt gefunden, in die leer
und still gewordenen Schranken herabzusteigen und den aus-
gefochtenen Kampf wieder aufzunehmen, dafür aber auch ein
sehr hitziger und kampfbegieriger Streiter, welcher, da es eben
nichts mehr auszufechten giebt, blind in die Luft hineinfuchtelt
und haltungs- und richtunsfslos nach allen vier Windrosen
herumgaloppiert. Es ist dies der Archidiakonus Johannes Linke
in Altenburg. Zuerst bewies der hitzige Herr seinen Kampfes-
raut in einer gelegentlich des Lutherjubiläums im Jahre 1883
herausgegebenen lateinischen Schrift: „Megalandri D. Martini
Abfassungszeit von Luthers Lied: Ein feste Burg ist unser Gott. 53
Lutherl canticum canticorum ex psaimo 46. depromptum ger-
rnanice, ebraice, grsece, latiiie etc. edidit Joannes Linke. Alten-
burgi anno 1883." Und zwar hatte er gerade mich zur Zielscheibe
seiner Angriffe in dieser Schrift ausersehen, weil ich in jenem
meinem ersten Vortrage die Vermutung aufgestellt hatte, das
vielbesprochene Knaakesche Enchiridion möchte wohl nichts
weiter sein als eine spätere Ausgabe des von Ph. Wackernagel
S. 466 seiner „Bibliographie des deutschen Kirchenliedes" be-
schriebenen, als Unikum in der Dresdener Hofbibliothek auf-
bewahrten Zwickauer Enchiridions vom Jahre 1528. Der um-
sichtige Forscher Herr Linke, welcher im stände ist, den Druck
eines evangelischen Gesangbuches zu Leipzig Avährend jener
Zeit der schlimmsten Tyrannei Herzog Georgs eine über allen
Zweifel erhabene Thatsache zu nennen (das Knaakesche Büch-
lein ist ihm ein exemplar haud dubie Lipsiense), ist über
jene meine Annahme geradezu sittlich empört und ergeht sich,
während der ganze Streit sonst, wie es seiner Natur entspricht,
ruhig und leidenschaftslos geführt wurde, in den beleidigendsten
Ausdrücken gegen mich. Offen gestanden ! ich hege jene ver-
brecherische Vermutung, dafs Knaakes Büchlein eine spätere
Ausgabe des Zwickauer Enchiridions von 1528 sei, noch jetzt
und ich habe meine guten Gründe dazu. Erstens stimmt der
Titel beider Büchlein Wort für W^ort überein: eine sonst da-
mals und zu jeder Zeit bei Büchern, welche von verschiedenen
Verlegern an verschiedenen Orten herausgegeben waren, uner-
hörte Thatsache! Der Titel jenes Zwickauer Enchiridions vom
Jahre 1528 lautet: „Enchiridion geistlicher gesenge vnd Psalmen
für die leyen, mit viel andern denn zuvor gebessert. Sampt
der Vesper durch die gancze wochen auflf einen iczlichen tag,
Metten Complet vnd Messe." Wort für Wort und Silbe für
Silbe ist dies nach Knaakes eigener Beschreibuns; auch der
Titel seines defekten Büchleins, nur dafs darin die Zeile: „durch
die gancze wochen auf! einen iczlichen tag" weggeblieben ist.
In der alten, in beiden Enchiridien abgedruckten Vorrede Luthers
zu seinem Wittenberger Gesangbüchlein hat das Zwickauer zu
den Worten: „Vnd sind dazu auch ynn vier stymrae bracht"
den Zusatz: „wie denn zu Wittenberg ym MDXXV ausgan-
gen." Genau diesen selben Zusatz hat das Knaakesche Buch.
54 Abfassungszeit von Luthers Lied: Ein feste Burg ist unser Gott.
Die dann folgenden, dem Wittenberger Gesangbuch von 1524
entnommenen Gesänge haben allerdings in dem Knaakeschen
Büchlein eine andere Reihenfolge als in jenem Zwickauer. Der
Schlufs beider Gesangbücher stimmt aber wieder wesentlich
überein. Beide enthalten: „Die deudsche Vesper", „die deudsche
Complet", ..die deudsche Metten", darauf eine Prosaübersetzung
des Te Deum laudamus, „die Ordnung der deudschen Mefs", end-
lich eine „Christliche weise zu beichten, eim Priester odder sonst
eim Christenmenschen." Das Ende macht in beiden das „Re-
gister des Büchleins". Meine Annahme, dafs beide Bücher in
dem Verhältnis wie eine frühere und spätere Ausgabe zuein-
ander stehen dürften, ist doch, meine ich, damit vollauf gerecht-
fertigt. Der Herr Archidiakonus Linke beschuldigt mich aber
deshalb einer nimia audacia, — das wäre noch das wenigste!
Meine Ansichten sind weiter nichts als somnia und vana judicia,
und ich bringe dieselben in einer rücksichtslosen und stolzen
Ausdrucksweise vor, nuda ac superba dictione! Ganz aufser
sich vor Verwunderung ist der geistliche Herr, dafs noch nie-
mand einem solchen Menschen, wie ich, gebührend entgegen-
getreten sei. „Nescio quid sit cur nemo adhuc viro tali vitrea
suppellectile arraato (was mag das für gläsernes Hausgerät
sein?) pro merito responderit !" Wenn dies, wie man zugestehen
wird, Ausdrücke eines stark entrüsteten Gemütes sind, so gerät
der Herr Archidiakonus über meine letzten, im Juli 1885 in
den Sonntagsbeilagen der „Kreuzzeitung" veröffentlichten Auf-
sätze, in welchen ich meine verschiedenen Gegner, also auch
ihn Revue passieren liefs, völlig aus dem Häuschen. Dafs ich,
ein „Berliner Zeitungsschreiber und Theaterreferent", einem
„Altenburger Archidiakonus" habe widersprechen und seine In-
vektiven zurückweisen können, geht ihm über den Spafs. Be-
sonders bringt es sein Blut in Wallung, dafs ich hervorgehoben
hatte, das besagte Knaakesche Enchiridion sei gar kein neuer
„glücklicher Fund", wie es z. B. W. Scherer in seiner „Ge-
schichte der deutschen Litteratur" bezeichnet, vielmehr schon
seit fünfzehn Jahren in Knaakes Besitze, und dieser sei nur in
einer unglücklichen Stunde auf den Einfall gekommen, daraus
etwas über die Entstehungszeit unseres Liedes beweisen zu
wollen. „Solche Kindlichkeiten," bemerkt er (ich hatte mir
Abfassangszfit von Luthers Lied: Ein feste Burg ist unser Gott. 55
darüber allerdings einige unschuldige Scherze erlaubt), „machen
die Aufsätze des Berliner Theaterreferenten höchst widerlich."
Nun — Theaterreferent und Zeitungsschreiber oder nicht! Es
kann doch nicht jeder Archidiakonus in Altenburg werden, und
schliefslich kommt es bei der Entscheidung solcher Fragen
weniger darauf an, welche Stufe man auf der Leiter der raengch-
lichen Rangverhältnisee einnimmt, als vielmehr was für Gründe
man für seine Sache vorbringt. Um auch witzig zu sein, fragt
Herr Linke, ob ich, weil ich bei meinen Untersuchungen wie-
derholt auf ältere Autoritäten wie Wackernagel, GefFcken u. a.
rekurriert, meine Waffen etwa aus „Hünengräbern" hervor-
geholt habe. Auf Rügen habe ich den Sommer dieses Jah-
res allerdings verlebt, allein nach Waffen gegen den Herrn
Archidiakonus habe ich in den dortigen Hünengräbern nicht
gesucht, wenn ich auch sehr erfreut war, bei meiner Rückkehr
von dort im August in dem vom 15. Juli datierten Hefte der
jetzt von Herrn Linke in aller Stille herausgegebenen „Blätter
für Hymnologie" die Annonce zu lesen, dafs derselbe eine neue
„historisch-kritische Untersuchung" über die Abfassung des
Liedes „Ein feste Burg ist unser Gott" unter der Presse habe.
Eine noch lebhaftere Freude gewährte es mir freilich, aus dem
Augustheft derselben Zeitschrift zu ersehen, wie der Wackere
sich einbildet, meine Ende April aufgeschriebenen und Anfang
Mai der Redaktion der „Neuen Preufs. Ztg." zum Abdruck
übergebenen, übrigens schon vor anderthalb Jahren an dieser
Stelle skizzierten Ausführungen seien durch jene seine im Anzug
befindliche, zum erstenmal Ende Juli annoncierte „historisch-
kritische Untersuchung" veranlafst worden!
Noch begieriger mufste ich auf diese neue Schrift Herrn
Linkes sein, da er in jenen Bemerkungen im Augustheft der
„Blätter für Hymnologie" die mir sehr zur Genugthuung ge-
reichende Erklärung abgiebt : „In meinem angekündigten Werke
erkläre ich, dafs ich die ganze Vorrede meiner Lutherschrift
(jenes oben angeführte Opus : ,Megalandri Lutheri etc.'), soweit
sie für das Jahr 1528 eintritt, ad acta lege, mich derselben
entäufsere und dafür eine eigene neue Hypothese substituiere."
Ein Widerruf in besserer Form läfst sich gar nicht denken.
In der That hält die neue, jetzt endlich erschienene Schrift jenes
56 Abfassungszeit von Luthers Lied: Ein feste Burg ist unser Gott.
Vereprechen.* Ja sie thut noch mehr. Die früher mit solcher
Leidenschaftlichkeit von Herrn Linke verteidigte Annahme
Knaakes, dafs sein Enchiridion ein Leipziger Druck sei, diese
nach Herrn Linke über jeden Zweifel erhabene Thatsache wird
infolge meiner Ausführungen auf einmal von ihm fallen gelassen
und für gleichgültig erklärt. „Mag das Knaakesche Enchiridion
ein Druck Blums sein oder nicht, mag es meinetwegen keiner
sein — " heifst es S. 48. „Als ob der Kern der Frage an
dem Leipziger Buchdrucker zu suchen wäre!'' ruft er auf
der folgenden Seite aus. Die mir früher von Herrn Linke zum
Verbrechen angerechnete Vermutung, dafs das Knaakesche Büch-
lein eine spätere Auflage des Zwnckauer Enchiridions von 1528
sein dürfte, wird auf einmal von Herrn Linke für nicht unwert
der Erörterung gehalten. „Zunächst," bemerkt er selbst S. 33,
„könnte es scheinen, als ob es eine spätere Auflage des Zwickauer
Enchiridions von 1528 wäre, mit dem es bis auf die Worte:
, durch die gancze wochen auff einen iczlichen tag' gleichen
Titel hat." Abgelehnt wird diese Annahme nur mit der Be-
hauptung, dafs beide Bücher einen im übrigen durchaus ver-
schiedenen Inhalt hätten, was keineswegs der Fall ist, wie ich
oben gezeigt habe. Alle diese Dinge, meint Herr Linke, gingen
ihn jetzt nicht mehr so viel an, „da er nicht mehr zur
Fahne dieser Herren (nämlich Schneiders und Knaakes)
schwöre, sondern seine eigenen Wege wandere." S. 49. Das
Mifsbehagen, welches durch diesen Abfall des ehemals für sie
80 begeisterten Altenburger Archidiakonus auf Seiten der beiden
genannten Herren hervorgerufen werden sollte, wird weit über-
wogen werden durch die Heiterkeit, welche bei ihnen und auf
der ganzen Linie der ernsthafteren Hymnologen ausbrechen
wird, wenn sie hören, was das nun für selbständige
W^ene sind, welche Herr Linke wandelt. Was für eine An-
sieht man schon jetzt in wissenschaftlichen Kreisen über Herrn
Linke als Hymnologen hegt, davon giebt eine in der neuesten
Nummer der „Theologischen I^itteraturzeitung" (Nr. 21 d. J.) ent-
* Sie führt den Titel: „Wann wurde das Lutherlied: ,Ein' feste Burg
ist unser fiott', verfafst? Historisch-liritische Untersuchung von D. Johannes
Linke. Leipzig, Buchhandlung des \ ereinshauses, 1886. 192 S. 8. Preis
3 Mark."
Abfassungszeit von Luthers LieJ: Ein feste Burg ist unser Gott. 57
haltene sehr gründliche und eingehende Besprechung seines vor
anderthalb Jahren bei Velhagen & Klasing in Leipzig erschie-
nenen Versuches einer Übersetzung der Hymnen des Hilarius
und Ambrosius einen hellen Beweis. Der Verfasser dieser Re-
cension, Wilhelm Brandes aus Braunschweig, erklärt die Linke-
sche Hymnenübersetzung für das „a nmafslichs te und dabei
wertloseste Machwerk, das seit Jahren auf diesem viel-
mifshandelten Grenzgebiete der Theologie und Philologie ans
Licht getreten sei." Man müsse, sagt der Referent, Herrn Linke
um so offener diese Wahrheit sagen, als sich bei ihm eine Un-
fähigkeit mit einer Überhebung paare, welche Schlimmes leiste,
Schlimmeres, ja Schlimmstes in Aussicht stelle. Doppelt werde
man dazu aufgefordert durch die Art, wie Linke seine Vor-
gänger, die er freilich gleichwohl „in voller Bruderliebe be-
grüfst", hoch von der Kanzel herab schulmeistere, vornehmlich
durch den Ton, mit dem er den ehrwürdigen Schatzgräber
mittelalterlicher Vergangenheit, Karl Simrock, wie einen Schul-
buben zurechtweise." Der Referent weist sodann nach, dafs
Linke kein Latein verstehe, am wenigsten das Latein der alten
Hymnendichter, und dafs er die Situationen, aus denen jene
Lieder hervorgegangen sind, und den Geist, der aus ihnen
spricht, wiederholt gröblich verkannt habe. Zum Beweise seiner
Kenntnis des Lateinischen führt Herr Brandes Linkes Über-
setzung der Stelle : Aurora cursus provehit, aurora totus pro-
deat in patre totus filius! in dem Ambrosianischen Hymnus:
Splendor paternje gloriaj (S. 34 u. 35 seines Buches) an. Linke
übersetzt: „Die Röte naht in raschem Lauf, o Morgen, zeuch
nun voll herauf! Im Vater haben wir den Sohn." —
„Aurora totus!" „Ist es nicht," fügt Brandes hinzu, „als höre
man den seligen Samuel Lange von Laublingen reden!"
Die Hypothese, zu welcher sich Herr Linke hinsichtlich
der Entstehungszeit des Liedes „Ein feste Burg" jetzt verirrt,
läfst sich nur erklären durch das Verlangen, dafs, nachdem so
verschiedene Männer Hypothesen über die Entstehung des Liedes
aufgestellt haben (der Besprechung derselben ist die erstere
gröfsere Hälfte seiner Schrift bis S. 108 gewidmet), auch er,
der Altenburger Archidiakonus, Doktor der Theologie und
Herausgeber der „Blätter für Hymnologie", seine Hypothese für
58 Abfassungszeit von Luthers Lied: Ein feste Burg ist unser Gott.
sich haben müsse, ähnlich jenem kleinstaatlichen Landesvater,
der schlechterdings seine eigene Eisenbahn haben wollte. Das
Verfahren, welches Linke nun einschlägt, um zu einer solchen
eigenen Hypothese zu gelangen, ist ein geradezu horrendes.
Verführt hat ihn dazu unschuldigerweise ein ganz verständiger
Eat, welchen Prof. Achelis in Marburg in seiner als Osterpro-
gramm der dortigen Universität vom Jahre 1884 veröffentlichten
Schrift: „Die Entstehungszeit von Luthers geistlichen Liedern"
unter Anerkennung von meinem und dem Schneiderschen Ver-
fahren gegeben hat, indem auch er meint, die Entstehungszeit
jener Lieder lasse sich nur aus den jedesmaligen Lebens-
umständen des Verfassers erraten, Demgemäfs erklärt Herr
Linke nun S. 109 seiner Schrift: „Es gilt, aus allen Wer-
ken Luthers eine Zusammenstellung von Anklängen (an das
Lied: ,Ein feste Burg u. s. w.') herzustellen, das crescendo
dieser Anklänge zu verfolgen, bis ein fortissimo eintritt, das
nicht mehr aufhört, in kein decrescendo zurückfällt." (Gleich-
zeitig eine Stilprobe des Verfassers!) Wie einer, der mit aller
Gewalt invita Minerva etwas erzwingen will, hat also Linke, wie
er auf derselben Seite wörtlich bekennt, „Luthers Schriften
durchgesehen und Stimmungs-, Sach- und Verbalanklänge zu
Tausenden gesammelt, chronologisch geordnet und übersehen.
Wenn er dieselben alle zum Abdruck bringen wolle, so würde
diese seine Schrift ein mehrbändiges Werk werden!"' (Der
Himmel bewahre uns davor!) Natürlicherweise sind es nur eben
allgemeine \A^endungen von der Wut des Teufels, der Gefahr,
welche für unsere Leiber und Seelen von diesem höllischen
Feinde drohe, der Unanfechtbarkeit des Wortes Gottes, jene
bekannten tausendmal und in allen seinen Werken wiederholten
Stichworte Luthers, welche für die Abfassungszeit unseres Liedes
gar nichts beweisen, die Linke aufgetrieben hat. Die paar
Stellen, welche ich aus Luthers Briefen aus der Jahreswende
von 1528 — 1529 als signifikante Anklänge an das Lied ange-
führt habe, sind an sich beweiskräftiger als jene tausende von
Linkeschen Citaten zusammengenommen. Herr Linke hat sich
dadurch aber in seinem stupenden Sammelfleifse nicht irre
machen lassen, und als die Krone seiner Bemühungen endlich
in der Altenburger Gymnasialbibliothek ein Manuskript latei-
Abfassungszeit von Luthers Lied : Ein feste Burg ist unser Gott. 59
nischer Vorlesungen Luthers aus dem Jahre 1524 — 1525 über
die kleinen Propheten aufgestöbert, bei dessen Durchlesung er,
wie er S. 113 frohlockend ausruft, mit einem evQrjxa aufge-
sprungen sei. Und was ist die Veranlassung dieses Sprunges?
Weil sich in diesen Vorlesungen bei der Exegese des Sacharja
Stellen finden wie: „Jacta sunt fundamenta tenipli (das soll
die feste Burg sein !) Zacharias vero — venit hortaturque, ne labas-
cant animi, sed pergant strenue, nihil territi populis circuni
circa jacentibus. — Contra ista omnia securos esse jubet; fore
dominum tutorem contra omnes hostes. — Et hodie quoque
multi metuunt uxoribus, liberis, bonis, amicis, hono-
ribus, Jestimationi, alioqui evangelium libere confiterentur. —
Consolatio nostra est, quod fideliter nobis adsistit bonue
ille dux noster, in acie dimicat pro nobis etc. In solchen,
Luthern bei allen seinen schriftlichen und mündlichen Aufse-
rungen geläufigen Wendungen (ich habe ganz unparteiisch noch
die signifikantesten hervorgesucht) geht es ein paar Druckseiten
lang fort! Und daraus schliefst Linke, das Lied „Ein feste
Burg" müsse in jener Zeit, in den Endmonaten des Jahres 1525,
da Luther jene Vorlesungen hielt, gedichtet sein! Und weil es
nun schlechterdings ein Reformationsjubiläum sein soll, an wel-
chem Luther sich zu diesem Heldengesange emporgerafft habe,
so soll Luther am 31. Oktober oder 1. November 1525 dies
Lied gedichtet haben! Und das alles wird hingestellt, ohne
den geringsten bibliographischen Anhalt und indem
Linke sich selbst bewufst ist, dafs, wenn selbst, was durchaus
nicht der Fall ist, aus jener Vorlesung über den Sacharja her-
vorginge, dafs Luthern in jenen Tagen lebhaft die in seinem
Heldenlied niedergelegten Gedanken bewegt hätten, damit noch
gar nicht erwiesen wäre, dafs Luther ihnen gerade in jener Zeit
auch dichterischen Ausdruck gegeben hätte. Oder wie es der
Herr Archidiakonus selbst S. 111 so schön in seinem eisrentüm-
liehen Stile ausspricht: „Ausgeschlossen wäre ja nicht, dafs das
Lied, nachdem das fortissimo der Leitmotive er-
reicht war, noch bei weitem nicht gleich zu Tage trat, son-
dern es könnte ganz wohl möglich sein, dafs dieses fortissimo
eine längere Reihe von Jahren schon bestanden hatte, und dafs
das Lied endlich durch besonders anregende äufserliche Ver-
60 Abfassungszeit von Luthers Lied : Ein feste Burg ist unser Gott.
anlassung entstanden sei, als Quintessenz der fertigsten Ge-
danken, Urteile, Gefühle und Stimmungen Luthers. Es wäre
demnach noch heute Schneiders und ßiltz' Hypothese möglich,
denn die Zeitpunkte, in die sie das Lied versetzen, liegen beide
mitten im fortissimo "
Der Hauptgrund, welcher gegen die unmögliche Linkesche
Hypothese spricht, ist freilich ein ganz anderer. Linke ver-
schliefst sich selbst nicht gegen denselben, er nennt ihn den
„dunklen Punkt" bei seiner Beweisführung und kommt, von
Gewissensbedenken getrieben, selbst wiederholt darauf zurück.
Ph. Wackernagel hatte die Schneidersche Hypothese von der
Entstehung des Liedes am l. November 1527 hauptsächlich
deshalb schroff zurückgewiesen, weil es undenkbar sei, dafs ein
solches einmal gedichtetes mächtiges Lied anderthalb Jahre lang,
bis zum Erscheinen des Joseph Klugschen Gesangbuches, un-
veröffentlicht lieblieben sein sollte! Und nun soll es «jar drei
bis vier Jahre unter der Bank, in Luthers Schreibtisch verborgen
gelegen haben. Luthers, der gerade in den Jahren 1524 und
1525 aufs lebhafteste erfüllt war von dem Bewufstsein, wie
mächtig seine reformatorische Sache durch entsprechende geist-
liche Lieder gefördert werde, der deshalb alle seine Freunde
aufs eifrigste und dringendste antrieb, solche zu dichten und
selbst die mangelhaftesten in seine, in jener Zeit herausgegebenen
Gesangbücher aufnahm. Jeder Hymnolog kennt seinen von
de Wette ins Jahr 1524 angesetzten, an Sj)alatin gerichteten
Brief (de Wette H, 590), worin er denselben beschwört, die
reformatorische Sache durch Dichten geistlicher Lieder zu för-
dern, welche so dringend nötig seien, und dieselbe angelegent-
liehe Bitte an seinen Freund Johann Dolzig richtet. Er teilt
ihnen im Drange seines Herzens schon die Psalmen zu, welche
sie dazu benutzen sollten. Ebenso dringend spricht er den
Wunsch nach deutschen Gesängen in der 1524 erschienenen
lateinischen Ordnung der Messe aus. Rambach S. 54. Derselbe
Luther soll den mächtigen Gesang, von dem hier die Rede ist,
verschlossen bei sich behalten, in keines der mannigfachen, in
den nächsten Jahren erscheinenden Gesangbücher haben auf-
nehmen lassen. Nicht in die drei Erfurter Enchiridien vom
Jahre 1526 (Wackernagel, P.ibliographie Nr. 219, 220, 221),
Abfassungszeit von Luthers Lied: Ein feste Burg ist unser Gott. 61
nicht in die Erfurter und Nürnberger Gesangbücher von 1527
(Wackernagel Nr. 247, 248, 253), nicht in das Zvvickauer von
1528, er soll ihn in keinem Wittenberger Einzeldruck veröffent-
licht, er soll damit bis auf das fabulose H. Weyssesche Ge-
sangbiichlein von 1528 gewartet haben? Der Gedanke ist so
widersinnig, dafs hoffentlich Herr Linke die Unhaltbaikeit dieser
seiner Hypothese bald einsehen und auch von ihr wieder be-
kennen wird, wie von seinen Fabeleien in jener Lutherfestschrift:
„Ich erkläre, dafs ich dieselbe ad acta lege, mich derselben ent-
äufsere und dafür eine neue Hypothese substituiere."
Doch nein! das letztere rate ich ihm nicht. Mir scheint es
vielmehr dringendes Bedürfnis für Herrn Linke zu sein, sich
solcher Untersuchungen vorläufig gänzlich zu entschlagen und
sich der liuhe hinzugeben. Die Nervosität, welche dem hitzigen
Herrn wohl immer eigen gewesen ist, hat gegenwärtig einen
Grad erreicht, der mir beunruhigend vorkommt. Das beweist
zunächst der schon von Wilh. Brandes in seiner Recension in
der „Theologischen Litteraturzeitung" gebrandmarkte Ton, wel-
chen Linke gegen seine Gegner anschlägt und welcher nur mit
einer krankhaften Reizbarkeit zu entschuldigen ist. Wenn jemand
irgend einen Ausdruck von ihm so auffafst, wie ihn jeder un-
befangene Mensch auffassen mufs, wie ihn Herr Linke aber
nicht verstanden haben will, so ist das Mindeste, dafs er ihn
der „Fälschung" beschuldigt. Mir allein schleudert er diesen
Vorwurf dreimal an den Kopf. Was mir aber noch bedenk-
licher für seinen Zustand vorkommt als diese Injurien, das sind
die \^'itze, welche er macht. Ich will ein paar Beispiele dafür
anführen. Ich hatte, um zu schildern, wie bei Luther, nachdem
die Gefühle und Empfindungen seines Liedes „Ein feste Burg"
allmählich sich in ihm entwickelt hatten, in jenem Geburtsmonat
desselben, dem Januar 1529, das Ganze aus Veranlassung der
damals an ihn gerichteten letzten Packschen Mitteilungen zu
jener Dichtung, so zu sagen, zusaramenschofs, mich des Ver-
gleichs bedient, welchen Goethe für die Entstehung seines Werther
gebraucht, es sei dies geschehen, wie bei einem Anstofse sich
das Wasser, das eben auf dem Punkte des Gefrierens steht,
im Gefäfse krystallisiert. Zufälligerweise hatte ich vergessen,
diese letzteren eigensten Worte Goethes mit Anführungsstrichen
62 Abfassungszeit von Luthers Lied: Ein feste Burg ist unser Gott.
ZU versehen. Der Herr Archldiakonus hält sie daher für mein
Produkt und glaubt sie artig zu verhöhnen, indem er dazu be-
merkt: „Warum nicht gleich, wie die Butter beim
Buttern? Dann pafst auch gleich das Gefäfs des folgenden
Satzes!" Noch ein anderer Scherz von ihm! Den Namen Ottos
von Pack, welcher selbstverständlich, da ich in dessen Mittei-
lungen den Anstofs zu Luthers Lied gefunden habe, häufig in
meinen Ausführungen vorkommt, hatte der Setzer der „Kreuz-
zeitung" in meinem letzten Artikel aus Versehen zweimal ,,Pank"
gesetzt. Linke witzelt darüber: „Biltz druckt Pank — wohl
ein Urahn des Leipziger Superintendenten, den Biltz von Berlin
her kennt." Jeder der geehrten Anwesenden wird mir einräumen,
dafs bei jemandem, der sich solche Witze leistet, nicht alles
mehr im normalen Gleichgewichte sein kann. Das AUergefähr-
lichste in dem Zustande meines geehrten Gegners scheint mir
aber das förmlich zur fixen Idee in ihm gewordene Verlangen
zu sein, um jeden Preis jene Frage nach der Entstehungszeit
unseres Liedes, die von mir schon gelöst ist, auch seinerseits
noch zu beantworten. Zu welchen Experimenten ihn diese un-
selige Idee schon geführt hat, haben wir gesehen. Er hat mit
unheimlichem Fleifse die sieben Folianten von Luthers deut-
schen Schriften durchgelesen, um „Anklänge" an unser Lied zu
finden, und gesucht, gesucht, gesucht! Er glaubt zwar jetzt
gefunden zu haben. Allein man wird ihm, wie das unausbleib-
lich ist, von allen Seiten versichern, dafs das nichts ist, was er
«befunden hat, und das Suchen wird von neuem anaehen. Wohin
soll das noch führen? Jeder Psycholog weifs, welche traurige
Fohlen ein solcher Eifer nach sich ziehen kaim. Ich als Men-
öchenfreund möchte dieselben, was an mir liegt, gern vermieden
sehen, um keinen Preis aber meinerseits dazu beigetragen haben.
Mit den Worten, welche die Gräfin Olivia in Shakespeares
Fastnachtsposse „Was Ihr wollt" an ihren aufgeregten Haus-
hofmeister richtet, rufe ich also nochmals meinem werten Gegner
zu: „Geht zu Bette, Malvolio, geht zu Bette!"
Berlin. K. Biltz.
Volkssage und Volksglaube.
Von
Wilhelm Schwartz.
Die Sagen haben den verschiedensten Charakter und Ur-
Sprung. Die Phantasie des Volkes haftet sich zunächst gern
an etwas Charakteristisches und Auffälliges, je ferner zumal der
Ursprung desselben zu liegen scheint, und zu allerhand Bildern
schürzen sich da die Fäden zusammen, welche die Tradition
von Geschlecht zu Geschlecht in stiller Arbeit spinnt. Die Aus-
führuno; und die Motive werden meist aus den lokalen oder
historischen Umffebungen genommen und variieren so unendlich.
Der Ausgangspunkt der Vorstellung ist zunächst derselbe
am Harz wie auf Ceylon, wenn dort in einem Stein ein flüch-
tiges Rofö seinen Huf, hier ein menschliches Wesen als letztes
Wahrzeichen eine Spur seines Fufses eingedrückt haben soll.
Das norddeutsche Landvolk, dem, wenn es von der Vergangen-
heit träumte, noch immer allerhand mythische Bilder durch den
Kopf gingen, welche es nur in die Zeit des alten Rittertums
versetzte, verknüpfte die Scenerie mit den alten heidnischen Vor-
stellungen von dem Sturmesgott, der nach dem Glauben unserer
Väter in den P^'rühlingswettern die goldgekrönte Sonnenfrau
umwerben sollte oder zu entführen trachtete. Aus dem alten
Gotte ist nur ein Ritter geworden, der in wilder Jagd über
die Berge fort eine schöne Prinzessin verfolgt. Und da der
Rofstrappe gegenüber eine ähnliche Spitze zum verwegenen
Sprung einladet, so heifst es kurzweg, eine Prinzessin oder
ein Ritterfräulein habe „bei einer Verfolgung" den kühnen
Sprung dort hinüber gewagt, so dafs die Spur noch immer
Zeugnis von dem geglückten Wagnis ablege, wie auch die gol-
dene Krone, die ihr dabei entfallen — und hierin bricht wieder
G4 Volkssage und \'olksglaube.
der alte Mythos hindurch — , in der Tiefe des Bodekessels ver-
sunken sein, aber jeden Frühhng wieder an die Oberfläche kom-
men solle. Ist doch das letztere nur eine Variante zu der ähn-
lichen Sage von der griechischen Sonnentochter Persephone,
wenn sie in der Gewitternacht „der finstere Herr der Schatten"
in seinem Donnerwagen entführt und dabei der goldene Hals-
t^chniuck ihr entfällt und in die Tiefe der Quelle Kyane ver-
sinkt. Erinnern doch beide mythischen Züge an den bei dem
betreffenden Naturbilde eine Kolle spielenden Regenbogen, dem
angeblichen Goldgeschmeide, der bald als die Krone, bald als
das Halsband der Sonnenfrau galt, bald in den himmlischen
ßegenwassern zu versinken, bald wieder in ihnen, wenn seine
Zeit da war, zu Tage zu kommen schien.
Diese Sage ist ebenso poetisch-menschlich von dem angeb-
lichen historischen Hintergrund aus durchgeführt, wie wenn der
Buddhist sinnend vor der gewaltigen Menschenspur in Stein
auf dem Adamspick steht und nun dieselbe mit dem sich ver-
bindet, was seinen Geist erfüllt, mit der Himmelfahrt seines
Buddha, und er zuletzt daselbst die Stelle glaubt gefunden zu
haben, von wo jener sich himmelan erhoben und im letzten
Aufschwung seine Spur dem Felsen eingeprägt haben soll.
Derartige Analogien treten überall auf. So sollte der ab-
gesondert liegende Hügel des Lykabettos bei Athen von der
athenischen göttlichen Jungfrau herrühren; sie habe ihn einst
fallen lassen, gerade wie ein Hügel oder ein Stein bei Branden-
burg a. H. im miirkischen Lande von einer Riesin oder Frau
Harke, die hier zur Heidenzeit ihr Wesen getrieben haben
sollte, angeblich herrührt. Die Motivierung ist nur in beiden
Fällen eine andere. Dort habe, heifst es, Athene den Berg zur
Befestigung der Burg Akropolis herbeigetragen. Hier läfst die
Sage die Riesin oder Frau Harke damit einen See zudämmen
oder in einen Gegensatz zur christlichen Kirche treten. Ais
sie, heifst es, mit dem Stein den Dom zu Brandenburg habe
einwerfen wollen, da sei der Berg oder Stein ihr entglitten und
läge zum ewigen Wahrzeichen nun noch dort.
Schliefsen sich so eine Fülle von Lokalsagen an individuelle
lokale Eigentümlichkeiten und haben nur eben an der betreffen-
den Stelle ihre Bedeutung, so spann überall die Sage auch an
Volkssage und Volksglaube. 65
Namen oder wunderlichen Gebräuchen in Wahrheit und Dich-
tung, meist aber in letzterer, ihr phantasievolles Gewebe, aus
dem dann der betreffende Name oder der Gebrauch schliefslich oft
in drastischer Weise sich angeblich erklärte. Mykene erinnerte
die Griechen an Brüllen (j.ivxuo/.iai) ; da mufste der Name von
dem Brüllen der Gorgo herkommen, dem Untier, das dort ge-
haust, ebenso wie Krebsjauche dem Märker mit dem Krebs zu-
sammenzuhängen und die zweite Hälfte des Namens nur eine
Korrumpierung von Juchhe! zu sein schien, so dafs die Sage
fertig war, nach welcher hier in einem Wettlauf einmal der
schwerfällige dumme Krebs über das schnellste und listigste
der Tiere, über den Fuchs triumphiert habe, ähnlich wie in
einem anderen Märchen der Swinegel über den flüchtio;en
Hasen. Ausgeführt wurde es beim Krebs in der Weise, dafs
er beim Beginn des Wettlaufes sich an der ßute des Fuchses
festgekniffen und sich so habe mitschleppen lassen, in der Nähe
des Zieles sich aber so unangenehm bemerklich gemacht hätte,
dafs der Fuchs im Schmerz die Rute in die Höhe gerichtet und
so seinen Rivalen selbst über das Ziel hinausgeschleudert habe.
So giebt es die verschiedensten Gründe, die eine Sage er-
zeugen können, aber derartige Sagen haben keine mythologische
Bedeutung an sich, sie bekommen sie höchstens, wenn die hin-
einspielenden Personen oder Dinge mythisch sind, d. h. der
Wunderwelt angehören, an welche die Menschen vor ihrer histo-
risch-kritischen Entwickelung geglaubt haben. Mythologische
Bedeutung haben eben nur die Traditionen eines Volkes, welche
auf dem alten, allgemeinen Volksglauben, der in jener den Men-
schen angeblich umgebenden Zauberwelt lebte und webte, beruhen.
Sie sind eben die Niederschläge desselben in allerhand mehr
oder minder historischer Gewandung, aus denen man — indem man
das Gleichartige zusammenstellt, woran der phantasievolle Zug
des Wunderbaren, Märchenhaften sich heftet — den alten heid-
nischen Volksglauben selbst, von dem sonst oft kein Zeugnis
mehr meldet, noch rekonstruieren kann.
Ein charakteristisches Beispiel der elementarsten Art sind
die sogenannten Gespenstergeschichten. Eine jede einzelne er-
scheint zunächst albern und als ein Vorwurf, gegen den die
menschliche Vernunft ankämpfen müsse, aber alle zusammen
Archiv f. n. Sprachen. LXXV. 5
66 Volkssage und Volksglaube.
kommen vor der Wissenschaft als ßudera eines alten Glaubens-
etandpunktes zu einer bedeutsamen Geltung. Denn in den an-
geblich starren, feurigen Augen der Gespenster, in ihrem ver-
mummten Auftreten, dem Kettengerassel, das sie begleitet, den
rollenden Totenköpfen, mit denen sie nach deutscher Sage spielen,
und in ähnlichen typisch wiederkehrenden Bildern spiegelt sich
noch deutlich der Hintergrund ab, dem sie ihren Ursprung ver-
danken. Sie weisen uns auf einen rohen Aberglauben der Urzeit
hin, der in dem umziehenden Gewitter wirklich einen solchen Spuk
dahinwandelnder Geister erblickte, die ewig verflucht seien um-
zugehen, und im Blitz die leuchtenden Augen dieser in den
Wolken vermummt einherschreitenden Wesen sah, im Donner
ihr Kettengerassel u. dergl. zu hören glaubte, ebenso wie eine
noch rohere Vorstellung, indem sie den heulenden Sturm in das
Bild hineinzog, in der schwarzen Gewitterwolke u. a. einfach
einen gespensterhaften heulenden schwarzen Hund mit feurigen
Augen zu erblicken wähnte, wie die Tradition ihn noch jetzt
meist auf den Dorfstrafsen des Nachts erscheinen läfst.
Es ist eine der psychologisch interessantesten Wahrnehmungen,
zu sehen, wie derartige Jahrtausende alte Vorstellungen gleichwie
die von Hexen, Mährten, Kobolden u. dgl. noch jetzt überall auf dem
Lande, ja fast noch mehr als jene sich in der Tradition erhalten
haben.* Sie finden aber auch leicht eine ihnen passende lokale An-
knüpfung und eine ihnen besonders zu statten kommende Stim-
mung des Menschen hier vor. Denn nicht blofs die Isoliertheit
des menschlichen Lebens in Wald und Feld, es ist vor allem
der Schauer der Nacht und eine gewisse, dann besonders her-
vortretende Nervosität der Menschen, die an unheimlichen Stellen
dem Geisterglauben und aller Art Spuk zugut kommt. Wie
der alte Hesiod sagt: „Die Nacht gehört den Geistern!" so ist es
noch überall, wo Spuk sich erhalten hat und geglaubt wird. Die
Gespenster, die man, wie erwähnt, in der Urzeit sichtbarlich in
der Gewitternacht wahrzunehmen wähnte, sind nur im Lauf der
Zeiten in der Tradition in die gewöhnliche Nacht eingerückt, und
* Die Tradition hat eben eine grofse Macht. Gebrauchen doch noch
heutzutage selbst die gebildetsten Leute gelegentlich dahin schlagende Aus-
drücke, wenn sie von einem Hexenschufs, vom Mahrtdrücken, Koboldschiefson
u. dergl. reden.
Volkssage und Volksglaube. 67
der Glaube meint in der Erregung der Angst immer wieder und
wieder seleffentlich Wahrzeichen dessen zu sehen, womit seine
Phantasie in den ersten Jahren in heimischer Überlieferung ge-
tränkt worden. Nur wo das Substrat dazu schwindet, die Menschen
enger zusammenrücken, die Kultur und die Regulierung des
öffentlichen Lebens auch zur Nachtzeit die Möglichkeit „sich zu
grauen" dem Menschen gleichsam nimmt, da verschwindet der
Spuk, der sofort w'ieder vor dem Geiste auftauchen kann, wo ein
Wanderer einsam durch den Wald zieht, unbekannte Töne, eigen-
tümliche Lichtspiegelungen oder Schatten seinen Geist streifen,
eine Welt, die ihm fremd, plötzlich auf ihn einzudringen scheint.
So ist es noch und war es zu allen Zeiten. Und wie neben
analogen Erscheinuncren im Traum sich die Phantasie in stiller
Abgeschlossenheit des Lebens auch geradezu oft zu Visionen
allerhand Art steigert und selbst noch heutzutage in einem ab-
gelegenen Winkel des Landes plötzlich katholisch getränkte
einfache Gemüter in irgend einem wunderbaren Lichtschimmer
den Glanz der Jungfrau Maria zu erblicken glauben, so sahen
auch die Heiden ihre Götter im Traum und Wachen sich ihnen
offenbaren, und wer die Glaubensgeschichte der Menschheit
schreiben will, mufs eben die Göttergestalten von der Voraus-
setzung aus entwickeln, dafs es zu der Zeit, wo diese Vorstel-
lungen entstanden und galten, Menschen gegeben haben mufs,
die in ähnlicher Weise daran geglaubt und den Glauben in der
Tradition dann fortgepflanzt haben. Die späteren Geschlechter
verarbeiteten eben nur mehr oder weniger, was sie überkommen,
teils in gläubiger Scheu die Formen bewahrend, teils sie ideali-
sierend oder kritisch umgestaltend, je nachdem sie selbst kultur-
historischer sich zu entwickeln anfangen. So gehören den An-
fängen der Glaubensgeschichte die rohen, aber immerhin phan-
tasievollen Vorstellungen an, welche sich der Mensch „für das
Unbegreifliche im Himmel und auf Erden" bildete, und die im
Wachen und Träumen auf ihn einzuwirken schienen, während
in den späteren Zeiten geschichtlicher Entwickelung und den
dabei zur Geltung kommenden Faktoren entwickeltere Gestalten
idealer Art sich substituierten, die sich allmählich im Polytheis-
mus bis zum Gedanken „des Göttlichen" erhoben. Die Mytho-
logie ist eben eine Phase der heidnischen Religion, die mit der
5*
68 \'olkssage und Volksglaube.
Kultur auf das innigste zusammenhängt. Dafs man dies nicht
erkannt und niclit die den prähistoriöchen roheren Zeiten anheim-
fallenden und in ihren kleineren Volkskreisen sich anbauenden
Anfänge religiöser Vorstellungen von den einer späteren national-
ideelleren Entwickelung namentlich in Poesie, Kunst und Kultus
unterschieden und den Faden der Kontinuität zwischen beiden
zu suchen getrachtet, sondern, namentlich auf dem Gebiet der
klassischen Mythologie, auch in diesen innerlichen Dingen aller-
hand Import von aufsen angenommen hat, ist'der Grund gewesen,
dafs die mythologische Wissenschaft bisher nur sich meist damit
begnügt hat, neben nackter Hinstellung des aufseren Materials,
insoweit es zum Verständnis der Werke der Kunst und Poesie
nötig ist, allerhand Hypothesen in mehr oder minder geistreicher
Weise aufzustellen, was eigentlich die Alten ursprünglich damit
gemeint haben. Dabei ist man dann im ganzen eben nicht viel
weiter gekommen als das spätere historische Altertum selbst, wel-
ches, als es jene Gebilde nicht mehr vollgläubig fafste, aber sich
noch scheute, den Glauben daran öffentlich aufzugeben, immer
noch, so gut es eben ging, an ihnen anknüpfte und sie in aller-
hand „sogen, symbolischen" Deutungen sich zu vermitteln suchte.
Es ist aber an den alten Mythen in betreff ihres Ursprungs
in prähistorischer Zeit nichts symbolisch zu deuten, sondern sie
sind nur als eine psychologisch auf dem realen Boden des Lebens
in der Beziehung von Mensch und Natur entstandene Glaubens-
form zu fassen, die überall sich in ähnlicher Weise an- und ab-
spinnt, wo der Mensch in aufseren Erscheinungen und Bildern
Überirdisches erfassen zu können glaubt. Für die historische
Zeit dagegen sind die Mythen nur das ererbte Material, die Tra-
dition, an der und mit der die weitere religiöse Entwickelung
sich vollzieht, bis die auf polytheistischem Boden dann erwach-
senen Göttergestalten in den verschiedenen Kulten immer mehr
zu ethischen Mächten werden, die das Geschick der Welt wie des
einzelnen lenken. Aber wie die Völker an realer Kraft verloren
und hinschwanden, welkten auch jene mit dem Volke, das sie
geschaffen, schliefslich dann selbst dahin, und nur vereinzelt sind
allerhand Bezüge noch im Leben haften geblieben und künden
von der vergangenen Zeit.
Johann Fischarts
religiös -politisch- satirische Dichtungen.
Von
L. Wirth.
Einleitung.
Die zwei genialsten Männer des 16. Jahrhunderts auf dem Ge-
biete der deutschen Litteratur waren Luther und Fischart. Beide
waren in mancher Hinsicht verwandte Naturen, und der eine setzte
in seiner Weise gleichsam das Werk des anderen fort. Beide
beschäftigten sich viel mit Theologie und religiösen Fragen;
der eine aus Neigung und Beruf, der andere nur, um auch auf
diesem Felde sich neue Waffen für den Streit zu sammeln.
Beide waren unerbittliche Gegner der katholischen Kirche und
betrachteten es als ihre Lebensaufgabe, deutsches Wesen und
den Protestantismus gegen äufsere und innere Feinde zu ver-
teidigen. Beide haben aber auch für die deutsche Sprache und
Litteratur grofse Bedeutung. In ihrer Darstellung zeigen sie
denselben volkstümlichen Humor, dieselbe Kraft und Anschau-
lichkeit; in der Polemik die gleiche Heftigkeit und Derbheit,
aber auch dieselbe Innigkeit und Reinheit der Gesinnung.
Luther gab den Anstofs zu einer ganzen Teufelslitteratur seiner
Zeit, zu der auch Fischart sein Teil beitrug. Beide waren
fröhliche Naturen, liebten Musik und Gesang. Luther sans:
^ern zur Laute und Fischart machte ein Lobgedicht auf die-
selbe. In ihren politischen Ansichten aber wichen sie von-
einander ab. Luther war durch und durch monarchisch se-
sinnt, Fischart dagegen, der meistens in freien Reichsstädten
lebte, entschieden republikanisch. Während Luthers Thätigkeit
70 Johann E'ischarts religiös-politisch-satirische Dichtungen.
hauptsächlich dei' Kirche und Schule gewidmet war, umfafste
Fischart nicht nur das religiöse, politische und sociale Leben
der Nation, sondern auch ihre Leistungen auf dem Gebiete der
Kunst, Litteratur und teilweise auch der Wissenschaft. Ja
sogar dem Auslande widmete er ein ähnliches Interesse, so
dafs er, was menschliches Wissen betrifft, wohl als ein Uni-
versalgeiiie seiner Zeit angesehen werden mufs. In der That
waren die Kenntnisse, die er sich während seines kurzen Lebens
erworben, aufserordentlich grofs. Er kannte die lateinische,
griechische, italienische, niederländische, französische Sprache
und die Hauptwerke dieser Litteraturen; auch Hebräisch ver-
stand er. Er war ein genauer Kenner der damaligen Philo-
logie, und man fühlt es ihm an, dafs diese Gelehrsamkeit
seine Freude ist. Die Rechtswissenschaft gehörte zu seinem
Berufe. Wenn wir dies nicht gewifs wüfsten, so würde man
meinen, dafs es die Theologie sei; denn man sieht, dafs er aufs
genaueste mit der theologischen Litteratur, den Richtungen,
Schulen, Konfessionen, Streitigkeiten etc. auf kirchlichem Gebiete
bekannt war. Hierzu kommt noch sein Kunstsinn, seine Kunst-
kenntnis, seine Bekanntschaft mit der Natur- und Heilkunde,
sein lebhaftes Interesse für Geschichte und Politik.
Sein gröfster Schatz aber war sein Vaterland. Er besafs
eine so genaue Kenntnis der Geschichte und Litteratur, der
Sitten und Anschauungen seines Volkes wie keiner vorher
und wie keiner der folgenden Jahrhunderte. „Die alte Zeit
steht bei ihm in leibhaftem Wesen, in unabgebrochener Über-
lieferung vor uns. Fischart ist der letzte, welcher des alten
Deutschlands noch in voller Einfachheit, voller Wahrheit und
voller Liebe eingedenk ist. Die folgenden Jahrzehnte, Jahr-
hunderte hatten Redensarten von dem Deutschland der alten
Zeit, aber keine Erinnerungen mehr, viel weniger Überliefe-
rungen. Nehmen wir noch dazu die übersprudelnde Fülle von
Schilderungen der Volkssitten , allgemeine oder besondere,
untergegangene oder damals noch bestehende, von S))rich-
wörtern und Redensarten, von Gleichnissen und Anspielungen,
von Liedern und Schwänken, die überall aus der näch-
sten Erfahrung hervorquillt, ihm bei jeder Gelegenheit unge-
sucht zur Hand ist, diese beinahe unübersehbare Menge von
Johann Fischarts religiö.s-politisch-satirische Dichtungen. 71
Zügen aus den Ereignissen, Gewohnheiten, Zuständen seiner
Zeit, 80 dafs kein Geschäft, keine Kunst, kein Handwerk bei-
nahe sich findet, dem er nicht seine eigentümlichen Züge abge-
lauscht hätte, dessen Ausdrucksweise und Formeln er nicht ge-
braucht, als wären sie die seinigen; nehmen wir dazu diese
Masse von Zeugnissen für die Tradition der alten Sagen, der
alten Poesie, so tritt uns in Fischart ein durchaus Einziger
seines Zeitalters entgegen."*
Es ist jedoch nicht meine Absicht, Fischart in seiner ganzen
Gröfse hier zu zeichnen, sondern nur, wie er sich in den hier
behandelten Gedichten zeigt. Allein genau genommen zeigt er
sich hier nicht anders als in seinen anderen Werken. Wie ein
kunstvoll geschliffener Diamant nach allen Seiten, wie man ihn
auch wendet, seine glänzenden Strahlen wirft, so giebt sich
auch Fischart ganz und voll in allen seinen Werken. Fischart
war ein eifriger, gläubiger Protestant, und zwar lange Zeit ein
begeisterter Anhänger der lutherischen Konfession. Sein wieder-
holter Aufenthalt in Basel, wo er mit dem Calvinismus in Be-
rührung kam, seine enge Verbindung mit den französischen
Reformierten, seine republikanische Gesinnung zogen ihn jedoch
allmählich auf die entgegengesetzte Seite, so dafs er (1579) bei
dem Streite über die Konkordienformel, über streng lutherisches
und calvinistisches Bekenntnis in Strafsburg, zwischen Johann
Pappus und Johann Sturm auf die Seite des letzteren trat.
Für die nun von Luther und Calvin begründete Reformation
trat Fischart mit seinem ganzen Wollen und Können ein, und
zwar auf zweierlei Art, indem er sich an dem inneren Ausbau
der neuen Kirche beteiligte (Gesangbüchlein für „das Gläubige
Christenvölklein", Katechismus etc.), noch mehr aber dadurch,
dafs er sie mit den schärfsten Waffen gegen katholische Reaktion
verteidigte.
Fischart, der über ein solch enormes Wissen verfügte,
wäre ganz der Mann gewesen, diesen Kampf n)it allen Waffen
der Wissenschaft zu führen. Allein sein poetisches Talent,
seine gewaltige Darstellungsweise, seine heitere Laune, sein
Wackernagel: Joh. Fischart von Strafsburg und Basels Anteil an ihm.
Basel 1870.
72 Johann Fischarts religiös-politisch-satirische Dichtungen.
angeborener Humor, sein unerschöpflicher, übersprudelnder Witz
liefsen ihm das Schlechte besonders von der lächerlichen
Seite erscheinen, und so führte ihn sein innerstes Wesen auf
die Satire, die er zur höchsten Meisterschaft entwickelte.
Auch Avufste er recht gut, dafs eine Sache, welcher der Stempel
der Lächerlichkeit aufgedrückt wird, für immer gebrandmarkt
ist. So wurde Fischart Deutschlands gröfster Satiriker.
Die hervorstechendsten Eigentümlichkeiten seiner Satire
sind : Er führt Personen und Sachen gleich unter solchen Namen
ein, dafs sie schon dadurch lächerlich erscheinen. Gewöhnlich
fügt er auch noch ein charakteristisches Motto hinzu. Man
sehe z. B. die Titel der verschiedenen Satiren. Gegenüber den
Stoffen selbst bewahrt er eine grofse Objektivität, indem er
irgend ein wirkliches, an sich lächerliches Ereignis etc. festhält
und treff'end darstellt. Man denke z. B. an die Streitigkeiten
der Mönchsorden, an die Zeche der Trunkenen in Gargantua etc.
Viele der gelungensten Eff'ekte erreicht Fischart durch Anwen-
dung des Kontrastes, indem er Personen, Zustände, welche er
lächerlich machen will, ähnlichen von allgemein anerkannt grofser
Bedeutung gegenüberstellt. In fast allen Satiren finden sich Pa-
rallelen, die hierauf berechnet sind.
Die übrigen Eigentümlichkeiten sind mehr sprachlicher Art:
Komische Umdeutung von Fremdwörtern, z. B. maulhenkolisch
für melancholisch, Jesuwider für Jesuit, Aff'erich für Afrikn,
Kedtorich für Rhetorik', Notnar für Notar, Pfotengram für
Podagra etc. etc. — Wortspiele, Wortmalerei, buntscheckige
komische Wortbildungen, so dafs die Rede oft einem Kaleido-
skop gleicht, das er immer aufs neue dreht und wendet, z. B.
„weiöheitwigtige Sophisten, sternamhimmelige und sandamerige
Mifsbräuche, gemsenkletterige und drittamhimmelverzuckte Ma-
terien, ein unverrlegelter Orden. — Geb mir Scheinheylig Teu-
fFelthum Vnd VertheuffeU Scheinheyligthum. Durch Heyigen
Pracht vnd Höflichkeit Vnd durch Hochprächtig Heyligkeit" etc.
Fischart kann kaum einen Gedanken anführen, ohne ihn in
närrische Bilder zu kleiden. Unter allen ihm zu Gebote stehen-
den Ausdrücken braucht er gerne den barocksten oder einen
kräftigen Volksausdruck. Er bildet in seiner „fantastengreulichen
Art — ungereimte, Urärrische, barbarische Homonyme oder
Johann Fischarts reHgiös-politisch-satirische Dichtungen. 73
nameinige Wortgleichheiten", umschreibt die Worte mit etymo-
logischen Umbildungen nach ihrem Laute und freut sich jeder
„Wortstempelei". Er sucht nach Worten, „die von Getön und
Hall auszusprechen eine Lust geben". Er kann keinen Namen
anführen, ohne allerlei epitheta ornantia damit zu verbinden,
kein Hauptwort nennen, ohne eine ganze Prozession von appel-
lativen Adjektiven vorauszuschicken, oder eine Schar synonymer
Ausdrücke folgen zu lassen. Über alles breitet er dann noch
gern Reimklänge, Assonanzen, Allitterationen.
I. Dichterische Behandlung und Tendenz der einzelnen
Satiren.
Wie so viele litterarische Erzeugnisse des 16. Jahrhunderts,
so sind auch Fischarts Werke an irgend eine äufsere Gelegen-
heit angeknüpft, an Holzschnitte, litterarische Vorbilder, fremde
Originale, an Streitschriften seiner Gegner, politische, religiöse,
sociale Verhältnisse und Ereignisse. Es sind also, wenn man
so sagen will, Geleuenheitsoredichte, allein Gelegenheitsgedichte
im gröfsten Stile, ähnlich wie man ja auch Goethes Dichtungen
Gelegenheitsgedichte nennt. Blofs die Anregung kommt also
von aiifsen, im übrigen geht Fischart ganz seine eigenen Wege.
Selten kann Fischart bei den gröfseren Satiren den Plan
und die poetische Einkleidung, welche er sich entworfen, kon-
sequent durchführen. Gewöhnlich ist diese Einkleidung des
Stoffes recht glücklich, allein gleich läfst er sie wieder fahren,
sobald sich seine Gedanken auf einmal in anderer Richtung be-
wegen. Ein Vorfall, den er erzählt, erinnert ihn an viele ähn-
liche, ein witziger Einfall bringt ihn auf einen anderen etc. etc.;
so verleitet ihn seine reiche Phantasie, seine Stoff'fülle zu allerlei
Seitensprüngen und häufig auch zu übergrofser Redseligkeit,
bis er sich oft erst am Ende seiner ursprünglichen Einkleidung
erinnert und sie dann nicht immer wieder glücklich aufnimmt.
Nacht Rab. — Nachtrab .oder Nebel Kräh ist, w^ie man
allgemein annimmt, Fischarts erste Satire. In dieser wirft er
sich gleich auf die rechte Brutstätte des jesuitischen Schwarmes
in Bayern, auf Ingolstadt. Dies war das Hauptquartier der
papistischen Vorfechter. Dort war jener Eisengrin, der die
74 Johann Fischarts religiös-politisch-satirische Dichtungen.
Wunderzeichen des ersten deutschen Jesuiten Canisius beschrieb
und dessen Katechismus von Ferdinand I. eingeführt ward. Von
dort betrieben die Jesuiten „die letzten Frösche, welche das
Tier der Apocal. 6 auf den Stuhl ausspeit, und die ihm wieder
auf den Stuhl helfen sollen, die Eichelsäue und Sau-Asse"
(Meduse Kopf 18), ihre Machinationen; verhetzten „die deutschen
Fürsten zur Verfolgung und Greulichkeit" (Meduse Kopf 130 etc.),
schlichen sich als Hofprediger, Beichtväter, fürstliche Präcep-
toren, Schulmeister und Kircheninspektoren (wie Rabe) ein, und
da die Ketzermeister in Deutschland mit Gewalt nichts aus-
richten konnten, so verbitterten sie mit heimlichen Lügen und
Verhetzen die Leute gegen ihre evangelischen Verwandten,
Nachbaren, Landsleute. Dorthin, nach Ingolstadt, war nun ein
übel berufenes Subjekt, Jakob Rabe aus Ulm, gekommen, der
durch seinen Abfall vom evangelischen Glauben, seinen aus-
schweifenden Lebenswandel, besonders durch seine Schrift:
„Christliche bescheidne vnd wol gegründte ablähnung der ver-
meindten Bischoffs Predigt" etc. Fischarts Entrüstung hervor-
gerufen hatte. — Fischart will zwar die Schellenkappe auf-
setzen und über Rabe und seine Schrift die Pritsche schwingen,
allein er verfährt dabei doch mehr wie ein polemisierender Theologe
denn als Satiriker. P>r schleppt einen grofsen gelehrten Apparat
herbei, um die Behauptungen seines Gegners zu widerlegen
und ad absurdum zu führen. Das Gedicht enthält zwar keine
strenge, klare Disposition, allein man kann doch deutlich er-
kennen, dafs der Dichter so zu sagen in seiner Behandlung einen
Kreis beschreibt, indem er schliefsHch wieder an dem Punkte
ankommt, von dem er ausgintj. Man urteile: Der Dichter ruft
die Raubvögel zusammen, um unter dem Vorsitz des Adlers
über den Raben Gericht zu halten, der durch Wort (Schriften)
und Betragen sich vieles zu schulden kommen liefs. Leider
läfst Fischart diese poetische Einkleidung jetzt fahren. Er be-
spricht und widerlegt nun die Stellen aus Rabes Schrift,
welche ihn am meisten hindern. Diese Widerlegung bringt ihn
auf die Persönlichkeit Rabes und den berüchtigten Lebens-
wandel desselben. Fischarts Absicht ist natürlich diese,
seinen Lesern zu zeigen ; Seht, solcher Mann schreibt ein sol-
ches Buch,
Johann Fiscliarts religiös-politiscli-satirische Dichtungen. 75
Rabes schriftstellerische Beschäftigung und geistliche Wirk-
samkeit führt Fischart auf den Jesuitenorden. Er schildert
ausführlich die Entstehung, Wirksamkeit und das Wesen des-
selben, verspottet ihre Wundersucht, die Unfehlbarkeit ihres
päpstlichen Gottes, und zeigt ihre Herrschergelüste und ihre
Blutgier. Da Rabe ein Mitglied und eifriger Agent dieses Ordens
ist, so ist sein Thun und Treiben nur ein Ausflufs dieses Ordens.
Von dem Orden kommt Fischart wieder auf Rabe selbst und end-
lich zu den Raubvögeln, die er zum Gericht herbeigerufen hatte.
Er wiederholt noch einmal seine Anklage, die er weitläufig er-
wiesen, und bittet den Raben „fg xoQay.ug^^ in irgend einen tiefen
Graben zu werfen, damit niemand mehr sein Krächzen höre.
Das Gedicht endigt mit einer Entschuldigung wegen einiger
Derbheiten des Ausdruckes, allein diese seien nötig gewesen,
weil man eine Gemeinheit nicht anders als gemein bezeichnen
könne.
Das Gedicht hat noch etwas Hölzernes und Breites, wie
so viele Erzeugnisse damaliger Zeit. Fischart war damals, wie
man allgemein annimmt, auch kaum mehr als 25 Jahre alt,
zudem stand hier noch der Gelehrte dem Dichter zu sehr im
Wege. Erst allmählich gewann er die Leichtigkeit, Feinheit
und Sicherheit der Darstellung, welche seine späteren W^erke
so auszeichnet. Allein „ex ungue leonem!" Das gilt auch hier.
Man erkennt schon an dieser Satire, welche gleich in grellster
Farbe auftritt, alle Eigentümlichkeiten des Satirikers, die sich
später nur mehr entwickeln.
Am gelungensten sind die Partien, in welchen er den
Jesuitenorden hernimmt oder über Rabes Schicksale und Schein-
gelehrsamkeit sich lustig macht.
Der Barfüfser Seelen vnd Kuttenstreit. — Dieses Gedicht
ist eigentlich die Erklärung eines witzigen, gut erfundenen
Holzschnittes, der heiorcffeben ist. Solche Darstellungen durch
Bild und Wort, diese Gattungen von Briefmalereien, Satiren
und Pasquillen waren schon seit den ersten Zeiten der Buch-
druckerkunst allgemein beliebt, und seit dem niederländischen
Aufstande wurden sie ein eigener, ungemein wirksamer, den
«Jesuiten sehr peinlicher Zweig der polemischen Litteratur. Es
ist deshalb sehr natürlich, dafs Fischart, der eine besondere
76 Johann Fischarts rellgiös-poHtisch-satirische Dichtungen.
Vorliebe hatte, seine Gedichte an Werke der bildenden Kunst
anzuknüpfen, hiervon häufig Gebrauch noachte, obschon die
Holzschnitte, deren er sich bediente, nicht immer schön waren
und seinen gebildeten Kunstgeschmack kaum befriedigen moch-
ten ; allein daran war nichts zu ändern, denn das Kunsthand-
werk stand eben noch auf sehr niedriger Stufe. Die meisten
seiner Werke zeigen auf dem Titelblatt einen Holzschnitt, der
entweder blofs auf den Inhalt derselben anspielt, lediglich zur
Zierde dienen soll (z. B. beim Nachtrab etc.), oder der Selbst-
zweck ist und in dem folgenden Gedichte erklärt wird. Man
nennt diese Art Dichtungen auch „Gemälpoesien", Holzschnitt-
poesien. Aufser dem Kuttenstreit gehören noch Gorgoneum
Caput, Meduse Kopf, Malchopapo und die Tierbilder zu dieser
Gattung.
Obschon der Kuttenstreit zu den Gemälpoesien gehört, ist
die Ausführung doch derart, dafs das Ganze auch ohne den
Holzschnitt recht gut verständlich ist. Der Holzschnitt stellt
das Innere einer Kirche dar. Auf einer Emporbühne des Chores
steht der Dichter mit seinem Führer. In der Mitte der Kirche
liegt die bleiche Gestalt des Franziskus, um ihn herum sind
viele Mönche, auch einige Nonnen gruppiert, welche alle nach
Franziskus greifen oder an ihm zerren etc. Im Hintergrunde
befinden sich ebenfalls noch einige Mönche, welche allerlei
Gegenstände wegtragen, und einige Päpste, die um grofse Kauf-
mannsballen beschäftigt sind. Die Gruppierung der 28 Figuren
ist recht gut ausgeführt.
Vei'o-leicht man diese trockene Beschreibung des Holz-
Schnittes mit der Fischarts, so erkennt man deutlich, dafs er
dem Homer auch abgelernt hat, wie der Dichter Gegenstände
beschreiben und schildern soll. Er läfst die Figuren, die hier
nebeneinander stehen, nacheinander vor uns handelnd
auftreten. Er verwandelt also das Nebeneinander im Raum in
ein Nacheinander in der Zeit, führt demnach schon praktisch
durch, was später ein Lessing im Laokoon theoretisch ausein-
andersetzte. Wie thut er dies? Er erzählt,* er habe, als er in
Italien studierte, die Stadt Aseisi besucht, wo die verschiedenen
Barfüfserorden, welche sich mehr oder weniger für Franziskaner
ausgaben, eine Versammlung hielten und ein grofses kirchliches
Johann Fischarts religiös-politiscb-satirische Dichtungen. 77
Fest feierten. Hier sah er sich die zahlreichen Sekten und ihr
Treiben an. Müde kehrte er nach seiner Herberge zurück, wo
er sich bald zur Ruhe begab. Da hatte er einen Traum, dessen
Schilderung eben jene Beschreibung des Holzschnittes ist. Ein
gewisser Bruder Leo kam nämlich zu ihm und führte ihn in
die Kirche, wo sie sich nach dem Chor begaben. Von hier
aus sahen sie eine Menge Mönche und Tonnen, Vertreter der
verschiedenen Orden, welche den St. Franziskus unter sich hin
und her zerrten, auf alle Weise quälten und marterten. Andere
eignen sich allerlei, was Franziskus gehört, zu und eilen damit
weg. In der Weise nun, wie die Mönche und Nonnen den
Franziskus quälen etc., erhellt ihr Verhältnis zueinander. Das
Gedicht ist in Anlage und Ausführuno; viel deutlicher und
durchsichtiger als das vorhergehende. Die Tendenz ist deut-
et o
lieh genug ausgedrückt. Da man katholischerseits die Pro-
testanten verspottete, weil sie sich in Sekten spalteten, so stellte
Fischart ein Bild aus der katholischen Kirche dem gegenüber,
wo die Orden sich in noch mehr Sekten trennten, wobei es sich
aber nicht wie protestantischerseits um Principien oder andere
wichtige Fragen handelte, sondern um Lappalien. Die Regel
des Franziskus ist für die Sekten und Rotten nur Nebensache.
Dagegen legen sie auf allerlei Äufserlichkeiten einen hohen
Wert und betrachten diese fast als die Hauptsache. Darüber
geraten sie in allerlei Zänkereien und Streitigkeiten, welche mit
Witz und Humor geschildert werden.
Von S. Dominici vnd S- Francisci artlichem Lehen etc. Diese
und die vorhergehende, wie die meisten der folgenden Satiren
sind an einen Hauptvertreter des Papismus gerichtet (oder
wie Fischart sagt, ihm „zu Liebe gestellt'*), den er mit feinem
Takte aus dem Mittelpunkte des Ingolstädter Jesuitismus zum
zweiten Stichblatt seines Witzes herausgriff. Es ist der Fran-
ziskaner Johann Nas. Während das vorige Gedicht sich mit
den Orden im allgemeinen beschäftigt, behandelt dieses ein-
gehend in der ersten Hälfte die Franziskaner und Dominikaner,
in der zweiten Hälfte blofs die Dominikaner. Dem Ganzen ist
eine Art Einleitung als Dedikation an Nas vorausgeschickt. Die
Satire selbst fängt mit einer Anspielung auf Virgils Aneis an:
Arma virumque cano etc.
78 Johann Fischarts religiös-politisch-satirische Dichtungen.
Ich mus ein man mit seinem Kleid
Beschreiben sampt der Heiligkeit etc.,
dessen Anfang recht witzig parodiert wird. Wie der alte
Dichter seine Muse, so ruft Fischart die H. Katharina von Senis
an, damit sie ihn inspiriere und ihm mitteile :
Was docl^ die vrsach gruendlich war
Des Zorns in der beschornen Schar
Der schwartzen Muench hie mit den grawen,
Die mit den Dazen vnd den Klawen,
Wie schwartz vnd grawe ramlecht Katzen
Nun lange Zeit einander kratzen.
Jene Anspielungen und Parallelen werden im weiteren Ver-
laufe jedoch nur gelegentlich fortgesetzt; erst am Schlufs treten
sie VA'ieder mehr hervor, passen aber dann wenig zu dem un-
mittelbar Vorhergehenden.
Anfangs hat es den Anschein, als ob Fischart blofs den
Helden Dominikus schildern wolle, bald aber wird auch Fran-
ziskus herbeigezogen, das Verhältnis beider zueinander, sowie
ihrer Orden ausführlich dargelegt und erst mit Vers 1740 die
Geschichte des Dominikus und seines Ordens weitergeführt.
Es war jedoch Fischart weniger darum zu thun, eine Ge-
schichte des Franziskus und Dominikus zu schreiben, als viel-
mehr das Leben und die Lehren beider Orden eingehend
zu schildern. Er erzählt daher, welche Feindschaft zwischen
beiden herrsche, wie sie entstanden und wie sie sich äufsere.
Er zeigt uns ihre Lebensweise, ihren Luxus in den Kutten,
ihre Betteleien, Erbschleichereien, Sophistereien, Scheinheiligkeit
und Unsittlichkeit. Damit wäre das Thema behandelt. Ein
Ausspruch des Franziskus Nas jedoch, dafs Luther im Dienste
des Teufels gestanden, weil er manche Anfechtungen von ihm
erfahren, veranlafst ihn (wie auch schon der Titel ankündigt),
zu zeigen, dafs man dies noch viel eher von Dominikus sagen
könne. Zu diesem Zwecke erzählt er nun in der zweiten Hälfte
der Satire das Leben des Dominikus sehr ausführlich und ver-
bindet damit die weitere Absicht, die Legenden und Wunder-
berichte des Ordens gründlich lächerlich zu machen. Dafs er
dabei besonders die Legenden auswählt, welche ihm dazu die
beste Handhabe darbieten, ist leicht begreiflich. Von den
Johann Fischarts religiös-politisch-satirische Dichtungen. 79
Wunderthaten zieht er hauptsächlich die heran, welche eine
Parallele mit den Wundern Christi bilden, wodurch die Absur-
dität derselben noch mehr hervortritt. Über jede Legende,
jedes Wunder stellt Fischart endlich humoristische Betrachtuno-en
an, erklärt, wie diese eigentlich auf natürliche Weise statt-
gefunden hätten und zu welchem Zwecke sie ersonnen seien.
Hierbei streut er eine Menge ironischer, satirischer Be-
merkungen ein, komische Geschichtchen etc. etc. Auch am
Rande stehen fast auf jeder Seite Sprichwörter, kurze Vers-
chen, Citate in deutscher, lateinischer, französischer etc. Sprache,
welche den Text in humoristisch-sarkastischer Weise glossieren,
z. B. „Die Muench haben gelobt, wie jener Muench sagt, Armut
in dem bad vnd gehorsam vber Tisch vnd keuschheit vber
dem Altar.
Mit den banden raubt man,
Mit dem hertzen glaubt man.
Die lufft ist gar lutherisch, sagten die Spanier in Frischland,
wie sie sehr starben etc."
In dem Gedichte finden sich oft heftige und derbe Ausfälle
gegen den Orden, besonders gegen Nas. Fischart zeigt hier
eine Leidenschaftlichkeit wie nie vorher. Es thut ihm aber
selbst leid, dafs er sich durch seine Entrüstung so weit hat
hinreifsen lassen. Daher entschuldigt er sich auch am Ende
des Gedichtes und schliefst mit einem Gebete, dafs Gott die
Verblendeten noch bekehren möge. Ob das ein heutiger Sati-
riker thun würde?
Obwohl die Darstellung und die Ausführung des Ganzen
sehr gelungen ist, so sind doch die Einzelheiten zu weit aus-
gesponnen. Zwar sagt Fischart selbst:
Ich machs nicht gern zu lang,
Zu weit gehn ist kein spatzirgang;
Die kuertze ist viel angenemer
Vnd der gedechtnus viel bequemer.
allein er befolgt diese weise Regel zu wenig.
Das Jesuiterliütlein. Kein Orden war Fischart so verhafst
wie der Jesuitenorden. Dies zeigte schon sein erstes Auftreten,
besonders aber diese glänzendste aller seiner Satiren. Die in-
direkte Anregung dazu empfing er durch das französische Ge-
80 Jobaan Fischarts religiÖs-politisch-satirische Dichtungen.
dicht „La legende et deecription du Bounet Carre", wie Kurz
nachgewiesen hat, aliein die Ausführung ist durchaus selbstän-
dig. Der Plan des Ganzen, eine vortreffliche Allegorie, ist
sehr einfach und durchsichtis:. Der Dichter stellt sich die
Frage: Woher kommt doch alles Leid und L^nglück, das die
Christen trifft? Antwort: Vom Satan. Wieso? Als Christus
Lucifers Macht gebrochen hatte, so fängt die Satire an, da
schmiedet dieser neue Pläne, um sie wieder zu begründen. Das
Hörn, das Symbol der Hölle, soll wieder auf Erden aufgepflanzt
werden, allein versteckt und in heiliger Art gestaltet; damit
man es nicht sogleich erkenne. Daher läfst Lucifer ein Spitz-
horn: die Mönchs- und Kuttenkappe, sodann eine Mütze
mit zwei Hörnern: die Bischofsmütze, ferner einen drei-
hörnig übereinander getürmten Kopfschmuck: den päpstlichen
Hut, endlich eine vierhörnige Mütze: den Je s uitenhut, an-
fertigen. Diese vier stattet er mit aller teuflischen Bosheit aus
und überträgt ihnen die Mission, seine Macht auf Erden zur
Geltung zu bringen, und sie erweisen sich dann auch als treue
Anhänger und Werkzeuge des Satans. Mit anderen Worten;
das Mönchstum, Bistum, Papsttum und der Jesuitismus zeigen
sich in ihrer Wirksamkeit als Institutionen des Satans. Und
wie führt Fischart dies aus? Lucifer beruft alle Teufel zu
einer Versammlung. In ergreifender Rede schildert er zuerst
die Zerrüttung seiner Macht, worauf er seinen Plan zur Wieder-
herstellung derselben auseinandersetzt. Nach seiner Anweisung
werden die vier Mützen nacheinander gemacht, entsprechend
ausgestattet, geweiht und auf Erden eingeführt. Bei jeder
Mütze giebt er eine scharfe Charakteristik des. Standes, der sie
trägt, d. h. der Mönche, Bischöfe, Päpste und Jesuiten. Die
Klimax, welche schon im Plane angedeutet ist, tritt bei der
Ausführung trefflich hervor. Bei jedem neuen Hute gerät
Lucifer stets mehr in Eifer. Je gröfser die Anstrengung bei
der Herstellung der Hüte, desto gröfser wird seine Begeiste-
rung, welche endlich in der Rede gipfelt, die er über die Be-
deutung und Wirksamkeit der Jesuiten hält. Fischart ent-
wickelt bei letzterer (besonders von Vers 1017 an) eine Vir-
tuosität in Sprache, Stil und Satire, die ihm die Bewunderung-
aller Leser gewann. — Wie im Sekten- und Kuttenstreit Fischart
Johann Fischarts relfgiös-politisch-satirische Dichtungen. 81
die einzelnen Figuren handelnd und sprechend auftreten läfst,
so werden auch die einzelnen Mützen vor unseren Augen an-
gefertio^t, gerade wie Homer den Schild des Achilles Stück für
Stück vor uns zusammenfügen läfst. — So zeigt sich auch hier
wieder in schlagender Weise Fischarts künstlerisches Gefühl.
Gorgoneum caput. — Meduse Kopf. — Malchopcqyo. — Tier-
hilder. Diese gehören, wie schon bemerkt, zu den sogenannten
„Gemälpoesien". Die drei ersten sind gegen das Papsttum ge-
richtet, die letztere gegen den Katholicismus im allgemeinen.
Gorgoneum caput und der Gorgonisch Meduse Kopf machen
keinen Anspruch auf künstlerische Behandlung, sind auch poe-
tisch wenig bedeutend, wie überhaupt die Werke, in welchen
Fischart sich an einen getrebenen Stoff bindet. Der Dichter
vergleicht darin den Papst mit Gorgo und Medusa, wobei er
seinen Hafs gegen denselben in kräftigen Worten ausdrückt.
Bedeutender dagegen ist Malchopapo. Obwohl dieses Ge-
dicht auch eine Erklärung eines Holzschnittes ist, behandelt ihn
der Dichter doch so frei, dafs man kaum daran erinnert wird,
ähnlich wie im Sekten- und Kuttenstreit. Der Hauptnachdruck
des Gedichtes liegt in einer Parallele, welche Fischart zwischen
dem Leben und den Lehren des Papstes und Christi zieht.
Hier ist der Dichter wieder in seinem Element, daher ist auch
hier die Darstellung lebhafter und die Ausführung glücklicher.
Die Tierbilder stehen zwar poetisch nicht höher als die
zwei zuerst genannten Holzschnittdichtungen, allein man wird
doch nicht leugnen können, dafs die Bilder mit Witz und
Scharfsinn erklärt sind. Dies springt um so mehr in die Augen,
wenn man die trockene und gesuchte Auslegung vergleicht,
welche Nas von denselben Tierbildern giebt. Dafs der beifsende
Spott in Fischarts Satire von seinen Gegnern tief empfunden
wurde, davon zeugt das merlwvürdige Schicksal derselben. Nach
der Erzählung des Abbe Grandidier (Essais Historiques et topo-
graphiques sur l'eglise cathedrale de Strassbourg 1782) nämlich
mufste ein lutherischer Buchhändler in Strafsburg, welcher Ab-
drücke von dieser Satire verkaufte, das Land räumen, nachdem
er vor dem Münster öffentlich Kirchenbufse gethan hatte; die
Holzschnitte aber und Abdrücke wurden durch den Nachrichter
verbrannt. Die Bilder selbst wurden 1686 weggemeifselt.
Archiv f. n. Sprachen. LXXV. 6
82 Johann Fischarts religiös-politisch-satirische Dichtungen.
Dafs die Bilder übrigens nicht den antikatholischen Sinn
hatten, welchen Fischart und andere denselben beigelegt, hat
J. Grimm (Reinhard Fuchs) gezeigt. Sie waren nichts als eine
harmlose Darstellung aus der Tiersage : das Totenamt für den
toten oder scheintoten Fuchs.
ßeimstücke aus : Reveille matin, der Spanischen Armada,
dem Vncalvinisch Gegen Badstüblein und dem Meuchelmord {Er-
manung an die Bund Bäpstler). Fischart, der dichterische Vor-
kämpfer des Protestantismus, verfolgte nicht nur alle Schicksale
desselben in seinem Vaterlande, sondern er schenkte auch den
religiös-politischen Ereignissen in anderen Staaten Europas seine
volle Aufmerksamkeit. Es giebt eine Anzahl geschichtlicher
Zeitberichte aus den siebziger und achtziger Jahren, an denen
Fischart nach seiner Weise als Übersetzer, Verbreiter, Geleits-
oder Empfehlungsdichter beteiligt war, aus denen hervorgeht,
dafs er in einer ununterbrochenen Aufmerksamkeit an den kirch-
lich-politischen Zeitereignissen, namentlich in den Nachbarlanden
der Schweiz und Frankreich, den lebendigsten Anteil nahm. Der
Kampf zwischen der Ligue und den Protestanten in Frank-
reich, der Aufstand der Niederlande gegen Spanien, die Aus-
rüstung und der Untergang der spanischen Armada, endlich
die Ermordung Heinrich III. von Frankreich waren Vorgänge,
welche das gröfste Aufsehen erregten und welche das leicht
entzündbare Dichtergemüt eines Fischart heftig bewegen mufeten.
Auf diese Begebenheiten beziehen sich die zuletzt genannten
religiös-politischen Satiren.
Als sich die schreckliche Kunde von der Bartholomäus-
hochzeit verbreitete, da behandelte Fischart diese Schandthat in
seiner Schrift: „Reveille matin oder Wacht frü auf." Es ist
eine Übersetzung des „Le Reveille-matin des Francjois et de
leurs Voisins. Compose par Eusebe Philadelphe Cosmopolite,
en forme de dialogue." A Edemburg, de l'imprimerie de Jacques
James, 1574. — Obwohl manche Gründe dafür sprechen, dafs
Fischart selbst der Übersetzer dieser Schrift ist, so konnte dies
doch nicht mit Sicherheit nachgewiesen werden. Wahrschein-
lieh hat er den Übersetzer blofs unterstützt. Dagegen sind die
beigefügten Reimstücke unzweifelhaft von ihm. Die Parallelen
zwischen Katharina von Medici und Fredegunde, Brunhilde und
Johann Fischarts leligiös-politisch-satirische Dichtungen. 83
Isabel sind echt Fischartisch. In kurzen, kräftigen Zügen
charakterisiert er das schändliche Treiben dieser Frau und
macht ferner auf die Gefahr aufmerksam, welche Deutschland
von dieser Seite drohe. — Der Untergang der spanischen Armada
war ein Ereignis, welches Fischart und alle Protestanten als ein
Gottesgericht betrachteten und das er unmöglich unbenutzt vor-
beigehen lassen konnte. Von den der „Spanischen Armada"
beigefügten Gedichten „fliefst (wie Kurz sagt) besonders das
zweite mit solcher Lebendigkeit und Leichtigkeit dahin, dafs
man sieht, es strömt jedes Wort aus der Tiefe seines Herzens.
Es ist von einer rhetorischen Fülle und Kraft, wie sie nur in
den besten seiner anderen Gedichte gefunden wird." Vortreff-
lich schildert er zuerst den Übermut Spaniens, das wie eine
riesige Spinne die ganze Welt mit ihrem Netze umspannen,
aussaugen und sich und dem Papsttum unterwerfen will. (Auch
hier sieht man wieder, welche tiefen Blicke Fischart in die
politischen Zustände seiner Zeit that.) Von allen Staaten Europas
hat England am meisten den spanisch-päpstlichen Einflufs von
sich fern gehalten, ja sogar bekämpft. Das schreit nach Rache!
Dieser Ketzerstaat mufs vernichtet werden. Demgemäfs rüstet
Spanien eine riesige Flotte aus, die bekannte Armada, und der
Papst feit sie mit seinem und aller Heiligen Segen gegen alle
Unfälle; ja damit nichts fehle, hatte die Flotte auch schon die
nötigen Ketzerrichter und Ketzerbekehrer samt dem ganzen
Bekehrungsapparat an Bord. Aber der Mensch denkt und Gott
lenkt; er bereitete diesem schönen Compagniegeschäft ein wohl-
verdientes Ende. Die Schilderung dieser Niederlage und deren
Rückwirkung auf ganz Europa ist voll poetischer Kraft. Das
Gedicht schliefst mit einer kräftigen Mahnung an die Deutschen,
die günstige Gelegenheit zu benutzen und auch den spanisch-
päpstlichen Einflufs zu brechen. — In dem „Vncalvinischen
Gegen Badstüblein" kommt Fischart noch einmal auf dies Er-
eignis zurück. Ein Jesuit nämlich hatte in einer Flugschrift:
„Caluinistisches Badstüblein" den mifslungenen Feldzug der
Schweizer und Deutschen verspottet, welche den Hugenotten
zur Hilfe o;ezo£ren waren, und daraus ferner den Schlufs oe-
zogen, dafs die Sache, für welche die Protestanten kämpfen,
schlecht sein müsse, da Gott ihr Unternehmen verhindert habe.
84 Johann Fischarts religiös-politisch-satirische Dichtungen.
Das war Wasser auf Fischarts Mühle! Darauf mufste er ant-
worten, und dafs dies eine gesalzene Antwort sein würde, läfst
sich erwarten. Die Disposition zu diesem „Gegenbadstüblein"
ergab sich für Fischart von selbst : Vergleichung des Feld-
zuges der Deutschen und Schweizer geojen die Ligue mit dem
spanisch-päpstlichen Angriff der Arn)ada gegen England; beider-
seitiger Zweck; Mifslingen der Unternehmung; schliefslicher
Sieg der Hugenotten! — Die Ausführung ist meisterhaft. Er
erdrückt gleichsam seinen Gegner mit der unwiderstehlichen
Macht seiner Ironie und seines Hohnes. Sehr gelungen sind
auch die zwei eingeschobenen Liedchen.
Die Ermordung des Königs Heinrich Hl. von Frankreich
durch den Predigermönch Jaques Clement lenkte Fischarts Auf-
merksamkeit wieder auf die verderbliche Wirksamkeit der
Mönche, ein Thema, das er schon wiederholt behandelt. In
seiner „Ermanung an die Bund Bäpstler" erinnert er nochmals
an die Gefahren, welche den Völkern und Fürsten von den
fanatischen Dominikaner- und Jesuitenorden drohen, die um
so gröfser seien, da die verderbliche Lehre von dem Ablafs alle
Sittlichkeit untergrabe. So derb die Sprache des Gedichtes
ist, so ist sie doch durchgehends würdig, weil sie der Ausdruck
der sittlichen Entrüstung über die abscheuliche That des fana-
tisierten Mönches ist.
So scharf, geistreich und vernichtend die meisten dieser
Satiren auch sind, so haben sie doch wahrscheinlich nicht den
grofsen Erfolg gehabt, den Fischart erwartet haben mochte.
Zur Zeit als sie erschienen, standen die Parteien schon zu
scharf geschieden und zu erbittert einander gegenüber, so dafs
sie wohl wenig in die Hände des katholischen Volkes
gekommen sein mögen. Wären sie zur Zeit Luthers erschienen,
im Anfang des Jahrhunderts, so hätten sie gewifs eine ähn-
liche Wirkung gehabt wie Luthers Schriften. Indessen be-
weisen die sehr zahlreichen Auflagen seiner Werke, dafs er
während seines Lebens und auch noch 30 Jahre lang nachher
ein vielgelesener Schriftsteller war.
Schliefslich wünsche ich noch zwei Punkte zu besprechen,
welche man Fischart oft zum Vorwurf macht.
Wie konnte doch Fischart, der so scharfe Satiren gegen
Johann FIscharfs religiös-politisch-satirische Dichtungen. 85
den Papismus schrieb, eine Übersetzung erzkatholischer
Lobsprüche auf (28) Päpste liefern (die bekannten Accuratte
effigies pontificum)? Stellt dies nicht völlig im Widerspruch
mit seinen deutlich ausgesprochenen Grundsätzen ? Durchaus
nicht! Wir wissen, dafs Fischart sich bei einer Menge Schriften
anderer Autoren beteiligt hat. So hatte er die Erzeugnisse
vieler befreundeten Männer, bald Holzschnittvverke von Tobias
Stimmer, bald Embleme von Holzvpart, bald die Übersetzung
eines politischen Werkes von Nigrinus mit Spruchversen, mit
empfehlenden Versen, mit Vorreden begleitet, bald hatte er die
Hände in Übersetzungen und Auso^aben von ärztlichen, maffi-
sehen, politischen, theologischen imd anderen Werken, die er
bald einem Freunde zuliebe, bald seinem Schwager oder einem
anderen Verleger zuliebe herausgeben half. Oft gewährte
ihm die Beschäftigung mit gleichgültigen Gegenständen, ihm,
der eigentlich nie müfsig sein konnte, doch Gelegenheit, etwas
auszuruhen, während sie zugleich seinem Drange nach Aus-
breitung seines Wissens genügten. So verhält es sich auch
mit der vielgerügten Übersetzung jener Accuratse effigies ponti-
ficum. Fischart dediziert diese Reimzeilen „dem Hochwirdigen
Fürsten vnd Herrn Melchipr, BischoflTen zu Basel, meinem
Gnaedigen Fürsten vnd Herrn etc. 1573."
In der Nachbarschaft Basels, in dem Fürstentum dieses
Bischofs, und zwar in dem französischen Teile desselben, war
die Heimat und der Geburtsort von Jobin, dem Schwager
Fischarts. Dort lebten Verwandte und Freunde desselben, also
auch von ihm. In der von Bernhard Jobin unterzeichneten Zu-
eignung jener AccuratEe effigies heifst es daher: „Sintemal meine
Voreltern, Verwante, Freund vnd ich in E. F. Gebiet, Land-
schaft vnd schütz mehrertheils geboren, erzogen vnd ernehrt
worden, auch noch zur zeit deren etliche E. F. G. gnädiges
echirms geniefsen, vnd sich noch täglich frewen vnd ge-
trösten" etc.
Fischart, der bisher trotz seiner Armut viel gereist hat,
wollte sich im Jahre 1574 nach Basel begeben, um dort sein
Doktordiplom zu holen. Daher that er seinem Schwager, der
ihn darum ersuchte, gern den Gefallen, jene ßeimzeilen zu
machen, die Job in dem 'Fürstbischof widmete. Die Holz-
86 Johann Fischarts religiös-politisch-satiriscbe Dichtungen.
schnitte dazu hatte Tobias Stitnmer geliefert, den Jobin seinen
„Gevatter" nennt. Es war also eine Art Familienhuldigung,
hauptsächlich aber ein buchhändlerisches Unternehmen, eine
Spekulation. Jobin wollte zeigen, dafs er auch gut katholische
Schriften herausgebe. Aufserdem hat Fischart in der Vor-
rede sich sehr vorsichtig ausgedrückt. Er spricht kein Wort
zur Verherrlichung jener Papste, wohl aber die schönsten zu
Ehren der deutschen Kunst gegenüber dem Mifsbrauch durch
die Welschen.
Der andere Punkt betrifft die Derbheit des Aus-
druckes, die Fischart von vielen so schwer angerechnet wird.
So wenig — um mich eines volkstümlichen Spruches zu
bedienen — jemand aus seiner Haut fahren kann, so wenig
kann auch der gebildetste Mensch verleugnen, dafs er ein Kind
seiner Zeit ist. Alle polemischen Schriften jener Zeit zeigen
eine grofse Leidenschaftlichkeit und Derbheit in Sprache und
Darstellung, weil eben die Leidenschaften der Menschen durch
die Ereignisse fortwährend angefacht wurden. Und wehe dem
Schriftsteller jener Zeit, der in Leben und Wandel nicht un-
tadelhaft dastand; er wurde schonungslos an den Pranger ge-
stellt. Nichts aber bringt die Menschen mehr in Aufregung
als religiöse Streitigkeiten, besonders wenn diese vom Fanatis-
mus geschürt werden. Unsere Zeit, die in religiöser Hinsicht
schon vielfach lau oder kalt geworden ist, sieht daher auf den
Eifer jener Zeit mit vornehmem Lächeln herab, oder findet ihn
gar inhuman, pöbelhaft etc. Allein in jener Zeit war die Reli-
gion für die Menschen noch eine innige Herzenssache, und es
galt aufserdem einen Streit um Sein oder Nichtsein! Das ver-
gesee man nicht und beurteile diesen Dichter jener Zeit in
dieser Hinsicht auch nacii seiner Zeit, um so mehr, da man
doch auch die Derbheiten (um keinen anderen Ausdruck zu
gebrauchen) des heute so viel bewunderten Shakespeare — der
darin wahrlich einem Fischart nichts nachgiebt — mit dem
Mantel der Liebe bedeckt.
Da Fischart aber ein Mann war, der durch seine Bildung,
seine Kenntnisse, seinen Geschmack seine Zeitgenossen weit
überragt, so hätte er — meinen andere — dies auch dadurch
zeigen sollen, dafs er eben alle Derbheiten vermeide. — Alle
Jobann Fischarts religiös-politisch-satirische Dichtungen. 87
Derbheiten zu vermeiden, war in jenem Jahrhundert keinem
Dichter, Schriftsteller etc. möglich, man denke z. ß. an Luther ;
und seien wir ehrlich, auch in unserem Jahrhundert nicht ! —
Wohl aber zeigte sich der wahrhaft Gebildete dadurch, dafs
er dieselben so viel wie möglich vermied. Dies that dann
auch Fischart. Wenn man seine Schriften mit denen seiner
Gegner vergleicht und anderen dieser Zeit, so zeigt sich die
grofse Mäföigung Fischarts auf jeder Seite. Wenn ihn jedoch
die Entrüstung verleitet, sich im Stile seiner Zeit und seiner
Gegner auszudrücken, dann weifs und fühlt er recht gut, dafs
er zu heftig, zu derb geworden ist — die anderen fühlen das
aber nicht einmal — und er bittet höflichst um Verzeihung,
oder er erklärt, dafs man diese Person oder Sache der Wahr-
heit gemäfs nicht anders bezeichnen könne, z. B. :
Derhalb jr billich Laeser all,
Wie herb auch scheint dis schreiben,
Lafst euch nichts ärgern jzumal,
Man mus die Wahrheit treiben,
Man mus den Bluthund Bluthund nennen,
Dan er ist je kein Schaf etc. (Reveille matin 29.)
Ein solchen flegel gebeert ein solcher schlegel.
Ich mus grob reden von der sach.
Weil ich hab vor mir grobe knoepff:
Die Laug mus sein gleich wie die koepff.
(Dominici Leben 2872.)
P^ürwar, solch Laurenwerck vnd gspoet
Macht, das ich was hefftiger redt,
Denn wer kan solch Gottslesterung
Vertragen on Verantwortung. (Idem 2655.)
IL Fisoharts Sprache.
Gegen das Ende des 15. Jahrhunderts war das Mhd. auch als
Schriftsprache erloschen.* Die einzelnen Dialekte, welche sich in den
letzten Jahrhunderten stets mehr entwickelt hatten, traten nun gleich-
mäfsig in der Schriftsprache auf, so dafs die sprachliche Einheit Deutsch-
lands verloren zu gehen drohte. Glücklicherweise entstand jedoch jetzt,
* Vergl. Zarncke, Das Narrenschiif p. 275.
88 Johann Fiscliarts religiös-politisch-satirische Dichtungen.
besonders unter Luthers Vorgang, das Neuhochdeutsche, das all-
mählich die Mundarten aus dera Gebrauche als Bücher- und Schrift-
sprache verdr.ängte und fast alle deutschen Stämme wieder durch eine
Sprache verband. Diesen Sieg hat das Neuhochdeutsche jedoch nur
sehr langsam errungen. Die Schriftsteller des 16. Jahrhunderts wollen
teilweise noch gar nichts von dieser neuen Sprache wissen und halten
sich an ihre Mundart. Andere schlössen sich ihr vollständig oder doch
im wesentlichen an. Zu letzterer Kategorie gehört auch Fischart.
Seine Sprache ist im allgemeinen die hochdeutsche.** Diese ist
jedoch stark beeinflufst durch die siidfränkische Mundart, speciell durch
den Strafsburger Dialekt. Dazu kommt noch eine ziemliche Anzahl
mhd. und einige niederdeutsche Wortformen. Alle diese zusammen
bilden etwa ein gutes Drittel seines Wortschatzes.
Ehe ich Fischarts Sprache im Einzelnen darlege, mufs ich noch
einige Bemerkungen über seine Orthographie vorausschicken.
Nach Vilraars Untersuchungen zeigt Fischarts Orthographie drei
deutlich unterscheidbare Perioden: „Was vor 1575 gedruckt ist, zeigt
zwar Anfänge einer selbständigen Schreibung, aber weder ist eine
solche, noch sind jene Anfänge selbst konsequent durchgeführt. Im
Jahre 1574 bildete sich Fischart eine eigentümliche, an den Dialekt
des Elsasses angeschlossene, wohldurchdachte, wenn auch in einigen
nicht, unerheblichen Funkten fehlerhafte Schreibung, und hielt bis zum
Jahre 1578 streng darauf, dafs die Setzer dieser Schreibung folgten.
Vom Jahre 1578 an wird seine Einwirkung auf die Setzer schwächer
oder lässiger und hört mit dem Jahre 1582, nachdem er Strafsburg
* Ich kann daher nicht zugeben, was H. Rückert, Geschichte der nhd.
Schriftsprache II, 18:'>, sa^t: „Alle diese litterarischen Heroen (nämlich
P^ischart u. a.) stehen entschieden nicht unter Luthers Autorität; sie
schreiben die Gemeinsprache, aber jeder in seiner Weise und jeder in
seiner eigenen Orthographie." Dem steht entgegen, dafs Fischart sich
deutlich bewufst ist, hochdeutsch zu schreiben und dies aucli wiederholt
erklärt, z. B. Nachtrab 1003:
Weil sie dann kommen also grob
So mufs man jhn das Rappenlob
Ein wenig auff gut hochdeutsch sagen etc.
Diesen Ausdruck könnte mnn freilich auch so auffassen, dafs Fischart
diesmal deutsch schreiben wolle statt lateinisch, allein warum sagt er
dann nicht schlechthin „deutsch" oder „gemeindeutsch", sondern hoch-
deutsch?
Johann Fischarts religiös-politisch-satirische Dichtungen. 89
verlassen und die Korrektur von Speier und Forbach aus nicht mehr
selbst besorgen konnte, ganz auf, so dafs in den von 1582 — 88 ge-
druckten "Werken es der Geneigtheit der Setzer überlassen blieb,
Fischarts Orthographie beizubehalten oder zu beseitigen. Er selbst
scheint die wesentlichsten Stücke seiner Orthographie von 1575 bis
an sein Ende beibehalten zu haben, — so dafs die schlechten Formen
mit dt in kondte, gewandt, wirdt etc. und vieles andere nur den Setzern
zur Last fällt."
Wenn ich diese Ansicht an den hier behandelten Dichtungen
prüfe, so finde ich sie im ganzen zutreffend. Meduse Kopf (1577),
Malchopapo (1578) zeigen uns demnach die eigentliche Orthographie
Fischarts. Beide enthalten keine Konsonantenhäufungen, keine Ver-
doppelung des f, k, z nach Konsonanten und langen Vokalen, kein ew,
aw, sehr wenige Dehnungs-h u, s. w. Eine fast gleiche Orthographie
bieten auch die Tierbilder (1573), welche jedoch im Rev. Matin (1575)
wieder bedeutend zur früheren Schreibweise neigt, und im Gorgoneum
Caput (1577) ist dieselbe ganz wie früher. Dies ist auffallend. Nach
Vilmars Ansicht mOfste man gerade das Gegenteil erwarten, oder sollte
die Entstehungszeit von Gorgoneum caput nicht älter angesetzt werden
müssen, als man bis jetzt that?
Charakteristisch für die vier zuerst genannten Dichtungen ist
auch, dafs in denselben zum erstenmal der Diphthong ai auftritt, der
später wieder fast ganz verschwindet.
Die drei zuletzt behandelten Gedichte: Spanische Armada (1588),
Meuchelmord (1589), Gegenbadstüblein (1589), welche „der Geneigt-
heit der Setzer" überlassen blieben, zeigen in der That die gröfsten
orthographischen Willkürlichkeiten. Im allgemeinen schreibt Fischart
die Wörter mit kleinen Anfangsbuchstaben (im Jesuiterhütlein ist
es gerade umgekehrt). Häufig (allein durchaus nicht konsequent) ge-
braucht er grofse Anfangsbuchstaben bei Wörtern, auf welchen der
Redeton liegt, oder welche er sonst hervorheben will, weshalb sie auch
bei allen Wortarten erscheinen. Jedoch ebenso häufig stehen sie nicht,
wo man sie erwarten sollte ; ja es giebt genug Verse, in denen fast
jedes Wort mit grofsen Anfangsbuchstaben geschrieben ist, z. B. :
Auch Vnser Hörn Vnd Stärck Zerbrach (Jesuiterb. 80.)
Zwei Hoerner mit Vil Gsteyn Versetzt.
Fürs Dritt Versuchstück in Der Wüsten. (Id. 309.)
90 Jobann Fischart s religiös-politiscb-satirische Dichtungen.
1. Die Vokale.*
Die durchgreifende Veränderung im Vokalismus, welche schon
im Spätmittelhochdeutsch anfing, nämlich Dehnung der alten Kürzen
in betonten Silben, hat bei Fischart bereits sehr grofsen Umfang ge-
wonnen. Diese neuen Längen unterscheiden sich jedoch dadurch vom
Neuhochdeutschen, dafs Fischart sie nach Bedürfnis auch noch als
Kürzen gebraucht. Wenn die ursprüngliche Kürze sich erhält, so wird
schon in den meisten Fällen der folgende Konsonant verdoppelt. Daher
die Doppelschreibweisen wie: dan, dann (Nachtr. 384);** jederman,
jedermann (id. 392, 1295); Got, Gott (Tierbilder 8, 14); Stathalter,
Statthalter (Malchopapo 4, 13) u. s. w.
Andererseits erfuhren die ursprünglichen Längen vielfach Verkür-
zung, wobei dann der folgende Konsonant oft verdoppelt wurde. Diese
Verdoppelung ist jedoch noch nicht konsequent durchgeführt, weshalb
sehr viele Formen mit und ohne Verdoppelung abwechseln, z. B, herschen
(Tierbilder 148), herrschen; er hat, halt (Nachtrab 630) u. s. w.
Andere Veränderungen im Vokalismus sind ein Ausflufs der
dialektischen Aussprache, besonders die Trübung oder Ver-
dumpfung der Vokale. Da auch bei Fischart, wie schon bei Brant,***
die Konsonanten selbst nach langen Vokalen vielfach verdoppelt werden,
so ist ferner nicht blofs eine Trübung der Qualität, sondern auch der
Quantität der Vokale anzunehmen. Daher ist auch hier anwendbar,
was J. Grimm (Gr. I, 213) sagt: In allen diesen Wörtern gilt nur ein
gleichförmig betonter Laut, den man weder kurz noch lang nennen kann.
Indem ich nun den Vokalismus Fischarts entwickle, mufs ich
noch zuvor bemerken, dafs manche der hier unten angeführten Kürzen
auch schon als Längen vorkommen, ganz wie im Neuhochdeutschen.
Manche Formen sind blofs aus einem oder mehreren Gedichten belegt;
dieselben finden sich jedoch, wenn nicht ausdrücklich anders bemerkt
ist, auch in den übrigen hier behandelten Dichtungen.
* Da für die alten Umlautsbezeiclinungen von a, o, u mit darübergesetz-
teni p, für den alten Diphthong u mit dariibor<resetzteni o (= mhiK uo) in
<ler Druckerei keine Typen vorhamien sind, so wurden diese durch ae, oe,
ue und uo ersetzt, was icli beim Vokalismus (pag. 90, 97 u. s. w.) beson-
ders zu beachten bitte. Da jednch bei Fischart, obwohl sehr selten, aucli
fiie Bezeichnung ae vorkommt, so wurde letztere zur Unterscheidung mit
fetten Lettern gedruckt.
** Ich eitlere, wie schon erwähnt, nach der Ausgabe von H. Kurz,
J. Fischarts sämtliche Dichtungen, Leipzig 1866.
*** Zarncke, Das Narrenschifl" p. 279.
Jobann Fischarts religiös-politiscb-satirische Dichtungen. 91
o) Kurze Vokale.*
1) Mhd. a. Dem mhd. a entspricht durchweg a, z. B. das, anders,
machen, hab, bafz N. 290, Habich N. 18, schandlich N. 1614, kallen
N. 534, Man N. 880, Plarr J. 460 (mhd. plärren). Fadem J. 257,
ancke K. 550, dannoch R. M. II, 3; N. 689, einfaltig T. I, 37, Mar-
melstein K. 17, Statt (=: urbs) K. 118. Ausnahmsweise steht eine
Nebenform mit Umlaut in getter N. 593, 221.
2) Mhd. e und e sind verwischt. Sie werden bei P'ischart durch
e oder ä, ae wiedergegeben, ohne dafs sich für diese Bezeichnungen
ein deutlicher Unterschied im Gebrauche, wie im Nhd., wahrnehmen
liefse.
Beispiele für e: het N. 79, betten N. 77, zelen N. 2128, erzelen
N. 760, gefeilt N. 891, heltst N. 265, geste N. 1541, stet N. 214
(Staetten N. 1959), bletter N. 222, erger N. 53, 266 (aerger N. 3552),
frembd N. 3242 (fraembd Sp. A. II, 6), quelen T. 134, Hering Sp.A.
II, 229, hellisch N. 1456, hencken Sp.A. II, 37, nemlich N. 595
(fürnaemlich T. 53), weren N. 2034, schweren N. 143, 154, tregt
N. 3249 (traegt T. 77), bespraengen T. 127, Kaessel T. 123, Laeser
R.M. I, 29, belaegerer Sp.A. II, 26, Widersaecher J. 529.
Beispiele für e: sehen, lesen, nemen (nemmen N. 2279), fressen
hertzen, spehen N. 1786, begeren N. 738, ausleschen T. 207, rechen
J. 118, ergetzen J. 216, selbs N. 2645 (selbst N. 2915).
In einigen Wörtern steht statt e; 1) ö, oe, z. B. Mör, Mör-
wunder etc. M. sehr häufig, Moer Sp.A. I, 2 (auch Meer I, 21),
Hoelle (hoel), hoellisch T. 89, 98, boesser Sp.A. II, 10, beschwoeren
Mp. 89, Hoerföhrer Gb. 405; 2) ae in Haeffen D. 568; ferner oe
statt e z. B. woellen N. 745.
Anmerkung. Der Vokal e für mhd. e kommt durchgangig vor
in N., Sp.A., G.c, T., J., jedoch nicht in K.M., M., Mp. In letz-
* Bei der Darlegung der Vokale nehme ich als Basis den mhd. Voka-
lismus, um einen festen Ausgangspunkt zu haben.
Die verschiedenen Gedichte eitlere ich unter folgenden Abkürzungen
nach der Ausgabe von H. Kurz :
N. = Nachtrab. M. = Meduse Kopf.
K. =r Barfüfser Sekten- und Kuttenstreit. Mp. = Malchopapo.
D. = \on St. Dominici etc. artlichem Leben. J. = Jesuiterhütlein.
T. = Tierbilder. Sp.A.= Spanische f Armada.
R.M. = Reveille Matin. Mm. = Meuchelmord.
G.c. = Gorgoneum caput. Gb. = Gegenbadstüblein.
92 Jobann Fiscliarts religiös-politisch-satirische Dichtungen.
teren Gedichten steht auch meistens ae, seltener ä, das überhaupt ver-
hältnismäfsig nicht viel vorkommt.
3) Mhd. i ist geblieben im Anlaut mancher Wörter, besonders
beim Pronomen steht dafür auch : j.
Beispiele: vil M. 78, G.c. 19, Mp. 51 etc., in Cinn)> ist, sint,
nit, rit N. 1092, stilst N. 1243, .stim N. 2869 (stimm N. 2882),
gewin N. 944, spil, ligen N. 686, 900 etc. (liegen N. 910), dick
{= oft) N. 134, siehst : flehst N. 275, geschieht N. 413, sieht N. 718
(siht N. 1079, sihet N. 1708), anficht Sp. A. II, 285, Wider J. 502 etc.,
nider J. 910, dis M. 41, diser M. 34, diselbig R. M. 62, diselb T. 28,
jm N. 15 (im N. 105), jn N. 37, jr N. 3 (ir N. 1), jrren N. 3195 etc.
In einigen Wörtern steht statt i ein ü (we), würd T. 86, 171 und
öfters, würfFt N. 714, vi^ürcken N. 1510, wüfzt, wüst J. 47, 153,
1 88 etc., also stets nach lu.
4) Mhd. 0 ist geblieben, in einigen Fällen jedoch durch Umlaut
zu oe geworden.
Bei,«piele: vor, wol N. 876, hol N. 2347, noch, Obs N. 2320
(Ops Sp. A. 72 und öfters), foreht T. 144, öffentlich N. 722, from
N. 2161 neben frumb N. 205, 117, sonder (mhd. sunder) J. 378,
hornig (hoernig) J. Titel, Moerder Mp. 61, foerderst J. 515 u. s. w.
NB. Neben trotz findet sich auch trutz N. 405, wie mhd. troz
neben truz, traz; ähnlich hoele neben huele N. 2833 u. öfters, Donner
neben dunder N. 3215.
5) Mhd. ö entspricht ö oder oe, z. B, moeeht, götter etc.
6) Mhd. II wird durch u oder v wiedergegeben, und zwar anlau-
tend durch v, inlautend durch u.
Beispiele: vnd, vnuerstand, vnuerschempt und dergl., schmucken
N. 1378, spuren N. 823, rucken Sp. A. 11, 5 (neben rücken), kundbar
N. 1335, besunnen, entrunnen N. 1540, gunnen, gewunnen N. 3557,
duncken, geduncken N. 227, 416 ete., verrücken, gucken N. 3310,
verzucken N. 2485, Sun N. 1929 (häufiger jedoch Son N. 1125, oder
Sohn), Nunnen N. 276G, bur.st N. 2204, hur.'=^t N. 3180, gülden M. 68
(gewöhnlich jedoch golden), muzen M. 26, rucke N. 708, trutz N. 139,
butz N. 140.
Dagegen zeigt sich schon die Dehnung in: lugen J. 357 (mit
Umlaut Lügen S. 391) u. a.
7) Mild, ü wird bald durch ü, bald durch iie ausgedrückt, ferner
im Anlaut eines Wortes durch v.
Johann Fischarts religiös-politisch-satirische Dichtungen. 93
Beispiele: vber, vberfallen u. a.; fiierdern N. 146, guennen N.
2791 (neben gunnen N. 3557 und goennen N. 3585), mueglich N.
822, 2651 etc., muegen N. 1345, Sp. A. II, 231, geluebde M. 129,
kuetzel D. 38, huelffen Sp. A. II, 171, tuermeln T. 154, fruembkeit
N. 3720, kuennen N. 2125 (neben können N. 2690), luege N. 1857
(neben lugenwerck N. 1856), für, Gehürn T. 177, J. 197, küssen
J. 327, Münch N. 853, 858 sehr oft (neben Miiench), stück N. 765.
In manchen Wörtern steht für ue (n).
a) ö: störzen T. 216, förchten N. 929, 2202 etc., Moenster T.
b) i: schiren R. M. I, 5, zinden, pfitze N. 1864. c) uo: kuofst N. 99.
d) 11 : nutzlich J. 471, D. 312.
In anderen Wörtern ist jedoch mhd. ü wie im heutigen Neu-
hochd. zu ö geworden, z. B, Koenig, goennen, moegen, Moench etc.
h) Lange Vokale.
1) Mhd. ä entspricht a, manchmal auch, besonders im Reim, o;
äw ist meistens zu au kontrahiert.
Beispiele: han N. 286, bestahn : ausgahn N. 850, 3317, abgan
M. 118, Verlan N. 122, lasen T. 114, xMp. 91, stat N. 582, bestaht
J. 232, Jar (Jahr) T. 3, war T. 2, N. 1120 (warlich), darmit N. 82,
darbey N. 1 72 (do N. 94) ; — bestohn N. 379, stobt : gebot N. 285,
gethon : (person) N. 3308, vnderlon : vndergon N. 1872, Roht : gebot
N. 286, rot (= Rath 331) N. 817, mol N. 2918, geroth : kot N.
3688, lossen ; Verstössen N. 3640, krora : (Rom) N. 3156, zumol :
(wol) N. 3222, Som : (Rom) G.c. 33.
Die meisten o statt ä finden sieh in Nachtrab. Die Verdoppelung
des langen a tritt schon wiederholt auf z. B, Jaar D. 1631 u. öfters,
Schaaf J. 221, Aaron etc. Einigemal steht o statt au (mhd. äw),
z, B. blo J. 145, gro J. 145 (graw K. 38), Klogen J. 56, 81
(Kloen J. 62).
2) Mhd. ae wird bald durch ae («), bald durch e* ausgedrückt,
ohne dafs sich ein Grund dafür auffinden liefse.
Beispiele: theten N. 344 u. öfters, kem N. 343 etc., vnfletig N.
954 (vngfletig 701), nem N. 1552, leg N. 2015, sefz 2688, erkleren
N. 308 (erklaeren 319), bewehren N. 2605, wer N. 76 (wäret 33,
99); — staets T. 83, staet N. 177, Schaeflin N. 1036, bewaerung
T. 55, kaem R. M. 4, gefäfz R.M. II, 34, faehlen J. 432 etc.
* Was auch mhd. schon vielfach in den Handschriften vorkommt.
94 Johann Fischarts religiös-politisch-satirische Dichtungen.
Anmerkung, e für mhd. ae findet sich am meisten im Nachtrab,
ferner in den Tierbildern, im Jesuiterhötlein u. a. Dagegen in Meduse
Kopf, Malchopapo und Reveille Matin steht durchgängig ae; ä kommt
nur selten vor.
3) Mhd. e bleibt; in einigen Wörtern steht ee, z.B. erst, verkert,
keren N. 3676, mehr etc., See D. 1847, Seel (Soel, Sael) M. 83, 89
und öfters, Mp. 76.
4) Mhd. % wird durch i ausgedrückt oder diphthongisiert zu ei^
wofür in manchen Wörtern auch exj steht.
Beispiele: schniden N. 177, pliben T. öfters, triben T. 11, schriben
T. 170; — Maenlin N. 2205, Laendlin N. 1187, stueblin; N. 91 —
mein, dein, sein etc., bei, Leib, schreiben N. 73, scheinen N. 80, fein
N. 97, weil N. 167, gleich N. 166, weit N. 249, nein; — Eysen
N. 3096, bey T. 29, schreyen T. 29, 47, speyen J. 397.
Selten steht y statt i, z. B. Paradyfs J. 315. Statt ei findet sich
in einzelnen Fällen auch m, z. B. Fund (Feind) J. 212.
5) Mhd. ö bleibt o, z. B. so, also, gros (grofs), Ionen N. 2696,
stro N. 3293, fro N. 2542, not N. 818, rot N. 817, kotecht N. 716,
stosen R. M. 60, stos R. M. I, 3 etc.
6) Mhd. oe entspricht gewöhnlich oe (seltener ö).
Beispiele: groeser M. 9, schoen M. 61, löfsen M. 153, schnoed
M. 150, hoechst Mp. 100, troesten Mp. 101, plöd T. 147, Roemisch
N. 51, boese N. 57, vnnoetig N. 494, schön N. 497.
7) Mhd. ü ist zu au diphthongisiert, wofür in einigen Wörtern
auch die Schreibweise aw auftritt (vergl. ou).
Beispiele: auflF, aus, tausend, schnauben N. 57, Kaufs N. 101,
brauch N. 488, maul N. 520, D. 925, bauch Sp.A. 921, schlauch
Sp. A. 210, bauen J. 136, säumen N. 2871, es daucht N. 2827; —
bawen N. 94, 3303, G.c. 46, bawer N. 232, Saw N. 34 und öfters,
J. 454 (Sau 582).
8) Mhd. iu als Umlaut von ü wird durch «ew, äxi (aeiv), oder
durch eu (eiv) ausgedrückt.
Beispiele: Baeuch Sp.A. 209, ausser J. 219, äuserlich J. 215,
M. 89, T. 27, euserst N. 3368 (eusserlich J. 868, 872, D. 4517),
Meufs N. 2763, D. 4144, heuser N. 809, vngseuberlich N. 1028, Seul
T. Titel, Meuler D. 573, Leufs D. 885, seumen D. 4222; — Saew
T. 4, 16; Sewhirt N. 1090, Gebaew N. 3409, Saeubad Gb. 7.
Johann Fischarts roligiös-politisch-satirische Dichtungen. 95
Mhd. hl als Kontraktion eines ehemaligen Diphthongen wurde zu
eu, ew; in einigen Wörtern zu aw. (Die Schreibweise ew, aw wird
gebraucht, wenn der Stamm auf w auslautet.)
Beispiele: heut N. 63, euch, Teuffei N. 150 (TeüfFel 3156),
Leute N. 209, teutsch N. 92, neu, scheuen J. 15 etc.; — er beut,
zeucht, fleufst Sp.A. II, 327 etc.
Bei den Verben ist mhd. in im Präsens schon meistens zu ie ge-
worden, z. B. er biet, ziecht Sp.A. 101 etc. etc.
Beispiele für ew, aw : ewer N. 7, 83 u. öfters, new N. 90, 92,
rew N. 2118, rewen N. 3502, schewen N. 260, schew N, 3539, trew
N. 171, 618, grewel N. 156, 607, thewer N. 2565, stewr N. 1448,
fewr N. 1058, Abenthewr : ghewer N. 3621; — vertrawen N. 438,
brawen, trawen R. M. II, 15.
Anmerkung. Im Barf. Sekten- und Kuttenstreit steht durchgängig
statt eu eü, z. B. heüt, Leiit, Teüffel u. s. w. Einigemal steht auch
ei statt eu, z. B. deiten J. 241, scheichen N. 2385. Endlich findet
sich noch die Form Fründe N. 2140 neben Freunde.
c) Diphthonge.
1) Mhd. ei wird durch ei oder ey wiedergegeben, in einigen Ge-
dichten durch ai.
Beispiele: kleiben N. 74, meinen N. 79, ein, kein, heilig, zeichen,
Heimet N. 111, frumbkeit N. 208 ; — eyn J. 25, keyn J. 105, Heyden
J. 50, Steyn J. 158, Schwachheyt, Ewigkeit J. 105, heylig (heilig); —
Heyligkeit G. c. 24, Eyer G. c. 62 ; — dagegen ain, kain M. 9, mainen
M. 57, Haidentum, Aigentum M. 121 ; — hailigthum T. 6 (neben
Heiligtum 77), ain (neben ein) T. 78; — ainerley Sp.A. II, 44.
Die Schreibweise ey findet sich durchgängig in den Gedichten
seit 1580, also in den letzten, jedoch teilweise auch in Gorgoneum
Caput. Über ai sieh oben pag. 89.
2) Mhd. ou wurde a) zu o im Präteritum der Verben der U-Klasse,
z. Bi bog, log (liegen) N. 1550 etc.; b) zu au, wofür in gewissen
Wörtern auch aw steht, welche Schreibweise bekanntlich schon in mhd.
Handschriften vorkommt.
Beispiele: auch, schauen, glauben N. 95, äuge N. 339, laufen
N. 2020, rauben, Raub Sp.A. II, 198, 199, glaubig J. Titel; —
hawen N. 513, 1495, Sp.A. II, 146 u. s. w.; fraw N. 334.
96 Johann Fischarts religiös-politisch-satirisclie Dichtungen.
Anstatt au steht einigemal, besonders im Reim, auch eu, z. B,
erleuben N. 682 (erlauben 604), gleuben sehr häufig in D. 4661,
4240 etc.
3) Mhd. öu ist meistens zu aeu geworden; in einigen Wörtern zu
eiü. Im St. Dominici etc. dagegen steht durchgängig eu.
Beispiele: verlaeugnen N. 945, Raeuber : aufsstaeuber Sp. A. I, 19,
raeuberisch N. 804; frewen N. 165, Sp. A. I, 40 und sonst häufig,
verdevven N. 1419, Hewschrecken N. 3204; — Beir<piele aus D. :
Reuber 1385, Zeuber, Zeuberey (mhd. zouber, zouberie) 4074, 4082,
Treum 3967, barheupt 803, weitleufftig 746, leufft 4185. Hierher
gehört auch das Wort Loeenhaut T. 41, in welchem das w ausge-
fallen ist.
4) Mhd. ie wurde zu i (= i), welches jedoch vielfach ie ge-
schrieben wird.
Beispiele aus N.: hie, hier, wie, riechen 53, bhielt 27, ziehen 58,
schier 64, liefs 65, dienen 66, biegen 128, liegen 1550 etc.; aus
Malchopapo: hi 1 (hie 59), wiwol 14 (wie 2, 13), schir 53, diner 43,
verbiten 36, schlisen : genisen 95 ; aus den Tierbildern: wiwol 13 (wie
79), dinst 12, hilten 34, Spigel 68, hizu 76 (alhie 77), lib 115, lisen
148, dinen 195, Thir 210; aus Meduse Kopf: Thir 17, lib 59, schir
116, verliren 118, siden : verbiten 128 etc.; dagegen wieder in Span.
Armada: hier, dienen, fliegen, lieff 12, Tieffe 2 u, s. w.
Mhd. ie ist dagegen meistens zu Je geworden in ie * und den damit
zusammengesetzten Wörtern, z. B. jederman N. 79, jeder N. 73, jetzund
N. 82; dagegen ie vnd ie Mp. 60, ider Mp. 67, jder R.M. II, 29.
Auch findet sich noch durchgängig die Form liecht, welche jedoch
reimt auf nicht N. 1231, 1490 und öfters. Nebeneinander kommen
vor: fiengen : fingen Sp. A. II, 121.
5) Mhd. uo ist zu einem einfachen langen u geworden ; nur einmal
findet sich noch: ruossig D. 706.
Beispiele: zu, must, mus, gut, mut N. 72, thut N. 206, genug
N. 245, Fürstenthumb N. 1150, Bistumb N. 206, 1388, stul N. 1332,
erhüben N. 1644, vnfur M. 32, Fürstentum, Hailigtum M. 77, 78,
rum R.M. I, 46, erhub R.M. II, 10, Almusen J. 226.
In Gorgoneum caput und teilweise auch in Barfufsler Sekten- u.
Kuttenstreit wird der alte Diphthong uo, wie schon in mhd. Hand-
Paul, Mittelhochd. Gr. § 16, Anm.
Jobann Fischarts religiös-politisch-satirische Dichtungen.
97
Schriften gern durch u mit darüber gesetztem o bezeichnet, z. B. zuo
G.c. 4, muofs G.c. 40, Huor G. c. 9 ; — muost K. 46, genuogsam
K. 102, zuo (zu) K. 23, buoben : gruoben K. 111. Viele der aus uo
entstandenen langen Vokale erfuhren jedoch schon Verkürzung,* z. B.
Mutter, mufs, stund N. 2857, pfrunden J. 350 u. s. w.
6) Mhd. üe wurde zu einem einfachen langen ue (u).
Beispiele: buecher, fueren (fuehren) N, 1623, 1792, Sp.A. 11,
rueren N. 2652, rüren T. 75, muesen : fuesen Sp. A. I, 50 (muessen :
fluessen 11, 212), külen Sp.A. II, 181, genuegen II, 188, frue
II, 192 u. s. w.
Anmerkung. Der Buchstabe y kommt meistens blofs in Fremd-
wörtern vor; ey = ei (s. d.), z. B. Cyclops J. 31, Apollyon J. 42,
Mayestetlich J. 305 (vergl. Mayesteten, Maiesteten Mm. 4, 95), So-
dany J. 356, Paradyz J. 315 u. s. w.
Zusammenstellung.
Wenn man von dialektischen Abweichungen und anderen unregel-
mäfsigen P'ormen absieht, so Lafst sich für den Vokalismus in Fischarts
Gedichten folgende Tabelle aufstellen:
Mhd
a; a
= ¥
iscbar
t a; a (o, aw), aa.
15
»
e, ae |
! J
=
»
6« «Oa O/»
n
e
=
M
e (ee).
M
i
=
«
i (j).
>5
i
=
»
i (ie); ei (ey).
»3
o; ö
=
n
0 (oe); 08, ö.
w
ö; 06
=
»
ö; oe (ö).
JJ
u; u
=
)5
u (v); au (aw).
«
ü ; üe
=
5»
ue, ü (v).
»5
iu (Umlaut)
=
>?
aeu, äu (aew); eu (ew)
M
iu (ehemaliger
D
iphthong)
=
>J
eu, ie, ew (aw).
M
ei
==
»
ei (ey, ai).
>5
QU
=
n
au (aw), ö.
J5
öu
=
»
aeu, oe (eu, ew).
»
ie
=
n
i, ie (je).
M
uo
=
M
A.
* Vergl. auch Flöhhaz; hrsgb. v. Wendeler, Halle 1877: stuond : wund
630; aufstuond : gund 794.
Archiv f. n. Sprachen. LXXV. 7
98 Johann Fischarts religiös-politisch-satirische Dichtungen.
2. Die Konsonanten.
Bei den Konsonanten ergeben sieh ähnliche Erscheinungen wie
bei den Vokalen. Eine veränderte, ungenaue Aussprache stiftete allerlei
Verwirrung an. Eine verworrene Orthographie, welche der veränderten
Aussprache Ausdruck zu geben suchte, warf den Konsonantismus erst
recht durcheinander und steigerte noch die Verwirrung. Infolge davon
finden wir eine Zerrüttung, Häufung und Zusammensetzung, welche
die frühere Reinheit und organische Verschiedenheit zertrümmerte.
Die mhd. Auslautgesetze zeigen sich bei Fischart nicht mehr,
denn nicht nur media, sondern auch doppelte muta wie liquida stehen
im Auslaut. Dies ergab besonders für den Reim wesentliche Verände-
rungen, indem nun Konsonantenbindungen eintraten, welche mhd. un-
möglich waren.
A. Gemination.
Die Geminationen, welche das Mittelhochdeutsche schon hatte,
sind geblieben. Dagegen ist nach den kurz gebliebenen hochtonigen
Vokalen der einfache Konsonant bald verdoppelt wie im Neuhochdeut-
schen, bald in der mhd. Schreibweise belassen, d. h. nicht verdoppelt.
Letzteres ist besonders bei Verbalformen der Fall.
Beispiele: dan, dann N. 384, from, fromm N. 2162, stira, stimm
N. 2869, schlim N. 159, Man, Mann N. 880, Got, Gott R.M. I, 27,
Himel, Himmel M. 40, wan, wann R.M. I, 9, vnbekant N. 359, kan,
kann N. 550, kanst, kannst N. 992, nent, nennt N. 129, nanten T. 26,
genant N. 1726, kenten N. 1629, entran N. 1041, zertrent N. 2286,
gefeit G.c. 80, trift R.M. 14.
Die gröfste Willkür in Bezug auf Gemination findet sich in dem
Gedichte „Tierbilder".
Beispiele zur Gemination 1) der liquida: vnnd (vnd) N. Titel,
ermannung N. 704, 1648 (manen 1801), jnnen G.c. 25, darinn N.
583 (drin 594), nemmen N. 484, 735 (nemen 1949), vernummen N.
982, kommen N. 2213, Nammen : zusammen K. 57 (vergl. Namen :
gramen D. 691); Namen : zusammen Gb. 151; — gesell N. 726,
sollst (solst) N. 996, fall N. 2862, woell : soell J. 796 u. a. m.
2) der muta; doerffen N. 79, dörffst N. 45, dorffst K. 816, darffst
K. 1445, darff K. 1196, rufl^en N. 3274, auff J. 19, 24, N. etc., wirfft
D, 56, kieffen, ruffen D. 161, ruempffen : schimpffen D. 224, auff-
Johann Fischarts religiös-politisch-satirische Dichtungen. 99
opffern T. 164 (opfern 163), beropfft J, 3717, dapffer J. 2458, ver-
niinfftig K. 251, offt K. 292, TeufFel K. 211, 292, J. 29 (Teufel K.
258, J. 456, Theufel J. 46), Teüffel N. 3156, WoelfF und Wolf T.
42, 43, fünfFK. 101, zwoelff N. 3058 u. s. w. ; — gecken N. 229,
geduncken N. 416, gebückt N. 3221, sohwenck N. 2412, sterck N. 3207,
hencken N. 3221, Storck N. 3512, versenckt : beschenckt D. 264; —
erdappen N. 3150, schlappen : Kappen D. 114, trappeln D. 131; —
anbetten : getretten N. 170, T. 92 (vergl. erbeten : tretten D. 320),
verbotten N. 511 (verboten 1176), vmwatten N. 2477, Wetter N. 1016,
geboften Sp. A. II, 110, Gebott : Rott J. 264, bestettigen : settigen
N. 2632, fett : thet D. 321, Zotten : Rotten D. 564; — dartzu N.
1483, dautzen N. 1170, letzlich N. 422, Schaetze J. 364, zwentzig
K. 56, gesaltzen : geschmaltzen N. 1975, weltzen N. 1890, .«chertzen
N. 1576, schetzen N. 1443, schwetzen N. 3205, gantz, scheutzlich
J. 64, hertz T. 143, Frantzosen R. M. 26 (Franzosen 58).
Die Konsonanten f, k, z werden in Meduse Kopf, Malchopapo,
teilweise auch in Tierbilder, wie schon bemerkt, nach Konsonanten
und langen Vokalen nicht verdoppelt.
Über die Gemination von s und z sieh unten pag. 102, 103.
B. Konsonantenhäufung.
Diese findet durchgängig bei dt statt und zwar meistens im Aus-
laut, zuweilen auch im Inlaut. Sie kommt jedoch nicht vor in Meduse
Kopf, Malchopapo, Rev. Matin I und teilweise in den Tierbildern.
Beispiele: man kendt N, 558, wirdt Gb. 131, Goldt Sp. A. 182
(Gold 211), niemand! G. c. 1 (neben niemand), Pferdt, Feldt, Engel-
landt Gb. 140, 172, Fedterbusch D. 850, schildt D. 845 u. s. w.
C Über die Konsonanten im besonderen.
a) Sonorlaute.
1) Das auslautende (mhd.) m hat sich noch erhalten in: Fadem
J. 150, 257 etc., besem D. 2686 etc.
2) Das mhd. mh kommt noch vor in : umb : dumb N. 110, 520 etc.,
darumb N. 96, 174, warumb N. 498 etc.
Nach Analogie davon treten auch Formen auf wie: frumb N. 177,
fruembkeit N. 3720, Fuerstenthumb N. 1150, Bisthumb N. 1386 u.a.
Meduse Kopf, Malchopapo, Tierbilder haben jedoch diese Formen
nicht, also Babstum T. 4, drum T. 172 etc.
7»
100 Johann Fiscbarts religiös-politisch-«atirische Dichtungen.
3) Zwischen m und einem folgenden t, st wird in gewissen Wörtern
ein p oder h eingeschoben, letzteres durchgängig bei Adjektiven.
Beispiele; kompt N. 236, J. 449, K. 69 u. a., kompst N. 576,
stimpt N. 394, schlempt : frembd N. 1021, schlempst vnd dempst N.
1520, nimpt N. 2152, ruempt N. 2659, K. 33, verdampt : sampt N.
3634, J. 526, Ampt N. 889, 1314, Amt Mp. 67 (in Tierbilder stehen
beide Formen), vnuerschampt N. 1367 (vnuerschamt Mp. 68, T. 110),
fuernembst N. 1123, 2337, froembst N. 3427, vngereimpt N. 1033,
Hembd, Sambstag u. a.
4) Das mhd. w (iuw, ouw, öuw, uw, dw) ist bei Fischart in den
meisten Gedichten noch erhalten, und zwar auslautend und vor Konso-
nanten ; in anderen ist es wie im Nhd. abgefallen (vergl. auch Voka-
lismus).
Beispiele: hawen N. 513, 1495, frawen N. 334, Saw N. 3434,
Saew N. 416 (Sewhirt N. 1090, Saeubad Gb. 7), bawen N. 94, 303,
Gebaew N. 3409, Bawren N. 232, frewen : schewen N. 260, new
N. 90, 92, ewer N. 7, 83, rew Sp.A. 96, N. 3502, trew N. 171,
grewlich Sp.A. II, 13, N. 156, Blawfuz K. 20, graw K. 38 u. a. •
5) Mhd. 7 ist anlautend geblieben. Zwischen zwei Vokalen
ist es ausgefallen, wie im Nhd. Zu bemerken ist noch, dafs beim
Pronomen anlautendes j für i steht, z. B. jm N. 15, jn N. 37, jr N. 3,
jhres etc.; jder T. 73, jderman T. 91.
Auch da, wo j aus mhd. ie entstand, klang es oft noch rein
vokalisch, z. B. hie : je N. 2785, je : sie D. 941, ie : hie Mp. 60,
jzunt M. 142 (dagegen: jetzund N. 82, 96, jetzunder N. 278, 625,
jetzt N. 84, jetz N. 18).
6) V vertritt anlautend auch die Vokale u, ü, inlautend dagegen
wird es selbst durch u wiedergegeben, z. B. vnuerschampt, vertringen
N. 757.
b) Geräusch laute.
1) Die media b wird anlautend, selten inlautend, in gewissen
Wörtern zur tenuis; ebenso die media d anlautend und auslautend,
selten jedoch inlautend.
Beispiele mit p im Anlaut und Inlaut: pUck N. 1685, plicken
M. 47, J. 15, 280, par N. 1526, J. 286, plitz N. 3215, naupen :
schnaupen N. 57, plut M. 74, T. 127, prennen R.M. I, 65, prand
Johann Fischarts religlös-politiseh-satirische Dichtungen. 101
N. 58, Mp. 20, priinstig T. 184, plenden N. 80, R.M. I, 44, pringen
N. 126, R.M. II, 27, prauchen N. 127, Mp. 107, R.M. 144, J. 376
(brauchen J. 440, T. etc.), prechen Mp. 106, T. 177, J. 445, pleiberi
T. 11, R.M. 74, J. 110, plei N. 85, prif N. 102, praten N. 127,
priiten N. 12, Mitprüder Mp. 73, prallen T. 180, plöd T. 147, prummen
J. 421, gepüren J. 629.
Dagegen findet sich die media in: bossen N, 34 (bussen 2562),
gebicht N. 2353 (= pechen), Bapst N. 99 (auch Papisten N. 2627,
Pabst, Papst), bochen N. 1161 (pochen N. 1412), Britsche N. 1006,
Schaafbeltz J. 490.
Beispiele mit t im Aolaut etc.: tringen N. 424, 3236, Mp. 26,
G.c. 68, Sp. A. I, 35 (betrengen Sp. A. II, 340), gelt N. 122, Sp.A.
I, 34, J. 322, Golt Mp. 16, Trach (auch mhd. trache) M. 16, troifach
M. 75, trei J. 21, trifach J, 303. gedult : vnschult R.M. I, 9, 19,
wuntern M. 37, Tueterich Mp. 103, schultig R.M. I, 19, verterben
Mp. 98 u. a., milt (auch mhd. milte) Sp.A. II, 72, Toppelhorn J, 251,
ticht vnd tracht D. 581, neben dichten, trachten D. 737.
Dagegen findet sich die media in: doli N. 35, 297, vnder N.
1874, 1880, 1884 (auch mhd. under) neben unter; daptfer N. 2458,
Sp.A. II, 340, doben N. 3522 (toben 3631), diente N. 1732 {= Tinte),
doellpisch N. 3052, erdappen N. 3150, draube N. 1888, Schwerd Mp. 27.
2) Ein t wird angeschoben in: dannocht N. 714, 1309; jedoch
findet sich auch dannoch.
3) Der Buchstabe c kommt nur in Fremdwörtern vor, ferner in
den Verbindungen ck, ch, sonst steht zur Bezeichnung der tenuis k.
4) Die mhd. Aussprache des h hat sich noch in einigen Wörtern
erhalten, nur steht dann ein ch geschrieben. (Im Nhd. ist jenes h
stumm geworden.) Es ist dies besonders der Fall bei den Verben :
sehen, geschehen, fliehen, verzeihen, ziehen, scheuen, z. B. siehst N.
867, sieht 718 (auch noch siht N. 1079, 1708), secht N. 697 (seht
1069), sech ,J. 377, geschieht N. 413, verzeicht N. 2859, fliecht N.
3447, ziecht Mp. 42, Sp.A. II, 101, J. 706, scheucht J. 123.
Auch in anderen Wörtern findet sich noch ch, wo es nhd. ver-
stummt ist, z. B. rauch N. 2190, beinach J. 306, befelch N. 2744.
Ausnahmsweise steht statt „fliegen" die Form „fliehen", welche
mit „vnderliegen" reimt (N. 905).
Auslautend ist mehrfach ch eingetreten, z. B. manch R.M. I, 21.
102 Johann Fischarts religiös-politisch-satirische Dichtungeru
Der Gebrauch des h als Dehnungszeichen hat schon ziemlich
um sich gegriffen und zwar nicht blofs nach Vokalen, sondern
auch in Verbindung mit t als th. In einigen Wörtern wird es auch
mit anderen Konsonanten verbunden, besonders mit r, z. B. verrhaten
N. 776, 821, R.M. I, 20, J. 355 etc., vnrhu N. 3494, befolhen (?)
N. 2164, neben befohlen N. 2179, Author R.M. 25, auffrhur J. 355,
berrhümet J. 510 u. s. w. Dagegen finden sich noch sehr viele Wörter,
in welche das Dehnungs-h noch keinen Eingang gefunden oder in denen
die Schreibweise noch schwankt, z. B. Son, Jar N. 1007 (Sohn, Jahr,
Jaar K. 13), jaeilich, zal N. 3190, bezalen N. 1500, wal N. 1756,
erwelen N. 1769 (erwehlen 762), fart N. 1486, du erferst N. 466
(widerfehrt 2486), stul T. 10, gfar N. 208, manen N. 180, erman-
nung N. 704, fülen N. 822, stelen N. 914, verhelen N. 2810, ver-
raten N. 1226 (rathen 1476), fueren N. 1633 (fuehren 1792), fro,
froelich N. 1840, war, warlich N. 1120 (wahr 2879), angenem N. 2790,
fuernem N. 1621, vngelert N. 3008, on N. 1226 (ohn 1204) u. s. w.
4) Das mhd. z, tz wird bei Fischart im Inlaut und Auslaut stets
tz geschrieben, z. B. setzen N. 11, holtz 103, gantz N. 141, J. 16,
gäntzlich D. 3346, kurtzumb N. 623, kuertzlich D, 258, schwartz N.
882, Ertzhirt N. 1096, Frantzoesisch N. 276, butz N. 140, J. 1019,
jetz N. 18 (jetzt 84), jetzund N. 96, itzunder D. 198, Hertzog Gb.
410, Printz Gb. 418, Saltz Gb. 393, 434, trutzen 346 u. s. w.
Dagegen findet sich, wie schon oben bemerkt, einfaches z in
Malchopapo, Meduse Kopf, z. B. schüzen Mp. 8, stuerzen : kuerzen
Mp. 64, Schaez Mp. 40, Schaz M. 87, sezen M. 136, ganz M. 146,
herz M. 92 u. s. w.
Im Rev. Matin und den Tierbildern kommen beide Schreibweisen
vor, z. B. Frantzosen R.M. 26 — Franzosen 58, herzen T. 147 —
hertzen 142 u. s. w.
5) Das mhd. 3 ist mit dem s zusammengefallen. In der Schrei-
bung dieser Konsonanten herrscht in Fischarts Gedichten die gröfste
Verworrenheit. Im Einzelnen finden sich folgende Schreibweisen :
a) / steht im Anlaut und inlautend vor t, z. B. fein, gewefen
N. 9, fagen 25, alfo 41, vnfer, fich, diefer 45, derfelbig 65 (dallelbig
N. 146, D. 347), dafelbft N. 121, böfe N. 57, lofe N. 158, gelefen, er
lift (ließt N. 66), wift K. 247, gröfer R.M. 17, J. 18, groeft D. 434
(aber: groffe D. 197, Gb. 19), muft N. 17, D. 75 (mucßt), mueft
Jobann Fischarts religiös-politisch-satiriscbe Dichtungen. 103
K. 82, halft Mp. 29, K. 89 (heilt N. 87, D. 140, haißt R. M. 53),
gehaifen Mp. 27, anmafen Mp. 65, fchlifen : genifen Mp. 95, lafen
(— lassen) Mp. 91, fafen J. 71, Mnfigang J. 232, deft N. 174, ftoft
K. 94 (floßt R.M. 7), weift Gb. 83), fuefe Mm. 96 etc.
b) s steht durchgängig im Auslaut der Pronomina und in den
Endungen der Adjektive etc., z. B. vns, des, das, folchs, es, alles,
anders, welchs N. 94, deines, feines N. 131, guts N. 136, Teuffels
N. 140, nichts, was (erat) N. 491, eins, jedes u. s. w.
Dagegen haben Barf. Sekten- u. Kuttenstreit, Dominici artliches
Leben, Rev. Matin, Malchopapo s auch in den Wörtern und Formen,
in welchen die anderen Gedichte fi aufweisen; manche Wörter finden
sich in zweifacher Schreibweise.
Beispiele: aus N., K. 93, D.68etc. — auß J. 23, Gb. 8, N.30,
101. dis K. 115, D. 435 — diß Gb. 85, J. 27, N. 163. mus
K. 179, D. 1, R.M. 32, Mp. 91 etc. — muß N. 84, 505, J. 61 etc.
gros K. 111, R.M. 3, D. 8 — groß N. Gb. 51. boes D. 187,
Boshait R.M. 19 — boeß J. 89, Boßheit J. 85. bis D. 62 — biß
N. 403, J. 446. gewis K. 115, Mp. 51 — gewiß N. 256, D. 127.
bas K. 202, D. 9 — baß Mp. 111. hies : lies K. 170 — ließ
N. 422, R.M. III, 17. heis : beis D. 310 — fleiß : heiß N. 367.
Im D. steht: Flus 268, vberflus 8, zeugnus 173 etc.; in N. verdam-
nuß etc. 161.
c) ß steht im Auslaut, im Inlaut meistens vor einem Konso-
nanten.
Beispiele: weiß N. 88, R.M. II, 36, aeß : kaeß N. 27, haßt
N. 97, kueßt : gewißt N. 100, aß : saß N. 114, Hauß : auß N. 101,
haß D. 68, heßlich N. 46, alßdann N. 23, Gb. 287, faßnacht N. 80,
Halß J. 208, Gb. 391, Pariß N. 401, laßt Mp. 90, R.M. 31; aber:
laft R.M. ni, 12, laeßt Mp. 30, Gaenß Gb. 292, Glaß Gb. 86, Boeß-
wicht J. 487, heißt Gb. 457 (heift Gb. 461).
Im Barf. Sekten- und Kuttenstreit wird ß auf folgende Weise ge-
schrieben: /s, welches sonst nur vereinzelt vorkommt, z.B. Hafs : Fafs
K. 23, aufs 25, bifs 152, hefslich 154, Hafs D. 197 etc.
d) Das gerainierte rahd. 33, ss wird Jf geschrieben.
Beispiele der Gemination: belTer, WalTer, gewiffen, müITen
N. 143 (müfen Mp. 95, J. 135), laffen, halfen, deffen, maffen
(= Mafsen) (anmafen Mp. 65), heilTen : beilTen N. 480, Reuffen
104 Johann Fischarts i-eligiös-politiscb-satirische Dichtungen.
N. 679, BarfuelTer ; SuppengielTer D. 118, rellTen : bevleiflen D. 50,
weiffe D. 99, willen : riffen J, beyllen J. 151 (heyfen 505); Küffen :
Füffen J. 327, befleilTen J. 327, groffen J. 636 (grofe J. 878, groß
J. 910), eufferlich J. 869, Geyffeln J. 873, Hechffenwetter J. 964,
auITerkoren J. 548 (außgefüUt J. 663).
In einigen Gedichten, z. B. Malchopapo, Meduse Kopf, unterbleibt
häufig die Gemination.
6) Mhd. s vor 1, m, n, w ist schon durchgängig zu seh geworden,
ebenso das s nach r. Dagegen wurde mhd. hir3 zu: Hirz N. 175,
D. etc.; Hirtzkoerner J. 245.
3. Der Reim.
A. Verhältnis der Vokale zueinander im Reim.
Obgleich Fischart beim Reime im allgemeinen ebenso streng wie
bei der Versmessung verfährt, so findet sich doch eine beträchtliche
Anzahl unreiner Reime. Auch manche reine Reime stellen sich dem
Auge nicht gleich als solche dar, da die beiden Reimworte häufig mit
abweichender Orthographie geschrieben sind, z. B. erzeygen : vber-
steigen J. 111, vnterlan : hon N. 540, Liecht : vernicht J. 96 u. s, w.
(sieh die Reimworte). — Der Reim ist stumpf oder klingend;
ersterer überwiegt bei weitem. Um einen passenden Reim heraus-
zubringen, macht Fischart nicht nur von Synkopen, Apokopen und
Zusammenziehungen etc. den weitgehendsten Gebrauch, sondern er ver-
wendet dazu auch Worte und Wortformen, die sonst nicht vorkommen,
z. B. blieben : grueben N. 1470, — gruoben : Buben N. 2328, —
mueg (= Mühe) : sieg N. 1345, — betten (=: bitten) betten N.
2291, ~ drab (darob) : Rab N. 2404, — beschirmpt : gestirmpt
N. 2445 (vergl. stuermen 2458), — Unter tonen : schonen M, 133, —
beschlossen : verblosen Sp. A. II, 195, — gewifst : kuefst N.
100, — gespeyen : schreyen N. 47, — gelachen : sachen N.
942 u. s. w. Sehr gern verwendet er beim Reime Dialektformen,
ältere Verbalformen, überhaupt ältere Worte, z. B. Roth : gebot N.
286 (sonst Rath 331 etc.), — krom : Rom N. 3156, — geroth :
kot N. 3688, — Som (= Same) : Rom G.c. 33, — Rom : Trom
(= Traum) Sp.A. 280, — stosen : losen (= lassen) N. 1045, —
Lucifer : ferr J. 967, — verloren : Hören (sonst: Huren) M. 96,
124; — Mönchen : verduenchen D. 415, — an : verstahn D. 504, —
Johann Fischaits religiös- politisch-satirische Dichtungen. 105
vnterlan : hon (= Hohn) D. 540, — han : kan D. 601, — grund :
bestund N. 120, — fund : gekundt N. 123, — rucken : Prucken
Sp. A. 5 (vergl. Bruecken : juecken D. 270), — vntertrucken : ver-
schlucken Sp. A.II, 13, — pruch (z^ brauche) : such Sp. A. I, 34 etc.
Ich gehe nun über zu einer Zusammenstellung Fischartischer
Reimworte. Ich sehe dabei von einer Zurnckführung auf den nihd.
Vokalismus ab und nenne Längen und Kürzen so, wie sie Fischart
hier gebraucht. Es reimen nun folgende Vokale : *
a) Kurze mit kurzen.
1) e : ä (e). setzen : schätzen N. 1442, — Netz : Schaetz J.
375, — setzt : schaetz N. 2600, — geschlecht : bedecht N. 1554. —
gedenckt : draengt N. 1650, — erstäncken : erdencken T. 121, —
naerrt : zerrt G.c. 20, — Welt : helt G. c. 80 u. s. w.
2) ä : ö. oelgoetzen : schaetzen M. 111, N. 1985, — schaetzen :
Papsgoetzen Gb. 95.
3) e : ö. wölffen : helffen N. 911, — feilen : woellen N. 914, —
woellen : gsellen N. 925, — verhetzen : goetzen N. 1065, — keck :
Stoeck T. 63, — stell : woellG.c.25, — Leutfresser : boesser Sp. A.
II, 10 u. s. w.
4) i : M. geflick : stück N. 1011, — begännen : singen N. 1450,
wissen : fuessen N. 1515, — suend : Kind N. 1557, — stuermen :
beschirmen N. 2455, — kuennen : sinnen N. 1391, — gewinnen ;
kommen (veniunt) N. 2544, — künnen : drinnen N. 2581, — Papisten :
brüsten N. 2628, — gegruendt : findt 3475, — Ghürn : hirn T. 177,
Dirn : zürn M. 57, — Koenigin : Heldenkün Sp. A. I, 25, — glueck :
flick Sp. A. 11, 90, — Wüsten : Christen J. 310, — künnen : ge-
winnen J. 184 u. s. w.
5) M : w. butzen : herspruetzen N. 995, — murmel : tuermel
T. 154, — schuetzen : nutzen D. 235.
6) 0 : M — i '. eu {ü) — i : ö — o : a. kommen : vernummen
N. 982 (wahrscheinlich, weil ersteres Verbum dialektisch auch kummen
lautet; vergl. auch: fund : auffkumpt Sp. A. 215), — vmb : kom D. 330.
Ahnlich sind wohl zu beurteilen: konten : erfunden N. 647;
* Diejenigen Reime, welche nichts Besonderes darbieten, lasse ich un-
erwähnt.
106 Johann Fiscbarts religlös-politiscli-satirische Dichtungen.
vergl. gekundt : f'undSp.A. 123; — sind : verfreund D. 93; vergl.
finden : Fründen N. 2140; — sin : koen D. 759, — woell : viel
N. 641; vergl. viel : will 768; — bossen ; vnderlassen N. 2390; vergl.
stosen : losen 1045.
Auch reimt: Moerder : Ortter D. 865. Dieser Reim ist jedoch
nicht bedenklich, da in letzterem Worte, wie das bei Initialen die Regel
ist, der Umlaut unbezeichnet blieb.
b) Lange mit langen.
1) e : ä (e) fehlen : erwehlen N. 1355, — gelehrt : erklaert N.
1798, — Baeren : zuerweren T. 130, — gesaeet : aufgehet Sp. A.
II, 155, — Sehne : Winterkrae D. 784.
2) e (ä) : ö. erkleren : aufhören N. 2665, — vberthoeren : be-
weren N. 3301, — gebaer : Moer M. 7, — geht : schnoed M. 150, —
Koenig : wenig Sp. A. II, 41, — moegen : zuwegen Sp. A. II, 131, —
wehren : zerstoeren Gb. 200, — erhoer : kehr Gb. 224.
3) rt : 0 meistens in Dialektformen, mal : hol N. 1354 (vergl.
znmol : wol N. 2918, 3222; andermal : wol, allzumal : wol D. 600,
775), — braten : errothen (sonst rathen), — schon : gethan N. 2530
(vergl. gethon : person 3308), — erzogen : plagen D. 671 (vergl. Flogen :
flogen J. 64; plagen : sagen D. 751); — ähnlich ist wohl auch der
Reim; dahin : versoen D. 864 aufzufassen.
4) M : z {ie). führen : zieren N. 967, — schluegen : kriegen N.
1163, — spielt : wuelt N. 1350, — blieben : grueben N. 1470, —
zufuehren : pancketieren N. 2520, — mueh : hie N. 2677, — vben :
schriben T. 170, — verfiir : Thir M. 24, — gstigen : lügen M. 25, —
muegen : kriegen Sp. A. 11, 231, — müh : sie Sp.A. II, 141, — sie :
frue n, 191, — gewiesen : fuessen II, 294.
5) ei : eu, aeu. Reuter : leider N. 820, — leut : reit N. 860, —
reiten : beuten (= erbeuten) N. 1310, — deuten : seilen N. 855, —
Reussen : preisen N. 680, — traeumen : reimen T. 95, — treuen :
seien T. 205, — antreiber : Landreuber Sp.A. 98, — fleufst : reifst
Sp.A. II, 327) vberdaeuben : zuverkleyben J. 913, — ruraeuchen :
zuweychen J. 915, — Leut : Eyd J. 206, — heut : Leyd J, 117, —
vielleicht : reucht D. 775 u. s. w.
Anmerkung. In den Gedichten, in welchen cd statt ei steht, reimt
ai nicht nur mit ai, sondern auch mit eu, ei und aeii^ z. B. Laien ;
Johann Fiscbarts religiös-politisch-satirische Dichtungen. 107
scheuen T. 165, — kain : sein T. 210, — zaichen : Raeuchen
M. 93.
6) ei : ew. verdewen (=z verdauen) : seyen N. 1420, — schreyen :
schewen N. 1454, — new : drey N. 2700, — schew : abgoetterey
N. 3540, — speien : frewen D. 741.
7) aeu : ew, aeio : ew. gemaeuer : tbeur M. 70, — Gebaew :
new N. 3410.
c) Kurze mit langen.
1) a : d. vberal : waal N. 1158, — lan : Mann N. 1015,
2497, — bezalt : gefallt N. 1544, — zsammen : kamen Sp. A. II, 27, —
schaden : gestatten J. 94, — an : han J. 820 u. s. w.
2) M : M. würd : gebort T. 171, — killen : fuellen Sp. A. II, 181
(vergl. Küssen : Füssen J. 326).
3) u : ü. Vergl. pag. 96 Nr. 5; ferner Flöhhaz : muster : Schu-
ster 95.
4) e : e, ä. lesen : Messen T. 181, — kernen : vernemmen N.
1076, — ferr : wer (:= esset) G. c. 37, — erkenne : auflehne Sp. A.
II, 291, — Gebett : entgegensteht Gb. 115, — Welt : fehlt Gb. 387,
Mayesteten : tretten Mm. 4.
5) e : ö. woellen : quelen T. 134, — moerden : wegkehrten
Gb. 449.
6) 0 : 0. spott : kot N. 2014, — Rom : hinkomm N. 2225, —
mochst : versteht Gb. 134, — holen : Wollen Gb. 384, — Stollen :
Kolen Gb. 475.
7) i : ie. gewifs : hiefs N. 1051, — will : spiel N. 1435, —
dien : gewinn N. 1127, — hielt : schilt N. 1235, — Schiffen : Tieffen
Sp. A. 1, — Schiff: lief Sp. A. 11, — gewis : lies D. 521, — drinnen :
Einen J. 381.
8) i : ü. gefuehrt : Wirt N. 1520, — kuenst : dinst (servire)
N. 1601, — kuennen : dienen 1657, — erwuest : ist N. 2335, —
will : fuel N. 2400, — vngewifs : gruefs N. 2697, — dritter : gueter
Sp.A. 84.
B. Verholten der Konsonanten zueinander im Reim.
Im allgemeinen sind die Reime, was die Konsonanten betrifft, bei
weitem nicht so entstellt wie hinsichtlich der Vokale. Im einzelnen
ist folgendes zu bemerken :
108 Johann Fischarts religiös-politisch-satirische Dichtungen.
1) Durch die gewaltsamen Apokopen, Synkopen etc. entstand eine
Anzahl Reime, welche für Fischart gewifs reine Reime sind, z. B. ge-
melt : weit N. 2615, — hüt (=: hütet) : anfsbrüt J. 1021, — Argu-
ment : blendt J. 901, — behendt : das end K, 35, — die wett : redt
D. 144, — ausgered : stet D. 360, — es schad : gebad D. 367, —
verblend : getrent D. 631 u. s. w.
2) Da mhd. s, 3 längst zusammengefallen sind, so wird auch im
Reime keine Rücksicht mehr auf die ursprüngliche Verschiedenheit der-
selben genommen, z. B. was : laß N. 270, — vergeffen : gewesen N.
111, — blafer : haffer J. 960, — laffen : geblafen K. 310, — hafs :
gras K. 329, — was : haß D. 67, — Saltz : Hals D. 324, — Eseln :
Neffeln D. 879, - boefer : gröffer D. 881 u. s. w.
3) In Liquidalverbindiingen wird gern die media und tenuis der
Dentalen und Gutturalen gebunden, weil die Aussprache gleich war,
z. B. trinkt : verschlingt Sp. A. II, 17, — blind : zindt D. 274, —
Lenden : Endten D. 294, — bald : gewalt D. 305, — wird : verwirt
D. 764 u. s. w.
4) Verschiedene Konsonanten scheinen im Auslaut der Reimworte
nicht ausgesprochen worden zu sein, besonders t, b, zuweilen auch n.
Beispiele: gemerckt : werk N. 3120, ■ — hinweg : schmeckt N.
2835, — gleifserwerck : verbergt N. 3227, — setzt : schaetz N. 2600, —
gepflanzt : gantz N. 3457, — krank : geschwankt N. 3461, — Geitz ;
reitzt Sp. A. I, 7, — grausen : thausent K. 80, — Probst : Ops Sp. A.
11, 71, — schnaps : Pabst J. 405, — schufs : wufst N. 2724; —
Concilium : frumb N. 3340, — Kutzumb : Judicium Sp. A. II, 227, —
summ : drumb N. 2600, — Predigern : genediger D. 470.
5) In vielen Reimworten gleicht sich das eine dem anderen in
Form und Orthographie an, z. B. darumb : kumb (= kommt) N.
2215, — bedt (= Bett) : redt N. 2481, — geflohen : gezohen (= ge-
zogen) 2215, — lez : Nez N. 100, — F:ngelbnrck : fiirck Sp.A. II,
154, — Kelch : befelch (=1 Befehl) T. 151, — versucht : beschucht
(= beschuht) T. 151, vergl. Holzschuher D. 615, — erschreck : hin-
wegk G. c. 1 u. s. w.
4. Versmessnng.
Fischarts Verse haben, gleichviel ob stumpf oder klingend, vier
Hebungen und in der Regel ebenso viele Senkungen ; erstere sind immer
einsilbig.
Johann Fischarts religiös-politisch-satirische Dichtungen. 109
Fischart mifst seinen Vers, oder richtiger gesagt, zählt die Sil-
ben peinlich genau. Er beginnt gewöhnlich mit einer Senkung und
zählt dann unbarmherzig konsecpient weiter, ohne alle Rücksicht auf
den Wortaccent oder auch die Quantität. Seine Verse sind also Jam-
ben, jambische Dimeter, die wohl hyperkatalektisch sein können, was
jedoch nicht gerade oft vorkommt.
Gewöhnlich fällt die Hebung auf die betonte Wort silbe und
dann fliefst der Vers lasch, wenn auch monoton, dahin; allein es giebt
auch Verse genug, bei denen das nicht der Fall ist. Wie solche Verse
klingen, mögen einige Beispiele zeigen :
So die Keyser solln han gethon. J. 366.
Von Schätzen der Welt, die mein sein. J. 364.
Der will Gaistlich halsen allain. Mp. 32.
Der die Leut stainhart macht vnd eitel. M. 50.
Wider jre gebot vnd geheifs. N. 3600.
Die katholisch Fraw Julia. N. 3304 etc. etc.
Es ist schade, dafs der reichhaltige und oft geistreiche Inhalt
dieser Dichtungen in einer solchen unbedeutenden Form stickt, wie
diese langweiligen Reimpaare. Die neuhochdeutsche Sprache hatte
damals leider noch keine neue poetische Form gefunden ; die alten
Reimpaare, einst so geschmeidig und klangreich, waren seit dem Unter-
gang der mhd. Poesie eintönig und hölzern geworden. Fischart hat
dies auch recht gut gefühlt und daher seinen Versen so viel wie mög-
lich Schwung zu geben versucht, indem er
1) der letzten Hebung einen Tiefton vorausschickte z. B. luegen :
vnfuegen ; haben : Landgraben ; lachen : nachmachen.
2) Indem er die Verse mit tieftonigen Silben beschlofs, welche
miteinander oder mit hochtonigen Silben verbunden sind, oder durch
Anwendung von klingenden Reimen, z. B. grund : Fridegrund R. M.
II, 4, — vnterschaid : boshait R.M. I, 17, — Baalei : Tirannei R. M.
III, 5, — oberkeit : weltlichkeit, — verrhaetern : mordthätern, —
Landerich : Chilperich, — Gonderich : vermessenlich, — Königs-
stammen : allesammen R. M. 11.
3) Durch häufige Anwendung von Synkopen und Apokopen, durch
Zusammenziehung und enklytischen Gebrauch vieler Wörter (sieh
hierüber unten), z. B. :
Sagt, dafs sie han vDghorsam gthan,
Dafs sie band Priestern Eh zuglan. N. 667.
110 Johann Fischarts religiös-politisch-satirische Dichtungen.
4) Durch Elision eines Vokales, z. B. :
Auffnemmen zu^rens Ordensglieder. N. 3289.
Auch du_Vnbaendiger Belial. J. 36.
5) Indem er manchmal Verse mit blofs drei Hebungen einstreut.
Im Rev. Matin wechseln Verse von drei und vier Hebungen fortwäh-
rend untereinander ab, z. B. :
Ja billich sagt im Sprichwort jr
Vnbill stos auf die Thür. — (1.)
6) Durch Variieren des Reimes, z. B. im ersten Gedichte des
Rev. Matin haben die vier ersten Verse gleichen Reim; dann folgen
lauter ge k reu zte Reime. Den SchUifs bilden zehn gleiche Reime.
Das Gedicht „Meuchelmord" und andere schliefsen ebenfalls in den
letzten Versen mit gleichen Reimen. Von den Liedern im „Gegen-
badstüblein" hat ersteres folgende künstliche Reim verschlingung: ab,
ab, aa, bb, cc; letzteres hat erst acht gleiche Reime und dann noch
zwei Reimpaare.
7) Indem er die damals so gebräuchlichen Flickwörter, z. B. eben,
frei u. s. w. möglichst vermied.
Merkwürdig ist, was J. Grimm in Bezug auf diesen Punkt sagt:
„Die Verse Fischarts sind holpericht, voll Flickwörtern" — während
Vilmar gerade das Gegenteil behauptet.
5. Synkope, Apokope, Zusammenziehungen.
1) Fischart macht von der Synkope und Apokope den ausgedehn-
testen Gebrauch, ohne alle Rücksichl, ob die betreffende Silbe ein ton-
loses oder ein stummes e enthalte. Ja man darf wohl sagen, die Ab-
werfung jedes au slau t enden e ist beim Substantiv, Adjektiv und
Verbum Regel geworden, z. B.:
Das er nit besser rett jr ehr. N. 56.
Dafs er sie plag, vergißt und quell. J. 1114;
er schmeck N. 406, — ich bit N. 847, — denck 411, — rit (= ritte)
N. 1092, — man kont J. 1106, — anschleg N. 1481, — die
sterck N. 3207, — leng 1186, — Laeufs : Narrenweyfs K. 77, —
Raenck : Lugenschwaenck J. 1060, — die Mitt : all Ritt J. 798, —
Haend : all End J. 805, — die Leut J. 1063, — durch mein krafft
J. 1061, — on (=r ohne) J. 766.
Johann Fiscliarts religiös-politisch-satirische Dichtungen. 111
2) Oft fallen ganze Flexionssilben ab, ja das Wort selbst wird
ergriffen. Infolge davon wird der Artikel oft enklytisch mit Substan-
tiven und Adjektiven zu einem Worte verbunden, z. B. dLeut N. 164,
dheuser N. 809, dgsellschafft N. 990, dkucken, dalten (= die alten)
N. 727, dschwein 759, dweltlich Herrschaft, ■ — - es ist bedeut R. M.
497, das laut (= lautet) 692, jr werd, thet, acht, schreit etc.; —
gtrifacht Ghürn .1. 314; —
Die warheit, weils ainfaltig red (^= redet). R. M. I, 37.
Die kleinen muefs (= müssen) jhr essen sein. 760.
3) Auch die Synkope des e (a) ist häufiger als die Schreibung
desselben; besonders bei den Vorsilben be, ge, z. B,: gsell N. 726,
bschuldigt 731, gsang 746, gfar 208, bhalten 368, bsih (= besieh)
565, — geredt N. 200, gredt 294 (geredet 196), geschmidt N. 818, —
nantst Mp. 43, wolln J. 1032, welchs N. 976, — drinn, drein N.
764 u. s. w.
4) Eine Folge der Synkope ist die Z usammen zieh un g eines
Wortes, oft mit Ausstofsung eines Konsonanten, z. B. eim = einem
N. 3249 etc. etc., deim = deinem N. 1459, seim 2421, du list
(= liefsest) dich schelten 1631.
Ähnlicher Art sind die Ziisammenziehungen der Präpositionen mit
dem Artikel, z. B. vndern = unter den N. 1518, — bein = bei den
2818, ons = ohne das 688; aufsn D. 140, zun (= zu den) fiisen
M. 30.
5) Sehr häufig sind die Zusammenziehungen des Pronomens, Ar-
tikels mit Verben, Konjunktionen und Pronomen, z.B.: fuerstu N. 994,
hastu 1702, wirstu 1734, magstu 467, sichstu 874, findstu 1248 etc.;
corrigierts = korrigiert das N. 3248, lans = lassen es 2831, hings =
hing sie F. 1664, hans = haben sie N. 2431; — ebenso müssens
N. 3385, seinds 1488, hettens 2117, koennens 1465, dieweils R. M.
I, 87, vnds N. 1750, danns 1820; sies = sie es N. 2460 (dagegen =
sie sie 2456), dirs = dir sie N. 1771, weils 3066, dafs = dafs die
N. 3143, das D. 360, wenns D. 4489, sichs = sich dessen D. 2504.
Merkwürdig sind folgende Zusammenziehungen:
O, wers (= wärest du) gewesen nit zu Rom. N. 250.
Als hets im sinn ein Bubenstück. 1686.
6) Andere bemerkenswerte Zusammenziehungen sind: ag, eg,
ig zu ei (ai, ey) wie im Mhd., z. B. : widerleit = widerlegt N. 1239,
112 Johann Fischarts religiös-politisch-satirischc Dichtungen.
auferleyt 2098, aufsgeleit 2889; seyt =: sagt N. 164, treit = trägt,
geseit := gesagt 1468, leit =: liegt 1467.
7) Im Gegensatz zu den Verkürzungen etc. finden sich auch,
jedoch nicht häufig und meistens im Reim, Verlängerungen der
Formen, z. B. schiltet N. 1644, gestaehlet J. 759, vngescheuet :
scheuet J. 1027 etc.
über die Verdoppelung der Konsonanten
im Altnormannischen.
„Soweit das handschriftliche Material bis jetzt übersehen wird" —
sagt H. Suchier in Ztschr. f. rom. Phil. III, S. 134 — „hat die Mundart
des eigentlichen Franciens keine Handschrift aufzuweisen, deren Nieder-
schrift dem 13. Jahrh. vorausläge. Durch diesen Umstand erlangen
die normannischen Handschriften des 12. Jahrh. für die Geschichte
der französischen Sprache erhöhten Wert. Besonders mufs die Gruppe
der noch in die Mitte des 12. Jahrh. gehörigen oder doch der Mitte
dieses Jahrhunderts nahestehenden Handschriften im Mittelpunkte des
philologischen Interesses stehen, da dieselben bei der Kürze der ältesten
Sprachdenkmäler als erste Repräsentanten der sprachlichen Gestaltung
einer französischen IMundart anzusehen und darum bei allen Fragen
der historischen Grammatik mit zu befragen sind." Alle diese Texte
sind jedoch leider nicht in ihrer ursprünglichen, sondern in mehr oder
Aveniger verderbter Fassung auf uns gekommen. „Quelque nombreux
et quelque importants que soient les anciens monuments du dialecte
normand" — sagt C. .Joret in den Memoires de la Societe de Lin-
guistique de Paris III (1878), S. 210 — „ils ne nous sont point par-
venus en general sous leur forme primitive ; recopies le plus souvent
par des scribes etrangers, ils ont perdu en grande partie les caracteres
de la langue dans laquelle ils avaient ete ecrits." Ihr anglonormanni-
scher Ursprung bringt es mit sich, dai's ihnen gewisse Eigentümlich-
keiten der Schreibweise anhaften, auf deren Entfernung vor allem Be-
dacht genommen weiden mufs, wenn man den ursprünglich reinen
normannischen Text der Vorlagen wieder erhalten will. Nun gab es
aber in der damaligen Zeit keine feststehende Orthographie, nach welcher
Archiv f. L. Sprachen. LXXV. 8
114 Die Verdoppelung der Konsonanten im Altnonnannischen.
Schreiber und Abschreiber sich hätten richten können ; „s'il y a eu
une orthographe quelconque au moyen age, c'est l'orthographe latine
qui a plus ou moins persiste dans le fran^ais.''^ Dazu kommt noch,
dafs gerade die anglonormannischen Schreiber durch besonders auf-
fallende Flüchtigkeit und Mangel an Sorgfalt sich auszeichneten. „II
n'existe pas, je pense" — sagt Gautier ^ — „de type plus exact de
mechants copistes que les scribes anglo-normands, lesquels ont eu lieu
de transcrire si souvent d'excellents textes normands." Ganz besonders
auch für die anglonormannischen Schreiber gelten die allgemeinen
Gründe für schlechte Schreibungen: Gelehitthuerei, dialektische Be-
sonderheiten, zufälliges Festhalten an einer in einem Lieblingsbuche
gefundenen Form, Trägheit oder übermäfsiger Eifer des Schreibers und
was der individuellen Gründe mehr sind. ^
Allerdings lag es zum Teil auch in den Oitsverhältnissen, dafs
die in England kopierten normannischen Vorlagen gewisse Verderbt-
heiten an sich trugen, die den Originalvorlagen nicht angehaftet hatten.
Noch lag ja das seit der Eroberung eingeführte Normannisch-Fran-
zösische mit dem Angelsächsischen, das nach wie vor von der Masse
des Volkes gesprochen wurde, im Kampfe. Es konnte nicht ausbleiben,
dafs die Wörter normannischen Ursprungs unter dem Einflufs fortwäh-
render Vermischung mit dem Angelsächsischen allmählich eine andere
Gestalt annahmen. Besonders waren es die Vokale, weniger die Kon-
sonanten, die eine Änderung erfuhren, „puis que l'anglo-saxon traitait
les gutturales .... de la meme maniere que ce dialecte."^
Die specifisch anglonormannischen Kennzeichen sind in der Reim-
predigt ^ ausführlich angegeben worden. Zweck dieser Arbeit soll es
sein, auf einem bestimmt umgrenzten Gebiete die Verdoppelung der
Konsonanten des Altnormannischen zu behandeln. Dafs eine genaue
und eingehende Untersuchung der Konsonantengemination im Altfran-
züsischen*^ dringend wünschenswert sei, hat A. Tobler bereits vor
' üautier, Epopees frau^aises I, S. 276; ähnlich Diez, Gr. I, S. 297.
- 1. c. S. 24tJ, Anm.
3 Francesco d'Ovidio In Romania VI: „Delle voce italiane che raddop-
piano una consonante prima della vocale accentata," Ö. 210.
'' Joret, Du C dans les langues romanes, in der Bibllotheque de
l'Ecole des hautes etudes, 16e fascicule, S. 290.
'■> Bibliotheca Norraannica. llerausggb. von H. Suchier. Halle 1879.
6 Zwar hat O. Faulde in Ztschr. f. rom. Phil. IV, Ö. 542—570 eine
Arbeit „über Gemination im Altfranzösischen" veröllentlicht, jedoch ist das
von diesem Verfasser verarbeitete Material nichts weniger als vollständig.
Die Verdoppelung der Konsonanten im Altnormannischen. 115
mehr als einem Decennium in den Gott. gel. Anz. 1872, S. 889 aus-
gesprochen.
Um das gesammelte reichliche Material zu erhalten, hat Verfasser
die hernach zu nennenden Texte mehreremal sorgfältig Wort für Wort
durchgelesen, jedes Wort, das mit Doppelung eines Konsonanten vor-
kam, aufgeschrieben, zugleich aber auch dasselbe Wort, wenn es sich
irgendwo mit einfachem Konsonant geschrieben fand , aufgezeichnet.
Für jeden einzelnen Fall sind zwei Stellen, und, wenn es besonders
wünschenswert erschien, ausnahmsweise auch mehr als zwei Stellen
notiert worden. Auch sind alle diejenigen Wörter aufgezeichnet wor-
den, die im Lateinischen, Germanischen, Celtischen, Arabischen und
Hebräischen Doppelkonsonanz haben, in den französischen Ableitungen
jedoch mit einfacher Konsonanz geschrieben sind. Auf diese Weise
glaubt Verfasser ein zu einer richtigen Beurteilung vollständiges Ma-
terial gesammelt zu haben.
Was nun die Texte anlangt, so sind folgende benutzt worden; sie
sind nach der Zeit der Niederschrift der Handschriften geordnet i und
in dieser Reihenfolge auch später citiert:
1) Handschrift L: La Cancun de Saint Alexis. In: „Ausgaben
und Abhandlungen aus dem Gebiete der romanischen Philologie."
Veröffentlicht von E. Stengel. Marburg 1881. (A.)
2) Das altfranzösische Rolandslied. Genauer Abdruck der Oxf,
Hs. Digby 23. Besorgt von E. Stengel. Heilbronn 1878. (R.)
3) Die Lincolner Handschrift von Li Cumpoz Philipe de Thaün.
Herausgegeben von Dr. E. Mall. Strafsburg 1873. (L C.)
4) Libri psalmorum versio antiqua gallica e cod. Ms. bibl. Bod-
leiana asservato. F. Michel, üxonii 1860.2 (OP.)
Es liegt auf der Hand, dafs zu einer Beurteilung der „Gemination im Alt-
französischen" vor allen Dingen ein ganz vollständiges, wenn auch auf eine
gewisse Anzahl von Autoren beschränktes Material zu Gebote stehen mufs.
Faulde hat zwar etwa zwanzig kontinental-französische und anglonorman-
nische Texte benutzt und so das Altfranzösische im allgemeinen behandelt,
jedoch aus keinem Autor auch nur annähernd das ganze Material gesammelt.
Einzelheiten zu übersehen, ist freilich bei solchen Arbeiten sehr leicht mög-
lich ; indessen fehlen bei Faulde manche sehr wichtige Formen.
1 Für die Bestimmung der Reihenfolge ist für uns besonders mafs-
gebend gewesen, was in der Reimpredigt auf S. XVIII (20), XXVIII (39),
XXXVIII (Z. 5 ff.) und auf S. XXXIX über Alter und Reihenfolge un-
serer Handschriften gesagt wird.
^ Von den Canticis in OP sind nur die sechs ersten benutzt.
116 Die Verdoppelung der Konsonanten im Altnormannischen.
5) Die Holmcoltraner Handschrift des unter Nr. 3 genannten
Werkes. (CC.)
6) Bibliotheque de l'Ecole des hautes etudes. 52^ fascicule. Paris
1882. Lapidaires fran9ais des XII% XIIP et XIV« siecles publies
par L. Pannier. (L.)
7) Le livre des psaumes edite par Francisque - Michel. Paris
1876. (CP.)
8) Aus der unter 5 genannten Hs.: Tiie Bestiary. In Populär
treatises of science. Edited by Thomas Wright. London 1841. (B.)
9) Les quatre livres des rois. Par M. Le Roux de Lincy. Paris
1841. (Q.)
Gleich hier möge erwähnt werden, dafs zugleich mit L benutzt
wurde: Marbodi liber lapidum seu de gemmis ... a Johanne Beck-
manno. Gottingce 1799. Zu den Psalmen (0 P und C P) wurde be-
nutzt: Biblia Sacra Vulgatae Editionis ... edidit Valentinus Loch.
Ratisbonae 1849.
Zu erwähnen ist noch, dafs der accent aigu nur auf das e der
letzten Silbe mehrsilbiger Wörter, das im Auslaut oder vor s steht,
gesetzt ist; ebenso ein Trema auf den zweiten von zwei Vokalen, die
in anderen Worten diphthongische Geltung haben. Aufserdem sind
die Accente unserer Texte nicht beibehalten worden.
Die Konsonanten h, j, k (q), v (w) und x treten nie gedoppelt auf.
In folgender Reihenfolge sind die einzelnen Konsonanten behan-
delt worden: c, g; assibil. c oder g vor e, i; t, d, s, z; 1, r, m, n;
p, b, f.
Ferner möge hier noch erwähnt werden, dafs diese Arbeit nahezu
vollendet war, als „Die Aussprache des Latein" von Emil Seelmann
(Heilbronn 1885) erschien. So gut es ging, ist dieses wertvolle Buch
noch nachträglich benutzt worden.
Nicht unerwähnt darf endlich bleiben, was H. Suchierin dem Vorwort
zu den jüngst erschienenen Lais der Marie de France, herausgegeben von
K. Warnke, über den normannischen Dialekt sagt : „dafs das Norman-
nische niemals eine Volksmundart der Normandie gewesen ist. Das
Anglonormannische hat sich erst nach dem Jahre 1066 von dem Nor-
mannischen abgezweigt, und wenn sie sich auch in einigen Punkten
seitdem in gleicher Richtung entwickelt haben köntiten, führt doch die
Übereinstimmung der beiden Idiome fast durchweg auf den Zustand
der Sprache in der Mitte des 11. Jahrh. zurück" ... und es ergiebt
Die Verdoppelung der Kunsonanteu im Altnormaniiiächeu. 117
siel), „dafs die gewöhnlich als normannisch bezeichnete Sprache nur
im östlichen Neustrien, nur in Ile de France mit der Volksmundart zu-
sammenfallen konnte." ... „Die Ausdrücke Normannisch und Anglo-
normannisch . . . bezeichnen treffend die beiden Nuancen der haupt-
sächlich, aber nicht ausschliefslich auf dem Gebiete des anglonorman-
nischen Königreiches litterarisch gepflegten Sprache. Man könnte sie
auch durch Altfrancisch und Anglofranzösisch ersetzen."
C.
Was zunächst die Aussprache von c anlangt, so schliel'sen wir
uns den Ausführungen an, welche sich in dem Aufsatze: „Die Mund-
art des Leodegarliedes" von H. Suchier in der Ztschr. f. rom. Phil. II
(1878) finden. 1 Dort heifst es auf S. 292: „h — nach c — war
ursprünglich nur diakritisches Zeichen ; es bedeutet, dafs ch ein anderes
c ist als c in gleicher Kombination ohne h. Wer dieses bedenkt, dem
kann nicht der geringste Zweifel bleiben, was altnorm. Handschriften
mit der Schreibung unches (unquam) ausdrücken wollen; mit dem Zu-
satz des h soll die Aussprache untses vermieden werden; dem wird
ferner die Aussprache des c in esdrechanz, Oxf. Ps. 17, 43. 52, es-
leechat 15, 9. 18, 6. 9 nicht zweifelhaft sein, da hier h offenbar ganz
dasselbe ausdrücken soll, was in denselben Worten auch durch Zusatz
eines e bezeichnet wird (esdreceanz, Oxf. Ps. 34, 13, esledeceai 65, 16).
In einer Zeit, aus welcher wir zwar keine norm. Handschriften haben,
der aber die Originalhandschriften noch vorhandener Denkmäler (Alexius,
Roland u. s. w.) angehören, wurde zwar das velare und palatale c von
dem assibilierten in der Bezeichnung geschieden, nicht aber das palatale
vom Velaren c ... Erst allmählich gelangte man dahin, den Laut des
palatalen c mit ch auszudrücken und somit ch auch vor a zu schrei-
ben ... Als aber die Normannen im 12. Jahrb. ch zur Bezeichnung
des palatalen c in allgemeinen Gebrauch nahmen, braucht der Laut,
den man damit ausdrückte, keineswegs TSH gewesen zu sein. Viel-
1 Andere Ansichten über die Aussprache des c werden besonders ver-
treten von G. Paris in La vie de saint Alexis, Paris 1K72 (S. 85 f.) und in
dem vorhin unter Nr. G genannten Werke (S. 33), sowie von Charles ./oret
in seiner Arbeit „Du C dans les langues romanes" (Bibliotheque de l'Ecole
des hautes etudes, 16e fascicule, besonders S. 236, 263, 276) 1874 und in
dem neueren Werke desselben ^'erfassers, in welchem freilich keine neuen
Beweisgründe für die vertretene Ansicht beigebracht werden: „Des carac-
teres et de l'extension du patois normand," Paris 1883 (bes. S. 113 f.).
118 Die \'erdoppeluug der Konsonanten im Altnormanuisclien.
mehr bedeutet h in chambre, champ u. s. \v. mir ein c, welches sich
von c in col und cul unterschied, d. h. auf dem Wege war, TSH zu
werden, keineswegs aber nur ein c, das bereits die letzte Station auf
diesem Wege zurückgelegt hatte." Ferner heifst es auf S. 295: „Die
pikardische Verwandlung des assibilierten c und t in ch (TSH) wie
in cherquier, comenchier ... ist in norm. Handschriften des 12. Jahr-
hunderts, von einigen Schreibfehlern abgesehen, ohne Boleg." Und
weiter heifst es: „Sicher ist, dafs das Norm, des 12, Jahrh. dem c
vor e und i den Laut T S giebt, und dafs Schreibungen w ie menchunge,
Cambr. Ps. S. 4, oder cumenchad, Q L R S. 69, mit ch den gleichen
Laut bezeichnen sollen (nicht TSH, wie Joret behauptet) ... Dafs
das Norm, im 12. Jahrh. c vor a als reines K gesprochen habe, ist
unerweislich." Auf S. 296 heifst es sodann: „Seit der Mitte des
12. Jahrh. aber schreiben ein Jahrhundert hindurch alle norm. Original-
handschriften und alle agn. Handschriften nur das gemeinfranzösische
ch" ... „g vor a hatte ursprünglich den Laut GYA, fiel also mit dem
Laut des j (oder g vor e, i), welcher D Z H war, durchaus nicht zu-
sammen." Seit der Mitte des 12. Jahrh. jedoch fielen diese beiden
Laute (g und j) zusammen. Auf S. 299 heifst es schliefslich noch:
„Die franz. Sprache besitzt eine Reihe von Wortbildungsmitteln mit a
als Anlaut : -a, -are, -atus, -ata, -arius, -aria u. s. w. Sobald ein
solches Element an einen auf c auslautenden Wortstamm gefügt wurde,
mufste dieses c in das palatale übergehen, daher neben blanc das
Femininum blanche (blanc -|- a) ... neben sec das Verbum sechier
(sec-are) existieren. Indem aber das a vieler Endungen in andere
Vokale verwandelt wurde, schwand die eigentliche Ursache dieses
Wechsels von velareni und palatalem c aus dem Sprachbewufstsein,
und man Hefs diesen Wechsel auch vor Endungen eintreten, deren
Anlaut ein anderer Vokal als a war. Daher leitete man von , . . sec
assecchi Oxf. Ps. 101, 12, assechi Cambr. Ps. S. 183, sechece Oxf. Ps.
104, 39, Formen, deren ch zwar infolge der Unbestimmtheit der alt-
norm. Graphic mehrdeutig sein könnte, aber durch die Aussprache des
13. Jahrh. als palatales c bestätigt wird. So erklärt sich ... sachel
QLR S. 364 von sac ...".
Nachdem wir diese Bemerkungen über die Aussprache des c vor-
ausgeschickt haben, wollen wir nun zunächst die in unseren Texten
vorkommenden Verbindungen der Präpositionen ad (a), ob und sub -]-
einem mit c beginnenden Worte folgen lassen. Die Endkon?onanten
Die Verdoppelung der Konsonanten im Altnormannisclien. 119
der genannten Präpositionen sind fast stets ausgefallen. Dafs schon
im Lateinischen „die Gemination der Konsonanten in späterer Zeit nir-
gends häufiger unterlassen wurde als in den Präpositionenzusamraen-
setzungen", erhellt aus den von Schuchardt ^ vS. 517 Anm, und S. 518
mitgeteilten Beispielen, aus denen wir folgende auswählen : acipe, apel-
lare, coloquente, comendans, coresistere, eficax, oficio, oportune, sucessa.
Für uns sind an dieser Stelle besonders die Formen acipe und sucessa
von Interesse. „In den zuletzt genannten Kompositionen," sagt Corssen ^
I, S. 373, wo die Wörter aperio, öperio, ömitto für obmitto, Öculto bei
Plaut, für obculto (occulto) e. c, besprochen werden, „assimilierte sich
der auslautende Konsonant der Präposition dem anlautenden Konsonant
des Verbalstammes und schwand dann ... In den vorstehenden Kom-
positionen entschwand seit alter Zeit das Bewufstsein von der aus
Assimilation entstandenen Konsonantenschärfung; man hörte, sprach
und schrieb nur den einfachen stark lautenden Konsonanten."
Gutturales c.
a) Präpositionen -}- c.
1. ad (a) -\- c.
A acatet 8. acat 125. acoler 86. acomunier 52. acorent 102. 104.
acurede 80. acustumerent 100.
R rachatent 1833, racatet 3194. achevee 3578. achiminez 365.
702. acoeillent 3967, aquillit 689. acorder 73. 2621. acorde (s.) 433.
475. acraventet 1955. 3923. acuminiez "^ 3860. acunter 534. 1034.
acurt 2563.
LC achater 550. achaisun* 1311. 1363. acuntet 2110. acunter
2050. acurzant 380. acuveitee 2706.
OP raachaterre 18,16. rachatere 77,39. racated 102,4. racata
105, 10. acraventastl05, 25. acrerrat36,22. acreit 111,5. acunterat 31, 2.
1 Hugo Schuchardt, Der Vokalismus des Vulgärlateins. 3 Bde. Leip-
zig 1866-68.
^ Über Aussprache, Vokalismus und Betonung der lateinischen Sprache.
Leipzig 1858.
^3 „Das handschriftliche e sunt acuminiet darf (gegen Zeitschr. 11, 179)
nicht angetastet werden; nur ist darunter acuminjet ... d. h. — ^jiet, in
üblicherer Schreibung — giet gemeint." Ztschr. f. rom. Phil. III, Ö. 257.
W. Förster sagt nämlich in Ztschr. f. rom. Phil. II, S. 179, acuminiet müsse
fünfsilbig sein; „adcommunicare = acu-menei-ier, und später ei = i, also
acumeni-ier."
^ *ad-casionem = occasionem.
120 Die Verdoppelung der Konsonanten im Altnormannischen.
CC achater 550. achaisun 1311. 1363. acuntet 2110. acuntum
2410. acurzant 380. acuveitee 2706.
L accreist 553 — das einzige Wort mit cc. acorder 187.
CP raachatierre 18,14. rachated 102, 4. aclinad22,2. acraventee
45,6. acuillit 26,12. acunterat 31,2. acuntas 55,8. acurrent 61,10.
acutement 103,19. 138,3. acuterunt 103,22.1
B aeastier 123, 5. aeravantad 83, 6. acumplit 79, 20. acuntant
85,25.
Q achatassent 391,2. achatee 158,4. acorder 8, 17. acorde21,8.
acosterent 363,3. acreüd 209,4. acreissed 226,8. acuillid 74,11.
107, 11. acuintez 11, 12. acuinter 86, 13. aculche 11, 3. aculehad 330,7.
acumpaigna 4, A. 2,12. acumpaignierent 48,6. acumpli 10,A. 1,1.
54,10. acuntez 185,16. acunte 391,8. acuple 21, A. 1,3. acuplerent
245,11. acuragee 3, 12. acuragiez 24,3. acureit 387,6. acusassent
331,5. acustumiers 2,2. acoiisturaeement 3,1.
2) oh -f c.
CP hat occultes 18,13. 50,17, während OP 18,12 — dies ist
die einzige Stelle — ocultes aufweist.
3) sub -\- c.
R sucurez 1794. suciirre 2617 neben succurez 3378 und suc-
currat 1061. sucurance 1405. sucurs 2562.
LC sucurs 1758. securrat 1815.
CC sucurs 1758. sucurat 1815.
L succurs 33. succurement 36.
CP sucur Te d. 19.
Q sucurs 3,7. 37,12.
Während sich also bei ad -|- c stets — mit Ausnahme eines ein-
zigen Falles in L — einfaches c findet, wird für ob -j- c und sub -j- c
teils einfaches, teils doppeltes c geschrieben ; vorwiegend ist die Schrei-
bung mit einfachem c.
b) Aus dem G e r m a n i s c li e n stammen:
LC lecherie 530.
CC lecherie 530.
Q lecheiir 122,7. 132,13. lecherie 302,20. tricheür 91,25.
> •ad-cubitum und *ad-cubitare =: occubitum, occumbere.
Die Vtrdoiipi-Iuiig der Konsonanten im AltnormannlsLlicn. l'Jl
Wie in diesen Beispielen der germanische k-Laut sicli im Nor-
mannischen als ch (= k) erhielt, so geschah dies auch mit denjenigen
Wörtern, welche einen lateinischen Stamm mit cc haben, das ch (c)
oder weniger häufig cch (cc) wurde.
c) Lateinisches cc.
A pecet 12. pechet 22. 64. pechethuor^ 73. pecables 79.
R bacheler 113. bachelers 3020. buches 633. buche 1603. broche
1125. brochent 1184. pecchet 15. 240. peccez 1882.
LC peche 282. pechiez 576. pechiere 526.
OP asseccat 21, 16. assechit 101, 5. assecchi 101, 12. buche 5,10.
8,3, peccheürs 1,1. 3,7. pecheür 1,6. 36,14. peccherre 9,17. 9,24.
pecherre 36,10. 36,12. pechiet 9,39. peccherunt 33,21. peccer 4,5.
peccames 105,6. secherunt 36,12. secchas 73,16. seccherent 101,4.
sechece 104, 39.
CC pechiet 282. pechiez 576. pechiere 526.
L buche 146. 360. peche 942.
CP assechad 21,16. assechi 101,11. buche 8,2. 9,27. buchiees
(OP hat V. 17 morseis) 147,6 (Vulgata : buccellas). ensechad 105,9.
essechas 73,15. pecheürs 1, 6. pechiet 31, 1. pechie 31,6. peccher4,4.
pecchai 40,4. pecchiez (Hs. B 2) C. A. 7. sechiee 89,6. secchetez
67, 7. secchece 105, 9.
B buche 82,26. 85,8. enbrocet 105,10. pecher 98,13. pechent
77,8. peched (s.) 83,31. pechet 94,23. rocher^ 84,13.
Q baehilers 97, 1. bachelers 116, 8. bachelerie 28, 1. 52, 15.
buches 6,8. buche 312,17. buchie 311,5. desecchad 318, 11. esbrucad
' Nach G. Paris, AI., S. 94, Anni. besser pechethor.
^ Bisweilen, wenn die verschiedene Schreibweise von Hs. A unil B ein
besonderes Interesse bietet, dürfen wir wohl die Hs. B citieren, von deren
Wert es in Ztschr. f. rom. Phil. S. 570heifst: „In der That hat die jüngere
Handschrift nicht selten die richtigere Lesart." Hiermit wollen wir freilich
nicht gesagt haben, dafs die Lesart von B, wenn wir sie mitteilen, dann auch
die richtige sei.
■' W. Förster sagt in Ztschr. f. rom. Phil. II, S. 87: „Es ist klar,
dafs für alle roaian. Formen ein Typus *rocc-um, *rocc-a, *rocc-ia anzu-
nehmen ist ..., und nicht das von üiez vorgeschlagene *rupea." — In den
Memoires III, 8. 232, Anm. 1 sagt Joret in betreff des norm. Wortes roque:
„Cette forme exelut Tetymologie rupea de röche proposee par Diez ..."
Joret schlägt „*rupica" vor. Und Diez .sagt unter rocca : „Aber dem guttu-
ralen rocca ist damit — nämlich mit rüpea, rfipja — nicht geholfen: die-
sem genügte nur eine andere Ableitung von rupes, rupica, wie von avis
avica" u. s, w.
122 Die Verdoppelung der Konsonanten im Altnormannischen.
298,10. pechied 8,1. peche 8,17. pecchie 20,5. 39,13. pecchassent
340,10. rochiers 42,15. 45,13. rochout 178,11. sachels 364,18.
Sache 7,3. 118,10. secchiees 98,18. 115,10. sechast 183, 16. secches
(adj.) 177,14. vaches 21,4. 21, A. 1,1.
Auch gehören hierhin folgende Eigennamen :
Q Aeharon 345,5. 346,19. Accharon 19,4. 22,10. Accaron
19,4. 68,5. Socco 238,10. 293,19 (lat. Text: Socho). Soccho 257,2
(lat. Text: Sochoth). Soco 398,17.
Gutturales g.
a) Präpositionen -j-g.
Nur ad (a) findet .sich vor g, welches in diesem Falle stets ein-
fach ist, und zwar
1) Mit lateinischem Stamme'.
A agravet 58.
R agreget 2206.
OP agregee (Vulg. : gravata) 31,4. agrevees 37,4.
CP agregee 31,4. agrevez 37,4.
Q agraventad 19,10. agraventer 199,10. agreva 18,5.
2) 3Iit germanischem Stamme:
B aguaitables 118,24. agnaitant 118,14.
Q agreier 27,14. aguaiter 366,15. aguaiz 366,18. aguait 53,13.
b) Lat. cc vor I.
wurde stets einfaches g in:
A eglisei 52. 114.
OP iglise 21,23. 21,27. eglise 106,32.
CP eglise 21,23. 21,26.
B eglise 82,3. 109,13.
Q Egll.se 5,A. 1,4. 5,A. 1,6. Eiglise 10,A. 2,2.
Dem Hebräischen (Eglah) ist entnommen:
Q Eggla 129,3 (Vulg., 2 Reg. III, 5: Egla).
' Nach Schnchardt I, S. 238 finden sich im Lateinischen die Formen:
eclisia, ecclisia, feclisla, {ecclisia.
Die \ crdoppelung lUn- Konsonanten im AltnormanniscLen. 123
Assibiliertes c vor e, i.
a) Präpositionen -|- c.
1) ad (a) -{- c.
A acertes 17.30.
OP aceint C. Hab. 26. acertes 10,6. 14,5.
CP aceint C. A. 25. acertes 2,6. 5,6.
Während diese Formen nur einfaches c aufweisen, findet sich cc
in acceptable B 77,22, in acceptablement und acceptables 8,3 und
113,3 in Q.
2) ob -\- c.
R Ociant 3286. 3526. Occiant 3474. 3517. ocire 42 Kand. ocis
102. ocisiün 3946.
LC occident 2572. ocire 680. ocist 688.
OP occident 74,6. ociet 9,30. ocies 58,11. occisiün 43,24.
CC occident 2572. ocire 680. ocist 688.
L ocit 295. 721.
CP occident 74,6. 101,12 (OP hat dechedement). ocient 36,14.
ociez 61,3. occisiün 43,22.
B ocit 81,19. 85,17. occit 90,14.
Q ocire 9,4. ocirad 58,5. ocision 219,2. occisiün 228,11.
Die Substantiva occident und occisiün haben also fast stets cc,
während ocire meist einfaches c aufweist.
b) Lat. cc vor e, i.
1) In Fürivörtern und Adverbien
findet sich stets einfaches c.
A ici Einleitung, ices 14. icel 3. 35. icil 65. icele 61. 76.
icesta Einleitung. 41. icest 125. ico 106.
R ici 401. 558. ico 186. 230. icil 618. 880. icel 664. 1845.
icele 979. 2495. icest 1180. 1677. icist 1023. 1393.
LC ici 2559. 2810. i(;o 12. 39. icil 15. 511. icele 319. iceles
1236. iceste 3161.
OP ice 4,9. 7,3. icil 2,13. icels 5, 11. 5,12. icele 94,9. icest
9, 16. icist 23,5. 47, 13. icesti7,8. iceste 23,6. purice 40, 20, 51, 5.
empurice 44, 3. 45,2 (C P hat statt der letzten beiden Wörter: pur
iceo, pur ices choses, pur ceo e. c).
CC ici 2559. 2810. jqo 12. 39. icel 420. icil 511. icele 319.
1223. iceles 1236. iceste 3161.
L ice 236. ici 380. icel 18. icele 229. 355. iceste 73. 177.
124 Die Verdoi)[)elung der Koiisoiuinteii im Altnormiiniiischen.
CP ices 43,17. icil 2,13. iceals 33,19. iceols 42,3. icele
33,14. icest 31,7. iceste 3, 2. 7, 7. icez 24, 9. iceo7,3.
B iceo75, 11. 7G,9. icil 96,2. 111,8. icele 79, 13. 89,17. ices
127,28. icest 96, 9. 106,19. icist 131,2. 131,3. iceste 95, 3. 129,25.
Q ici 38,11. 76,9. i^o 42,5. 96,5. icest 42, A. 1,1. iceli
49,2. 109,10. icist 4, A. 2,7. 29, 1. ices 22, 8. 397, 15. icez 336, 17.
2) In folgenden Haiiptiuörtern
mit stets einfachem c:
R croce 1670 (cruiz 2504).
OP traces 16,6. 76,19.
CP bacini 59,8. 107,9 (O P hat 59,10 und 107,10 esperance).
estrnces 16, 5. 64, 12.
B trace 77, 13. 89, 7.
Q traces 297, 11. 304, 20.
Als Ausnahme mit cc ist zu nennen: pieccettes B 57, wo cc wohl
Druckfehler ist, da im Glossar piecette, auch 363 piecete steht; ebenso
depece 56; depecee 65 e. c. — Aufserdem ist mit cc noch zu nennen:
Macces (lat. Text ebenso) Q 238, 8.
c) Aus lat. et vor frz., lat. i.
LC equinoctiüm 1377. equinoction 1710. resurrectiün 206. 2121.
surrectiün 279.
OP afflictiün 17,21. resurrectiün 138,1.
CC equinoctiüm 1377. 1710, sonst wie L C.
L suspeciüm 555.
CP afflictiün 9.13. 17,18, actiüns 55,12. acciün 94,2. acciüns
99.4. uncciün 151,5. Einmal findet sich tt statt et in cuntredittiiin
30, 21 ; hiervon unter t.
Hier wird also der Laut k -j- ts dargestellt durch et- und cc;
einmal findet sich — in L — die Form suspeciün mit c. ^
1 Horning (Zur Geschichte des lat c vor e und i im Romanischen,
Halle 1883, ö. .3) sagt, das Wort sei „aus einem Typus baccinum (nicht
bacinum) abzuleiten".
- Einfaches assibil. c entsteht: 1) aus et in benedictio: OP beneiceuu
20.5. 23,5. CP benei9un 3,9. 20,6. Q bpnei9un 91, 19 e. c; — 2) aus pti in
captiare: LC cha9out 430. chacat G61. CC chazot 430. chac^at 661. B noces
Einl. Q chacierent 49,8. encha(,-ad 89,12. — 3) aus de in: escraeed Q 79,4.
Auch clocerent OP 17,49 gehört hierhin, wenn die Ableitung von claudicare
— in Ztschr. für rem. Phil. III, S. 171 wird auch an cloppicare gedacht —
richtig ist. — 4) aus pi in: appropiare, das, ähnlich wie aus sapiam sache
wurde, approclier ergab, z. B. aprochant B 91,10 e. c.
a Vgl. S. 127, Anm. 2.
IJie Vordoppelung der Konsonanten im Altnormannischen. 125
Fehlerhaft steht cc statt c in proecces R 1564 und proecce 1731.
Denn es finden sich folgende Formen mit c, sc und s :
OP basseces 62,9. sechece 104,39. veillece 70,20. 91,10.
L durece 361. largece 10. pruece 9.
CP basseces 62,10. secchece C. M. (Ex. 15) 23. veillece 70,9.
veillesce 70, 18. 91,10.
B richeise 96,30. 98,9. vellesce 114,6. veillesce 114,16.
Q deslresce 281,11. juinteices 254,17. lassesce 116, 18. leesce
387,5. prueise279,5. richeise 64,10. 333,21. viellesce 11,4. vieil-
lesce 276, 3 e. c.
Assibiliertes g vor e, i.
a) Präpositionen -|- g.
Dieselben ergeben stet« einfaches g.
1) ad (a) -f- g.
OP agenuillums 94,6.
Q agenuillez 264,14. agenuillat 346,10,
2) svb -\- g (aus j) :
OP sugez 36,6. sugete 61,1. 61,5.
b) Die Endung age.
Nur zwei Beispiele mit gg finden sich in L, von denen das erste,
lengagges 4, wohl Druckfehler ist, da im Glossar lengage steht; das
zweite ist curagge 15. Diesen beiden Formen steht sonst stets ein-
faches g gegenüber, z. B.
R curages 56. 191. damage 1102. 1885.
L selbst bietet curage 841. damages 502. damäge 842.
Q damage 326,5 (damagier 125,12. damager 151,14). taillage
393,17. tolage 219,9 e. c.
Besonders zu nennen ist assegga Q 369,2, wo gg den j-Laut be-
zeichnen soll, denn ebenfalls in Q finden sich die Formen asejad 137, 1.
asegie 161,14. asegierent 199,9.
t.
Als Präpositionenverbindungen sind zu nennen :
1) ad (a) 4- t.
a) In Haupt- und Zeitwörtern.
A atarger 118. atempredes 119. atendi 78. atente 89. atendudc
94. attendeies appendix. aturnad 28. aturnede 29.
126 Die A'erdoppelung der Konsonanten im Altnormiinnischen.
R atachet 3737. atalentet 3001. atarget 368. atent 665. 2837.
atraire 2256.
LC atraiement 1 2146. atent 2653. atendeient 1758. atraire
556. 2060.
OP atent 26,20. 36,36. atente 38,11. atenevid C. H. 8. atriblet
3,7 (sonst stets contribled, z. B. 50,18).
CC ataint^ 2146. atent 2653. atendeient 1758. atraire 556.
2060.
L atrait 535. attendra 306.
CP atemprez 24,8. attend 54,2. attendit 65,17. attente 61,5.
atende 26,5. atendanz 55,6. atendis •* 24,4. atenued 78,8. atenuias
88,40. atribled 82,10. atrible 31,3. attribled (Hs. B: t) 72,21. atu-
chad 37,2. atuched 103,32. aturnee 29,15.
B atachet 93,5. 101,28. atempree 82, 16. atemprez 122, 24.
atent 88,22. atendant 111,6. atrait 106,7. atucher 92,19. atuchet
101,27.
Q atarjout 3,1. atariad 63,7. atarier 306,5. attarie 62,10. atta-
rier 64,9. attarriet 105,3. ateindre 49,7. ateinst 288,5. atemprance
1,A. 2, 6. atempred 167,10.'*
b) Im Adverb atant.
R atant 413. 634.
B atant 94,3. 103,22.
Es wiegt also überall die Schreibung mit einfachem t bei weitem vor.
2) sub -}- t.
LC subtilment 579. subtil 1204. sutilment 1213.
CC sutilement 579. sutilment 1213.
Dieses ist das einzige Wort, in welchem b von sub vor t sich
noch zweimal erhalten hat; sonst findet sich (= subs), z. B. sustrait
B 100.4 oder suz (= subtiis), z. B. siiztrait CP 140,6.
Aufser der in der Präpositionszusammensetzung von ad (a) -|- t
vorkommenden Verdoppelung dieses Konsonanten finden sich in unseren
' „Der Vers mufs korrupt sein", in dem dieses Wort steht. Mall S. 151.
* „attingcre und *attan<zere waren nebeneinander im Gebrauch, wie
impingere... und impangere." Reimpred. S. XYIII.
^ „Druck- oder Schreibfehler" (= exspectavi). Ztschr. f. rom. Phil.
I, S. ;)71.
'' Präpositionsvertauschung fand statt in entamassent von attaminare
Q 202,17.
Die Verdoppelung der Konsonanten im Altnonnannischen. 127
Texten nur noch wenige Beispiele von Assimilation; attement A 114
steht — mit Ausfall des p vor t — für atement und ist also nicht
durch Assimilation entstanden; i und cuntredittiün CP 30,21 steht
fehleihaft für cuntredictiün, wie Hs. B wirklich schreibt. 2 Auch
putidus giebt putes mit einfachem t in LC und CC 140.
Aus nitidam wurde gebildet :
A nethe 9.
OP nette 17,35. 18,8.
L nete 384.
CP nete(Hs. B: tt) 17,32. nette (A u. B) 18, 7. netteded 88,45.
neteded 17,20. 17,24 (Hs. B hat stets net(eed).
Q netee (s.) 1, A. 2, 6. 207, 15. nettes 208, 1 i. nettement 83, 10.
Die noch zu besprechenden Formen mit t (tt) entstammen fast
ausnahmslos fremdsprachlicliem tt.
1) Lal. und germ. att wurde at.
A batant 85. debatre 86. nate^ 50.
R abatied 98, 1317. batent 1158. batue 1331. cumbatre 56G.
cumbatrat 614. escumbatues 2307.
LC cumbatrat 71. cumbatanz 452. Mathiu 2205.
OP baterunt 97, 9. escumbatirent 108, 2. 128,1. batemenz 88,32.
1 p und b vor t blieben entweder, wenn auch selten, stehen, wie bap-
tizet A7, oder sie fielen aus, wie in batesma A6: entrarote A 103; achater
LC 550; receter B 113,3; set Q 43,1; setante Q 217,15; crute R 2580;
auch das häufige duter (z. B. C C 37; gehört hierhin. An die Stelle von
p trat i in caitif, z. B. B 103,5. Nur einmal findet sich tt in dette Q 85,12,
sonst auch in diesem Worte stets t, z. B. detes OP, Oratio dom.; deturs
ebendort; detes CP Or. d. 5; deturs ebendort.
Dafs attement für atement stehe, ist Toblers Ansicht, der in den
Gott. gel. Anz. I, S. 889 sagt, dafs „commune 62 und attement 114 wohl
nur aus Versehen den geminierten Laut zeigen."
In den Memoires I, S. 91 sagt G. Paris: „C'est ä tort que M. Diez
rattache ate, aate, et ses derives ... au norois at: ces mots viennent d'aptus."
Und bei Diez, W. II, c unter azaut heifst es: „Gleicher Herkunft ist alt-
franz. a-ate", nämlich wie nzaut: „von ad-aptus."
^ c vor t bheb entweder, z. B. in contradiction OP 30,26; 79,7; CP
contredictiün (Hs. B: cc) 80,7; cuntredictiün 94,8; B nocturnals 123,18.
124,2; fructefierad in Q 415,6; oder es fiel aus, z. B. in dites OP 86,2:
parfite OP 88,36; ditiet (dictatum = „carminis") CP97,6; otreis B 119,20;
flotat Q 366,11; oder endlich es wurde zu i, z. B. in oitovre LC 791;
uitovre CC 791. 1137 (October 1149).
3 „natta für matta" (Gregor von Tours). Diez, Gr. I, S. 42.
Das Wort bataille, das, wenn man battuere und nicht batuere als
Etymon annimmt, auch hierhin gehören würde, ist hier übergangen; es
findet sich unter mouilliertem 1; es hat stets einfaches t.
128 Die Verdoppelung der Konsonanten im Altnormannischen.
CC cumbatrat 71. cumbatanz 452. Mathie 2205.
CP enbatues G3,7. escumbatirent 108, 4. (fuildrantte Cant. A 16
ist Schreibfehler für fuildrante).
B batud 78,30. conibatant 75,5. Matheu 80,2,
Q abateras 96,4. abatereit 137,6. batant 132,2. baterai 282,18.
enbatre 354,18, embatuns 50,8. cumbatanz 3,13. cuinbatrad 341,3.
Es findet sich also stets einfaches t nach a.
2) e vor t (tt).
a) t (tt) entstanden aus lat., griech. oder germ. tt.
R metre 3692, 3832, mettre 2382, metet 212. tramettet 1565,
prametent 341 G.
LC metet 146. 156. metrat 1788. 2065.
OP forsmeterat 51,5, forsmetras 103,31, remetanz 21,15, re-
metra 147,7.
CC mete 146, metet 156. metrat 1788, 2065.
L letres appendix, metra 465. 558. melez 601. 643. reraete 826.
CP letreiires 70,5 (OP hat 70,18 litterature). mete 103,14.
metent 124,3. metrai 131,11. 136,6. forsmetras i 103,30.
B lettre 90, 14. 91, 2. letre 100, 25. meteit77,19. 122,10, metre
94,9. mettre 123,22. metrat 107,29.
Q letres 380,2. lettres 413, 3. entremettre 215,16. metez 21,8.
metent 71,18. 338,5. mettre 95,4. 217,11. metra 28,2. mettrai
414,18. metereie 187,3,
Bei weitem vorwiegend ist also die Schreibung mit einfachem t
nach e in diesem Falle,
Die beiden einzigen aus dem Griechischen, bezw. aus dem Ger-
manischen stammenden Wörter sind: desbareterent 55,10; desbareter
71,21 in Q und cretines 353,17 in Q, In beiden Wörtern ist t statt
tt in die unbetonte, vortonige Silbe getreten.
Als Fremdwort gehört noch hierhin: Bettaven Q 48,8.
b) 6 in der Diminutiv-Endung ete (ette):^
1 forsmetrad 24,13 ist nach Ztschr. f. rom. Phil. I, S. 570 Sehreib-
fehler für forsmerrad, wie Hs. L5 liest.
- „Diese wichtige romanische Ableitung ist unlateinisch ; ilu- Ursprung
ist dunkel. Sie ist diminutiv und zeugt auch Verba. Gewöhnlich dient sie
zur Verkleincrimg. Einzelne Spuren im Mittellatein bezeugen ihr hohes Alter."
Diez, Gr. II, S. ;571. In Romania VII, S. 247 beifst es: „Selon Diez, qui
' " " ' ■ ' ' ,■ ■ .■ .. ^^ serait pas
appar-
uiez, Vjrr. 11, ö. .1/j. in nomania vii, o. 'lii neust es: „oeion ui
suit l'opinion de Pott, la terminaison diminutive — ett — ne ser
d'origine latine, mais d'origine allemande; cependant le fait qu'elle
Die Verdoppelung der Konsonanten im Altnormannischen. 129
R carettes 2972. crignete 1655. Tulettes 1568 (= „Toletam").»
LC atometes 2321. 2389. petitettes 2070 (C C hat petizades).
ruelete 133. saete 1760. 1763. urettes 2069 (C C hat hurades).
OP saieles 7,14. 10,2. saiettes 63,8. 76,17.
CC atometes 2321. 2389. charete 134. huretes 2322. 2388.
reuelette 133. seete 1760. 1763.
L chiaetes 562. aguettes 58. pieccettes 57. piecete 363. tachetes
751. veinetes 754. violete 383.
CP saetes (Hu. B: saiettes) 44,5. 56,5 (Hs. B auch t). saietes
7, 13. 10,2 (Hs. B: tt, wie auch 17, 14).
B bestete 9-5,20. 97,4. concete 128,6. cosetes 129,5. flurete
90,27. florete 90,28. fossette 88,27. fosette 90,27. mustelete 95, 20.
naturete 88,27. paillete 90,28. petitete 93,11.
Q berbeiete 158,10. 158,15. boist-ttes 311,2. 311,8. miette
319,4. Olivete 176, 12. perrette 182, 16. saetes 79, 17. 81, 17. saiettes
79,20. 79,21 (auch saiete 82,1. 82,2). vileites 398,18.
Die Ableitung von boete B 85,22 und pudnete B 85,22 ist dem
Verfasser unbekannt geblieben.
Aus den genannten Beispielen ersehen wir, dafs in allen Hand-
schriften t und tt vor e in der Endung ete (ette) ohne Unterschied ge-
braucht werden. Etwas vorwiegend ist die Schreibung mit einfachem t.
Schon im Lateinischen wechselten nicht selten t und tt in denselben
Wörtern. Über die Gemination des lat. sagt Corssen I, S. 69: „Dafs
tient a tout le domaine roman hormls au valaque engage ä supposer une
base -ittus -itta dans le latin populaire. ... ü y a ici plus qu'une hypo-
these, il y a certiiude ..." Im Anschlufs an eine von Cornu in Roraania
XXII veröffentlichte Arbeit: „Les noms propres latins en -ittus, -itta . . .",
sagt G. Gröber in Ztschr. f. rem. Phil. II, 8. 184. dafs ihr lateinischer
Ursprung unwahrscheinlich sei. Wie wolle man sag-itta erklären, „das die
lateinische Nationalität dieses Suffixes nicht zu beweisen vermag, da sagitta
keine römische, vielmehr eine entlehnte Waffe ist, . . . ein Lehnwort, das,
wenn es wirklich mit. dem keltisch-lateinischen sagum zusammenhängt, ... die
keltische Abkunft auch des Suffixes itta involvieren und jene Kosenamen"
— die Cornu aufstellte — „als Nachbildungen keltischer Kosenamen anzu-
sehen veranlassen würde." Ebenso sei auch die Annahme wenig gesichert
(S. 183), dafs -itta ein indogerm. Suffix sei. „Dies scheint es nur unter
der Voraussetzung sein zu können, dafs . . . die Nebenform -itia als Grund-
form angesehen würde, in welchem Falle wenigstens das Slavische eine
wichtige Parallele gewährte." Nach Schuchardt (Slavodeutsches und Slavo-
ital.) ist dieses Suffix etruskischen Ursprungs.
1 chaiete 1986 gehört nicht hierhin; es steht für chaeite (Gautier, Rol).
„Quant ä chaeit, il ne peut s'expliquer que par cadectus, forme analogique.
Cfr. coUectus = coUeit..."
Archiv f. n. Spracten. LXXY. 9
130 Die Verdoppelung der Konsonanten im Altnormannischen.
das t im Inlaut, mochte es assibiliert sein oder nicht, einen scharfen
Ton hatte, zeigt das Schwanken der Schreibart zwischen t und tt in
den auf Inschriften vorkommenden Namen wie Atilius neben Attilius"
u. s. w. Ebenso „schwanken in den ältesten Handschriften die Schreib-
weisen zwischen: obliteratum, Gaj., literas, Gaj., oblitteratas, Gaj."
u. s. w. 1
c) e in den Zeitwörtern auf eter. Nur drei Beispiele — jeter,
regreter und saieter — bieten unsere Texte,
aa) A jeter 106, dejeter 186, jetent 72, jetet 88 (getent 53, 54).
R jeter 2868, jetent 3530 (getet 302, getee 444).
LC arcgetant 1759, jetet 1224.
OP geted 1,5. jetet 21,9. gete 54,25. degetera 76,7. degeteras
139,11.
CG arcgetant 1759, getet 1224.
L gette 437. 519. gete 825. 864.
C P degeted 1, 5. degetums 2, 3. dejetes 50, 12. dejeterai (Hs. B : tt)
17,43. dejeterat 76,7.
B jeterat 82,21. geterat 102,3. gete 92,10. 94,12 (getad 88,3.
88, 7).
Q getai 34, 15. geted 105, 5 (jetad 67, 16. jeterent 122, 19). de-
gete 27, 2, 34, 17. dejeterai 268, 8, 430, 5. engette(= en gette) 95, 10.
bb) A regreter 26.
R regreter 2026. 2886. regretent 1469. regrette 1566.
cc) OP saietent 10,2. saiettent 63,3. saietterent 63,4.
CP saietent 10,2. saietassent 63,4. saieterunt (Hs. B: tt) 63,4.
Die Schreibung mit einfachem t wiegt also bei weitem vor; nur
in der 3. Pers. des Pr. und Fut. findet sich bisweilen tt.
terai
3) i vor t (tt) aus lat, tt.
R quites2 1140. quite 2748. quiteded 901
869,2.
908. aquiter 492. aqui-
Q quites 38,14. quite 64,11. aquitast 356,7.
' Dafs übrigens tt im Lateinischen auch Doppellaut (= „zwei physio-
logisch und akustisch selbständige Zwillingslaute") war, weist Seelmann,
Aussprache des Latein, wiederholt nach (S. 111 ff'.).
^ Das Wort und seine Derivativa gehört nur hierhin, wenn die Be-
merkung Gautiers (Rol.) zutrifft: „Quite, dit W. Foerster, ne peut pas dd-
river de quietus, quitus . . ., tout d'abord il faut deux t . . . je suppose en-
core un i apres les deux t; quittium, quittidum." Diez schlägt nämlich unter
cheto als Etymon quietus vor.
Die Verdoppelung der lyonsonanten im Altnormannischen. 131
Auch die Fremdwörter mit tt sind hier zu nennen:
LC sagittaire 1403. sagittaries 1728.
OP litterature 70,28 (CP: letreüres 70,15).
CC sagittarie 1403. sagittaries 1728.
4) t (tt) aus lat. tt nach u.
A anglutet 61. ^
LC glutun 3733. gluternie „(?)" 529 (CC hat glutunerie).
OP deguterent 67, 9. degutanz 71, 6. gutes C. Moys. ad fil. Isr. 3.
gutieres 64,11. 71,6. transghitet 68,19.
CC glutun 2733. glutunerie 529.
L gutta 259. gute 382. 873.
CP deguterent 67,9. gutes 71,6. C. M. (Deut.) 3. transglutums
34,26. transglutie 106,27.
B degutant 116,1. transgluterat 108,23.
Q gute 16,7. 291,11.
Einfaches t findet sich also überall, mit Ausnahme eines Falles in L,
Besonders zu nennen sind gutte L 379, part. fem. von gustare
(Text liest: guttee) und das Fremdwort gutta OP 44,10 (Vulg. hat
V. 9 : Mirrha).
5) t in tan tost.
Diese Wortverbindung erscheint nur in Q: tantost 424,2. tant
tost 64,6. 313,16.2
Unbekannt geblieben ist dem Verfasser die Ableitung von sotes
B 86,12.
d.
ad (a) -\- d wurde stets ad.
R adeiset^ 981. adeset 1907. adenz 1624. 2025. adestrant
(eigentlich: ad estrant = addextrantem) 2648. adubees 713. aduber
993. aduree 1396. 1460.
OP adreceras 7,10. adrece 24,5.
CP adrece 43,26. adrecement 118,7.
' „glutus, wofür, nach gluttire zu urteilen, auch gluttus stattfand."
Diez, W. I, S. 210.
^ Das in Reimpredigt S. XXVIII, 40 genannte tuttens erscheint in
unseren Texten stets getrennt: tuttens, z. B. CC 2018. 2027; LC hat stets
tuz tens, einmal toz tenz 2692 und einmal tuz tenz 2218; B tut tens 98,24
u. s. w.
3 addonet A 104, das vor R genannt werden müfste, steht für ad donet.
9*
132 Die Verdoppelung der Konsonanten im Alt normannischen.
Q adedd 3,13. adrecier 44,16. readrecier 423,7. adrecement
29,16. adrecemenz 188,17. adreit 67,16. adubez 247,15. adubed
248,14.
sub -[- cL
Sub verliert das b, z. B. sudniant E, 942.
Lat. dd (d).
Eigennamen: Q Addo 239,1. Asaradon (lat. Text hat Asar-
haddon) 416,4. Engaddi 93,5. 93,7. Gaddi (lat. Text: Gadi; auch
im Hebr. : ä).
Aufserdem finden sich nur vier Wörter mit dd : CP 6, 10 sudde-
ment; Q 9, 2 reddement (Adv.) ; 9,3 reddur (die beiden letztgenannten
Wörter stammen von rigidus) und reddeie 68,6 in CP, Hs. B, das
Schreibfehler ist, da Hs. A rendeie hat, auch sonst das n erhalten ist,
z. B. rendeient B 78, 3,
Was suddement anlangt, so findet sich (nach Schuchardt I, S. 149)
schon im Lateinischen die Form sudditas. Das Wort hat sonst (auch
in CP) einfaches d, wie folgende Beispiele zeigen:
OP sudement 63,4 (dies ist die einzige Stelle; diese Handschrift
hat sonst stets ignelement e. c).
CP (Hs, B hat 6,10 sudeiement statt suddement) sudeiement
63, 4, sudein 63, 7. suduseraent (wohl Schreibfehler für sudeiement,
wie Hs. B liest) 72,19.
Q sudeement 34, A. 1,1. 37,16.
Schon im Lateinischen wurden s und ss selbst in Fällen, wo man
dies am wenigsten erwarten sollte, nicht selten ohne Unterschied an-
gewandt. „Der Ansicht" — sagt Corssen I, S. 116 — „dafs s zwi-
schen Vokalen weich gesprochen wurde, scheint sich in den Weg zu
stellen, dafs im Lateinischen für s im Inlaut zwischen Vokalen in In-
schriften wie in Handschriften ss geschrieben ist ..." Es werden dann
genannt caussa, causam und, was besonderes Interesse für uns hat,
auch „bassim, J. N. 4317." ^ Und weiter heifst es auf S. 117: „Nach
Quintilians Aussage (I, 7, 20) schrieb man zu Ciceros Zeiten und
1 „... SS für s ist in griechischen Lehn- und Fremdwörtern ziemlich
regelrecht." Seelmann, Ausspr. des Latein, ö. 129.
Die Verdoppelung der Konsonanten im Altnormannisclien. 133
noch etwas später ss anch nach langem Vokal in Wörtern wie: caiissfe,
cassus, divissiones, und Quintilian fand diese Schreibweisen in Hand-
schriften des Cicero und Vergil." Corssen nennt dann u.a. noch vissu
und promissi. ^
Auch in unseren Handschriften finden sich eine Reihe von Fällen,
in denen s und ss in ähnlicher Weise vertauscht erscheinen \\\e im
Lateinischen. Im grofsen und ganzen läfst sich aber doch eine einheit-
liche Behandlung des .=cliarfen und des weichen Konsonanten erkennen.
Beza 2 sagt über die Aussprache von ss auf S. 38: „si inter duas vo-
cales duplex scripta comperiatur, tunc prior quidem quiescit, posterior
autcm perfecto nativoque suo sibilo profertur, ut ... baisser ... grossir,
...et siniilia." Und auf S. 71 heifst es: „duplex s non pronunciatnr
ut duplex, sed ut Simplex nativo suo sono."
Von Verbindungen von Präpositionen -|- s finden sich :
1) ab -{- s
nur R o40 asols. 1130 asoldrai. Auch dieses einfache s lautete scharf.
1 Weit ausführlicher und eingehender behandelt E. Seelmann diesen
Doppelkonsonanten. Nachdem derselbe darauf hingewiesen, dafs „echte
plionctische Gemination" vorliege in lat. ,,niit-to, güt-ta, niap-pa, sic-cus,
süm-ma, än-nus, bei-la, il-le, cür-ro, tüs-si«, fis-si, ces-si, es-se, fös-sa, spis-
sus, süf-fero u. s. w.", heilst es ebendort (S. 84) weiter: „Nicht überall liegt
in Doppelbuchstaben ein Doppellaut vor. Abgesehen von rein etymologi-
sierenden Sclireibungen hat wenigstens 11 und ss im Latein oft nicht eine
Geniinata, sondern eine Kontinua, d. h. einen einheitlichen, aber über die
normale Konsonantendauer hinaus angehaltenen Laut bezeichnet . . . Ein
solcher Dauerlant mit voraufgehendem langem Vokal ist anzunehmen bei:
Fö-lla, ui-lla, ml-lle, ü-ssi, lauda-sse . . . schliefslich da, wo ss aus ns entstanden
ist und mit einfachem s wechselt, wie bei me-(s)sem = mensem und ähn-
lichen Formen. Eine strenge Grenze zwischen Dauerlaut und geminiertem
II, SS u. s. w. giebt es übrigens physiologisch nicht, und die Sprache hat bis-
weilen eine Lautgattung in die andere übergehen lassen." Auf S. 97 heifst
es: „Einen einzigen, aber länger anhaltenden Laut ... bezeichnen 11, ss (rr)
nur in wenigen Worten, und hier ist der Vokal durchweg lang. Der durch
Dopptlbuchstaben gekennzeichnete Dauerlaut gehört physiologisch ungeteilt
zur folgenden Silbe, der betreffende Vokal steht also hier in offener." Auf
S. 110 f. iiiindelt Seelmimn dann noch einmal ausiührlicher von den „Dauer-
lauten" (1, m, n, r, s, f, w, j u. s. w.) und „Zwillingslauten (implosiva -{-
explosivaj". Auf S. 3i:^ heifst es noch, „<lafs ... drei Arten von s im
klassischen Latein zu unterscheiden sind: 1) geminiertes s in crassus... 2) ge-
dehntes s ... in cau-ssa ... 3) einfach explosives s in ro-sa. " Während besonders
das Italienische (S. 110 u. l\?) die lat. Gemination beibehielt und neue
entwickelte, haben „die romanischen Sprachen . . . die lat. Gemination nicht
fortgeführt. Nur in wenigen gelehrten Worten . . . erinnert auch das Fran-
zösische daran" (S. 116).
^ De Francicse lingute recta pronuntiatione." Genevae 1584 (Berlin und
Paris 1868).
134 Die Verdoppelung der Konsonanten Im AltcormaDnischen.
2) ad -!- s.
A asembler 9. asemblier app. asez 81. asist 30 (sesist = s'asist 20).
R asalt 729. asaldrum 947. aseger 476. asemblet 367. asem-
blereit 599. aserie 717. 3658. asez 25. 35. asis 452. asise 8997.
asofiret 1321.
LC asemblement 563. asemblemenz 1113. asemblouent 1116.
asemblez 1556. asen=er 246. asis 659. asistrent 1347. asuagement
298. asseit 2596 (= ad seit; CC hat estait).
OP asseccat 21,16. assechit 101,5. aserableront 2, 2. asemblerai
15,4. assemblerat 38,10. assemblat 40,6. assuajas 84,3. assuages
88,10. aisumptiün 88, 18.
CC asemblement 563. asemblemenz 1113. asemblouent 1116.
asemblez 1556. asenser 246. asis 659. asistrent 1347. asuagement 298.
CP assechad 21,16. assechi 101,11. assemblee (Hs. B) 1.6.
asembles (A und B) 17, 48. assemblet C. M. (Ex. 15) 8. rassem-
blerad 146,2. asembleement (A und B) 4,10. asez' 30,24. 91,5.
assegeraent- 65,9. assidaelment 39,13. 104,4. asiduelment (Hs. B:
ss) 39,20. 60,4 (auch Hs. ß: s) a«surdisses 38,14.
B asemblerunt 82,25. asemblat 83,6. assemblat 83,12. asefir
101,7. asist 100,13. asis 123,11.
Q asaiUid 61,1. 153,6. asalt 72,15. 325,16. assalt 338,19.
essalt (Schreibfehler statt assalt) 339,2, asavure 195,7. asavured
360,10. asaziez 6,12. aseer 253,16. 256,4. asejad 137,1. asegie
161,14. asenad 67,16. aseörs 39,18. asenrement 138,10. asurement
335,6. assenr 93,4. aseürad 388,9. asis 1,3. 3,9. asise (s.) 281,
A. 1,1. assis255, 14. assit 31,14, assemblerent 14,1. 18,13, asem-
ble 14,6, asembkrent 20,2. assentir 288, 10. assentiras 324, 2. asentit
285, 12. assez 4, A. 2,1. asez 8,11. 140,19. assummerai 12,10.
asnmmee 98, 13. asumez 144, 3. asuajout 61, 2. asuager 241,
A. 1,4.
Die beiden ältesten Handschriften zeigen nur einfaches s. Ein
einziger Fall mit ss findet sich in LC; die jüngeren Handschriften
.-chreiben s und ss ohne Unterschied, um den scharfen L.iut des s zu
bezeichnen.
• Dieses \Vort fehlt in OP, wo statt ilessen malt (91,5) oder aban-
dantment (30,30) steht.
- = .obsidionem-; dieselbe Vertaaschnng von ob ond ad in dem
gleich folgenden assordissea ^ ob-sordiscas.
Die Verdoppelung der Konsonanten Im Altnormannischen. 135
3) ex -}- s.
R essoign 1232.
OP exsurdrunt 77,8 ist das einzige Beispiel mit ex.
CP essechas 73,15. essurdisses (:= obscurdescas) 27,1.
B esspesset 87, 12.
Q espeisse 253,6. 254,14. essuigne 5,3.
4) de -f s.
Da de und des (dis) leicht zu verwechseln ^ waren, so findet sich
bisweilen auch in der Verbindung de -|- s Doppelkonsonanz; jedenfalls
hatte aber auch das einfache s des Stammes den scharfen Laut. Hierhin
gehören:
A deseivret 67. desevrassent 117.
R deseveret 1201. deseverez 1977.
LC desevrement 755. desevrat 757.
O P desseit (deseit) 38,6. desevras 9,22. desevrerent 65,12.
dessevrer 37, 22. desseivre 42, 1.
CC desevrement 755. desevrat 757.
C P deseit (desit) 38,5. desserat (deerit) 33,10. desevre 11,6.
desevrai 17, 22. desseivrent CA., M. S. 5. dessevrat C. M. (Deut.) 23.
B desevere 124,23; auch gehört hierhin deseree, Schreibfehler für
desevree 128,4. deservi 77,4. 103,7 (hat stets einfaches s).
Q deservid 104,15. 183,2.
5) ens -\- s.
enssa'imez 0 P, C. M. ad f. J. 22.
6) tres -}- s.
R tressuet („trans-sudatum") 2100. tressalt 3166.
LC tressaillum 2347. 2373.
CC wie LC.
L tressue 196 (steht im Text; Hs. A hat trop sue).
CP tressalderai 17,29.
Überall findet sich also ss. 2
1 In Bezug auf das gleich folgende, gewöhnlichste der hierhin ge-
hörigen Verben des(s)ev(e)rer sagt Diez, Gr. I, S. 15: „disseparare für
separare. Nazarius." Nach G. Paris, AI., S. 103 steckt in desevrer jedoch
nicht dis („de-ex ou dis"), sondern de.
^ „bis?? ou bes?" (bissexte folgt unter ss) steckt nicht, wie Gautier
(Rol.) meint, in R bosuign 1366, LC u. CC busuin 30. 162 und Q busuin
136 Die Verdoppelung der Konsonanten im Altnormannischen.
Lateinisches ss.
Fast stets ist die Doppelkonsonanz ^ geblieben, wie folgende Bei-
spiele beweisen:
A alasserent 100. anceisurs 1. 3. apresset 12. cesset 17. le-
cesset 58. engraisser 51. lasse 22. 89. masse 43. message 78. passet
11. passer 103. poissent 63. poissuni 110. puisse 31. puisset 118.
puisum 74. presse 104. 105.
R anceisurs 3177. 3826. baisset 138. bassent 3273. cesser 2639.
cuntesses 3729. fosset 2590. 3166. fosse 3105. grosse 3153. lasse
2723. lasserat 871. masse 182. 651. message 92. 120. messager
2763. messe 164. 670. passerat 54. passer 83 (passe cerf — Passe-
cerf 1380). passage 657. 740. presse 933. 961, prese 1220. puissez
480. poisset 1555. poüssum 631. poüsum 624. puisant 2731. poisant
3111. qiiasset 2078. 3448. esquassent 3879. trespassast 2865, tres-
passees 3324. vasselage 25. 744. vassal 231. 352. vassalment 1080.-
LC abaissant 1420. basse 2542. basses 2544. bissexte 189. 191.
bisexte 3 2152. cessent 294. desqnassee 87. messeis 42. necessaire
27. ni'cessarie 36. passees 261. 2096. passiün 1620. 2750. poisse
1451. 1655. trespasser 1655. trespassant 3018. vassalage 1958.
OP basse 87,6. cesse 36,8. cessez 45,10. confessiün 41,5.
94,2. craisse 16,11. 62,6. deqnassera 109,7. encreissas 22,7. en-
craisserunt 64,13. cultiveresse 119,5. felnnessement 17,24. 34,22.
fosse 7,16. 9,31. messagier 67, 34. necessitez (C P hat anguisses und
travailz) 24,18. 30,9. passent 79,13. passere 83,3. passer 10,1.
pramesse 55,9. puissance 64,7. piiissante (s.) C. M. 6 (piiissanz '' C.
Mar. 4.7). possessiün 2,8. 77,53. sessiün 138,1. trcspasse 10,1.
trespasserunt 17,14. triclierresses 11,2. 11,3.
83,16. 168,5. Denn bei Diez, W. I, S. 386 heifst es: „Freilich lafst sich
letzteres (besoin) auf das zu einem nndt'ren Stamme gehörige ahd. l)i-siuniü,i
scrupulositas, woraus ein Subst. bi-siuni zu folgern ist, ... zurückführen;
denn dafs hier das romanische bis nicht im Spiele ist, zeigt teils der He-
griff des Wortes, teils seine Schreibung."
1 Die PTifiennamen mit ss (s) folgen in einem besonderen Abschnitt.
Vgl. aucli S. 133, Anm. 1.
^ mise, das wie bisur B 117,7 den weichen s-Laut hnt (vgl. S. 137,
Anm. 2) findet sich aufser in R 968, 3363 noch in demise R 1635, sowie
in remese A 27.
•■' Schon bei Augu^stin findet sich (nach Schuchardt III, S. 187) bisse.x-
tus und bisextus.
" OP hat sonst poant, poanz, vertud e. c., wo CP puissant e. c. hat;
auch CP hat puant S. A. 1. 5. puanz F. C. 13.
Die Verdoppelung der Konsonanten im Altnormannischen. 137
CC abassee 2528. baissant 1420. basse 2542. basses 2544.
bissexte 189. 191. bisexte 2135. 2148. cessent 294. desqiiassee 87.
gregesse (LC: griue) 3087. messeis 42. necessarie 27. 36. pas?ecs
261. 2096. passiiin 1620. 2750. puisset 1655. trespasser 1655.
trespassant 3018. vassalage 1958. vassals 1705.
L grasse 897. groissur 869. iclropisie (pitissare, ninuEiv; Diez)
157. message 16. passez 130. passiiin 401. pisse 530. poissant 6.
122. poissance 30. poisse 686. poissent 851. rosinete (von riissus) 880.
CP abaissent 21,7. anniincieresses 70,18. basse (= basem) ^
103,5. cessat 35, 3. cessez45,10. cessable T. D. 4. confessiün 41,4.
68,33. craisse 16,10. 80,15 (auch creisse 62,6. 64,12 und crasse
91,13). cumpassai 74,3. cumpasse 92,1. dequasse 45,2, dequaissie
45.6. encressas 22,5. eucreisset 118,70 (auch engraissiez C. M.,
Deut., 22). felunessement 17,21. 74,4. felenessement 82,3. fosse
39,2. 56,8. possessiun 2,8. 103,24. puisanz (Hs. B: ss) 23,8. C.
S. M. 4. 7. puissanz (Hs. A und B) 51,1. puissant 50,13. 71,12.
puissent 58,13. puissance 76,14. 77,4. puisance C. S. M. 6. quasset
17.7. quassas 73,14. rennissiün Symb. Ap. 7. sessiün 138,2. tres-
passent 17,12. 41,7. tricherresse 51,4.
B baise (= declines) 90,25. cessum 79,24. crisopassus 127,3.
esspesset 87,12. felunesse 109,11. fosse 82,19. 86,18. fossette
88, 27. füsette 90, 27. larenesse 109, 11. passer 92, 27. passerat 97, 25.
paissiün 79,11. passiiin 100,19. 117,30. puisse 76,12. trespasser
76,12.2
Q abaissad 67,18. 146,11. alassez 49,9. alasserunt 178,3. an-
cesurs 330,5 (auch ancestres 295,4). basses (s.) 251,16. 255,4. base
(s.) 254,16. 255,8. basse (adj.) 216,5. 285, 15. cesse 20,6. cessast
25,1. chanteresse 195,8. confessiün 210, A. 1,2. deuesse 279,19.
espeisse 253,6. 254,14. felenessement 71,9. 132,7. fenelessement
174,9. 298,10. fosses32, 12. 42,15. fossed 317,13. graisse 49,
A. 1,2. 5. gioisse 253,4. grosse 62,1. 245,18, masse 157,10.
436,9. niasseiz 250,5. meissuns 202, 13. maissuns 212, 12. messages
9,6. 23,12. ossenient 203,3. 286,9. passed 5,6. passerent 29,8.
^ Schon oben ist die lat. Form bassim genannt worden.
^ B 117,7 steht bisur. Es stammt nach Diez vom lat. bysseus, eigtl.
Baumwollenzeufr, dann braun. „Die Vereinfachung des ss im Fem. bisa,
bise macht keine Schwierigkeit: sie ist dieselbe wie im Part, misa, mise,
lat. missa." Vgl, S. 136, Anm. 2.
138 Die Verdoppelung der Konsonanten im Altnormannischen.
possessiün 4, A. 2,5. 96,10. praraesse 145,4. 222,1. presse 373,14.
promissiön 2, A. 1,2. 2, A. 2,4. rescusse (s. = * reexcusa) 36,11.
russet 59,13. russaz 66,17. trespasserai 208,12. trespassant 379,13.
vassals 97, 18. 118,10. vasselage 212, 13. ysope (= „hyssopum")
241,5.
Im Anschlufs an diese Formen mögen die zahlreichen Verbal-
endiingen mit ss, seltener s, i folgen :
A alasses 2 90. angendrasses appendix. baillissent 105. confor-
tasses 90. desevrassent 117. doüses 64.83. doüsses 84. doüssurn 124.
feisses appendix. fussent 33. fusses 81. 92. oüsse 46. 98. parlasses
90. perissent 60. reconfortasses 78. repairasses 78. revenisses 95.
scarnissent 54. soüsse 98. soüsent 98. vedisse 87. 92. volisse 41.
R baillisent 2349. beneisse 1931. beneissent 3667. brunisant
1621. creisez 1728. cunvertisset 3674. doüsez 353, doüssez 455.
esbaldissent 1481. esclargisset 958. escremissent 113. establisent
3027. 3237. establissent 3217. glatissent 3527. guarantisez 3277.
guarisez 21. guarisset 1837. guerpissent 1626. guerpisset 2683. he-
nissent 3526. oiissent 688. oiisse 691. oüssum 1717. 1729. partis-
sent3529. plevissent 3847. vei'ssez 1622. ve'issum 1804. veisez 349.
3388.
LC acuntissum 2114. celebrassent 3286. cre'issent (CC hat als
Schreibfehler cresisant) 490. deguerpissnm 1662. doüssent 1174.
esboillisant 1331. feissum 2113. guardassent 2250. 3285. presissent
673. ocesissent 674. sacrifiassent 2249. seüssent 1173.
OP aemplisset 19.6. amassent 108,3. areisse 89,6. benei'ssant
36,23. beneissez 65,7 (benediseient 61,4. benediseiz 67,28). beneiseiz
102,20. beiissent 77,49. cachassent^ C. M. ad f. J. 44. cuneüsse
72,16. deguerpisses 70,20. deperdisse 100,10. deperisse 108,14.
destruisis 79,13. 88,43. devancissent 78,8. disissent C. M. ad f. J.
41. dunasse 50,17. enasprissent 65,6. 67,7. endurcisse 89,6. en-
flaistrisseit 106,26. enorguillissent C. M. ad f. J. 40. entendissent
57,9. C. M. ad f. J. 43. esbuillissed C. Hab. 25. escharnissont 24,2.
establisanz 17, 36. establisis 88, 46. establisseiz 177,26. feissent 104, 23.
' Das aus lat. sc entstandene ss folgt weiter unten.
^ Es möge hier erwähnt werden, dafs das heutige aller in unseren
Texten stets einfaches 1 aufweist.
^ In Ztschr. f. rom. Phil. III, S. 176 heifst es : „cachassent ist, wenn
man capti'ire ansetzt, auffällig . . . und wahrscheinlich Schreibfehler für
chacassent. " Cod. Corb. hat chacjassent.
Die Verdoppelung der Konsonanien im Altnormanniscben. 139
frescissanz 80,8. fussent 34,15. 89,2. haissanz ' 17,44. haissent
104,23. maldiseient 61, 4. nurrisset 32, 19. ordisseie C. Hez. 5. oiisse
80,13. oüssent 123,2. perdissent 118, 95. perissent 67, 2. 91,8 (auch
parisfeiz 2,12). purpensasse 118,148. purveissent C. M. ad f. J. 43.
ravisset 7,2. 9,32. ravissanz 21, 13. regehissez 29, 4. 32,2. reposisse
54,13. requesissent 77,21. resplendi.ssent 143,7. sustenisse 54,12.
truisse 131, 5. truisset 20, 8. veisse 39,16. 62,3. vergundissent 6, 10.
30,21. volsisses 50, 17.
CC celebrassent 3286. cuntissum 2114 (neben acunturn 2410).
doüssent 1174. esbnillissant 1331. feissum 2113. guardassent 2250.
3285. guerpissum 1662. oceissent 674. presissent 673. sacrifiassent
2249. soüssent 1173.
L apareissant 736. deüssent 393. f'ussant (= fuissent) 788.
poissant^ 6. 122. 159. poissance 30. poisse 686. poissent 851. re-
splendissanz 636.
CP aemplisset 19,4. alassent 106,7. apresisse 118,71. apru-
Qassent 26,2. assurdisses 38,14. aünassent 30,14. benedissetit 61, 4.
beneissez 65, 7. boüssent 77, 44. caceassent C. M. (Deut.) 44. de-
guerpisses 26,11. 37,21. deperdissent 77,45. desissent C. M. (Deut.)
42. destruissis (Hs. B: s) 43,2. eississent 104,38. enorguillissanz
9,23. enorgujlisent 48,6. C; M, (Deut.) 41. entendisse 72,16. en-
tendis.«ent C. M. (Deut.) 43. esbahisseie 76,4. esbuillisset C.Abb. 24.
escharnissent 21,7. escharnisseient 118,51. esclerzisset 66,1. esjois-
sez 31,12. 32,3.3 establisanz 17,33. feisse 39, 10. 118,112. fle-
chi.sums 94,6. fremisseient 34,17. fressissant C. M. (Deut.) 26. fuis-
sent (= fugerent) 59,4. fusse 34,14. fussent 77,39. guardassent
104,45. guardasse 118,101. manjassent 26,3. 77,25. nesquissent
89,2. obeissanz 102,20. ocesissent 41,10. oisse 118,67. ordiseie C.
Ez. 5. eüsse 80,13. oüssent 104,25. 123,3, perdissent 118,95.
perissez 2, 12. perissent 39, 19. purpensassae 118,148. purveissent CM.
' CP hat 17,41 haanz und 101,25 a haenge oüssent = odio haherent.
^ Im Text steht poischant; jedoch bemerkt Pannier (Einleitung, S. 33):
„11 y a aussi poischant, mais il est probable que c'est une faute pour pois.^ant,
qu'on trouve deux fois (159, 30)." Die Zahl 30 ist übrigens, wie obige
Citate zeigen, unrichtig.
* „Schwanken zwischen der inchoativen und einfachen Flexion zeigt
sich bei esjoir : esjoient 67,3 neben esjoisse 91,6." Fichte, Die P'lexion im
Cambridger Psalter S. 68. OP hat (aufsfr esjoissement C. Hab. 22) nur
einfache Formen (z. B. esjoez 31,14) oder benutzt ein anderes Verb (eS'
leecet 42,4) oder gebraucht Umschreibung (delitable chose 132,1).
140 Die Verdoppelung der Konsonanten im Altnormannischen.
(Deut.) 43. piirvuchassent 77, 17. ravlsset 9, 30. ravisse 49,22. recor-
di.ssnms 136,1. rejeissez 29,4. regehissent 66,3. regehisez 96,12.
regehisiez 104,1, 105,1. regehisent 144,10. resplendissant 54,23.
soüssent C. M. (Deut.) 43. truisse 131,5. turmentassent 68, 29. ver-
gundispenti 69,2. 82,17.
B apoverissant 120,14. ciinnisseient 77,28. fnsent 127,30.
gnerpisum 76,20. guerpissent 96,30. 109.21. hennissant 93,4.
Q achatassent 391,2. acusassent 331,5. alasse 105,6. alassent
281, A. 1,2. amendassent 389,13. aparisante 247,20. atiirnasse
288,16. aiirassent 405, 2. aüsapse 79,16. boüsse 287,12. ceinsis-
sant98,3. criasf^ent 173, 19. mliivassent 404, 15. cumbatissent 338, 16.
cumenchassent 316,15. cunduissuns 196,15. decolas?ent 380, Rand,
deissant (dicerent) 72,1. deissent 192,1. desirassent 132,19. despen-
dissent 423,12. deüssent 20,3. diinasses 187,3. 287,9. dussent
244,9. 244,11. encnsassent 107,11. 107,19. endoctrinassent 340,9.
endureissez 21,1. enmenassent 23,13. enpeinsissent 378,19. en-
qupisse 272,7. entendissent 48,10. entreme'issent 436,1. enveissez
350,9. escliarnissentll8, 11. espermentasse272, 7. entamassent 202,17.
entrassent 190, 11. enveiassent 380, Rand, eiisse 3,15. eüssent 166,2.
feisse 101,6. feissent 281, 5. 331,3. feisent 166, 4. fissent 280,17.
flaistrissenl 414,14. forf'eissent 387,14. fmnisse 4,8. fussent 9,14.
36, A. 1,1. fusent 186,13. fuissnms 127,14. gissent (gesir 198,19)
155,16. giseit 160,14. 163,8. gnaitassent 166, 1. guarda?sent 74, 16.
186,5. giiarisse 168,4. guansseit 241, A. 1,8. giiaresist 362,4.
guerpissez 301,15. laidissant 94,7. loassent 341,10. mandassent
176,9. manjasse 287,12. me'issnms 369, 15. menasse 288, 15. obe'is-
pant 56,6. obeisant 146,16. obeissanz 62,10. oceissent 73, 7. oissent
173,19. oisse 272,8. otissent 1, A. 2,1. ons?es 3,6. oüsse 43,10.
oüses 43,14. oüsent 207,5. parlassent 72,1. parlasse 170,10. pai-
tissez 35,4. pecchas.«ent 340,10. perisse 169,16. poüs.'^ent 20,3.
36,6. preis.'ies 100,8. purrisseient 19, 3. pnrve'issent 383, 13. receus-
isent 117, 15. rechusse 362,20. rofeissent 389, 12. regnassent 298, 9.
relevassenl 279, 3. remeissent 176, 7. reqneis.«ent 316, 16. retenissent
74,16. returnasse 287,13. ruassent 426,6. sacrefiassent 405,2. ser-
vissent 340,11. soldeassent 391, 1. soiissant 42, A. 1, 1. sujurnassept
152,4. sunassent 410, 19. tapisse 77, 17. tenissent 280, 17. teste-
' Neben vcrgundent (= revereantur) 68,8, wo OP aient bunte liest.
Die Ver'ioppehing der Konsonanten im Altnornianniscben. 141
moniassent 331, 6. travaillisse/, 350, 10. truissent 97, 11. trnisse 178, 8.
tuassent 88,1. 384,2. tuchassent 171,15. uissums 127,14. veisses
3,14. venissent 23,13. 43,10. venjasses 100,19. vestisscnt 132,19.
volsissent 105, 6.
Aus dem Verzeichnis dieser Formen ergiebt sich, dafs sich fast
stets SS, daneben aber auch einfaches s findet.
An diese Zeitformen mit ss (s) mögen sich die Wörter mit den
Endungen isseraent, issur und issable anschliefsen. Es sind folgende:
OP gemissement 6,6. 11,5. esjoissement C. Hab. 22. fremisse-
ment C. Hab. 18- resplendissemenz 76, 18. resplendissement 143, 7.
L resplendissable 164.
CP gemissement 6,0. 11,5. esjoissement 42,4. esjoiessemenz
95,6. esjo'isement C. A. 21. fremissement C. A. 17. frencliissement
43,13. guarnissement 30, 3. warnissemenz 88, 41. rugisement (Hs. B :
ss) 21,1. esba'issur 115,2. oscharniseiirs 1,1. esjo'issable 132,1.
Es steht also auch hier fast ausnahmslos ss.
L at. X.
Schon im Lateinischen findet sich s oder ss statt x, z. B, assis,
Alesander, visit und vissit. ^ Im Normannischen ist meis ens ss, sel-
tener s für X eingetreten.- Die hierhin gehörigen Formen sind:
A eissit 15. eisit 17. issi^ 49. eisi 55. esample 37. laisent 16.
39. laisas 94. laissent 116. 120.
R desist 1760. eissirent 1776. eissut 2810. issent 2640. 2766.
essaiet 2068. essample 1016. essamples 3979. issi 63. 606. laissum
229. laissent 1000. lessez 569. lesset 824. laisez 265. laisat 1114.
leserat 1206. quisae* 1653. seisante 1689. 1849.
LC eissir 724. essem{)larie 66. eissi 153. 432. laisse 138.
laissent 256. lasser 2018. seissante 1983. 2041.
OP dissis^ 89,3. diseie 93,18. eissi 1,5. 41,1. issi 34,17.
60,8. eisset 16,3. eisseies 67, 8. eisit 18,4. eisanz 18,5. isseit 40,7.
eissemenz 18,6. 64,8. issement 73, 6. essalcez7, 6. essalchanz 17, 54.
' Schuchardt I, S. 133.
- Auch findet sich dreimal x.
3 Wegen der Ableitung dieses Wortes aus a^que sie (üiez) führen
wir es hier bei x an
'' Die Handschrift liest als Schreibfehler quifse.
^ Nach Meisters Kollation (S. 120) ist disis zu lesen.
142 Die \'erdoppelung der Konsonanten im Altnormannisclien.
exalceras 17, 52. exalcet 20, 13. ^ cssamplas 118, 32. essamplide CA. 2.
essai 25,25. essaierent 94,8 (auch essaierunt 34,19). laiserent 16,16.
laissai 80,11, laissa 104,13. maixeles 31,12. quisse 44,4. teissant
C. Hez. 5.
CC eissir 724. issir 1741 (LC hat saillir). essemplarie 60. issi
153.432. laissent 256. laisset 1649. seissante 1983. 2041.
L coisse 776. eissue 828. i.si 88. 646. issi 205. issir 337. issent
862. laisast 20. seisante 728.
CP asaierent 77,41. 94,9. essaie 25, 2. assamplie C. A., M. S. 2.
essamplas 118,32 (auch ensannpliz C. M., Deut., 22j. deleisses 26, 1 1.
delessas 84,2. delessad 104,20. eshalcet 9, 13. eshalcer 74,4. essalciez
54,12. essal^as 138,15. esleissas 49,19. laissai 80,11. lesse 36,8.
lessad 104, 14. leises C. Sim. 1. leisad U. S. M. 8. desissent C. M.
(Deut.) 42. detraisis 88,45. eissi 89,13. issi 1,5. 34,15. eisitl8,4.
eisuz F. C. 23. eisset 108,8. eissanz 40,6. isset 16,2. issuz 104,23.
eisemenz 18,6. eissement 67,21. issement 64,8. maissele 3,8. mai-
seles 31,10 (Hs. B: ss). quisse 44,3. teisant C. E. R. 5.
B buissun 87,14. 88,9. bussun 87,20. buisun 87,17. buissunet
87,12. essample 90, 15. 96,21. essercer 121, 7. issi 77, 18. 95,27.
isi 104,18. issit 86,6. eissirent 97,17. laisse 76,9. laissum 91,28.
lassat 86,7. lesse 94, 14. 115,25. leser 114, 16. quisse 112,20.
Q aissels 255,8. 255,12. aiselers 250,17. asaiad 66,8. eissil
172,5. eissuz32,5. eissi 61, 10. isse6,7. issent 46, 14. eisist 362, 18.
eshalcied 334,11. essample 268,10. issi 21,13. 24, A. 1,1. laissez
6,7. laissad 21,2. laisad 64,1. seisante 128,4. 381,4. teissures
62,2. teissuz 249,9. tissurs 204,5.
L a t. s c.
A conuissent 41. conuissum 72. naisance Einl. recunuissent 40.
R boissun 3357. conoisance 3987. cunoisances 3090. conoissent
3901. reconoisable 3124. reconuisance 3620. reconuisset 3588.
LC creissance 2385. creissutn 3089. peissun 1448. 1450.
OP creissed C. Moys. ad f. J. 2. cruissirent 15,7. cunuissums
66.2. iraissez 4,5. iraissent 98, 1. naissement 49, 2. 106,3. naissance
57.3. 72,15. peissuns 8,8. 104,27. vaissels 7, 14. 30,16. vaisel
2,9. vaisels 70,25.
• Diese beiden Formen mit ex und das gleich folgende maixeles sind
die einzigen Formen mit x.
Die Verdoppelung der Konsonanten im Altnormannisclien. 143
CC creissance 2385. creissum 3089. peissun 1448, 1450.
L creisent 150. creissant 735. 738. cunuisance 98. cunuissent
34. peisun 853. 856. vaisel 602. vaissel 006. 709. vessie 669.
CP creissanz 143, 12. creisset C. M. (Deut.) 2. cunuissiez 4,3.
cunuissand 94,10. dessend ^ 143,5. faisses (=^ fascia) 44,13. flu-
rissed 89,6. iraisez (Hs. B; ss) 4,4. iraisset 123,3. neisance (Hs.
B: ss) 57,3. neissance J09, 4. neissant 103,22. nessement 45,5.
49,1. peisseie 151,1. peissun 8,9. peissuns 104,29. vaissel 2,9.
vaisels 7,13. 70,22 (Hs. B: ss). veisels 30,13.
B decreissent 107, 10. desentll4,7. naissement 1 11, 1 7. peissun
81,3. 98,4. peisun 104,28. 110,3.
Q creisseit 9,5. creissent 275,2. cuneissez 112,7. cunuissent
264,1. cunuissance 357, 5. peissuns 240,2. 241,6. poissum 29,16.
recunuissance 216, A. 1, 2. vessel 32,8. vaissel 66,12. 98,17. vai.'els
400,6.
Aus lateinischem sc ist also normannisches ss, selten s entstanden.
Ger man. s k.
Dasselbe findet sich als s, c, ss oder sc in :
OP decirera 76,8. descireras C. Hab. 15. dessiras 29,14. fres-
cissanz 80,8. C. Moys. ad f. J. 26.
C P deciras 59, 1. decireras C. Abb. 14. fressissant C. M. (Deut.) 26.
Q dessired 16,1. dessirad 333,6. descirad 164,16. 166,9. de-
sirad 56,20. desired 120,3.
Lat. st.
Dasselbe wurde zu ss, selten s, in :
A angussuse 92. fruissiet appendix.
R anguisables 301. 3126. anguissables 3444. anguissus 823.
2198. angoisset 2010. angoiset 2575. anguissent 3634. fruiset 237
fruisez 2539 (defruisent 2588). fruisset 1317. 2289,
German. st.
cruissent R 2540.
1 Dies ist das einzige Mal, wo dieses Wort mit ss erscheint; hernach
findet sich in ß desend; sonst weist die.«es Wort stets sc oder c auf, z. B.
R descendre 3919. 3920. CP decendrat 7,16. decendit 17,9. descendent
21,30. 27,1. B decent 105,8. decendreit 118,27. Q descendirent 32,1. des-
cendit 75,18.
144 Die Verdoppelung der Konsonanten im Altnormannischen.
Lat. p s.
R ensementi 3173. 3223.
LC ensement 1127. 1148. esse 24C9.
OP ensement 1,3. 1,5. enssenient 41,1. C. Moys. ad f. J. 3.
CC ensement 1127. 1149. esse 1433 (L C hat ceste). 24G9.
L ensement 78. 449.
CP essement 28,6. 147,9. ensement 1,3. 1,5. dessi 2 4,2.
B ensement 75,9. 82,3. esse 93,3.
Q ensement 4, A. 2,9. 37,8.
Lat. c.
Dasselbe ist nur in der Endung -icellnm in folgenden zwei Wör-
tern zu ss' geworden :
OP arbrissels 79, 11.
CP russeals 64, 10. ruiseals 77, 16. 77, 44 (Hs.B hat beidemal ss).
ruisals 1,3.
Es erübrigt nun noch, einige Formen nachzuholen, die zu keiner
der bis jetzt genannten Ableitungen zu rechnen sind. Zunächst :
ß trussez 130. trosser 701. estrussee 722.
Während Diez und andere dieses Wort von tortiare mit umge-
stelltem r herleiten, die Ableitung vom celtischen trus oder ahd. trust
jedoch abweisen, heifst es bei Gautier (Rol.) : „Des deux explications
que l'on a donnees de ce mot, l'une, tortiare, est impossible ; l'autre,
par le celtique trus, bien qu'elle ne soit pas sure, est au moins pos-
sible. Note de W. Fcerster. " Und in der Zeitschr. f. rom. Phil. II,
S. 172 sagt W. Foerster selbst: „Das Zeitwort hat mit tortiare nichts
zu thun, das torcier geben müfste, aber nicht trosser! V. hat croleit,
Vs. crolee. Daher ist wohl da-f sinnlose trussee , beladen' palaogr. ein
durch kleine Striche aus crullee entstelltes Wort ...", also ein Ver-
sehen des Kopisten (oder Korrektors), der crullee in trussee änderte,
' „Ce n'est pas ipsa-mente, dit W. Foerster, mais un moL forme avec
mente et i'adverbe simple ensi (?), donl l'origine n'est pas assuree." (iantier
(Rol.). Gautier fügt hinzu: „On peut neanmoins opposer ä Fcerster le pro-
ven(^al eissamenf und, so setzen wir noch hinzu, das in C P wiederholt vor-
kommende essement.
^ Nach Reimnredigt S. 75 = de ipso und i (ibi oder hie); OP hat
V. 3 : desque a quant.
3 „rivicellum ::= ruissel ::= ruisseau," Bibliothöque, 16« fasc, S. 121.
Sonst wurde c zwischen N'okalen zu is, z. B. OP aisil 68,26; CP aisil 68, 24;
L noisance 610; B taisum 79,22; Q luisante 248,3. maisereres 267,6.
Die Verdoppelung der Konsonanten im Altnormannischen. 145
„dem er ein es — 722 — vorsetzte; dieses estrusser ... ist (j^s be-
kannte estrusser, estrosser , zersplittern', von trus, tros, *, Splitter,
Bruckstück'."
Derselbe Stamm findet sich in
LC destrossoiient 1169. destrusser 1176.
CC destrusouent 1169. destrusser 1176.
B trusees 93,2.
Q estnissad 77,9. estrnssee 78,4.
Sodann ist zu nennen :
Q 57,9 (A la) parestrusse, nach Burguy von „ad et extrorsum".
Germanischen Ursprungs sind:
CP cumbruissas (O P hat atribled) 3,8 von brochlsön (Diez) und
Q enlassad 157,7 von tas (Diez).
Besonders zu nennen sind:
OP (par) desserte 7,4 (Littre: „des ... pour de avec une s de
prononciation et servlr") und ressurdet 40,9.
L disesset 148,
CP giissille 77,48, wohl Schreibfehler f'ir grisille. i
B esspie (spica) 90, 26.
Neben disesset findet sich:
A dis e seat 33 und dis e set 55, sowie
Q dise-setme 342,19.
Folgende Eigennamen mit ss (s), die teils lateinischen , teils
hebräischen Ursprungs sind, haben, falls nicht das Gegenteil hervor-
gehoben wird, auch in der Ursprache dieselbe Form wie das hier zuerst
zu nennende Wort :
R Bruise (= .,Borussiam") 3245. Grossaille 1649. Rossillon
797. Russillun 1896.
OP Assur 82,7. Jerusalem 50,19. 64,1. Manasses 59,7. Ma-
nasse 79, 2.
CP Assur 82,8. Jerusalem 78,1. 115,9. Jerussalem 136,6.
146,2 (auch Gerusalem 134,21). Manasses 59,7. Mannasse 79,2.
Mannasses 107,8,
' Unter mouilliertem 1 finden sich die übrigen Formen dieses Wortes
mit stets einfachem s.
ArchiT f. n. Sprachen. LXXY. 10
146 Die Verdoppelung der Konsonanten im Altnormannisclien.
Q Assen (= „Jassen") 214, 18. Assur 394,15. Assyriens 395,2.
399,3. Asynens399, 1. 401,5. Gessuril25, 5. Gessur 128, 15. Jeru-
salem 154, 9. 173,21. Manasse 238, 18. 302,2. Messallemeth 422,13.
MessuUam 423, 4. Salmanasar 401, 5. Salmanassar 406, 18. Tegla-
falasar (= „Teglathphalasar") 394, 15. Teglaphalassar 398, 21. 399, 3.
Thelassar 412,18. Ysachar (= „Issachar") 239,5. 305,1.
z.
Nur zwei Wörter zeigen die Doppelkonsonanz zz, nämlich duzze
(duodecim) Q 124, 1 u. 2, sowie espiezz, Plur. von espiet, R 1811.
Was zunächst das letztere Wort anlangt, so ist es wohl Schreibfehler
fiir espiez. Aufser dem zuerst genannten duzze finden sich in Q selbst
und in anderen Texten folgende Formen desselben Wortes mit ein-
fachem z und einmal mit c:
R duzei 262. 286.
LC und CG duze 260. 267.
L duze 524.
B duze 106,21. 126,19. duce 106,25.
Q duze 181,1. 204,7.
' In den Memoires III, 8. 119 sagt V. Thomsen über dieses z: „Dans
les niots veritablement franc^ais il n'y a qu'un petit groupe oü dans rancieiine
langue on ait eu en realite dz medial: ce sont les noms de nombre de
11 ä 16, (ians lesquels la continuation du c latin est contractee avec le d
precedent. La on iie trouve Jamals ecrite s, mais aussi ny a-t-il point d'al-
traction d'i, p. ex. douze doze pour dodze ..."
Elberfeld. E. Eickershoff.
(Schlufs folgt.)
Die Lieder des Hugues de Bregi.
Die Lieder, als deren Verfasser Hiigiu'S de Bregi genannt wird,
sind folgende :
Nr. 1. Ensi ke chil ki cuevre sa pesance.
Nr. 2. Encoir ferai une canchon perdue.
Nr. 3. Nus hom ne set damis ki puet valoir.
Nr. 4. Sonkes nus hom pour dure departie.
Nr. 5. Lonc tans ai servi em balance.
Nr. 6. Quant voi le tans felon rasoagier.
Nr. 7. En aventure ai cante.
Vgl. Bibliographie des Chansonniers Fran^ais des XIII^ et
XIV^ sieeles etc. par Gaston Raynaud, Paris 1884, in 8». 2 T.
Sämtliche Lieder sind gedruckt bei Brakelmann, Archiv für das
Studium der neueren Sprachen Bd. XLI — XLIII, nach der Liedei--
handschrift Nr. 389 zu Bern, deren Kopie (Fonds Mouchet 8 in Paris)
für die diplomatische Wiedergabe als Vorlage diente. Nr. 1 Archiv
XLI, p. 356, Nr. 2 p. 353, Nr. 5 Archiv XLII, p. 380-, Nr. 6 p. 358
(nicht bei Tarbe, Chansons de Thibault, wie G. Raynaud a. a. O. unter
Quant voi.. irrtümlicherweise angiebt), Nr. 7 Archiv XLII, p. 287;
Nr. 3 Archiv XLIII, p. 264, Nr. 4 ib. p. 350.
Nr. 4 findet sich aufserdem gedruckt bei : De la Borde, Essai sur
la musique ancienne et moderne. T. 2 (1780), in 4°, p. 304. Ge-
druckt nach Nr. 846 der Bibl. Nat. Paris. — Fr. Michel, Chansons
du Chastelain de Coucy, revues sur tous les mss. (1830), gr. in 8^,
p. 89. Nach den Vatikan- und Nat. -Bibl. -Handschriften. — A. I. V.
Leroux de Lincy, Recueil de chants historiques fran9ais, T. I (1841),
in 80, p. 101. Abdruck nach Michel. — A. Keller, Romvart (1844),
10*
148 Die Lieder iles Hugiies de Bregi.
in 8", p. 257. Nach der vatik. Handschrift Nr. 1490. — P. Tarbe,
Chansons de Thibaiilt IV, comte de Champagne et de Brie, roi de Na-
varre (1851), in 8^, p. G5. Nach Mouchet 8. — E. Mätzner, Alt-
französische Lieder (1853), in 8«, p. 12, 93, 94, 96. Nach Keller;
Beilagen nach Laborde und Älichel.
Folgende Gründe lassen mir eine nochmalige Herausgabe als zum
mindesten nicht überflüssig erscheinen :
1) Es fehlt bis jetzt an einer eingehenden Betrachtung über die
Heimat, Sprache und Verhaltnisse des Dichters, dessen Lieder sich doch,
nach ihrer häufigen Reproduktion zu urteilen (einzelne kommen in
IG Liedersammlungen vor), einer gewissen Beliebtheit erfreut zu habe«
scheinen.
2) Brakelmann, dem aufserdem zwei Handschriften, die von Frank-
urt und Nr. 1050 nouv. acqii. Bibl. nat. Paris, unbekannt waren,
läfst sich manche üngenauigkeiten zu schulden kommen, die eine Be-
richtigung heischen :
Zu Nr. 1. Br. (Archiv XLII, p. 77) kennt das Lied nicht in
AI, A2 und Ba.*
Zu Nr. 2. Br. giebt keine Variante an ; auch ist dies Lied im
Estenser Codex zu Modena nicht das 59. der dem Monios zugeschrie-
benen Lieder, sondern anonym (nach G. Raynaud).
Zu Nr. y. Br. behauptet, in Ms. 20 050, f. 172 Bibl. nat. Paris
stände nur eine Strophe von diesem Liede, während sich thatsächlich
deren vier finden. Er wird es mit Nr. 5 verwechselt haben, von dem
diese Handschrift in der That nur die erste Strophe hat. Ms. 12 615
bringt es nicht anonym (vgl. die Tabelle weiter unten). In der Hand-
schrift 659 Arras kann es unmöglich das vierte dieses Dichters sein,
da dieselbe nur drei dem Uges de Bregi zuschreibt. Brakelmann XLII,
p. 62 führt selbst nur drei an; siehe auch G.Raynaud. Br. kennt das
Lied nicht in Ba, Bb, B 2. Es mufs sich früher auch in A 2 befunden
haben, denn in der Table des Chansons ist das Lied unter Seigneur
ügon de Bergi aufgeführt und dabei auf fol. 25 verwiesen; dieser Um-
stand ist von G. Raynaud nicht erwähnt worden.
Zu Nr. 4. Ein kritischer Text ist in keinem der oben erwähnten
Drucke geliefert. Br. führt weder die Varianten der siebenten Strophe
in B3a, B3b, noch die sechste Strophe in A 1 an.
* Ich brauche der Kürze wegen für die Manuskripte die Buchstaben,
für deren Bedeutung icli auf weiter unten verweisen niufs.
Die Lieder des IJugucs de Bregi. 149
Zu Nr. 5. Br. führt nicht an, dafs A 1 nur drei Strophen von
diesem Liede enthält.
Zu Nr. G. Nr. G ist in A 2 nicht dem Hugues de Bregi, sondern
Blondiaus de Neele zugeschrieben. Br. kennt es nicht in AI.
Zu Nr. 7. Dies Lied findet sich nicht nur in Fl und AI, son-
dern aufserdem noch in F2, A3 u. Ba.
Zu den Handschriften. A3 enthält nicht ein Lied von Hugues
de Bregi (Archiv XLII, p. 521), sondern zwei, wenn auch bei Nr. 2
der Autorname unvollständig ist. A2 schreibt dem Hugues de Bregi
nur 4, nicht 5 Lieder zu.
3) Brakelmanns Behauptung, dafs F 1 für die Chansons fast aus-
nahmslos die besten Recensionen biete, erleidet gerade für diese Lieder
eine leicht zu konstatierende Ausnahme. Ich bemerke: Häufige Reim-
wiederholung, ohne dafs die Reimwörter etwa Zwillingswörter wären,
ohne dafs also weder, eine Verschiedenheit der Etymologie noch der
Bedeutung vorläge; so Nr. 1 116, Nr. 1 V4, 7. — Unreinheit des
Reims Nr. 1 n7, Nr. 1 VI 2, Nr. 6 13, Nr. 3 IV 7. — Unbegrün-
dete, refrainartige Wiederholung Nr. 7 VlO. — UnvoUständigkeit
Nr. 1 IV3. — Schreibfehler ma nie für mamie Nr. 1 VIII.
Aufser der UnvoUständigkeit von Nr. 7 (vgl. Tabelle) fehlt in
Nr. 4 die für dieses Kreuzlied so wichtige vierte Strophe.
Die Handschriften, welche Lieder von Bregi enthalten und die ich
einsehen konnte, sind:
Bibl. nat. Paris mss. fr. 12 615 ; für Beschreibung vgl. Brakelmann,
Herr. Arch. Bd. XLII, p. 57— 59. ^1.
„ „ „ „ „ 8U, vgl. P. Paris, les mss. fr. t. VI, p. 450—3,
sowieCatal.desmss.fr. t.I, p. 98 — 105, ^3.
„ „ „ „ „ 845, vgl. Catal. des mss. fr. I, p. 105 — 110,
und Brakelmann, Arch. XLII, 52 — 53. J^5.
„ „ „ „ „ 84:6, vgl. Catal. des mss. fr. I, p. 110 — 114,
und Brakelmann, Arch. XLII, 54. J^a.
„ „ „ „ „ 841, vgl. Catal. des mss. fr. I, p. 114 — 118,
und Brakelmann, Arch. XLII, 54 — 55. J^l«
„ „ „ „ „ 1591, vgl. Catal. des mss. fr. I, p. 260 — 264,
und Brakelmann, Arch. XLII, 64 — 65. 2^ ^-
„ „ „ „ „ i55<Si, vgl. Br., Arch. XLII, 65-66. J).
„ „ „ „ „ 20050, vgl. Br., Arch. XLII, 48—49. p^2.
150 Die Lieder des Ilugues de Biegi.
Bibl. nat. Paris rnss. fr. 24 406; früher Lavaliiere 59; so noch bei
Brakeltnann; vgl. diesen, Arch. XLII, 49,
und Catal. de Bure II, p. 193-197. B4.
„ „ „ „ „ nouv. acqu. 1050; vgl. Gaston Raynaud, Bibl.
de l'ecole des chartes t. XL, 48—67. B ^ ^•
Berner Liederliandsclirift 389; vgl. Sinner, Catal. III, p. 365 — 375;
Wackernagel, Altfranz. Lieder p. 86 — 113;
Brakelmann, Arch. XLII, 47— 48, 73 — 82,
241 — 392; Gröber und v. Lebinski, Ztschr.
für rom. Phil. III, 39 — 60. pi.
Bibl. de l'Arsenal, Paris 5198, früher Fonds de Paulmy 63; vgl. Brakel-
mann, Arch. XLII, 53 — 54. B^«.
Bibl. des Vaiican 1490; ich konnte nur die Kopie benutzen, welche
sich unter Nr. 3101 (früher 62) in der
Arsenalbibliothek zu Paris befindet, aber
leider nur zwei Lieder enthält ; vollständig
war jedoch der Katalog dazu. Vgl. Keller,
Romvart 379 — 398; Brakelmann, Archiv
XLII, 61—62. ^2.
Die nichtkollationierten und darum bei der Vergleichung der Hand-
schriften unberücksichtigt gelassenen Manuskripte sind:
Frankfurter Stadtbibliothek Nr. 29; nach G. Raynauds gütiger Mit-
teilung auf Pergament, mit einfacher Pagination. Wegen der
durch Feuer verursachten Unordnung der Bibliothek war es mir
trotz aller Bemühungen nicht möglich, des Manuskriptes habhaft
zu werden.
Arras 657; vgl. Catal. general des mss. IV, p. 68 — 69; Catal. des
mss. d'Arras (par Caron) p. 293 — 299 ; Brakelmann, Arch. XLII, 62.
Modena, Estenser Codex; vgl. Cavedoni, Grützmacher, Mussafia.
Um die Vergleichung der in den Handschriften enthaltenen Lieder
möglichst leicht zu machen, stelle ich sie in der auf S. 152 und 153 be-
findlichen Tabelle zusammen, Avelche die Zahl der Strophen, ihre Reihen-
folge (nach AI) und den Verfassernamen geben wird.
fc'obald nun eine Handschrift in irgend einem der Lieder vollstän-
diger ist als eine andere, so ist anzunehmen, dafs dieselbe älter ist
und allenfalls der weniger Strophen aufweisenden zti Grunde gelegen
haben kann. Selbstverständlich tritt diese Erwägung nur in Kraft,
Die Lieder des Hugues de Bregi. 151
sofern die Echtheit dieser Strophe unbestritten ist. Auf dieses Kri-
terium hin isolieren sich nun :
I. AI, durch die sechste Strophe in Nr. 4.
II. D, durch die siebente Strophe in Nr. 3.
III. F 1, durch die vierte und fünfte Strophe in Nr. 5.
IV. Ba, würde sich F 1 in Nr. 1, 2, 6 unterordnen, macht sich
aber selbständig durch VII in Nr. 4, Yllb in Nr. 3; wäh-
rend es sich hierin den Abhängigkeiten Bl — B4 fast,
gleichstellt, hat wiederum vor diesen und A 1 so manches
voraus, dafs ihm eine Originalstellung eingeräumt werden
mufs.
F 2 hat dagegen kein Anrecht, hierher gezählt zu werden, weil
die Unikumstrophe VIII in Nr. 3 nicht echt ist; sie erweist sich viel-
mehr als eine spätere Schöpfung des Besitzers der Handschrift, eines
fahrenden Sängers (vgl. Brakeimann a. a. O.).
Aus diesen vier Manuskripten gingen alle anderen hervor,
I. A 1 war Quelle für A2 und A3, eine Behauptung, die eines
Beweises nicht bedarf; die Recensionen decken sich fast völlig.
II. D isoliert sich.
III. Die nahe Verwandtschalt zwischen F 1 und F 2, welche nach
P. Meyer schon Brakeimann erkannte, bestätigt sich durch Vergleichung
der Strophen- Anzahl und -Reihenfolge in Nr. 1, 2, 4, sowie durch die
übereinstimmenden Varianten in Nr. 4 12, 4 III 1.5. 8, 4 VI.
IV. Ba ist durch das verlorene Ms. z (denn Bi, Bl, B2, B3a,
B 3 ^, B4 könnten ohne gemeinschaftliche Vorlage keine solche Ähn-
lichkeit unter sich zeigen) Grundlage gewesen für B^, Bl, B 2,
B3a, B 3 Ä, B 4, wobei natürlich nicht ausgeschlossen ist, dafs B3a
für B 3 5 oder umgekehrt vorgelegen hat, obwohl dies nicht zu be-
weisen ist. B4 kommt direkt von B«. Für Bl, B2, B 3 ^, B 3 a,
B4 ergiebt sich dies sofort aus Nr. 4, wo die Handschriften nicht nur
alle die ünikumstrophe VII und alle dieselbe Reihenfolge haben, son-
dern auch bis in die einzelnen Details eine überraschende Kongruenz
der Recension zeigen. Bb stellt sich zu dieser Gruppe sowohl in
Nr. 3 wie in Nr. 6. Nr. 5 fehlt bei allen völlig. Vgl. dazu die
übereinstimmenden Varianten : Nr. 2 1 2. 8 ; II 1. 2. 3. 6. 7. 8 ; III 1 . 4. 5. 6 ;
IVl.2.5.6; VI. 2. 4.5; Nr. 3 II; III 5 ; IV7; Nr. 6 15; 114;
III 1.2; IV 1.6. 8; VI. 3. Dafs die abhängigen Manuskripte Namen
einsetzten, wo die Vorlage anonym war (und Ba ist stets anonym), hat
152
Die Lieder Jes Iliigucs de Bregi.
T a
belle
d e r
" Ai"" 1 A2 1 A3
B«
B^
Bi B2
"^ ' • Bibl. nat. Paris! Vatican 1490. 'BiW. iiat. ParisiBibl. nat. Paris Bibl. nat. ParisiBiW. iiat. Paris[Bibl. iiat. Paris
iiss.fr. 12 615.1 Arsenal 3101. 1 mss. fr. 844. |
msB. fr. 840. |
rass. fr. 845. 1
mss. fr. 847. | mss. fr. 1501.
1.
6.
Hugues de
6
5
Bregy.
Im Katalog zu
letzte irrtüm-
1. 2. 5. 7. 4
.
3101
lich geteilt.
*
J4
nie sire
Seigneur
Ugon
de Bergi
vghes
sire huges
de bregi
anonym
2.
5
5
ImKat. zuSlOl
5
5. unvollstän-
6
1. 2. 3.4. 5.
5
5
5
c 'S
me sire
Seign. Ugon
dig.
60
me sire me sire 1
vghes
de Bergi. ]
mesire Uges
— ges de —
anonym
hugues de
bresi
Hugue de
bresil
anonym
3.
6
6
5
5 6
S
letzte irrtüml.
geteilt.
Im Kat. zu 3101
Seigneur
Ugon
de Bergi
1.2. 3.4. 7 b.
5«. 5?'. 6 a.
1.2.3.4. 76.
5ö.
1.2.3.4.5a. 1.2.3.4.5.
7 5. 6 a
^ s
mesires
mesire
me Sire
huges de
bregi
anonym
hugues de
bresi
hugue de
bresil
uues
de bargi
4.
6
5
5
5
5
letzte unvoll-
mesire Uges
de l'resi.
Blatt
1.3.2.7.5
1. 3 2. 7. 5
1.3.2. 7.5
tn S
U o
ständig.
ausgerissen.
Li cliaste-
o W
CO 2
me sire
Luges de
Im Kat. zu 31 Ol
öeign. Ugon
Im Index:
Hugues de
anonym
hiins
de couci
anonym
bregi
de Bergi.
Bregi
5.
3
3
erste unvollst.,
.-
nie sire
daher kein
Antorname.
■
^-
huges de
Im Indes:
j^
bregi
Hugues de
Bregi
6.
5
5
5
'o
1.2.5.4.3
1.2. 5.4.3
>
aubuins
Blondiaus
1 de Nccle
anonym
anonym
C
7.
6
6
6
1.3.4.2.5.6
c
nie sire
me sire
es 3
Pieres de
Pieres de
c ■"
Corbie
Corbie
anonym
""^
Die Lieder des Ilugues de Bregi.
Handschriften.
153
B3«
Bibl. Araenal,
Paris 5198. 1
E3^ 1 B4
Bilil. nat. Paris Bibl. uat. Paris
louv.acq. 10.50. [mss. fr. 24406.
D
Bibl. nat. Paris
nss.fr. 12581.
Fl
Berner Lieder-
hdschr. 580.
F2
Bibl. nat. Paris
mss.fr. 20050.
Frank-
furt
Nr. 29.
Mo-
dena.
Arra
7
1.2.7.5.3.4.
6 (unvollst.)
Ugues
de bregi
7
1.2.7.5.3.4.
G (unvollst.)
anonym
So
§
1-
5
nie sire
luigues de
bresi
5
nie sire
hugues de
bresi
6
mesires
Uges de
bregi
6
zweimal
F2a F2b
anonym
a
o
c3
4
anonym
7
1.2.3.4.7.
5.6
anonym
6
1.2.3.4.5.6
Messires
Gaises
4
1.2.3.8
anonym
"Sc
CQ ^
3
3
tu ^
C '
'S '
ö
o
5
1.3.2.7.5
Li chaste-
lains
de couci
5
1.3.2.7.5
Li chasle-
lains
de couci
5
1.3. 2. 7.5
anonym
4
1.2. 5.3
li rois de
naivairez
4
1.2.5.3
anonym
CO
03
<
CO
O
"3
o
3
C
_bß
'S '
c
o
^,
5
1.2.4. 3. 5
li sirez
amaris de
Creonne
1
1«. 2J
anonym
5
1.2. n. 4. 3
anonym
5
1.2.5.4.3
anonym
5
messires
uguez de
bregi
5
1.2. 3. 4 (un-
vollst.). 5
messirez
uguez de
breegi.
3
anonym
154
Die Lieder des Hugues de Bregi.
nichts Überraschendes. Man gab dem Liede den Verfasser, der dein
Schreiber vielleicht a on anderswo bekannt war (so Nr. 2), oder der
Schreiber legte sich aufs Raten nnd nahm einen Dichter, dem das Lied
wohl mit gröfster Wahrscheinlichkeit zuzutrauen war (so Nr. 4), oder
endlich er blieb bei der Anonymität, wo er keinen fand (so Nr. 6).
Die Bezeichnungen B3, Bl, B2, B 3a, B 3 J, B 4 deuten sowohl
die Nähe der Verwandtschaft zu B« wie untereinander an.
In Nr. 1 haben F 1 und Ba Strophe VII gemein (VI war schon
in Fl unvollständig und wurde von Ba deshalb wahrscheinlich aus-
gelassen) und in Nr. 2 zeigt Ba die zweite Hälfte der Sti'ophe VI von
Fl — dieselbe wurde dann in den Abhängigkeiten von Ba nicht wie-
derholt! — so dafs man schon -daraus auf ein intimes Verhältnis zwi-
schen Ba und Fl geführt wird. In der That ist auch Ba einer biu*-
gundischen Vorlage entflossen, so dafs wir für Fl und Ba eine ver-
loren gegangene Handschrift y ansetzen müssen. Denn Ba zeigt in
Nr. 7 III 5 die Form ai, wo die anderen gemeinfranzösischen und pi-
kardischen Manuskripte a haben (3. Pers. Sing. Präs. von avoir), der
Schreiber hat das buig. ai (= a) für die erste Person genommen. Ba
hat ferner in Nr. 1 V4 das bürg. Wort engignier (vgl. Mignard, Girart
de Rossillon p. XXIII), wo alle anderen gemeinfrz. und pik. Hand-
schriften das synonyme decevoir aufweisen.
Diese anzusetzende Handschrift y enthielt jedenfalls schon die
VI. Strophe in Nr. 1 verstfimmelt, weshalb Ba sie nicht kopierte. Da
nun schliefslich eine Urhandschrift anzusetzen ist, weil keine der vor-
handenen in jeder Beziehung vollständig ist, so läfst sich folgender
Stammbaum der Manuskripte aufstellen:
A2A3
BftBlB2B3nB36
Die Lieder des Hugues de Bregi. 155
Vergleicht man nun das Resultat der Forschung mit demjenigen
Erakelmanns, so findet man im allgemeinen dieselben Verwandtschafts-
verhältnisse, abgesehen davon, dafs Brakelmann immer nur von ihrer
Zusammengehörigkeit, nie von ihrem Abhängigkeitsverhältnisse handilt.
Was jener also durch eine auf die BeschaflTenheit, die Schrift und den
Inhalt der ganzen Handschriften basierte Untersuchung erreichte,
dasselbe ergab sich aus einer minutiösen Vergleichung von nur sieben
Liedern dieser Handschriften. Da nun Brakelmanns Ergebnis als im
ganzen richtig angesehen wird, läfst sich auf diese Weise ein indirekter
Beweis für die Richtigkeit der hier befolgten Methode deduzieren. Übri-
gens ist für die Produkte der Lyrik ein solches Verwandtschaftsver-
hältnis immer schwerer zu konstatieren als für epische Gedichte. Hier
wird eine fehlende Zeile sofort zum Charakteristikum, denn der Gang
der Handlung läfst den Ausfall von einigen Zeilen kaum unbemerkt,
es entsteht sofort eine Lücke, und nichts ist für Epen charakteristi-
scher als Lücken; Zusätze können bei den Dichtungen in kurzen
Reimpaaren ungestrafter und leichter gemacht werden. Das umgekehrte
läfst sich bei der Lyrik beobachten. Hier, wo eine Strophe durch den
Gang der Handlung nicht zum unveräufserlichen Bestandteil des Liedes
wird, ist dem Geschmack und der Willkür des Schreibers ein bedeu-
tend gröfserer Spielraum gelassen, was das Streichen anbelangt.
So läfst er naturgemäfs gern eine Strophe aus, wo sie ihm schon frag-
mentarisch überliefert ist. Dem Zudichten stellen sich hier schon
gröfsere Schwierigkeiten, besonders metrischer Natur, entgegen. Wenn
sie es versuchen, mifsglückt es ihnen zumeist jämmerlich, wie unserem
Trouvere in Nr. 3 VIII,
Das Ergebnis vorliegender Untersuchung weicht vom Brakelmann-
schen jedoch in zwei Punkten ab,
L A2 ist von jenem zu Siena A, x. 36, Vatican 1522 und Arras
657 gestellt. Die Unikumstrophe IV in Nr, 4 sowie die in die Augen
fallende Ähnlichkeit beider Recensionen läfst es als zu AI aufserdem
gehörig erscheinen. Ob sich die von Brakelmann erwähnten drei Hand-
schriften (Siena, Vatican, Arras) zur A-Gruppe gesellen, müfste natür-
lich eine andere Untersuchung entscheiden.
IL B 2 ist bei Brakelmann isoliert. Dafs es zur B-Gruppe ge-
hört und in naher Beziehung zu B 1 steht, ist vorhin bewiesen.
B4 (früher Lavaliiere 59) ist zu F1,F2 gestellt; nach des Ver-
fassers eigenem Zeugnis jedoch nur mit Bezug auf die am Schlüsse
156 Die Lieder des Hugues de Bregi.
der Handschrift mitgeteilten 30 geistlichen Lieder (Arch. XLII, S. 46).
Vür die Chansons d'Amour stellt es sich also zur B-Gruppe.
Wesentliche Grundlage für die folgende Wiedergabe der Lieder
bildet A 1 (das ist ßibl. nat. Paris niss. fr. 12 615). Denn aufser dem
schon gedruckten Berner Liederkodex 389 ist dies der einzige, welcher
alle sieben Lieder enthält, und zwar in durchweg guter Lesart. Über-
dies ist der Liederband einer der wertvollsten und bcsterhaltenen aus
dem 13. Jahrhundert. Vgl. de Coussemaker, CEuvres comp], de Ad. de
la Halle, Paris 1872, p. XXX. Ebenso G. Raynaud p. 183. Brakel-
mann, Arch. XLII, 57 — 59.
Dialekt des Schreibers.
Dafs der Schreiber der Handschrift 12 615 mss. fr. ein Pikarde
war, ergiebt sich aus folgenden Erscheinungen :
1) öl -j- Kons, und al -]- Kons, werden in echt pikardischer Weise
gleichgestellt, saudee (= soldee, soudee) Nr. 2 IV 1 — vauroie (z=
voudroie) Nr. 6 III 3 — faus (= fous) Nr. 1 IV 1. Vgl. dazu Neu-
mann, Zur Laut- und Flexionslehre des Afrz. p. 65. — G. Paris,
Romania VI, p. 616 (cauper, saus, vauront). — W. Förster, Rieh,
li biaus p. IX. — Tobler, Dis dou vrai Aniel p. XXIX. — W. Förster,
Chev. as deus esp. p. XLVI.
2) c vor urspriingl. a ist pikardisch = c (k), und so hier. Zwar
finden sich c und ch promiscue, doch giebt es ja keine einzige pikar-
dische Handschrift, die hierin konsequent verfahren wäre (Förster,
Chev. as deus esp. p. LIII). Dafs sich nur chascun (statt cascun)
findet, kann nur für die Pikardie sprechen. Denn das auf qiiisque unus
ziuückzuführende Wort, in dem das a nur eine Folge der afrz. Tendenz
ist, in unbetonter Silbe vor dem Accent ein a zu setzen (vgl. assayer
statt essayer u. a.), tritt nach Neumann a. a. 0. p. 77 in pik. Denk-
mälern gerade überwiegend auf.
3) Die korrespondierende Erscheinung des ch statt c vor yrspr.
c und i findet sich hier ebenfalls, und zwar überwiegen die ch-Formen.
Die eigentümliche Ausnahme grasses Nr. 4 III 4 (statt graches) findet
sich nach Neumann p. 80 ebenfalls in den Chartes du PonthieuXIII, 4, 6.
4) Der Hilfslaut d, der in anderen Dialekten zwischen 1-r, n-r
zu treten pflegt, fehlt im Pik., hier vaura Nr, 4 115, 7 116; vauroie
Nr. 6 III 3; venra Nr. 3 VI 2, VII 7; tenra Nr. 7 114.
Die Lieder des Hugues de Bregi. 157
Der Hilfslatit b zwischen m-1, der in dieser Handschrift durch-
gängig auftritt, scheint auch [jik. frühzeitig eingetreten zu sein. Vgl.
Suchier, Aue. und Nie. p. 58.
5) t -j- s giebt pik. nicht z, sondern s. Es kommt hier kein ein-
ziges z vor. Vgl. Förster, Chev. as deus esp. p. LIII.
G) c in der 1. Pers. Sing. Präs. statt d oder t und statt i der
1. Pers. Perf. (nicht nur für auslautende Dentalis, wie Neuniann a. a. 0.
p. 104).
Die Beispiele im Text der sieben Lieder (das sechste und siebente
rnufs aus später zu nennenden Gründen von der sprachlichen Unter-
suchung über des Dichters Dialekt ausgeschlossen werden, für die
Mundart des Schreibers können sie natürlich vöUig in Betraclit ge-
zogen werden) sind folgende :
cancNr. 1 V5, quic Nr. 1 III 3, vic Nr. 1 IV 3 (meche Nr. 1 V3
stellt sich als analoger Konjunktiv dazu), douc Nr. 2 III6, doc Nr. 3
III 5, euc Nr. 3 IV 7, seuc Nr. 6 IUI, soc Nr. 6 IVB, V8. Vgl.
lue statt luth, Gargantua, livre I, cap. XXIII (IMoland).
Die weniger häufige, entgegengesetzte Erscheinung, dafs t an die
Stelle von c tritt, zeigt sich in den Formen vaintra Nr. 7 IIS, dont
Nr. 3 14,6, adont Nr. 3 12, proet que Nr. 4 IV 6. Vgl. dazu die-
selben Formen in Durmart le Galois, Stengel v. 3294, 6398, 6401
(9690 ist ein Druckfehler in den» von Irrtümern wimmelnden Wörter-
verzeichnis). Das vaintra ist jedenfalls rein lautphysiologisch zu er-
klären ; die überhaupt unfranzösische Konsonantenverbindung er ist
durch tr ersetzt, da nächst der dentalen media die dentale tenuis sich
der labialen am besten anpafst. Adont und dont mag sich, unter dem
Einflufs der Schriftverwechselung von e und t, in Anlehnung an das
synonyme atant gebildet haben.
Wenn nun auch t und c in den alten Handschriften eine sehr
grofse Ähnlichkeit miteinander haben (vgl. Förster, Ztschr. für österr.
Gyran. 1874, p. 143 — Rieh. 11 biaus, Anm. zu v. 530) und sicher-
lich in manchen Fällen ein verzeihlicher Lesefehler vorliegt, wie z. B.
Nr. 2 IV8 (A3), so wird doch immer obige Erscheinung, so sehr die
naheliegende Verwechselung der Buchstaben zur Ausbreitung bei-
getragen haben mag, einer wissenschaftlichen Erklärung bedürfen,
zumal da die Formen im Reim bestätigt sind: Rieh, li biaus quic 3984,
demanc 2552 (Ztschr, für österr. Gymn. 1877, S. 204). Eine solche
ist denn auch früh versucht worden. Mätzner, der mit zuerst auf die
158 Die Lieder des Hugues de Bregi.
Erscheinung aufmerksam machte, erklärt seuc, afrz. Lieder p. 129
IV 33 als Analogiebildung zu dem kurz voraufgehenden sace; er ahnte
offenbar noch nicht, wio sehr die Erscheinung auf pik. Gebiet vei*-
breitet war. Suchier, Aue. et Nie, der im grammatischen Teil die
Formen: perc, atenc, parc, seno, euc, due, valuc, buc, siec anführt,
fafst sie als Anbildung an fac auf. Ob ein einzelnes Wort dergestalt
analogisierend zu wirken wohl im stände war? Förster, Chev. as deus
espees p. LVII giebt zu den citierten Formen commanc, cuic, demanc,
douc, mec, entenc keine Erklärung. G. Raynaud, Etüde sur le dialecte
des chartes du Ponthieu etc., deutet die Erscheinung so, dafs ein teneo
entwickelte * tenjo : tieng, tienc und ähnliche, später wirkte die Ana-
logie. Dieser Theorie aber steht die nach Suchier palatale Aussprache
des c entgegen, wie die lothr. Formen doz, Fred, des heil. Beruh. 556,
eswarz, ibid. 572, cuiz, ibid. 522 darthun. Vgl. Suchier, Jen. Litt.-
Ztg. 1878, Artik. 467.
Obgleich nun die Einwirkung des Konjunktiv Präs. auf den Ind.
wenig Wahrscheinlichkeit für sich hat, liegt der Gedanke in diesem
Falle doch zu nahe, um nicht eingehender geprüft zu werden. Die bis
jetzt gefundenen Konjunktive sind : sence — sanche, meche Nr. 1 V 3,
als mece im C'est li dis de le pasque (pik.) Archiv XXVI, S. 287,
Rieh, li biaus 4141 im Reim auf proeche; ebendas. proumeche : gete
1189, meche : fiUette 671, siece : i)iece, Chev. as deus esp. p. LVII,
wo auch mecent.
Die zahlreichen Konjunktive auf iam (doniam — doigne) erzeugten
falsche Analogie auch in der 3. Konjugation; wie man sentiam : senche,
teneam — tiegne bildete, so auch mittiam — meche, sediam — siece.
War der Zischlaut einmal in den Konjunktiv gedrungen, so sprach man
ihn auch im Indikativ und liefs nur das Zeichen des Konjunktivs, das
e fort. Senche gab sen6, tiengne — liend, siece — sie6, meche — mec.
Die volle pik. ch-Form findet sich noch in tinch 752, esrauch 753,
fuch 1249, soch 2315, wo der Zischlaut gleichfalls ins Perfektum ge-
tragen wird. Rieh, li biaus ; Stellen angeführt nach Gröber, Jen. Litt.-
Ztg. 1875, Art. 155.
Dies Verfahren war aber im ganzen zu vereinzelt und zu lokali-
siert, um allgemein zu werden, und teilte das Schicksal so vieler an-
derer vorübergehenden Erscheinungen.
7) Die pik. Schwächung des a im Art. fem. la und den Pron.
poss. ma, ta, sa findet sich in den Liedern durchaus nicht, ebensowenig
Die Lieder des Hugues de Bregi. 159
wie men, ten, sen für mon, ton, son. Des Schreibers Heimat ist darum
sehr nahe an die Grenze des Gemeinfranz, zu rücken. Dagegen findet
sich das Pron. pers. fem. der 3. Pers. Sing, eigentümlicherweise als le
oder apostrophiert, daneben zweimal la, Nr. 3 III 7 u. VI 5. Über la,
ma, ta, sa statt le, me, te, se vgl. übrigens Rieh, li biaus.
8) Sieht man ab von der eingebürgerten unregelmäfsigen Dekli-
nation von riens und gent, sowie dem s der Feminina der 3. Deklin.
im Nom. sing., so wird man die Deklinationsregel als strikt gewahrt
gelten lassen können — im 13. Jahrh. eine besondere Eigentümlichkeit
der Pikardie. S. Förster, Jahrb. XIII, S. 304; Neumann a. a. 0. p. 114.
Die Form vo (pik.) kommt nur Nr. 2 V 7 vor, sonst nostre
Nr. 4 VII, vostre Nr. 4 III 6.
Ehe des Dichters Dialekt festgestellt wird, mui's untersucht werden,
ob er wirklich der Verfasser der unter seinem Namen angegebenen
Lieder ist. Dabei ist vor allem gewichtig das Zeugnis der dem Urtext
zunächst stehenden Handschriften AI, Ba, D, Fl. Leider ist Ba in
allen Chansons anonym.
Über Nr. 1, 2 u. 3 kann betreffs des Autors kein Zweifel walten.
Für Nr. 4 hat die Angabe von A 1 den meisten Wert ; denn F 1 ist
bekannt für die Ungenauigkeit in der Nennung von Verfassernamen.
Der Gruppe B stand es offen, entweder bei der Anonymität der Vorlage
zu bleiben, oder dem Liede den Verfasser zu geben, der dem Inhalte
nach der wahrscheinlichste war. Das Gedicht ist eine Chanson de
croisade und man schrieb sie dem Chastelain de Coucy zu, dem Dichter
der Kreuzzugslieder par excellence. Vgl. die Tabelle. Nr. 5 ist in
A 3 mit Nr. 1, 2 und 4 zusammen dem Hugues zugeschrieben, und
kann sicher ihm zuerteilt werden. Für Nr. 6 und 7 mufs die Frage der
Autorschaft unentschieden gelassen werden — innere Gründe sprechen
weder für noch gegen. Für Nr. 7 könnte höchstens geltend gemacht
werden, dafs es mit denselben Worten beginnt, in denen Nr. 2 I schliefst.
Wenn sich im Katalog zu Nr. 3101, Arsenal (A2) unter Ce sont
les cancons mon Seigneur Ugon de Bergi als fünftes Lied Fine amor
claime en moi par iretaige angeführt findet, so steht im Corpus der
wirkliche Verfasser Mesires Meurisses de Craon angegeben, der sich in
der dritten Zeile auch selbst nennt. Es liegt hier um so mehr ein ein-
faches Schreiberversehen vor, als auch in den Handschriften der Pariser
Nationalbibliothek Craon als Autor genannt wird.
160 t)ie Lieder des Hugues de Bregi.
Die zweite Frage, welclie zu erledigen ist, betrifft die Verfasser-
schaft der sogenannten Bible au Seigneur de Berze, gedruckt bei Bar-
bazon et Meon, Fabliaux et Contes T. II, p. 394 ff. Ist dieser Seigneur
de Berze identisch mit Hugues de Bergi? Folgende Gründe sind über-
zeugend genug, um in ihnen ein und dieselbe Person zu sehen,
1) Die Gleichheit des Namens. Die Orthographie Ber/e findet
sich zwar nicht bei den Liedern; sie wird aber auch irrig sein, denn
V. 771 nennt sich der Verfasser Hugues de Bersil, eine Schreibart, die
mit Metathesis des r (gerade im Pik. häufig) in B 1 und B 3 (5» wieder-
kehrt.
2) Beide lebten um 1200, da die Sprache auf diese Zeit zeigt.
3) Beide waren Plkarden. Für die Lieder siehe weiter unten.
Die Handschrift, welche dem Druck von Barbazon et Meon zu
Grunde gelegen hat, ist ihrem allgemeinen Charakter nach im gemein-
französischen Dialekt geschrieben. Auf die Pikardie weisen Reime wie
faus : aus 223 (faus = falsus), Devinaus : entr'aus 665, denn aus
wäre gemeinfranzösisch cus und reimte nicht mit faus, devinaus; Bartsch,
Afrz. ehrest. 360, 30 amoureus : eus im Jehan de Meung. Förster,
Chev. as deus esp. p. XLVI belegt dies aus in zahlreichen Reimen.
Von gröfserer Beweiskraft ist der Reim liez : iriez ; letzteres, lat. iratus,
giebt gemeinfrz. ire, das nicht mit lie (= laetus) reimen kann. Siehe
Tobler, Versbau S. 124. Pikardisch ist der Reim durchaus korrekt.
Dem Schreiber der Handschrift (Paris, Bibl. nat. mss. fr. 837; ancien
7218) hat offenbar eine pikardische vorgelegen, aus der er viele dia-
lektische Eigentümlichkeiten bewahrte. So oft die Beibehaltung der
pik. Diphthongierung iei-, iez, ierre, ie — aber meist nur im Reim :
envoisiez : pechiez 129, 147, 199, 207, 225, 557, haitie : blecie 605,
trichierre : conquierre 717, mestier : preeschier 779, 87, 827. So er-
klären sich auch die urpikard. Formen ; vousist (es verbessern B. et M.
282 vausist), taut (= tolit) 72, cerchie (= cherche) 772, 390,
cerche 391, avera (= aura) 528.
4) Die Verfasser sind beide Kreuzfahrer.
5) Sie rühmen sich beide oft, die Welt gesehen zu haben:
Hugues de Bersil qui tant a
Cerchie le siecle ca et la. 772 Bibl.
jou ki tot voi le monde a mon voloir. Nr. 2 III 3.
Alles, was von französ. Schriftstellern in anderem Sinne aufgestellt
worden ist — ohne Beweis! — , wird nun hinfällig. Es ist viel ge-
Die Lieder des Hugues de Bregi. 161
fabelt worden in Frankreich über diesen Dichter, Etienne Pasquier
besafs unglückseligerweise die Bible au Seignor de Berze in einen Band
gebunden mit der Bible Guiot und meint, Les Recherches de la France
1GG5 in fol., Livre VII, cap. 3, p. 600, Bible Guiot sei ein Versehen
des Schreibers, es müsse eigentlich heifsen Bible Huguiot (!). Claude
Fauchet, Recueil de l'originc de la langue et poesie fran9oises etc.,
Paris 1581, p. 151, schliefst sich seinem Freunde Pasquier an. Abbe
Massieu, Hist. de la Poesie fran^oise, Paris 1739, p. 125 baut dann
weiter: On l'appeloit Guyot par sobriquet, de son nom Hugues qu'oa
accommodait ainsi; et on lui donnait le surnom de Provins parce qu'il etait
de cette ville. — Le peu de rapport qu'il y a entre Guyot de Provins et
Hugues de Bercy, a trompe quelques-uns de nos ecrivains, et a donne lieu
de faire deux poetes d'un (I). Es gab indes noch viele, die Pasquier mit
gewissenhafter Treue folgten; La Croix du Maine et du Verdier, Les
Bibliotheques fran^aises 1752, T. I, p. 380 u. ff. Gilles Menage, Dict.
etym. de la langue fran9oise, T. II, s. v. marinette. Abbe Moreri,
Dict. hist. s. V. Berci. Im 19. Jahrhundert wärmt Felis, Bibliogr.
univers. des Musiciens T. H, p. 68 den alten Irrtum noch einmal auf,
nachdem Graf de Caylns, T. XXI des memoires de l'Inscr. et Beiles
Lettr. p. 191 — 202, schon längst das richtige Verhältnis festgestellt hatte.
Von beweisenden Darlegungen ist natürlich auch bei ihm nicht die Rede.
Der Text bei Barbazan et Meon ist voll von mehr oder wenig
groben Irrtümern. Eine Vergleichung mit ms. fr. 847 Bibl. nat. Paris,
ancien 7218, ergab folgende:
12 malades, 19 nel, 164 sanc et char, 182 dieu, 183 des, 224
tricheor-plusor, 229 ainsi, 245 li autre, 271 len, 282 vousist (pik. ou
für au), 317, 318 voudront, porront (Subj. eil), 354 couoite, 458
richete (Reimwort povrete, vgl. Aniel 9), 499 retendra, 507 perdre
(der Herausgeber hat pdre mit dem sinnlosen prendre übersetzt), 606
conques, 714 reuienent, 776 dolor (folor existiert nicht!), 789 en-
seurquetout, 798 acorde, 828 et quil connoist.
Die verhältnismäfsig geringe Anzahl von Reimen setzt der Be-
stimmung der Heimat des Dichters auf diesem Wege einige Schwierig-
keiten entgegen, und nur auf indirektem Wege ist sie festzusetzen.
I. Dafs der Dichter kein Normanne war, beweist der Reim
proie : moie : joie Nr. 1 IV. Von den drei afrz. oi,
1) oi = lat. I od. e in betonter Silbe,
ArcMv f. n. Sprachen. LXXY. 11
162 Die Lieder des Ilugues de Bregi,
2) oi = geschloss. o (ü) -)- i (od. c = i), croiz (crucem), doiz
(ductionem),
3) oi ^ offenes o -\- i, joie (gaudia), oie (audiam),
wird 3 norm, nicht in ei umgewandelt. Da nun 2 und 3 nie reimen,
1 und 3 bisweilen (Chev. au Jyon 4683) reimen und hier zwei Fälle
der ersten Art vorkommen (moie, proie) und einer der dritten (joie),
so sind die Reime bürg, und pik. echt, nicht aber norm.
II. Der Reim menlit : de li Nr. 3 IV ist bürg, unmöglich (es
findet sich kein einziger der Art im Girart de Rossillon).
III. Die Verwandlung von iee zu ie ist nach Suchier, Aue. et
Nie. p. 65 zugleich wallonisch, lothr. und pik. Da nun die beiden
ersten Dialekte durch Betrachtung I und II ausgeschlossen sind, ist
der ursprüngliche Dialekt pikardisch. Denn in folie : foie Nr. IV ist
foie aus foiee zusammengezogen; vgl. Mussafia, Germania VIII, p. 53.
Burgundisch scheint die Accentverschiebung nicht so unbedingt statt-
gefunden zu haben, denn die bürg. Handschriften haben foiee (F 1, F2),
wodurch der Reim also aufgehoben wurde. Dasselbe gilt von fenie :
foie Nr. 4 II, nur dafs die anderen Manuskripte hier haschie für foie
haben.
Bei der im ganzen wenig prononcierten Eigenart des Dichters
wird seine Heimat am besten an die Grenze der Isle de France zu
legen sein, vielleicht nach Aisne, wo es ein Dorf Berzi-le-Sec giebt.
So vermutet auch P. Meyer, Romania VI, p. 19 in einer lakonischen
Fufsnote. Doch wird es geraten sein, an der von A 1 und F 1 über-
lieferten Schreibung Bregi vorläufig festzuhalten.
Wie bei der Mehrzahl der afrz. Lyriker sind wir auch bei Hugues
de Bregi auf das angewiesen, was er von sich selbst aussagt. V. 405 ff.
seiner satirischen Bible giebt uns sofort einen festen Anhalt, die Epoche
zu bestimmen, in der er gelebt hat.
Qar je vi en Constantinoble
Qui tant est bele et riohe et noble
Que dedenz un an et demi
Quatre Empereres, puis les vi
dedens un terme toz morir
de vil mort; qar je vi mutrlr etc. etc.
Es geht aus dieser Stelle hervor, dafs der Dichter am sogen, vierten
Kreuzzuge feilnahm (1198 — 1204); denn die Anspielung auf die Er-
oberung Konstantinopels und das tragische Geschick der vier Kaiser
kann sich nur auf diesen Kreuz/.ug beziehen. Vgl. Caylus a. a. 0.
Die Lieder des Hugues de Bregi. 163
Der Dichter wird in den Handschriften verschieden betitelt. Die
Bible nennt ihn Seignor de Berze, chastelain ; als Liederdichter trägt er
gewöhnlich die Bezeichnung me sire, auch Sire (Nr. 1 A 3), Chevaliers
(Nr. 3 Frankfurt), Monseigneur in der Handschrift von Arras, Seignenr
im Katalog zu 3101 Arsenal. Vergleicht man damit sein eigenes Be-
kenntnis ne sui ne clers ne letrez B. v, 375, so wird zu folgern sein,
dafs er, vielleicht ein Gut besitzend (worauf seigneur [sire] und chäte-
laiö deuten), jedenfalls dem französischen Adel angehörte. Der Titel
Monseigneur gebührt ihm unbedingt nicht, da er weder Fürst noch
höherer Geistlicher war.
Der Dichter nimmt oft Gelegenheit, die Erfahrung zu preisen, die
man auf Reisen gewinnt:
Cil qui plus voit, plus doit savoir:
car per oir et por veoir
Set len ce ke len ne sauroit
Qui toz iors en un leu seroit. v. 1 — 4.
Er liebt es, sich seiner Bereistheit zu rühmen:
Hugues de Bersil qui tant a
Cerchie le siecle ca et la. B. v. 771 u. 772. Oder:
jou ki tot voi le monde a mon voloir. Nr. 2 1113. Oder:
j'ai le siecle plus parfont
cerchie et veu que il nont. B. v .389.
Aber je mehr er von der Welt gesehen, desto mehr hat er sich
überzeugt, dafs sie nichts taugt :
Tant ai ale, tant ai veu
Que jai du siecle conneu
Quil ne vaut riens a maintenir,
Fors por lame du cors partir. B. v. 4 — 8.
Sen sui et dolenz et confus
Car nule gent ne vousist plus,
Se tant en fast mains com je di. B. v. 281—83.
et ce que toz li mons voit bien
ke li siecles ne vaut mes rien. B. v. 364 — 65.
eil qui plus en cerche et voit,
cest eil qui mains amer le doit.
Qar eil i trueve plus de mal,
Qui plus va amont et aval. B. v. 393 — 94.
Dafs er nicht immer dieser pessimistischen Ansicht gehuldigt,
würden schon seine chansons d'amour beweisen. Er gesteht es aber
auch selbst ein und spielt häufig auf die toll verlebte Jugendzeit an :
jai fet en la vie
Mainte oiseuse et mainte folie. B. v. 775.
11*
164 Die Lieder des Hugues de Bregi.
— javoie
plus ke nus daus solaz et ioie. B. v. 778.
li siecles ot tel savor
Que je navoie nuit ne ior
Autre euer ne autre penssee. v. 379.
je qui tant ai amee
la joie du siecle et tant lo. v. 382.
plus lai amee que nus. v. 398.
Es peinigt ihn noch bittere Reue, denkt er der Sünde der Liebe:
Dun pechie con apele ainor,
Me prent sovent molt grant paor. v. 739 — 40
und dennoch gedenkt er oft heimlich der früher Geliebten :
Qar puis con a du tout partie
• Samor de sa tres bele amie,
Si sen delite on plus sovent
En remembrer son biau cors gent,
Quant len ja pensser ni devroit. v. 743 ff'.
Aber er predigt jetzt ein gesittetes Leben :
Preesche ore de fere bien. v. 775
und ermahnt auch seinen Freund Jacques, seinem Beispiel zu folgen.
So viel läfst sich über Hugues de Bregi konstatieren. Es ist
somit die von Michaud, Bibl. univ. nouv. ed. T. IV, p. 197 aufgestellte
Behauptung: Hugues etait seigneur de Berze-le-chatel, bailliage de
Mäcon — und nach ihm von Leon Feugere (Henri Estienne, Sur la
Frecellence du langage fran^ois), Paris 1850, p. 205 als falsch zu-
rückzuweisen. Die Existenz eines gleichlautenden Dorfes genügt, um
den Franzosen nicht nur zu gew^agten Konjekturen, sondern selbst zu
den gemessensten — aber natürlich unbewiesenen — Behauptungen zu
veranlassen. Dasselbe läfst sich von der vagen Konjektur Emeric-
Davids sagen, der Hist. litt, de la France T. XLIH, p. 640 ff. Hugues
de Bregi mit dem Troubadour Ugo di Bersia identifiziert. Ofienbar
hat ihn Crescimbeni darauf gebracht, da er in seiner Istoria del Volgar
Poesia, Roma 1698, p. 219 einen Ugo di Bersia, nuc de Bersie erwähnt.
Die Fassung der Lieder soll eine kritische sein. Ich habe mich
bemüht, die beste Lesart herzustellen, obwohl A 1 im allgemeinen eine
gute darbietet. Natürlich konnte im wesentlichen für den Text nur
AljBa, D, Fl mafsgebend sein, und selbst eine scheinbar vorzuzie-
hende Lesart der anderen Mss. mufste unberücksichtigt bleiben.
In den Varianten ist natürlich abgesehen von den gewöhnlichen
dialektischen .Verschiedenheiten. Für die Berner Liederhandschr. 389
Die Lieder des Hugues de Bregi.
165
benutzte ich den textgetreuen Druck Brakelmanns in Heirigs Archiv
Bd. XLI — XLIII; wo seine Vorlage (Kopie Mouchet 8, Paris) ihn
irre führte, habe ich nach Gröbers und Lebinskis sorgfältiger Kollatio-
nierung der Handschrift (Ztschr. für rom. Phil. Bd. III, p. 39 ff.) ver-
bessert. So a vostre statt apostre Nr. 41116, ke sil st. ke il Nr. 4 II 8,
festiue st. sestiue Nr. 6 III 2.
Den ursprünglichen Dialekt des Dichters durchzuführen, boten sich
keine Schwierigkeiten. Das unpikardische a in la, ma, sa, ta habe ich
konserviert, weil die Heimat an die Grenze der Isle de France zu legen
sein dürfte.
Die Endung -aige habe ich keinen Anstand genommen stehen zu
lassen, da sie nach Neumann a. a. 0. p. 1 3 über das ganze pik. Sprach-
gebiet vorkommt, und sich aufserdem in einem so entschieden pikar-
dischen Denkmal findet wie C'est li dis de le pasque v. 69, 63 u. a.
Über die Form boin Nr. 1 16, V 6 vgl. Neumann S. 44.
Über em statt en siehe Anm. zu Nr. 2 II 5, über trovaisse, chas-
caisse Anm. zu Nr. 4 Uli.
Nr. 1.
I. Ensikechil ki cuevre sa pesanche
et son deshait entre ses anetnis
per cou ke mains len aient en viltanche,
me fais ie liesquant phis sni dire espris;
et canc per cou ke chascun soit avis
kil ait ens moi aucune boine estanche,
kern assasses recuevre plus damis.
1 . AI A3 ausi com eil. pesance. —
2. AI A3 meschief; F2 annemins. —
3. Fl F2 me tiegne on. AI viltance.
F2 vitance. — 4. AI A3 fais beau
saniblant la (A3 ou) plus ... Fl em-
pris. — 5. F2 Ba chant, Fl chans. A3
et tout pour ce qua chascun. Fl F2
a chascun, B« chescun. — 6. Ba que
iaie. A3 F 1 B« en, F2 an. F2 ait
fehlt. AI estance. — 7. F 1 cons asezeis
It. Dune cose fönt dami's grant
enfanche,
ades culdent ke li lor valent pis ;
ains ke ma dame meust en sa pois-
sanche,
li fu vaillans asses a son avis ;
et quant el et mon euer laciet et pris,
si li fu vis ke noi point de vaillanche
per cou kel mot del tot a son devis.
1. Fl fait dame, F2 fait feme. AI
enfance. — 2. AI ases. AI A3 dient
des lor kil (A 1 ki). Ba vaillent. F 1 F 2
li siens valle. F 1 F 2 cuide. — 3. A 1 A 2
eust sor moi poissance. F 2 sa fehlt. —
4. A3 assez vaillanz. Fl F2 Ba estoie
ieu vaillans a sien avis. — 5. B« mes
puis kelle, F 1 et des kelle, F2 et puis
kelle. A3 Zeile 5 u 7 umgestellt. AI
A3 mot de tot (A3 du tout) a sei con-
quis. — 6. Fl F"2 li fut avis. Bnlisem-
bla il. Fl not, F2 no. F2 poissance,
A 1 vaillance. — 7. F 2 puis quelle, F 1
quant eile, Ba des quele. Fl plaixir.
III. Je nos pas dire ke ioutraissoie,
tant ai ens li et apris et trove;
et si ne quic ke iamais ferne croie,
se de chesti mon euer avoie hoste,
je proi a dieu ki li doinst carite
dun si loial ami com ie seroie
se ie trovaisse ens li la loiaute.
1. A3 trasis (trahis?). Fl F2 ie ne
dis (F2 di) pais (F2 pas) ke iou en-
gingnies (F 2 angignies) soie. — 2. A 3
en li, Fl a li apris et esgairde. — 3. A3
Fl F2 cuit, iamaiz (x). F2 fehlt si. —
4. A3 ceste. — 5. A 3 que il doint
166
Die Lieder des Hugues de Bregi.
chierte. Fl F 2 et norporcant deus li
doinst volenteit (F2 volante). — 6. A3
que ie seroie. Fl F2 amin. — 7. A3
Fl F 2 trouvoie, en (F 2 an).
IV. Molt par est faus ki ne cache
sa proie
ki de lataindre a forche et poeste.
ia vie tel ior se cachaisse la uioie,
ieusse tost ataint et achieve.
Je ne tieng pas chelui a bien sene
ki de sa dame refuse sa ioie,
ke ferne a tost son coraige mue.
I.Fl mult est eil folz, chaisce. F 2
je ting a fol, chasse. Ba eil est bien
fox. AI chaee. — 2. Fl F2 del re-
covre. A 1 force. B a assez poetey. —
3. AI chascaice. A3 Ba vi. Fl iai fut
teils iors se chaisse la moie unvollstän-
dig. F2 chasaise, Ba chacesse. — 4. F 1
F 2 recovreit. B a mon voloir achevey. —
5. A 1 celui, — 6. A3 Ba grant ioie. Fl
F2 samie respite. — 7. AI A3 car.
B« fame.
V. Tel hoine ia ki done a la foie
a son hoste et rent cou kil li doit
por cou ke plus le nieche ens la folie
et si de plus dechevoir le porroit.
ausi a fait ma dame a son endroit.
kele me fut de boine compaignie
de chi adonc ke decbeu mavoit.
1. F 1 niains en i ait, foiee, F2feiee. —
2. AI kil i. Fl tant plux kil ne doit.
F2 Ba rant (rent) plus quil ne doit. —
3. Ba mieuz, A3 Fl F2 B« mete. —
4. AI A3 se. AI la porroit. FlF2Brt
engingnier (angignier) lou voldroit (vodroit,
voudroit"). — Fl F2 B« ensi (autel,
ausi) fist moi ma dame en j. endroit. —
6. FlF2A3Brt bone. A 1 A 3 ele. —
7. AI de si atant. Fl F2 tant kelle uit
(sot) kengingnier me voldroit fporoiti.
B a sot que suen quite mavoit.
VII. Tant ai ame fine amor et mamie
ke nus fors deu ma dolor ne croiroit,
lionkes ne fu si boine amor perie.
sele me dit kele mamie soit,
maintes fois ai pense kele mamoit.
mais or vui bien kele ne maime mie ;
car ele rit quant plus me voit destroit.
Im ganzen nach V> n. I.Fl amors
et ma uie. — 2. F2 creroit. — 3. Fl
ne ains: F2 ne iamais niert- — 4. Fl
Celle ne dist. F2 sencor ne dist quelle
mamies soit. — 5. F 1 iai mainte fois pan-
ceit. — 7. Ba F2 quelle se rit.
VI. Canchon de li sele ma en vilte
kencor saperchevra ke ie foloie
quant des autres saura la verite.
quoi kele mait a son tort ohlie,
si lamerai tos iors se tant vivoie;
car ie nai euer ke dune volente.
1. AI chancon, A3 chancons di. —
2. A 1 seperchevra. A3 F2 sen repen-
tira quele foloie, F 1 folie. — 4. A 3 que
quele. — 5. A 3 touz iours.
Nr. 2.
I. Encor ferai une canchon perdue
puis ka perdre sont atorne mi cantt
konkes ne fis canchon ens mon vivan.
dont merite me soit encor rendue.
nainc de canter damors miex ne me fu,
mais par espoir eheste aura tel vertu
ke des autres me rendra la droiture.
si mec sans plus ehest cantenaventure.
I. AI chancon, encoir. — 2. AI A3
a perte. A 3 tuit torne. A 1 chant. —
3. A2 canchons ne fis. Bö B2 quainc
nies, B 1 B 3 « quainz mes. — 4. B 2
que, nen tust. Fl merites, randus. —
5. B 1 F 2 & nainz. B a nonques por chant.
A 2 kain de canter daniour. Fl F 2 a
ne de ... AI chanter. Fl moins, F2ö
mains. A 1 ne men. — 6. B2 et par
espoir. F2b mais se dex piaist ceste .. .
AI ceste. — 7. A2 mi. ß« ma droi-
ture.— 8. Al'I Sans plus metrai, Ba met
rai. Fl F2 san met. Ba B& Bl B2
B 3 n B 3 i cest chant sanz plus.
II. Raisons seroit puis ke dame est
vencue
ke on conquiert ausi come en tirant,
kele refust male a perdre ensemant.
car quant on cuide avoir sa loial drue,
sa on mout tost empoi deurc perdu
cou dont on a tant mal trait et eii;
sest grans dolors quant la ioie ne dure
dont on sostient tante paine et endure,
1 . B ffl bien fuat raisons, B i B 1 B 2
B3a B3b Fl F2 bien sera droiz (B 1
B2 droit). — 2. A2 qi. Ba quainsi coH
len la conquiert en tirant. \M) Bl B2
B 3 a B 3 6 ausi conme on la conquiert en
tirant. Fl F2 ensi com hom (F 2 ausi
Die Lieder des Hugues de Bregi.
167
com hons") la conquiert en proiant. —
3. B« fust, autresiment. Bö Bl B2
B 3 « B 3 b resoit. F 2 J refnst gries a. F 1
F2 ausiment. — 4. Bn car fehlt. B3«
quant fehlt. F 1 F 2 mais quant. — 5. A 2
tost eni poi fehlt. A 3 si a on tost. B n
sa Ion dou tout en .. . BJBl B2B3«
B 3 6 si la cuide on (B 1 on fehlt) mout
tost avoir (B 2 B3a avoir mout tost)
perdu. Fl F 2 ö si lait on tost en .. .
F2rt si lat sitost an... — 6. B« lonc
temps mal trait eu. B&BlB3rtB3&
tant (B3& si) lonc travail eu. B2 eu
lonc tamps travail. F 1 tante grant poenne
eue. F 2 maint grant anui eut. — 7. A 2
F 2 grant dolour est. B a granz pechiez.
Fl ke la ioie. Bö Bl B2 B3« BSö
F2a peu dura. — 8. A2 de coi on a.
BrtBöBlB2B8«B3öFl F2 sueffre.
B a max et endure. A 1 tante paine.
III. Grans dolors est quant cou ki
plus niagree
mestuet plus tart ke lautre gent veoir.
jou ki tot voi le monde a niou voloir
et de la riens el monde kai plus amee
me covient estre sauvaiges et eschis.
si ke trop doc con nel saiche a mon vis
cou ke ie pens de li ens mon coraige
quant ie regart son tres simple visaige.
1. A 1 amaiges mest, BöBl B2 B3«
B 3 ö A 2 A3 damages est (A 2 A 3 mest).
B « Fl F 2 graus dolors est. B a de ce
que. Fl ke ce ke. — 2. B« covient
plus tart de lautre gent. B2 me seult
plus tost dez autrez gens. A 2 de lautre
gent. BöBl B3aB3ö des autres genz.
Fl F2 ne peut nuls bons a son plaisir
ueoir (F2 avoir). — 3. Ba diex ie voi
tout le monde. B2 ie qui tos sui du
tout a son voloir. F 1 et sai ge tot le
siecle amon voloir. F2 que ie voi tout
lou siecle. BöBlB3aB3öse mont. —
4. A2 riens vivant. F2& et de rien que
iai plus enameie. F 1 del mont ke plus
niagree. BöBl B2 B3a B3ö qui pluz
magree. — 5.B«F1 F2« mestuet. Bö
Hl B 2 B 3 « B 3 ö moi couvient. A 1 A 3
Bö Bl B3ß B3Ö estre et sauvaige et
eschis. B 2 et saluage et escbit. A2 B«
Fl F2rt estre sauuaies et eschis. F2ö
estre saluaige et eschis. — 6. A 2 A 3
dont. B« que tant redout con conoisse
a mon vis. F 1 ceu devroit eile hien
cognoistre a mon vis. F2 et se devroit
bien conoistre. Bö B 1 B 2 B 3« B3 ö tant
dout. A 1 saice. A 1 douc. — 8. A 1 som.
IV. Se toute amors ne rent autre
saudee
a tot le mains fait ele miex valoir
ceaus ki aimentde cuersans dechevoir;
ne ia lamors niert si desesperee
ke on nen soit mieudres et plus iolis,
et puis kamors lor done los et pris,
iel tieng a sen.s ki kel tiengne a folaige
cou dont on est plus vaillans par usaige.
1. A 2 amour. BöBlB2B3«B3ö
F2Ö se done amors, autres soudees. Fl
se fine amor. — 2. Bö Bl B3« B3ö
eutout le miüns endoivent. B2 adont le
miex. F 1 si fait eile vers aniours. F2
ce (F2Ö si) fait eile vers amoins. —
3. B2 que hons qui ainme. B3ö de euer
fehlt. — 4. Bö desespee (der Strich
durch p ist vergessen). B 3 ö la mort (!). —
5. A 2 quon ne soit. A 3 nieilleur. B a
Bö Bl B2 B3rtB3ö en son euer plus
iolis. — 6. F2a et des camors. A3 se
dounent. Ba Fl F2 nos a trait ioie et
pris. Bö Bl B2 B3« B3ö nos aioie
pramis. — 7. AI ie ting, ki ke. Ba que
quou tiegne. — 8. A3 ce done, Fl F'2
muels vaillans.
V. Pechie fait diex ki consent felonie
cheli dont tos li mons est envieus,
et ma dame me tient por annie.x
quant ie li proi por dieu ke ne mochie.
ahi simple de vis et bien parlans,
dorgueillcjs euer et damoros samblans.
com mal senible ki voit vo boche rire
ke si saichies asprement escondire.
1. Bö B2 Bl B3a B3Ö eil ki. Fl
F2Ö Sil, F2rt si. Fl F2 velonnie. —
2. AI cell, A3 F2a cele. Bö Bl B2
B3a B3Ö celui sor qui eist nions (B2
malz) est coueuteus. — 3. Bö Bl B2
B3aB3öF2ö car, F 1 maix, F 2 a can.
Ba angoisseus. — 4. BöBl B2 B3a
B3öetsili. BaBöBlB2B3«B3ö
Fl F 2 pri merci que ne mocie. A 1
mocie. — 5. Bö Bl B2 B3a B3ö ahi
sage cortoise (B3n cortoise sage) et bien
parlant. Ba F2ö biau parlauz. F 1 de
biaulz parlans. F 2 a ai simple vis et biaus
parlans. A3 vis et ... (Lücke bis ans
Ende). — 6. BaBö BlB2B3aB3ö
Fl F2 semblant. — 7. Bn Fl F2 com
mal semble qui, A 1 A 2 com il pert poi.
Bö Bl B2 B3a B3Ö maupert a vos. —
8. BöBl B2B3a quen si sachiez crual-
ment. Ba Fl F2 B3ö si sachiez. F 2 ö
Sache. AI A2 sachiez si.
168
Die Liecler des Hugues de Bregi.
VI, A Saint Denise envoierai nion
cant
liugon, ki soit de ma ioie ioians.
quant ie laurai kencor ne lai ie mie.
nonkes nen eu fors enuit et consirre.
mais ie sui si de li perdre doutans,
ie nen puis mais car ele est si vaillans
ke tous li nions la eovoite a amie;
mais ie sui cils ki sor tous la desire.
Nach Fl. 1. F2 morise, Fl F2
chant. — 2. F2a quil soit. — 3. F2ö!
ancor. — 4. F 1 ou, F 2 oi. A 1 consire. —
b. Ba F2 et si ie suis de vos perdre
doutans. Fl suis. — 6- Ba F2 que tant
estes vaillans. Ba nest mervoille. —
7. F2 que vos poieis port tout amis
(F 2 6 toz amanz) eslire. B a que bien
poez por tot ami eslire. — 8. F2a sor
tot. F2 Ba vos desire.
Nr. 3.
I. Nus hom ne sait dami kil puet
valoir
declii adonc kil la del tot perdu;
mais quant il voit son daniaige aparoir,
donc aprinies dist il ke mar i fu.
encor ne ma ma dame coneu :
quant giere mors, donc porra bien
savoir
ke pert dame ki pert son loial dru.
I . F 2 kar nulz ne seit damin ki, F 1
damin kil. A 1 set damis ki. — 2. A 1
B 6 B 1 de si. A 1 B 4 adont, B 2 atant,
B a addonc. D iuqua ce jor, F 1 iusca
loure, F2 juscai cel jor. AI B2 a. D
a tres tout, B 4 que il a tout. — • 3. B a
quant len voit, B 4 et quant. B 1 B 6 Ie
damage. — 4. A 1 dont. Bl Bi adonc
primes. B 2 lors primes, B « Fl adont
dit il elais (he las B«) tant (com Ba).
B4 F2 lors se complaint et dist tant.
D dont dit il primes ke mar li fu. —
5. B& Bl noncor, queneu. — 6. F2
maix quant ie t mors. B2 ie iere. D
Fl serai. AI F2 dont, Fl adon, B«
B4 D lors. D aura bien seu. — 7. B2
que dame pert quant. F 1 ki dame pert
ke. — F 2 kavient dame kant pserit.
II. Onques de li nacompli mon voloir,
se ne ma pas per cou encor recreu ;
ains ferai miex por samor mon pooir
conkes ne fis se tout ma dccheu.
car ainc noi parier dome vencu
ki grant honor peust apres avoir:
por cou voll miex morir desous lescu.
1. F2 orkes damors. — 2. Bn B5
Bl B2 D mes. B4 ne. Baportotce,
Bi pour ce tout. Bl tot por ce. D ie
ne sui pas por ce recruz. F 1 ne seux paix
eincor por ceu recreus. F2 ne jai por-
teu nan serai recreus. B2 retenu, B4
detenu, AI j-ecreu. — 3. B4 si. F2
servirai ma dame an bonne foyt. B 2 ferai
plus tout por samor avoir. D por faire
mon pooir. B 4 de samor. — 4. B« B5
quainz mes, B 1 quant mes, B 2 que
onques. A 1 fist. B 4 ce quor ma deceu,
F 1 ki tant seux deeus, F 2 plux loial-
ment conkes ne feist nuls. — ö. B ö B 1
D F 1 F 2 conque.s, B a onques, B 4 non-
ques, B2 ainz. B4 paller. — 6. Fl F2
ke. F 1 pues peust mult grant honour
avoir. B 4 D qui apres ce puist. B 2
puis recevoir. — 7. D vaut. F2 aius
(= amo). F 1 valt. B 1 desor, B 4 deseur.
ni. Morir voil bien quant damors
Ie requier;
puis kele ma deus fois ou trois menti,
ne promesse ne mi puet preu aidier
ne desormais ni valent riens chasti,
et mult me doc ke nait fait autre ami.
bien vausisse por issir de dangier
estre sans iex quant ie premiers la vi.
1 . D or ne viauge. F 2 Bien doi morir.
F 1 morir cuit bien. B 2 melz. B « B i
ie, gie. Ba Bb Bl B4 D Fl F2 da-
mors, AI B 2 danier. A 1 Ie requier,
D F 2 la requis, BrtB6BlB2DFl
la requier. — 2. D et ele ma. F 1 celi
ki mait. F 2 dous fois ou trois et eile
mait mantit. — 3. B2 promesses, puent.
F 2 hials parleirs, F 1 prometres. B 6 B 1
B2 Fl F2 riens, B« mes. B4 volut
aidier. D F 2 valoir. — 4. B 1 ne de-
sormais .... B2 de ces maus. Fl vaut
nians chaisti. B 4 mi chasti. — 5. B«
BZ» B 1 D inl't sui dotant (D douteus).
B 2 mont me dout. B 4 F 1 kar trop
(F 1 tant) redout. Ba Bb B 1 D qele
nait autre ami. — G. D ie vosisse. B4
miex amasse. Fl dongier. — 7. B6 Bl
B 2 primes.
Statt der letzten vier Verse hat F 2 :
car trop redous lou felon euer de li;
riches est asseis mais poc ait demeircit,
et non por kant bien mi puet revaloir
plus an un iour comne puest deservir.
IV. Porquoi me fist onques au
comenchier
samblant damors quant orniocliistainsi;
t
Die Lieder des Hugues de Bregi.
169
chil cui ie loi chascun ior tant proisier,
ne saivent pas le felon euer de li.
large davoir et tenans de merchi,
par qiiel raison me faites repairier
ia dont ieuc pres mon coraige parti.
1 . B 2 donques me fist. Fla comen-
cier. 2 B6 Bl damer. B2 puls que.
AI ocist. 3. AI eil qui. B4 ceus que
ie voi. B6 El D Fl lo. Bl B2 B&
prisier. BaD Fl prisier. B4 prier. D
tant forment (fehlen zwei Silben). ■ —
4. A 1 sevent. Ba Bö Bl iugent. —
5. Bb larges. Ba Bl B4 D Fl tenant.
B2 tant. B2 mercis. — 6. B«BöBl
D porquel forfet me fet la (B« el) re-
perier. F 1 ne faites avancier. — 7. B2
ce dont. D dont ie ai primes. Ba Bb
B 1 B 2 iai. B 4 iai ia. F 1 ceu dont
ne puis mon coraige partir.
Va. Puis ke ie sui de li veoir eskis
ne ie ni puis droite ocoison trover
par quoi ie puisse raler en son pais
ne son gent cors veoir ne esgarder,
b. se li pleust ke iosaisse parier
de mes dolors a un de mes amis,
che mi peust aucun consell doner.
1. AI suis. Bö de li veoir sui sou-
vent esbahis. D de voir. — 2. Ba D
ne (für ni). AI autre (F 1 nulle) ocoi-
son. Bi Bl reson, B2 voie. — 3. B a
B 6 B 1 por, F 1 per. AI Ba Bb B 2
Fl aler. Bl en son pais aler. — 4. B 1
nesgarder, B2 ni esgarder, D eschever,
Fl remireir. — 5. B« sele vousist, D
sele voloit, Fl sele plaisoit. B2 alaisse,
A 1 iosasse. — 6. Ba de raa dolor aucun.
D a nus. — 7. Ba D qui. F 1 se me
poroit de mes mals conforteir. B a E 2 D
confort.
Via. Abi plaisans, ne vos puis oblier,
ains i morrai, ia nen aurai mercbis,
cou ke ni est, ne puet on pas trover.
b. iamais raerchi ne vos cuidai crier,
mais or la cri a guise dorne pris
ki ne se puet par forcbe delivrer.
1. B2 D hai, F 1 ai B2 plaisant.
AI oublier. — 2. AI tos i morrai, ia
ni venra m. B2 me mourrai, ia ni verrai
merci. Ba D por vos morrai. D ni
aurai. F 1 aureis. — 3. B 2 ce quil ni a.
Ba D ce qui ni est. Fl Ion. — 4. D
cuidais. F 1 roveir. — 5 D mais ie.
AI proi, Fl quier. — 7. F 1 per. AI
force.
Vlla. Quant ie cuic tout vers li
avoir conquis
et ie sui la ou ie fui des lautrier,
ainsi noe maine amors de mal en pis,
car ie retour quant cuic avant aller,
b. tant ai chachie, bien deusse
achever,
mais ainsi niest destine et promis
ke ia nus biens ne me venra damer.
1. D cuit. — 3. D ainsis. — 4. D
cuit. — 5. D bien cuit avant aller, cba-
cie. — 6. D ainsis. Bl Bb issis. —
7. D ventra. Bl sera. D nul biens.
F 2, ein handlicher Liederband, wahr-
scheinlich Eigentum eines Jongleurs,
enthält folgende zugedichtete achte
Strophe, deren liederlicher Bau auf
spätere Abfassung schliefsen läfst:
Li ians ne puet trop bien son cors
gardeir,
grans perils est daleir pair le pays
sil nait un chant cant il vient a losteil,
faillis li est et li pains et li foins.
lors li covient grans mesaixes sofrir
par ospitals par fornaxes gehet be-
zoigne avoir
et griefs mals andureir.
1. Lücke ians. — 3. nait u, jant cant
il. — 4. et li oins (soins ?).
Nr. 4.
L Sonkes nus hom por dure departie
ot euer dolant, dont Iai jou par raison,
conkes torte ki pert son compaignon,
ne fu un ior de moi plus esbahie.
chascuns plore sa terre et som pais
quant il se part de ses coriaus amis.
mais il nest nus congies quoi ke nus die
si dolerex com dami ne daniie.
1. F2 nuns. — 2. B 1 out, AI A2
eut. Ba Bl B3a B3J ie laurai. Fl
F2 pout (pot) estre saus ieu (io) serai
per raixon. — 3. B«B1 B2 B3« B4
onques tuertre (tourtre, tortre, turtre).
Fl F2 B3 6 torterelle ke (qui). — 4. F 1
F2 B2 ne fut onkes. Ba B2 B3« ne
remest ior (B 3 6 remet), B 4 ne remaiut
iour. — 5. A2 cascuns, tere. — 6. A 1
A2 se depart (ohne pron. subj.). AI A2
carnex (carnels), B2B4 coreus. Fl ces
coraus amins. — 7. BoBl B3«B3ö
B4 mes nus partirs (B 1 B3a partir)
sachiez que que nus die. — 8. Ba Bl
170
Die Lieder des Hugues de Bregi.
B3a B36 B4 nest dolcreus. F2 dele-
rous, F 1 tandelereus. F 1 F 2 damin.
II. Li reveoirs ma mis ens la folie
dont ie me fui gardes mainte saison;
daler a li or ai quis ocoison
dont ie morrai et se ie vif, ma vie
vaura bien mort; car cbil ki a apris
estre envoisies et cantans et iolis
a pis asses quant sa ioie est fenie
ke cbil ki mueit tot a uue foie.
1 . A 2 recenoirs, B 1 revenir, B a re-
voier. Fl en. — 2 AI ie ne, A 2 sui,
Ba El B3aB3& niiere gardei; (B l
garde), B 2 mestoie, F 1 estoie, F 2 mas-
toie, B 4 iavoie garde. Fl B 2 longue
saixon. — 3. Fl F2 de li veoir ai quise
(F"2 or ai quis) lochoison (F 2 ochoison),
AI A2 et (A2 ni (luise aquoison), Bl
B3a lacheson, B3i la chaison, B«B4
lachoison. — 4. Ba B3a B3i se ne
muir, B2 se ie muir. — 5. Fl varait,
F2 varai. Fl F2 ke eil. A 1 a ( r- il a)
fehlt. B36 apris a. — 6. BaBlB3«
B4 a estre liez renvoisiez. B2 B3&
liez et renvoisiez. A 1 chantans. — 7. F 1
F 2 vault ( vautl. B « B 1 B 2 B 3 « B 3 &
a assez pis. B4 assez a pis. AI et sa
ioie. A2 Bffl Bl B2 B3« B3Ö B4 F2
faillie. — 8. Ba B2 B3« B3i Fl F2
que sil (Fl F2 eil) muroit (B3 6 mor-
ruit, Fl moraitj, Bl que eil morist, B4
que sil niorust. A 1 tote, B 2 toufe. A 2
feie, F2 foiee. Ba Bl B2 B3« B3i
haschie.
III. Se iou seusse autre tant a len-
prendre
ke li congies me tormentast ainsi,
ie laissaisse lame en vostre merclii,
salaisse adieu gras.sesetmercbisrendre
de cou conkes consentistes nul ior
ke ie fuisse baans a vostre amor.
Mais ie nie tieng a paiie dcl atcndre
puis ke chascuns vos aime ainsi sans
prendre.
1. lAa B3« ie fehlt. B« de premiers.
AI a reprendie. Fl F 2 a tant a la
creux (crex) prendre (prandre). — 2. F2
jci. — 3. Ba Bl B3rt B3 6 3 2 3 4
jeusse (B2 seusse) mis (B« mise) niame
(B4 ma vie). Fl F2 ie meisse (muixe)
ma vie en vo (vos) nierci. — ö. Ba 31
B 2 3 3 « B 3 i ainz (3 2 ainc, 3 3 6 ains),
a nul 4or. A2 3 4 deignastes. Fl F2 ne
li deservi ior (F2 nul ior ohne li). —
6. 3« 32 34 Fl F2 beans (3« 3 4
beanz). — 7. 3« Bl B3a BBb 34
men (34 me) tieng bien (fehlt 3a) paiez
(3 4 poiez) a latendre. AI F2 paiet.
A2 tiens. 32 a lentendre. Fla paies
a latandre. — 8. BaBl 33a33634
si Sans. 3 2 F^ 1 F2 sans mesprendre.
IV. Mout a croissies amorous a
contendre
daler a dieu ou de remanoir chi ;
car nesuns houi puis kamors la saisi,
ne devroit ia si grief fais entreprendre.
on ne puet pas servir atant signor
por cou ke fins cuers ki bet a haute
honor
ne sc porroit de tel cose deffendre.
por (.ou, dame, ne men devez reprendre.
1. A 2 Tout a croissies. — 6. A2 proet
que. AI por ke. — 7. A2 desfendre.
V. Ahi, dame, tos sui hois de ba-
lanche:
partir mestuet de vos sans recovrier,
tant en ai fait ke ie nel puis laissier;
mais sil ne Tust de remanoir viltanche
ou reproviers, iaiaisse demandier
a vos, dame, congie de demorier.
uiais vos estes de si tres grant vail-
lanche
ke vostre amis ni feroit ia faillanche.
1. Ba Bl 32 33« B3ö 34 par dieu
amors (3 2 3 4 amours). Fl F2 douce
dame. A 1 A 2 tot (tout) est. A2 fors.
31 B3a 33 6 B4 tot (touti sui. Fl
tout tens fors de beance. F2 tout ai
fors de beance. AI balance. — 2. Fl
de vos partir etc. 3a3lB2 33aB36
3 4 F' 2 demorer. — 3. AI ie ne puis.
3 1 ne puis plus demorer. 34 que ne puis
demorer. Ba B2 3 3a 336 ni (Ba ne)puis
plus arrester. Fl F' 2 ke nel puis maix
laissier. — 4. 3« Bl 32 B3a 336
3 4 F 2 et, F 1 se. 3 1 del demorer, 3 2
33a 336 seiorner, 3 4 du retorner, Fl
dou demoreir, F 2 de demorer. A 1 vil-
tance, A 2 vieutance, F 1 F 2 vitance. —
b. A2 u repruvier. 3a 31 33 a 33 6
et reproche, 3 4 fehlt et reproche, 3 2
rcprochie. F"' 1 F^ 2 et reprochiers. A 1
demander, fehlt Bl. — 6. A2 cowgie
demourer (eine Silbe zu wenig). BaBl
32 33a 336 34 a madame. Fl F2
as (a) tins amans. F' 2 congiet. BaBl
32 33a 336 B4 du (Ba B3« B36
de) retorner. A 1 demorer. — 7. A 1 A 2
Die Lieder des Hugues de Bregi.
171
car. Bl B2 mes ma dame est de si
grant (B3rt B3ö B4 de si tres grant)
vaillance. B« ele est voir Fl dame,
de teil vaillance. A 1 vaillance. — 8.Ba
BlB2B3aB36B4 qua son ami ne doit
fere faillance (B2 grevance). A2 fera.
F 1 P' 2 amins ne doit faire. A 1 faillance.
VI. Un confort voi en vostre de-
sevranche.
cou ke naurai a dieu ke reprochiej^
niais quantjporliruecovientvoslaissier,
oiikes ne vi gi dure desevranche.
car chils ki voit tele amor desevrier
et na pooir kil puisse recovrier
a Msses plus de duel et de pesancbe
ke nauroit ia li rois sil perdoit franche.
Nach Bo. 1. B4 noftre. — 2. B«
B 1 B 2 B 3 « que ie, B 3 6 que ia. —
4. B« dessevrance. — 5 B4 eil qui,
Bl ke eil, B2 ke cilz. B« B3« B3 6
car eil. Ba dessevrer. — 6. Ba que
puisse. — 7. B 3 6 vitance, B« pesance. —
8. B 4 naroit. B a france.
' VII. A 1. Mervelles moi coment puet
cuers durer
kl prent congie a sa dame a laier;
niais mandaist li de lombardie en france.
car Ions consirs doble Ia desevrance.
Zwischen v. 3 u. 4 ist die Lücke an-
zusetzen. Der vierte Kieuzzug führte
den Dichter nacli der Lombardei.
Nr. 5.
Ia. Sonc tans ai servi em balanche
ke ne mi fu guerredone,
ains ai tout perdu par soff'rancbe
quant ma dame ne vient en gre.
b. or ni ai mais nule atendanche.
ains en ai si mon euer oste
ke faire em puis ma volente.
1. A 1 emballance. — 2. F 1 F2 kains
ne me. — 3. A 1 sofFrance. — 4. F 1
F2 kains, vint. F2 au greit. — 5. Fl
poent datendence. A 1 atendance.
IIa. Ele est de si haute vaillancbe
et de si tres fine biaute
ke ie fis folie et enfanche
quant li descovri mon pense.
b. mais ses clers vis et sa samblanche
morent si damors embrase
ke tot cuiüai avoir trove.
1. A 1 vaillance. — 2. Fl grande. —
3. AI. enfance. — .5. F 1 F2 gens cors.
A 1 samblance.
III. Ens li nai point desperanche,
trop ia orguell et fierte
et si sai de voir sans faillanche,
trop se fie en sa grant i)iaute
et en sa simple contenanche
et tot son euer et son pense
a encor en sa poeste.
1. Fl maix poent de fiance. AI des-
perance. — 2. A3 quar trop a. — 3. F l
de voir sans doutence. A 1 faillance. —
5. A 1 contenance, encoir.
IV. A mout petit de sostenanche
mauroit ele resconforte
et gete dire et de pensanche
DU jai si longuement este.
or me pert ma fole esperanche,
ke cou ke iai tant desire
ma de tote ioie gete.
Fl: 1. mult, soustenence. ^ 2. eile,
resconforteit. — 3. giteit, pesence. —
4. esteit. — 5- peirt, esperance. —
(j. ceu, desirreit. — 7. mait, toute, giteit.
Die fünfte Slrophe in F 1 ist ver-
däclitig durch den falschen Reim ameir :
Onkes amor ni out poussance.
cest bien seu et esprovei.
en son gent cors sens mesestance
ke tous li mons doit tant ameir,
not onkes vilainne acoentance.
ains len ait deus si bien gairdei
ke mainte gens lont compaire.
Nr. 6.
I. Quant voi Ie tans felon rasoagier
et lerbre vert contre solell resplendre,
lors canterai kil mout mauroit mestier
ke ma dame daignast son home prendre,
si mait diex, plus de richor ne quier
ke tot li bien del mont seroient mendre
ke li mien voir.
ne ie ne puis, se ne mi.veut entendre,
grant ioie avoir.
1. AI rasoagier fehlt. B6 assoagier. —
2. B«B6B3aB3&Fl lerbe vert. AI
verde. — 3. A 1 chanterai. B6B3«me
seroit mestier, Ba B35 seroit mestiers.
Fl mauroit aidiet. — 4. BaBiB3a
B3 6 vousist. — 5. B«B&B3«B3&
172
Die Lieder des Ilugues de Bregi.
(juen tout le mont. F 1 plux richour ne
lou quier. — 6. Fl car. B a B i ß 3 a
B3 6 car tuit li bien qui sont. — 7. B«
de ]\. — 8. Bi B3rt B3& je ne puis.
Ba B & B 3 a sei ne me veut atendre,
B 3 6 cele ne veut atendre. F 1 me veut
II. Las ie ne puis mon fin euer
Ccistoier
nen vers cheli nel puis daniors des-
fendre.
ke tous les maus del mont nie fait
cargier,
ne nus sans li nem porroit un descendre.
si cruelment nii puet ele asaier
kapres ma mort mestuet les biens
atendre
de samor voir,
ne ie ne puis se ne mi veut entendre
grant ioie avoir.
1. AI chastoier. — 2. A 1 celi, nen
vers celi irrtümlich wiederholt, Ba Bb
B 3 « B 3 ö ne vers celui ne puis. —
3. B3« B3 6 ki. AI del mont fehlt.
B « ma fait. — 4. Ba Bb Bda BS l> ne
nus sans li ne men porroit defFendre. —
5. Bb B3a B36 me puet. — 6. A 1
F 1 seroit ma ioie mendre. — 7. fehlt A 1.
V. Et eheste amors ki si fort me
confont
par mon voloir ma si pris sans faintise
ke ien oubli totes cheles ki sont
ne ia por moi nen iert nule requise.
diex, ne sai ke chist autre amant fönt,
mais iaim chesti ades par tel devise
si loiaument
Sele mait, ainc ne soc en quele guise
on sen repent.
1. A 1 ceste. Fl cest, ke, onfont. Bn
Bb B3a B'd b iceste, grief me respont.
B a amors, AI Fl Bb B3«B3i amor. —
2. Ba Bb B3b de mon voloir, B 3 « de
son voloir. — 3. B« Bb B3a B36 que
gen aim tant. — 4. Ba Bb BSa BSb
que, une requise. — 5. B«BiB3« B36
las ie ne, eil autre. — 6. B« Bb Boa
B3b car iaim ades cestui. B& par grant
devise. — 8. F 1 sele mait, sou. BaBb
B 3 a B 3 ö que je ne sai. — d. Ba Bb
B3a B3& Ien.
Anm. Die Reihenfolge der Strophen
in der B-Gruppe scheint die richtige zu
sein. Je zwei haben denselben Refrain,
die letzte einen anderen und unregel-
mäfsigen.
in. Je ne me seuc onkes amesun'r
damer cbeli ou tos mes cuers sestuie
nen vers autre ne vauroie penser.
car ehest la riens ou li miens cuers
sapuie,
si mait diex; ia ne le quier fauser,
ains lamerai coment ke me destruie.
par la merchi
ke ien atent, ie naim rien tant,
se de moi ne senfuie.
I.Fl sou. Ba Bi B3a B3J poi. —
2. AI celi. Ba B6 B3« B3 6 a qui
mes cuers sapuie. F 1 tous mes ieus
festiue. — 3. BaB6B3rtB3ine vers,
voudroie. — 4. B«B6B3aB3& a qui
mes cuers sestuie. AI cest. — .5. Fl
B « BbB'3aB3b la. — 6. B a B 6 B 3 a
B3b comment kel. — 7. AI Fl si
loiaulment. Ba merci — 8. A 1 F 1 celle
mait ainc ne sou . en keil guisse. —
9. AI Fl on se repent. BbBSaB3b
riens.
IV. Je ne pris pas la ioie de ehest
mont,
se ma dame ne piaist par sa franchise
ke son ami celui kele confont
vousist un poi merir son biau servise.
lors averoie plus ke tot chil ki sont,
car la doucors sen est ens mon euer
mise
si boinement.
Sele ne mait, ainc ne soc en quel guise
on sen repent.
1. Fl puis Brt BbB3aB3b toute
la riens (B a rien) du mont. A 1 cest. —
2. Fl lou piaist. — 3. F 1 amin. —
4. AI Fl doignaist un pouc aligier son
martyre. — 6. Ba Bb B3a B36 men
est (B3b au, Ba ou) el cors entree. Fl
B3 a dousor. — 7 .Bb loiaument. — 8. Ba
Bb B3« B36 sele mait. F 1 fehlt sou.
BSb que ne sai et coment. — 9. Ba
Bb B3n B36 Ien se.
Nr. 7.
I. En a venture ai cante,
si ne sai sil maidera,
qui mestier a de sante,
querre le doit chi et la.
sai un novel cant trove
por asaier sil plaira
ma dame ou on ma melle.
mais ma cauchons li dira
la verite.
bien ait ki li cantera.
Die Lieder des Hugues de Bregi.
173
1. A3 n aventure. AI chante. —
2. BrtFl se maidera. — 3. Fl ke. —
4. A3 Ba Fl F2 la doit, A3 Ba ca
et la. Fl sai et lai. — 5. A 1 nouvel
chant. — 6. AI essaier. — 7. Fl a
ma dame ou mont raelle. A3 len, Bn
en ma. ■ — 8. AI chancons. — 9. B«
vertey. — 10. BaFl la. AI chantera.
II. Pechie fist et grant vilte
qui mesdire acostuma,
dame, eil ait mal deslie
ki lor costume tenra.
travellie mont et pene,
mais ia riens ne lor vaura
sil ont fait lor cruaute,
ma grans loiautes vaintra
lor fausete
kainc nus plus loiaus nama.
1. A3 viute. — 2. Fl ke, comen-
sait. — 3. Ba et eil si ait mal dahe,
Fl dame et eil ait. — 4. Fl F2 ki
la costume en tenrait. — (3. A 1 lour.
Fl varait. F2 rien. — 7. AI lour. —
8. Fl grant leiautes vaincra. — 9. A 1
fause (Raum für eine Silbe). — 10. B«
conques plus. F 1 car ains.
III. Bien conut ma loiaute
ki si grief fais me carga,
amors ki ma assene
el plus bei kele trova.
trop a bautement pense
mes fins cuers si comparra
sa hardie volente.
ses outraiges li parra,
trop ma greve
ki tel consell li dona.
1. A3 n connut. Ba conoist. —
2. A3 grief, e charga. Ba grant fes.
F 2 mancharia. — 3. A 3 asse — . — 4. A 3
fehlt el. Ba a la plus bele quele a.
Fl el plux haut leu ke trovait. F2 ou
plus haut leu ke trovait. — 5. A3 a
ment pense. B a trop ai hautement
pense. — 6. B a mes fins cuers. A 1
B a F 2 qui comperra. A 3 qui con— . —
7. F2 sa tres haute. — 8. Ba Fl F2
locirra. Fl ces outraiges. — 10. AI
A3 qui si grief fais li carga. Fl ke.
Ba me dona.
IV. A tort ai mon euer blasme
de cou ke si haut pensa
kamors li a comande
cui hons il est et sera,
kil garde sa feute
et cou kele li carga
et samors lavoit fieve
dun den ke pramis li a.
sauroit done
le plus bei tresor ke ele a.
1. A3 - ort. — 2. A3 fehlt si haut. —
3. Ba amors li a. — 4. A 3 fehlt a cui.
Ba cui hons, Fl cui hom. AI A3 a
cui il. — 5. Ba si gart bien sa leaute. —
6. Ba Fl et ceu ke promis li ait. AI
lavoit. A3 la. — 7. Ba mavoit sievey. —
8. Ba qua me promist ia. — 9. A3
uroit. Ba si mauroit doney. — 10. "AS
Ba kele.
V. En espoir de tel honte
mes cuers tos iors servira
et ki ke len ait blasme,
ia ne sen repentira.
che men a mout conforte
conques amors nesgarda
droit ne raison ne beaute.
sespoir ke pities me venra
dumilite
ki me guerredonera.
1. AI A3 sour lespoir. Fl dauoir
bonteit. — 2. Ba Fl tousiors mes cuers.
A 1 A 3 ades. — S.Fl ki ke len doie
blameir. — 5. Ba mes ce ma. F 1 ke
ceu mait. AI ce. — 6, 7. Ba conques
amor point de raison ne garder ne beaute.
F 1 poent ne raison ne biauUeit. —
8. Ba cest par que pitiez naistra. Fl
espoir se pities uandrait. A 1 A 3 ses-
poir ke pities naistra. — 9, 10. Fl per
quoi pitiet me uandrait. Ba par que
merciz me vendra.
VI. Bele sil vos vient en gre
ma canchonete, on lorra.
trop ma merchis oblie,
lues ke chis mirres venra
saurai sante,
dame eiert quant vos plaira.
1. Ba Dame. — 2. Ba raa chancon
par tans orra. AI canconete. — 3.6«
demorey. — 4. Ba lorsque. A3 maiz
quant eil. Ba eist. — 6. A3 Ba eiert.
AI cert.
174 Die Lieder des Ilugues de Bregi.
Bemerkungen.
Zu Nr. 1. I2. F2. V'gl. den Reim anemins : espris : avis : amis mit
Nr. 4 I, F 1 paix : amins. Das durch Nominativ-s erzeugte (bürg. u. pik.) n
(vgl. Förster, Chev. as deus esp. p. L; St. Leodegar ed. G. Paris 38 f. u.a.)
hat sich in die cas. obl, übertragen: aniin Nr. 4 I8, 1 III 6.
I4. la plus sui dire espris = ou plus sui dire espris (A3), la und ou
stehen beide für la ou. Förster, Zeitschr. für österr. Gymn. 1874, IS. 143
macht darauf aufmerksam, dafs la sowohl wie u häufig für la u stellen, dafs
aber, wo beide zusammen erscheinen, oft eine Silbe zu viel im Verse ist.
Aber eigentlich ist keine Silbe überzählig ; man verschmolz höchst wahr-
scheinlich den Vokal u so sehr mit la, dafs man beide Worte zusammen
wie einen fallenden DiphthonLi; aussprach (lau). Dafs dies tonlose u ge-
legenUich ganz verschwand, kann dann nicht wunder nehmen. Stengels
Abwerfung von la im Durmart le Galois, wo ihm die Silbe überzählig schien,
ist mit Recht gerügt.
1 6. estance. Die Belegstellen bei Godefroy und St. Palaye zeigen,
dafs dies Wort in übertragener Bedeutung hauptsächlich nur in der Ver-
bindung mit hone vorkam; daneben das Kompositum mesestance. Als er-
starrte Phrase starb es darum bald aus. \'gl. quoi qu'on die.
II 2. A 1 ki r= kil (d. i. qu'ils), Verstummung des 1 bei folgendem
konsonantisch anlautenden Worte. Vgl. vitance Nr. l l3 (F2); de tot
Nr. 1 II 5 (AI); il i = il li Nr. 1 V2 (Al); nuls (: recreus) Nr. 8 Il4
(F2). Diese Verstummung des 1 zeigt sich vor allem im heutigen Pariser
Dialekt.
V 2. Lesart Al ist der von Fl und Ba vorzuziehen. Der Wirt
schenkt dem Gaste ein und schiebt ihm die Zeche zurück (rent ce qu'il li
doit), um ihn so zum Trinken anzustacheln und ihn schliefslich desto gründ-
licher zu rupfen. Dafs ein Wirt seinem Gaste noch von seinem eigenen
(lelde zugiebt, wie Fl vmd B« wollen, wäre nicht nur unnatürlich, sondern
auch eine zu plumpe Falle, um nicht den \'erdacht des Gastes zu erwecken.
Es ist um so ratsamer, AI den Vorzug zugeben, weil Fl und B& im Aus-
druck stark variieren und unter den Schreibern sicherlich schon Schwanken
und Unsicherkeit herrschte.
Zu Nr. 2. II 5. em poi, vgl. nemporroit Nr. 6 II 4, emballance Nr. 5 1 1,
som pais Nr. 4 l5, empuis. Dies em für en mufs doch zu einer Zeit
entstanden sein, als der Vokal noch nicht nasal war; dann entstand es
analog dem mhd. embor statt enbor (empor), Naumburg statt Naunburg,
d. i. Neuenburg; wie verwandt sich m und b (p) waren, zeigt die unorga-
nische Anbildung eines b (p) an m; vgl. engl, lamb (statt lam, Lamm),
deutsch, mhd. erlempt von erlernen (erlähmen) Otte mit dem Barte p. 251
(Lambel). Sobald die Nasalierung eintrat, wurde diese Orthographie eine
rein traditionelle und darum oft auf den Kopf gestellt: F2 (bürg.) an bai-
lance, anbrazeit, sanblant, sanblance — Joinville: decenbre, enpeschement —
dagegen cimquante. Merkwürdigerweise hat sich em-p = en p bis in die
heutige Rechtschreibung gerettet und mit Konsequenz. Man schreibt em-
pörter (früher il en a porte ; die Schreibung em wird dazu beigetragen
haben, das m als zu porter stammhaft gehörig erscheinen zu lassen), em-
prunter — aber s'envoler, s'enfuir, enlever — empailler, empaqueter, aber
enlaidir, engraisser u. s. w.
III 5. üb der Dichter me covient estre sauvaiges et eschis oder me
covient estre et sauvaiges et eschis gesagt hat, das e in sauvaiges mufste
elidiert sein, wenn die richtige Silbenzahl da sein soll. Das s hinderte die
Elision nicht. Vgl. Tobler, Verslehre p. 61; Boucherie, Revue des langues
romanes 1877, p. 216, 1878, XIV, p. 203. Kopisten, denen diese Elision
vyeniger geläufig sein mochte, zogen es vor, das s in sauvaiges fallen zu
Die Lieder des Hugues de Bregl. 175
lassen, während sich eschis : vis hielt. Nur B 1 tbat noch den letzten
Schritt und machte die Adjektive grammatisch gleich, indem es eschit setzte.
IV. Derselbe Gedanke von der veredelnden Wirkung der Liebe findet
sich ausgedrückt in Strophe I eines anonymen Gedichts der Handschrift 846,
Bibl. nat. Paris mss. fr. fol. 131 d:
Se valors vient de mener bone vie,
ie devroie bien valoir par raison ;
car iai amor qui me fait grant ahie
et mest avis que tote lachoison
preigne damors qui que vuille valoir.
V8. Vgl. bien seroit droiz Nr. 2 II 1, molt par est faus Nr. 1 IV 1,
mult est eil folz ib., tot voi le monde Nr. 2 III 3, je sui si de li perdre
doutans Nr. 2 VI 5, assez a pis Nr. 4 II 7 (B4), ai si mon euer oste Nr. 5
I6, 116.
Es läfst sich in der afrz Sprache wie auch in der alten deutschen die
Tendenz verfolgen, das hervorhebende Wort von dem zugehörigen zu tren-
nen, als ob man die Anstrengung scheute, die beiden A\ örter so unmittel-
bar hintereinander auszusprechen. So hat das Nibelungenlied : Do besande
ouch sich von Sahsen der künec Liudeger, 170; ebenso 170, 4; 182, 1
(Bartsch); wo ouch zu von Sahsen gehört. Das Niederdeutsche hat diese
Eigentümlichkeit noch am schroffsten bewahrt; denn das lioclideutsche „Auch
er gab ihm ein Stück Brot" kann ndd. nur beifsen: he gev em lik en
Stück etc.
Zu Nr. 3. I2. de ci adonc ke=:jusqu'a ce que. deci heilst natürlich
nicht alleinstehend „bis", wie Bartsch im Glossar zu seiner afrz. Chresto-
mathie (187.Ö) s. v. deci angiebt. Auch in seinen beiden Belegstellen (deci
en duresle, deci al esclairier „bis in Ewigkeit", „bis zum Tagesanbruch")
erhält es diese Bedeutung erst, wenn die folgende Zeitbestimmung dazu kommt.
II 5. Die auch sonst in diesen Gedichten häufige Verwechselung von
ainc und ains (ainz) sowie Försters Bemerkung, dafs die Handschrift des
Kich. li biaus ohne Unterschied ainc und ains biete, könnte vielleicht ge-
eignet sein, einiges Licht auf die viel besprochene Aussprache des End-c
zu werfen. Die N'erwechselung, so sehr die Bedeutung der Wörter sich
manchmal nähern mag, wird seinen Grund wohl in der palatalen Natur
des c haben.
Uli. Ie requier = la requier (F2 deutlicher la requis) in den an-
deren Mss., wird aus einem aus morir abstrahierten Subst. mort zu er-
klären sein.
VIL Dafs VII den Schein der P^chtheit für sich hat, zeigt die Wieder-
holung des Gedankens: nus bien ne me venra damer, aus Strophe VI 2.
Zu Nr. 4. I6. Mätzner, Afrz. Lieder p. 144 will carnels lesen; abge-
sehen davon, dafs nur A 1 A 3 diese Lesart haben, scheint die andere auch
angemessener. Das von ihm angeführte carnales fratres, parentes (amici?)
hat doch eine entschieden abweichende Bedeutung, und in gewissen Ver-
bindungen hat es ja seine Berechtigung, wie des amis charnez qui Deu ser-
vent, Komania VI, p. 28. Hier aber soll es sicherlich unserem „Herzens-,
Busenfreund" entsprechen.
II 7. Quoique nus die hat sich als stehende Redensart bis ins klas-
sische Zeitalter erhalten. Racine hat es zweimal, Corneille wiederholt. Erst
das Ridikül, das Moliere in seinen Femmes savantes darüber ausgofs, wird
bedeutend eingewirkt haben, den archaistischen Konjunktiv gänzlich in Mifs-
kredit zu bringen.
IIl. Vgl. Mätzner p. 145. Die Abschrift von A2 im Arsenal hat
schon revenoir; revenir (B 1) oder revoier (Bö) sind vielleicht vorzuziehen.
176 Die Lieder des Hugues de Bregl.
Das La Bordesche remenoir findet sich in keiner Handschrift und giebt
absolut keinen Sinn.
III 1. Über die plusquamperf. Bedeutung von seusce vgl. Diez, Gramm.
33, 356; Tobler, Darstellung der lat. Konjugation in ihrer roman. Gestal-
tung S. 25 und Foth, Böhmers rem. Studien Bd, II. Dieselbe Bedeutung
hat der Konj. imp. auch in laissaisse v. 3, alaisse v. 4; chascaisse IV 3 „wenn
ich gejagt hätte"; bien vausisse „es wäre sehr gut gewesen" Nr. 3 III 6,
amasse ib. (B4), deusse Nr. 3 V 5.
Ich glaube nicht, dafs man hierin eine Altertümlichkeit zu sehen hat.
Den alten Dichtern war die peinliche consecutio temporum durchaus etwas
Unbekanntes, es genügt ihnen, überhaupt einen Konj. der Vergangenheit zu
setzen, das Unkorrekte läfst sie ihr grammatisch wenig geübter Verstand
nicht fühlen, oder die Phantasie kam zu Hilfe, wo die Grammatik hinkte.
Dasselbe haben wir im Nibelungenhede:
Er sach so vil gesteines, so wir beeren sagen,
hundert kranzwägene ez möhten niht getragen. III, 92 (Bartsch).
Ebenso wenig ist daran zu denken, in dem i der Formen laissaisse, chas-
caisse, alaisse, cantaisse eine altertümliche. Reminiscenz des lat. Plusquam-
perf. Könj. auf issent zu sehen, wie G. Paris thut, Romania VI, p. 619.
Warum haben wir denn kein seuisse, peuisse u. s. w. ? Warum hat denn
die 3. Pers. Sing, nie das i? Es heifst immer tormentast, daignast — pleust,
peust. Die frz. Formen entstanden ja überiiaupt gar nicht aus den vollen
Konjunktivformen, sondern aus den schon lat. so ungemein gebräuchlichen
kontrahierten Formen cantassent, amassent. Das i ist, wie G. Raynaud be-
merkt, Etüde sur le dial. ponthieu etc., parasitisch und entsteht nur nach a
vor Doppel-s.
Zu Nr. 7. IV 8. pramis. Die Verwandlung des e (o) vor r und 1 in a
ist ein gemeinfranzösischer Zug, der sich im Dialekt von Paris noch be-
merklich macht. Piarrot, renvarses, la mar, le varre, envars, parsonne, alle
für eile u. s. w. Don Juan II, vart, parroquet, charcher, libarte etc.
Medecin malgre lui.
Vgl. St. Leod. 25 e quäl (= quel). Darum enden die lat. Wörter
auf ellus (illus) französisch vielfach auf eau, eine Endung, die durch eallus
möglich wurde, bellus — biau — beau, pik. ciaus — ceaus d. i. ecce illos,
frz. ceux.
Rostock. Dr. Karl Engelcke.
Beurteilungen und kurze Anzeigen.
J. Fölsing, Elementarbuch der englischen Sprache, in zweiund-
zwanzigster Auflage neu bearbeitet von Dr. John Koch.
Berlin, Th. Chr. Fr. Enslin, 1885.
In dem von Dr. Koch bearbeiteten Elementarbuch der englischen
Sprache des verstorbenen Prof. Dr. Fölsing liegt insofern ein neues Lehr-
buch vor, als darin aufser mehrfachen wesentlichen Änderungen und Er-
weiterungen eine Darstellung der Aussprache auf lautphysiologischer Grund-
lage geboten wird, die den Schüler leichter und sicherer als bisher in den
Stand setzen soll, sich eine korrekte Aussprache anzueignen. Der Verfasser
geht von der richtigen, durch eigene Beobachtungen gestützten Ansicht aus,
dafs allein durch Vorsprechen des Lehrers und Nachsprechen des Schülers
eine genaue Aussprache nicht zu erzielen sei, dafs die Einübung der letz-
teren vielmehr durch Hinweis auf die Entstehung der Laute unterstützt
werden müsse. Sind die Bemühungen der Grammatiker, durch eine sorg-
fältige Darstellung der Aussprache und eine möglichst einfache Bezeichnung
derselben die Schwierigkeit der Einübung zu erleichtern, auch nicht neu
und nicht erfolglos gewesen (cf. die Grammatiken von B. Schmitz, Imm.
Schmidt, Gesenius u. a.; im Franz. die bez. Arbeiten von Sachs), so hatte
doch fast jeder bisher seine eigene Bezeichnung, und mancher hat von
deutschen Lauten ausgehend und daher verleitet durch seine vom Dialekt
sinner Heimat beeinflufste und mehr oder weniger getrübte Aussprache eine
nicht allen Deutschen verständliche Darstellung der Laute gegeben. (Vor-
übergehend erwähne ich, wie in dem sonst so vorzüglichen franz. Wörter-
buch von Sachs unter Erläuterung der Aussprache-Zeichen im franz. -deut-
schen Teile frz. peine und reine zu deutschem Ehre, (Gewehre, im deutsch-
franz. Teile deutsches wen, Thee, See mit gleichwertigem e zu eloigne ge-
stellt werden.) Deninach hatte man sich bisher bei der Darstellung der
Aussprache immer erst mit dem Verfasser über den Dialekt abzufinden,
aus dem er seine Belege für den fremden Laut genommen. Das wird mehr
und melir authören, nachdem uns durch wissenschaftliche Untersuchungen
die genaue Stellung der Sprechwerkzeuge überliefert worden ist, wie sie zur
Hervorbringung der einzelnen Laute nicht der Deutsche, sondern der, dessen
Sprache wir lernen wollen, in Anwendung bringt. Besonders englische Laute
sind in den seltensten Fällen durch entsprechende deutsche zu belegen, da,
wie Trautmann, Die Sprachlaute I, p. 143, richtig bemerkt, eine durchgrei-
fende Eigentümlichkeit der englischen Artikulation ja in der unüberwind-
lichen Neigung des englischen Mundes liegt, die Zungenspitze von den un-
Arrhiv f. n. .«!pi-nohrTi. LXXV. ] 2
178 Beurteilungen und kurze Anzeigen.
teren Schneidezähnen abzuhalten und nach oben zu richten. Der Unter-
kiefer wird dabei unter dem Überkiefer vorgeschoben.
Es ist didier mit Dank anzuerkennen, wenn neuere Grammatiker danach
streben, eine korrekte und einheitliche Darstellung der Sprachlaute in jenem
Sinne zu gewinnen und den Ergebnissen wissenschaftlicher Beobachtungen
bei der Abfassung ihrer Lehrbücher so weit Rechnung tragen, wie es den
Bedürfnissen der Lehrpraxis entspricht. Auch dem Verfasser vorliegenden
Werkes gebührt Dank für den Kleifs und die Sorgfalt, welche er im ganzen
Buche der Aussprache zugewandt hat. Wenn er es in der Vorrede selbst
als eine Ungenauigkeit bezeichnet, von der deutschen Aussprache ausge-
gangen zu sein, so zieht er <loch mit richtigem Gefühl deutsche Laute nur
in wenigen Fällen zur Unterstützung seiner Darstellung heran. Zur wei-
teren Belehrung über die Sache verweist der Verfasser auf das oben ange-
führte Werk von Trautmann und auf Victor, Elemente der Phonetik etc.
Ich bemerke indes, dafs der das englische Lantsystem behandelnde Teil von
Trautmanns Werk dem Verfasser bei der Bearbeitung des vorliegenden
Lehrbuches wenig Hilfe bieten konnte, da er noch nicht ganz erschienen war.
Ln einzelnen habe ich zur Lautlehre des Elementarbuches folgende
Bemerkungen zu machen. Da es sich hier um eine Darstellung englischer
Laute, nicht deutscher handelt, so würde die Belehrung über die Zeichen e
und a dahin gehören, wo sie Laute bezeichnen, die im Englischen vorhanden
sind, ebenso die Beschreibung des o-Lautes.
Wir pflegen mit dem Haken über einem Vokal die Kürze desselben zu
bezeichnen, es ist daher ä etwas verwirrend, wenn hinzugefügt wird : beide
sind jedoch lang. Trautmann giebt dieses a mit a'. Das a in letzter Silbe
von animal und ou in hideous durch das gleiche Zeichen darzustellen, ist
gewagt, a in al ist das von Trautmann (p. 169) mit ae bezeichnete flücii-
tige a. Man vergleiche es nach ihm mit dem entsprechenden a in human,
Frenchraan, liberal u. ä. So flüchtig es auch ist, bei genauer Aussprache
merkt man doch, dafs es sich mehr dem deutschen ä- Laute nähert als dem
ö-Laute, während ou in der Endung ous dem deutschen ö-Laute nahe kommt.
Dieser Laut wird von Trautmann mit f,> bezeichnet und ist gleich dem o in
kingdom, handsome etc. Cf. Trautmarm p. 176 u. 177.
Es ist mir nicht gelungen, den stimmhaften Laut, für den das Zeichen w
stehen soll, nach des Verfassers Darstellung hervorzubringen. Der Verf.
sagt: „Der betreffende Laut wird hervorgebracht, indem man die aufein-
ander geprefsten Lippen durch einen Atemstofs trermt, wobei sie eine ü-
Kundung bilden, z. ß. in we." Man versuche danach den Laut herauszu-
bringen. Es gelingt nicht, es wird immer ein b-Laut zum Vorschein kom-
men, kein vokalisch anhebender w-Laut, kein konsonantisches u. wie Traut-
mann es nennt. Trautmann stellt die dem w zukommenden Laute p. 201
durch y und q dar, ersteres als stimmhaft, letzteres als stimmlos, und bietet
p. 77, § 182 eine klare Beschreibung der Entstehung derselben, wo er sagt:
„Verengen wir beim Sprechen eines u die I^ippenölfnung bis zu dem Grade,
dafs das u nicht mehr klar und deutlich, sondern von einem Reibegeräuscli
begleitet und überdeckt herauskommt, so erhalten wir den Konsonanten,
welchen wir unter y verstehen: Es ist derselbe, den wir im ital. guarda,
guerra nach dem g hören und der etwas höher im englischen wood, well
gesprochen wird. Bei y ist die Mundhöhle, wie man durch Flüstern des y
leicht feststellen kann, auf g, gestimmt wie bei u. Daneben erklingt ein Ge-
räusch, das eine Terze höher liegt. Lassen wir die Stimme weg, so er-
halten wir q, das z. B. im ital. (juanto, quäle und etwas höher im engl.
(|uite, quarrel gehört wird. Die Einstellung des Giels (cf. p. 17) ist bei y,
abgesehen von der engeren Lippenöflnung, ganz wie bei u, also kleinster
Kieferwinkel, Zungenspitze zurückgezogen, Gaumensegel gegen die Rachen-
wand gedrückt, Stimmritze zum Tönen verengt. Bei q ist die Stinnnritze
weit geöHhet. Die Tonhöhe von y und \\ ist dieselbe wie die des u." Ich
Beurteilungen und kurze Anzeigen. 179
liabe die Stelle ganz iinführen zu müssen geglaubt, um zu zeigen, wie über-
aus klar Trautmann den Vorgang darzustellen versteht. Die Lippen dürfen
also nicht aufeinandergeprefst, sondern müssen einander gerade so genähert
werden, wie es bei der Bildung des u-Lautes geschieht.
Abgesehen von diesen Ausstellungen ist mir in der Lautlehre nichts
aufgefallen. Der Verfasser befleifsigt sich sonst darin der für den Unter-
richt gebotenen Kürze und bietet die dem Anfänger nötigen Belehrungen
klar und verständlich.
Gleiche Anerkennung verdient die Sorgfalt, welche der Verfasser auf
die Bearbeitung der Grammatik selbst verwandt hat.
Der Lesestoff' hat im Fölsing teilweise vorgelegen, ist aber in der neuen
Auflage anders gruppiert und erweitert worden. Die schon im zweiten
Kapitel beginnenden kleinen Lesestücke, von denen möglichst viele memo-
riert werden sollen, entsprechen nach Inhalt und Form dem Standpunkte
der in Betracht kommenden Schüler, und die nach denselben vom Verfasser
neu und in gutem Deutsch (nur ist mir p. 106 aufgefallen: Seid gütig zu
dem armen Älanne) ausgearbeiteten Übungssätze sind geeignet, den Schüler
von Anfang an zu einem verständigen Übersetzen in die fremde Sprache
anzuleiten und ihn zu zwingen, die gelernten Vokabeln und Regeln fort-
während in gutem Englisch zu üben. Bei konsequenter Arbeit wird der
Schüler auf diesem Wege bald dahin kommen, an seinem Lernen Freude
zu gewinnen und die Schwierigkeiten mit gröfserer Bereitwilligkeit zu über-
winden, als wenn ihm wochenlang unzusammenhängende Vokabeln und aus
diesen beliebig zusammengestellte Sätzchen geboten werden. Freilich setzt
diese Art des Unterrichts, bei welcher der l^ektüre von vornherein eine
hervorragende Stelle neben den grammatischen Übungen zugewiesen wird,
bei Lehrer und Schüler die gröl'ste Aufmerksamkeit voraus und mutet beiden
besonders im Anfang viel Anstrengung zu; denn als häusliche Arbeit können
dem Schüler monatelang nur leichtere Repetitlonen gegeben werden, da
Vokabeln und Sätze an der Hand der Lautlehre anfangs doch nur in der
Schule korrekt eingeprägt werden. Dann ist durch häufige Repetitionen
das Gelernte unter genauer Korrektur der Sprechfehler zu befestigen,
wobei zunächst deutsch nach dem Inhalte der Lesestücke gefragt und dieser
im Zusammenhange deutsch von dem Schüler erzählt wird. Dann werden
auf kurze deutsche Fragen vom Schüler kurze, aber zusammenhängende
englische Antworten aus dem Lesestücke gegeben; zuletzt stellt auch der
Lehrer seine Fragen englisch. Ahnlich wird sich auch der Verfasser den
Unterricht denken; denn er hat p. 200 ff', den zusammenhängenden Lese-
stücken englische P^ragen nach dem Inhalte beigegeben.
In dem auf 17 Kapitel geschickt verteilten grammatischen Stoff" hat
der Verfasser in mafsvoller Beschränkung das Notwendigste geboten. Die
Regein sind kurz und klar und mit passenden Beispielen belegt, welche
der Verfasser aus dem vorher geübten Lesestoff" nimmt; auch sonst sieht
man, wie derselbe bemüht ist, das Neue an Bekanntes anzulehnen und durch
dieses zu erklären. Mit Recht wird p. 41 vor dem Gebrauch von that ge-
warnt, das in seiner Anwendung dem Anfänger noch zu schwierig ist. Ana-
logien bei der Deklination, Konjugation und Komparation werden richtig
zusammengestellt, so Kap. XI in betreff der Flexion. Aus ähnlichem Grunde
würde ich auch das dem Englischen so geläufige there is etc. aus Kap. XVII, 10
schon in Kap. V bei to be aufgeführt und von da ab geübt haben, und die
Belehrung über den richtigen Gebrauch des Komma vor Relativsätzen, auf
welchen der X'erfasser von vornherein die Aufmerksamkeit des Schülers
lenkt, zum Relativpronomen, Kap. VIII, setzen.
Zu Kap. VIII. Das adjektivische what fragt nicht nach Personen und
Sachen, sondern nach der Gattung oder Art, welcher die Personen oder Sachen
angehören. Auch müfste hier darauf hingewiesen werden, dafs what in der
Frage ohne Artikel, im Ausrufe mit dem unbestimmten Artikel steht.
12*
Ü8Ö Beurteilungen und kurze Anzeigen.
Zur Komparation, Kap. X, bemerke ich, dal'ri ioh doch eine Andeutung
über die geschichtliche Entstehung der beiden Komparationsarten im Eng-
lischen ausdrücklich hinzugefügt und nicht, wie es der Verfasser wohl be-
absichtigt hat, nur der mündlichen Belehrung überlassen haben würde.
Durch den ausdrücklichen Hinweis auf die ihm bekannten \ orgänge im
Deutschen und Französischen wird dem Schüler besonders bei Repetitionen
das Verständnis und Behalten der Aufgabe erleichtert. Aber auch sonst
ist die Kegel nicht richtig gefHfst. Happy (in den Beispielen p. 49: happier)
würde nach des Verfassers Regel nicht auf die dem Deutschen folgende
Weise koinpariert werden können^ da es auf der ersten Silbe betont ist.
Die Sache verhält sich doch so, dafs aufser den einsilbigen Adjektiven, zu
denen auch die auf le ausgehenden, wie noble, hinzugerechnet werden
mögen, von den mehrsilbigen nur solche zweisilbige in Frage kommen, die
1) den Accent auf der zweiten Silbe haben, wie polite, exact u. a., oder die
2) auf y endigen, wie happy u. a. Das ist die Regel. Dafs diese Adjektive
unter Umständen auch der französischen Komparationsweise folgen können,
ist für den Anfänger ohne Bedeutung.
In demselben Kapitel heifst es ferner: „Das Adverb dient, wie im Latei-
nischen und Französischen, zur näheren Bestimmung eines Verbs etc."
Warum ist hier da<* Deutsche ausgelassen, wenn überhaupt andere Sprachen
zur Vergleichung heiangezogen wurden? Der Verfasser hat wohl Schider
im Auge gehabt, die Latein oder Französisch, oder beides treiben, aber
selbst da halte ich es für geboten, im Unterrichte überall auf die dem
Schüler zunächst liegende Muttersprache hinzuweisen, wenn aus ihr ein Vor-
gang in der fremden Sprache et klärt werden kann. Den Ausdruck: das
Adverb ist eine „nähere Bestimmung", halte ich, obwohl er seiir gebräuch-
lich ist, nicht für gut, weil er zu unbestimmt, ist. Wir^l dem Schüler nicht
mit viel klarerem Verständnis die Bedeutung dieser Wörterklässe nahe tre-
ten, wenn er hört, dafs, wie das Adjektiv eine Eigenschaft an einer Person
oder einem Gegenstande hervorhebt, so das Adverb in derselben Weise bei
einem Verbum eine Eigenschaft an einer Thätigkeit. beim Adjektiv aber
und Adverb einen Grad der durch diese Wörter ausgedrückten Eigenschaft
anzeigt? Bei der Erörterung des Gebrauches von very und much, p. 50,
mufste hinzugefügt werden, dafs das Part. Perf auch als Adjektiv gehraucht
immer durch much, nie durch very verstärkt wird, also seine verbale Kraft
behält. Hier werden vom Schüler recht häufig Fehler gemacht, auch später
noch. Bei Adverb und Präposition auf derselben Seite ist die Bemerkung
am Platze, dafs die dem Verbum nachgestellten Präpositionen zu Adverbien
werden.
Der Ausdruck in der F'ufsnote p. 50 ist nicht korrekt, le kann wohl
nicht gut in ly verwandelt werden, sondern durch allmähliches Schwinden
des e von le in der adverbialen Form ist das 1 schliefslich überflüssig ge-
worden und vor dem folgenden ly ausgefallen; in Wörtern wie fertilely ist
es geblieben, im Me. steht es auch noch in anderen. Cf. Sprüche Saloni.
2, 7 : He schal defende the goende symplely.
Wie schon hervorgehoben, drückt sich der Verfasser in gutem Deutsch
aus, dennoch möchte ich ihm einige Kleinigkeiten, die mir bei der Durch-
sicht aufgefallen sind, zur Erwägung verstellen.
Zu Kap. XL Man vermeidet es, eine Überschrift im Anfang des Te.\tes
durch ein blofses Demonstrativum wieder aufzunehmen. Entweder es mufste
die Überschrift wiederholt werden: die Besonderheiten etc., oder etwa
heifsen : Abweichungen von der regelmäfsigen Flexion zeigen sich in For-
men etc. Ebenso möchte sich p. 54 für: „das y bleibt auch unverändert
bei allen Wörtern, die davor einen Vokal haben" als kürzer em[)fehlen:
y mit vorhergehendem Vokal bleibt unverändert.
Die in der Mitte p. 55 erwähnte Orthographie von begs und hotly folgt
aus den oben auf derselben Seite angeführten Worten, sobald eine vokalisch
ßeurteilungeti und kurze Anzeigen. 181
anlautende Flexionssilbc hinzutritt. Es wird daher richtiger hcil'sen : „Man
beachte also" für: „Man beachte jedoch".
In betreff' dieses jedoch scheint es mir, als ob der N'erfasser es etwas
zu häufio; anwendet, auf der folgenden Seite steht es dreimal. Es kann
leicht mit einem anderen Wörtchen wechseln oder an anderen Stellen ganz
wegbleiben (p. 74), was im Interesse der Kürze des Ausdrucks einer V'er-
bes!<erung gleich käme. Aus demselben Grunde wüi'de ich p. 41 in: das
deutsche einfache was — einfache fallen lassen. Man sagt Einer unil Zeh-
ner, aber Hunderte und Tausende p. 79. Es sind das an sich Kleinigkeiten,
aber in einer Grammatik sind auch solche Kleinigkeiten nicht unwichtig,
wie mir der Verfasser zugeben wird.
Zu Kap. XVII, 5. Man mufs sagen: The Emperor William. Zugleich
würde ich hier die gebräuchlichsten Ausnahmen lernen lassen ; denn be-
kanntlich wird gegen diese Regel von den Schülern sehr häufig verstofsen.
Also: Czar, emperor, empress, archduke, archduchess, princess und elector
haben den Artikel. Nr. 7 würde ich so fassen: Wird ein attributives Ad-
jektiv durch eins der Adverbien as, so, too, how, however hervorgehoben,
so behält der unbestimmte Artikel seine Stelle vor dem Substantiv : so small a
house. Ahnlich sagt man : such a place, half a dozen, many a man (kommt an
anderer Stelle vor), auch mit bestimmtem Artikel : all the town. In betreff"
der im vorliegenden Buche angewandten Terminologie erlaubt sich Recen-
sent dem Verfasser den \'orschlag zu machen, in der folgenden Auflage
die auch in den englischen Lehrbüchern immer mehr bevorzugte lateinische
Terminologie anzuwenden. Es geschieht dies nicht aus Mifsachtung gegen
den deutschen Ausdruck, sondern wegen des V^orteils, den eine gröfsere
Übereinstimmung in den grammatischen Benennungen bei dem Betriebe
mehrerer Sprachen nebeneinander dem Lernenden gewahrt. Auf den Schulen
mit lateinischem Unterricht wird der Schüler bald in der lat. Terminologie
so sicher, dafs er sie leicht auf die anderen Sprachen übertiägt. Ich meine,
der Verfasser wird den \'orschlag um so mehr billigen, als er in der vor-
liegenden Grammatik die deutsche Terminologie keineswegs konsequent
durchgeführt hat. So stehen Kap. VIII und IX neben zurückbezüglichen,
also relativen Fürwörtern reflexive in der Überschrift, während sie im Text
meist Fronomina heifsen. Als Überschrift steht ferner: bestinunende Für-
wörter, im Text aber pronomen determinativum, p. 139 unter den N'okabelu
one, Zahlwort und pron. indef. u. ä. Fürchtet der Verfasser, dafs die lat.
Ausdrücke nicht von allen Schülern, für die er seine Grammatik bestimmt
wissen will, verstanden werden, so kann er ja die deutschen Benennungen
in den Kapitelüberschriften in Klammern hinzufügen.
Der sorgsamen Korrektur des Buches ist nur eine geringe Anzahl
Druckfehler entgangen: p. 7, wo h ausgefallen ist in: der Kürze halber,
p. 31 oben mufs es heifsen unperceived für uuper — . p. 56 unten fif tin
für fiftin'. Kap. XV sind die Kardinalzahlen 21 bis 25 und die Ordinal-
zahl 21. konsequent verkehrt accentuiert. Das Accentzeichen gehört hinter
die Einer, p. 71 Äodin, während p. 19 Kolin und ^clin steht, p. 84 unten
in der Klammer mufs es heifsen not any für notany.
Schliefslich erwähne ich noch, dafs der Verfasser sieh durch Fort-
lassung der nicht fettgedruckten Ziffern im deutsch-englischen Wörterbuche
p. 259 ff. eine grofse Arbeit erspart haben würde, ohne Schaden für den
Schüler, der eine Vokabel leicht in dem sehr deutlich gedruckten \'okabel-
verzeichnis durch den gegebenen Hinweis auf das betreffende Kapitel finden
wird. Die vielen Ziffern erschweren oft das Suchen.
Eine eingehende Vergleichung des vorliegenden Lehrbuches mit dem
Fölsing hat Recensent deshalb nicht beabsichtigt, da es des Neuen so viel
bietet, dafs ein selbständiges Lehrbuch daraus geworden ist.
Die Mängel, welche ich im Vorhergehenden zur Sprache gebracht habe,
tliun der Brauchbakeit des Buches ebenso wenig Abbruch, wie sie meine
182 Beurteilungen und kurze Anzeigen.
volle Anerkennung des Fleifses, den der Verfasser besonders auf die Aus-
sprache und die Übungsbeispiele verwandt hat, beeinträchtigen sollen. Der
gute Ruf, der die Grammatik von Fölsing bis zur 21. Auflage begleitet hat,
wird auch auf die neue Bearbeitung des Dr. Koch übertragen werden, die
ich unbedenklich den Fachkollegen als ein recht brauchbares Lehrbuch
empfehlen kann.
Stade. Lenk.
J. Verne, Le Tour du Monde en Quatre-vingts Jours. Zum
Schulgebrauch bearbeitet von Dir. Prof. Dr. K. Bandow.
Bielefeld und Leipzig, Velhagen & Klasing.
Die bekannte geistreiche Erzählung J. Vernes liegt jetzt in einer ver-
kürzten, für Schulen berechneten Ausgabe vor. Die fliefsende, selbst von
der Akademie als mustergültig bezeichnete Sprache, der belehrende Inhalt,
der interessante, frische Gang der Erzählung lassen die Werke J. Vernes
als besonders zur Privatlektüre in oberen Klassen geeignet erscheinen, zumal
wenn alle Schwierigkeiten sprachlichen und sachlichen Verhältnis.ses so ge-
ebnet werden, wie dies in der Bandowschen Ausgabe geschleiit. Der Schüler
findet in denselben ausreichende geographische, naturwissenschaftliche etc.
Erläuterungen, sowie solche der technischen Ausdrücke; die speciell auf die
Sprache sich beziehenden Noten sind meist präcis und treffend und suchen
— was bei dem überreichen phraseologischen Material in Vernes Schriften
besondere Anerkennung verdient — eine ebenso korrekte wie geschmack-
volle Übersetzung zu fördern. Es mögen nur einige wenige Desiderata zur
Berücksichtigung bei einer etwaigen neuen Auflage Erwähnung finden.
S. 9, A. 3: „redresser un propos, eine Ansicht berichtigen". Propos ge-
nauer = geäufserte Ansicht, Aufserung. — S. 10, A. 4. Zu extraordinaire
könnte die jetzt gewöhnlichste Aussprache mit stummem a in der zweiten
Silbe hinzugefügt werden. — S. 11, A. 2. Bei der Angabe der .Aussprache
von aiguille ist die erste Silbe mit e statt mit e bezeichnet. Dagegen ist
S. 64, A. 6 quai =:: ke als Ausnahme anzugeben. S. 14, A baut de taille.
Der Gen. de taille ist nicht Gen. des VN'ertes oder Mafses (wie in un mur
haut de sept pieds), sondern Gen. limitationis (cf. die folgende Anni. der-
selben Seite zu blond de cheveux). Deutsch: „in Bezug auf, an". — S. 15,
A. 5: on ne Je verrait qii'h, l'user. User ist hier Substantiv (wie auch im
Wörterverzeichnis richtig angegeben), nicht Infinitiv. — S. 41, A. 6: „ne
im zweiten Gliede einer Vergleichung"; genauer: „einer komparativisohen
Vergleichung". — S. 42, A. 7. In der Redensart mettre pied ä terre ist
das d von pied ausnahmsweise zu binden. — S. 46, A. 3: il a l'air d'un
parfait honnete homme. Bandow erklärt dies durch parfaitement h. h. und
sagt, die beiden Adjektive bildeten gewissennafsen ein zusammengesetztes
Adjektiv wie aigre-doux. A'ielmehr bilden hoimete und homme einen ein-
zigen Begriff", zu dem dann parfait als adjektivische Bestimmung hinzutritt:
p, -\- (h. -|- h.), nicht: (p. -j- h.) -(- h. — S. 55, A. 5. Zu bayadcre konnte
die abweichende Aussprache (ba-i) hinzugefügt werden. — S. 59, A. 5.
Proprement dit war schon bei S. 52, A. 3 zu erwähnen. — S. 91, A. 2.
Restait la question de savoir si . . . De savoir hier nicht = nämlich; nach
question ist die (für das Deutsche pleonastische) Hinzufügung von de savoir
notwendig, wenn eine indirekte Frage folgt. — S. 114, A. 2: jaugeant brut;
in brut ist das t zu sprechen. — S. 135, A. 6: allons donc = ich dächte
gar! — S. 161, A. 2: Ne pouvoir que faire qc. =r nicht undiin können etw.
zu thun (== ne pouvoir s'empecher [se dispenser] de faire qc). — S. 172,
A. 7: ce coquin a tout l'air de revenir dans sa patrie; nicht: stellt sich,
als wolle er ..., sondern: es hat ganz den Anscliein, als wolle er . . . —
ßeurleilungen und kurze Anzeigen. 183
S. 178, A. 3. In poignard ist ol besser regelniäfsig aiisziispix'clien. — S. 230,
A. 5: plus qu'une niinute, et le pari etait gagne. Bandow erklärt: „noeh
eine Minute mehr". Plus bezeichnet liier niclit die Quantität, sondern ist die
absolut gebrauchte Negation ne — plus que = nicht mehr als, nur noch.
Plus qu'une niinute steht also elliptisch für etwa: il ne fallait, plus qu'une
niinule.
An Druckfehlern finden sich: S. 20, Z. 2 v. o. de vol (statt du). S. 31,
Z. 6 V. o. Mr. Fogg. etait (st. Fogg etait). S. 31, Anm. 1 Bradhaws fst.
Bradshaws). S. 9.'i, Z. 11 v. u. se (st. ce). S. 96, Z. 5 v. u. n'etait moins
(st. n'etait pas moins). S. 148, Z. 3 v. u. ile Formose (st. ile de F.). S. 178,
Anm. 3 revolvcr-poignards (st. poignard). S. 180, Anm. 2 train forme (st.
deux trains fornies). S. 186. Z. [) v. o. jusqu'a (st. a). S. 194, Z. 2 v. u.
et doiit (st. dont). S. 233, Z. 3 v. u. soixante-dix neuf (st. dix-neuf).
Zittau. R. Scherffig.
Grainatica sucinta de- la langua inglesa, per G. C. Kardgien,
Heidelberg, J. Groos.
Dieses Werk ist eine Elementar-Grammatik für Spanier, welche die
englische Sprache studieren wollen. Aufser den Grundsätzen der englischen
Aussprache enthält es die gewöhnlichen und einfachsten grammatischen
Kegeln, zahlreiche Übungen, ein Vokabularium, ein paar Seiten Redens-
arten und einige leichte Lesestücke. Wie man sieht, führt das kleine Buch
nicht sehr weit, doch ist es sehr zweckmäfsig eingerichtet, „as far as it goes".
Wir finden nur, dafs etwas mehr Klarheit über den weichen und den scharfen
Laut des th wünschen.swert wäre. Wenn man sagt, dafs das th in father,
wither, that, thing, with dem Laute des spanischen z nahe stehe (tiene un
sonido especial algo semejante ä la z espanola), gilt zwar diese Bemerkung
für das tli in Ihlruj, aber das t% in mother scheint uns mit dem (/ in amistud
mehr Ähnlichkeit zu haben. Auch zweifeln wir sehr daran, dafs das eng-
lische V ebenso wie das spanische ausgesprochen wird (se pronuncia conio
la V espanola). In der zehnten Ausgabe des Diccionario Nacional (1852)
macht die Akademie keinen Unterschied zwischen h und c (canfundese ea
Espana con la v): in seiner Gronimaire de la Langue eapagnole sagt Domingo
Gildo von dem v, niSine prononciation que le h espagnol ; und wenn auch
Salvä einen Unterschied zwischen b und v macht, gesteht er: la b y la v
son confundU/as por generaUdad de las castellanos. Daraus ei-hellt es, dafs
der Unterschied zwischen dem englischen v und b wenigstens viel schärfer
ist als im Spanischen. Das kleine Werk ist jedoch sehr empfehlenswert.
Das Englisch ist richtig, was wir bei so vielen Schul-Grammatiken vermissen.
Ein paar Druckfehler haben wir gefunden, meistens im letzten Bogen, wie
z. B. halado statt helado; zui desea U.V für zue desea U.? aber in einer
ersten Auflage ist dies unvermeidlich.
Materials for translating English into German. First Part. By
Dr. Emil Otto. Heidelberg, J. Groos.
Dies ist eine Auswahl von Anekdoten, Erzählungen, Briefen und ge-
schichtlichen Auszügen, aus englischen Schriftstellern entlehnt, zum Über-
setzen ins Deutsche. Die Sammlung ist für Engländer und Amerikaner be-
stimmt, die sich die deutsche Sprache aneignen möchten. Im ganzen sind
die Stücke aus guten Quellen geschöpft. Schade ist es nur, dafs so viele
darunter so zu sagen uralt und in so vielen verschiedenen Büchern schon
gedruckt vorhanden sind. Es ist doch langweilig, Sachen zu lesen und
durchzuarbeiten, die man schon in der ersten Kindheit durchbuchstabiert
184 Beurteilungen und kurze Anzt.'igen.
bat. Nur auf den letzten Seiten finden wir den ersten Akt einer historischen
Komödie von Mr. Planche. Das Stück, das wir in England auf der Kiihnc
gesehen haben, ist wirklich ausgezeichnet; aber da es überhaupt nur aus
zwei Akten besteht, so ist es schwer zu begreifen, wie man nicht Platz
gefunden hat, um es ungeteilt anzubringen. Auf jeder Seile des Werkes
findet man zahlreiche zweckmäfsige Anmerkungen, ilie das Übersetzen be-
deutend erleichtern. G. Kovle.
Lazarus Geiger, Seine Lehre vom Ursprünge der Sprache und
Vernunft und sein Leben dargestellt von L. A. Rosenthal.
Stuttgart 1884. XII u. 156 S.
Das vorliegende Buch zerfällt in zwei Teile: der erste handelt von
Lazarus Geigers Lehre vom Ursprünge der Sprache und Vernunft, der
zweite enthält seine Biographie. Der erste Teil bildet im wesentlichen eine
übersichtlicher als im Original zusammengedrängte populäre Wiedergabe der
Geigerschen Schriften: „Der Ursprung der Sprache. Stuttgart 18G9" und
„Ursprung und Entwickelung der menschlichen Sprache und Vernunft. .Erster
Band, Stuttgart 1868. Zweiter Band (aus dem Nachlafs des Verfassers),
Stuttgart 1872." Hier hatte der Darsteller die in orakelhaften Satzgefügen
ausgesprochenen Ansichten Geigers gleichwie ein Übersetzer aus der philo-
sophischen Sprache in die V^olkssprache zu übersetztn, ohne die eigene
Individualität hervortreten zu lassen, was hier jedoch nicht zu umgehen war,
wenn nicht die gesamten Originalschriften wieder abgedruckt werden sollten.
Deshalb ist der Vergleich in der Vorrede (p. X), dafs die vorliegende zu-
sammenhängende Darstellung der Ansichten Geigers sich zu dessen Schriften
verhalte wie eine kleine Landkarte zu einer riesengrofsen, nicht unpassend.
In dem ersten, sieben Abschnitte bildenden Teile über den Ursprung der
Spraciie und Vernunft sind Geigers Gedanken unverändert in knappster
Form wiedergegeben, nur sind die griechischen Beispiele der Original-
schriften durch deutsche Transskription ersetzt. Einzelne dunkle Stellen
fallen wohl dem Original zur Last; so läfst der letzte Satz p. 7, in dem
etwas fehlt, das Richtige nur erraten. \\'enn sich in einigen Beisyjielea
Unkorrektheiten finden, z. B. odyssamenos (p. 2) st. odyssamenos, edidon
an (p. 34) st. edi'dün an, was mit „gab ich es" übersetzt ist, oder melanos
(p. 6ü) st. melas, so fallen diese in einer populär gehaltenen Schrift nicht
ins Gewicht; ein Sprachforscher wird immer Geigers eigene Werke zu Rate
ziehen müssen, in denen er sich allerdings ohne einen Imlex nicht so schnell
orientiert wie in der obigen Übersicht. Die Ansichten Geigers können hier
nicht erörtert werden, da das Rätsel vom Ursprünge der Sprache eine Reihe
anderer Fragen (vgl. A. Mahn, Über das Wesen und den Ursprung der
Sprache, sowie auch über den Ursprung des Menschengeschlechts. Berlin
1881) — in sich schliefst, deren Lösung in genügender Weise exakter For-
schung bisher noch nicht gelungen ist. Im zweiten Teile wird an der Hand
glaubwürdiger Quellen der Lebensgang Geigers (1829 — 1870), insbesondere
seine Kindheit in Frankfurt a, M., seine Stellung als Buchhändler, seine
Studien und seine Wirksamkeit als Lehrer und Schriftsteller in seiner Hei-
mat bis zu seinem Tode geschildert. Diese Schilderung konnte noch nicht
abschliefsend sein, da Geigers Nachlafs zum Teil noch der Veröffentlichung
harrt. Die Lebensschicksale sind vom Verfasser absichtlich erst in der
zweiten Hälfte des Buches dargestellt worden, weil nach seiner Ansicht bei
einem Geisteshehlen nicht diese, sondern seine Vermächtnisse an die Naih-
welt von Bedeutung sind. Kurz, die obige Schrift, welche dazu beitragen
will, einen noch wenig gekannten Denker bekannter zu machen und in der
Beurteilungen und kurze Anzeigen. 185
Gescliie'hte der ^^'issens(;haf't zur gebührenden Anerkennung zu bringen, er-
l'uUt ihren Zweck und kann als populäre DarsteUung der Geigerschen Lehre
empfohlen werden.
Keadings still to be elucidated in the Text of Shakespeare.
A List of „Cruces" compiled by F. A. Leo. Reprint froni
the Shakespeare-Jahrbuch, vol. XX. 25 p.
Eine Konkprdanz der erklärten und noch zu erklärenden Text-Lesarten
in Shakespeares Dramen ist schon lange ein Wunsch des Herausgebers
obigen Verzeichnisses der cruces gewesen. Derselbe hat sich durch dieses
zuerst im Jahrbuch (1885) XX, p. 149 — 171 erschienene Verzeichnis der
Stellen, deren Erklärung noch nicht gelungen oder noch streitig ist, ein
neues N'erdienst um die Shakespeare-Forschung erworben. Bei jedem Citat
ist Akt, Scene und Zeile des Stückes genau nach der Globe Edition und
Folio I, ausgenommen Pericles und teilweise flandet, angegeben. Die An-
ordnung der Stücke ist wie in den Shakespeare-Notes, nur dafs hier The
Merchant of Venice, As you like it, Twelfth Night, Winter's Tale, King
John. K.Richard IL, I— 11* K. Henry IV., K. Henry V., 11-HI K. Henry VL,
K. Richard HI., K. Henry VIIL, Troilus and Cressida, Titus Andronicus,
Cymbeline und Pericles hinzugekommen sind. Das Ganze ist zum Zweck
von Bemerkungen und ^Ergänzungen der möglichst vollständigen Sammlung
mit weifsem Papier durchschossen; hier lassen sich auch zerstreut erschei-
nende Emendationon wie in Kölbings Studien VIH, 3, p. 495, K. Elzes
Notiz zu fast last I King Henry IV. III, 1, l.ö8 oder ebenda p. 496 G. Sarra-
zins durch gute Gründe gestützte Besserung bleare oder blear the raven's
eye für das sinnlose bare in Cymbeline H, 2, 49 unterbringen, zu welcher
Lesart jetzt vielleicht auch Elze, A Letter to C. M. Ingleby, containing
Notes and conjectural Emendations on Shakespeare's Cymbeline (Halle 1885)
gelangt ist. Das genannte Verzeichnis aus kundigster Hand sollte in der
Bibliothek keines Shakespeare-Forschers fehlen.
Joost van den Vondel, sein Leben und seine Werke. Ein Bild
aus der niederländischen Litteraturgeschichte. Von Alexander
Baumgartner, S. J. Mit Vondels Bildnis. Freiburg i. B.,
Herdersche Verlagsbuchhandlung, 1882. XIII u. 379 S.
In der vorliegenden Schrift hat der Jesuit Baumgartner den gröfsten
Dichter der Holländer zum Gegenstand seiner Darstellung gewählt und hat
die ursprünglich gleich seinen Arbeiten über Lessing, Goethe und Long-
fellow in den Ergänzungsheften zu den „Stimmen aus Maria-Laach" erschie-
nenen Aufsätze über Vondel zu einem stattlichen Bande vereinigt. Aus-
führlicher als im ersten Entwürfe bringt dieses Buch zum erstenmal in
Deutschland eine übersichtliche, wenn auch nicht vollständige Biographie
Vondels mit eingestreuten Übersetzungsproben aus seinen Werken, die hier
in chronologischer Reihenfolge unter Verwertung der wichtigeren litterari-
schen Erscheinungen einzeln analysiert werden. Mit Hingebung hat sich
der Verfasser in Holland in seinen Gegenstand veitieft und die Hauptergeb-
nisse aus den reichlich fliefsenden holländischen Quellen zu einem einheit-
lichen Bilde gruppiert. Die in gewandtem Stil und in gemeinverständlicher
Sprache geschriebene Darstellung des Lebens und der dichterischen Ent-
wickelung V^ondels enthält siebzehn einzelne Abschnitte, deren letzter die
Vondel-Litteratur bis zur Gegenwart in möglichster Vollständigkeit behandelt.
Hieran schlii fsen sich drei Beilagen, deren erste Vondels nächsten Familienkreis
übersichtlich darstellt, während in der- zweiten die Werke des Dithters in
chronologischer Reihenfolge geordnet sind und in der dritten ein Ver-
18G Beurteilungen uiul kurze Anzeigen.
zeiclinis der auf der Amsterdamer Bühne aufgeführten Stücke von 163K bis
1678 gegeben ist. Ein am SeliUifs beigefügtes Personenregister erleichtert
die Benutzung des Buches, dessen geschmackvolle Ausstattung und sorgfal-
tiger Druck anerkannt werden mufs. Dagegen wiril der Eindruck des
Buches dadurch abgeschwächt, dafs es vom einseitigen katholischen Stand-
punkte aus geschrieben ist, den zu zeigen \'ondels Konversion dem Ver-
fasser willkommenen Anlafs bot. Auch die Sprache ist zuweilen etwas zu
familiär, z. B. wenn es (p. 108) von Vondel heifst, dafs „die Keiferei der
protestantischen Pre<liger und ihr zi-lotisches Ankämpfen gegen freiere Dich-
tung und Kunst ihn mit \\ iderwillen erfüllten", oder wenn (p. 307) bei
Vondels biblischen Dramen vom heutigen „Veilchenfresser-Publikum" ge-
sprochen wird. Ferner sind Unkorrektheiten im Sprachgebrauch zu mo-
nieren, die auf das Holländische zurückzuführen sind: z. B. Angenehmheit
= hoU. aengenaemheit (p. 303), oder Kerk (p. 71) statt Kirche, was aus Keim-
mangel herübergenommen ist, ebenso (p. 303) der Dingen, oder (p. 73) schla'n
für schlagen, oder (p. 53) gen' dich statt gegen dich u. a. Nicht immer ist
bei Wie<lergabe des Holländischen der richtige Aus<lruck getrolfen, z. B.
in der poetischen Beschreibung des idyllischen Landlebens in dem Chor der
Euböer aus Palaniedes, wo die unnachahmliche Schönheit der Vondelschen
Sprache in der Übersetzung sich nicht so leicht wiedergeben läfst; da die
Stelle von \V. Berg und auch von E. Martin in Schnorrs Archiv reprodu-
ziert war, so war hier eine geglättetere Form zu erwarten; so wird „belaeght
de vooglen met sijn nef etc. mit „belagert die N'ögel mit seinem Netze",
nachher „belagert das \\"\h\ mit seinen Hunden" unpassend statt „beschleicht"
wiedergegeben. Andere Stellen sind in der Übersetzung wohl gelungen.
Störend im Zusammenhange wirkt auch der pädagogische Exkurs (p. 26),
wo von Vondel <iie Rede ist, der sich die Mythen des Altertums rasch an-
eignete; da heifst es, dafs „iler Gyninasialjugend diese dichterischen Mythen
zur Übung im Konjunktiv, in Bedingungssätzen und Partikeln qualvoll ein-
getrichtert werden". Kurz, um nicht weitläufig zu werden, von genannten
Mängeln abgesehen, ist das obige Werk immerhin als die einen anerken-
nenswerten Fortschritt zu Jonckbloets schiefer Auffassung enthaltende brauch-
bare Darstellung des Lebens und der \Verke Vondels zu bezeichnen. Möge
es dazu beitragen, den seiner Herkunft und seinem inneren Kerne nach
deutschen Dichter in Deutschland weiteren Kreisen bekannt zu machen.
Altenglische Bibliothek. Hrsgb, von E. Kölbing. Dritter Band:
Octavian. — Zwei niittelenglische Bearbeitungen der Sage.
Hrösb. von Gregor Sarrazin. Heilbronn 1885. XLV und
191 S.
Im Mittelenglischen sind zwei« Bearbeitungen der Sage von Octavian
vorhanden: A. das südenglische, poetisch unbedeutende, aber sprachlich
interessante Gedicht; B. das nordenglische Gedicht, eine Perle der vor-
chaucerschen Zeit. Als Quelle beider Dichtungen wird der von Vollmöller
1883 im IlL Bande der Altfranzösischen Bibliothek herausgegebene altfran-
zösische Ronian von Octavian angenommen. A ist schon 1810 nach der
einzigen Londoner Handschrift des \b. Jahrb. von H. Weber in seinen fast
unzugänglichen Metrical Romances abgedruckt worden, aber unkritisch. Aus
der metrischen Form, einer Art Schweifreimstrophe, und aus dem im An-
fange des 14. Jahrb. verfafsten Romane von Richard Löwenherz schliefst
der neue Herausgeber, dafs das in Kent oder Essex in gemischtem Dialekt
geschriebene Gedicht bald nach der Mitte des 14. Jahrh. entstanden ist.
In der Annahme des afrz. Romans als der Quelle zu A hat der Heraus-
geber, von welchem jüngst in Braiuies Beiträgen (188j) XI, 1, p. Iö9 — 183
ein beachtenswerter Aufsalz üinr den Schauplatz des ersten Beowulfliedes
Beurteilungen und kurze Anzeigen. 187
und die lleinmt des Dichters erschienen ist, eine parallele Analyse beider
Gedichte veranstaltet; aber nicht alle Züge lassen sich in der Quelle nach-
weisen. Da nun der englische Dichter sich an zwei Stellen auf das Latei-
nische beruft, so ist eine lateinische Legende von Octavian anzunehmen,
die sich noch wird ausfindig machen lassen. Den Verfasser der Spielmanns-
dichtung glaubt der Herausgeber mit dem Dichter des Ritterromans Lybeaus
Disconnus und sogar des von L. Erling 1883 herausgegebenen Launlal iden-
tifizieren zu können, in welchem sich Thomas Chestre selbst genannt hat.
Die Gründe, die zu dieser Annahme beigebracht werden, scheinen zwar an-
nehmbar, sind jedoch nicht zwingend. Die nordenglische N'ersion der
Octaviansage (B) ist in zwei lückenhaften Handschriften des 15. Jahrh. er-
halten, deren eine von Halliwell, The Komance ol' the Eraperor Octavian,
London 1844, abgedruckt ist. Da sich beide Handschriften ergänzen, so
ist der Text beider in der neuen vorliegenden Ausgabe nebeneinander zum
Abdruck gelangt. Eine gröfsere Lücke der zweiten (Lincolner) Hs. ist in-
folge eines halben ausgerissenen Blattes auf fol. 108, wo über 70 Zeilen
fehlen, während die erste (Cambridger) Hs. in einer Strophe 1669—1683
zu viel Zeilen enthält, woran der Herausgeber nichts geändert hat. Aus
der metrischen Form, der Schweifreimstrophe, und den Reimen wird als die
Heimat des Gedichtes Nordenglan<l festgestellt und als Entstehungszeit un-
gefähr 1350 angenommen. Da die nordenglische Version von der süd-
englischen abhängig ist und in der nordenglischen auf eine lateinische Quelle
nicht Bezug genommen wird — die Angabe \)e bukes of Rome wird für ein
Mifsverständnis von romance gehalten — , so macht der Herausgeber aus
den gemeinsamen Zügen und dem Gange der Handlung als Quelle das alt-
französische Gedicht von Octavian wahrscheinlich. Vielleicht führen jedoch
weitere Recherchen zu einem anderen Resultat. Verfasser des vortrefflichen
Gedichtes war wahrscheinlich kein Spielmann, sondern ein Geistlicher, der
seine Kenntnis der Umgegend von Paris aus seiner Vorlage schöpfte; mit
Wahrscheinlichkeit wird demselben noch — in der Verteilung der Autor-
schaft anonymer Werke an diesen oder jenen Dichter scheint der Heraus-
geber nicht gerade jungfräulich zaghaft — die von Halliwell herausgegebene
Legende von Sir Isumbras zugeschrieben. Dem Texte hat der Herausgeber
noch Anmerkungen und Namensverzeichnisse zu beiden Versionen hinzu-
gefügt. Alle einschlägigen Fragen hat der Herausgeber in der ausführ-
lichen und übersichtlichen Einleitung erörtert. Für diese Untersuchung wie
für die sorgfältige Ausgabe der beiden mittelenglischen Versionen der in
ihrer Verbreitung noch nicht durchforschten Octaviansage gebührt ihm die
verdiente Anerkennung.
Englische Sprach- und Litteraturdenkmale des 16., 17. und
18. Jahrhunderts. Hrsgb. von K. Vollmöller. 2) Mar-
lowes Werke. Historisch-kritische Ausgabe von Hermann
Breymann und Albrecht Wagner. I Tamburlaine. Hrsgb.
von Albrecht Wagner. Heilbronn 1885. XL u. 211 S.
Dem ersten den Gorboduc enthaltenden Bändchen der von Vollmöller
herausgegebenen „Englischen Sprach- und Litteraturdenkmale" ist nunmehr
als zweiter Band eine stattliche Ausgabe des Tamburlaine Marlowes, des
Vaters des englischen Dramas und bedeutendsten Vorläufers Shakespeares,
gefolgt. Dieselbe übertrifft alle früheren Ausgaben dieses anonym über-
lieferten Doppeldramas, in welchem Marlowe vor 1587 zuerst den blank-
verse auf der Bühne mit Erfolg zur Anwendung brachte, dadurch, dafs von
dem Herausgeber (jetzt ao. Professor in Göttingen) der älteste Text unter
Benutzung des ifcsamten vorhandenen Materials in unmodernisierter Gestalt
188 Beurteilungen und kurze Anzeigen.
abgedruckt worden ist. In einer längeren, nicht in Abschnitte eingeteilten
Einleitung zur vorliegenden Ausgabe werden die einschlägigen Fragen be-
treffs des mit ungewöhnlichem Erfolg aufgeführten Stiackes besprochen, un<l
zum erstenmal in Deutschland wird hier vom Herausgeber eine eingehende
Quellenuntersuchung des von Marlowe zuerst für die Bühne bearbeiteten
■Stoffes angestellt. Das Ergebnis ist, dafs des Dichters Hauptquelle die
Silva de varia lecion des Spaniers Pedro Mexia, die 1571 von Thomas
Fortescue ins Englische übersetzt ist, und die Vita magni Tamerlanis des
Latein schreibenden Italieners Petius Perondinus war, indem im ersten Teile
des Tamerlan die Darstellung wesentliche Übereinstimmungen mit der Er-
zählung bei Mexia Perondinus aufweist, wie aus den vom Herausgeber zum
\ ergleich mitgeteilten Proben der englischen Übersetzung und zweier Stellen
des Lateinischen hervorgeht. Tamburlaine, das \\'erk des kaum •23jährlgen
Dichters, der nachdem nur noch sechs Jahre gelebt hat, wurde ungefähr
drei Jahre nach seiner Entstehung, 1590 (A) zum erstenmal, dann 1592 (B)
und 1605 — 6 (C) gedruckt. Erst 1826 erschien das Stück wieder im Druck
in der mit Fehlern gespickten ersten anonym erschienenen Gesamtausgabe
Marlowes, dann 1828 — 'id in einer zweiten ungenügenden Gesamtausgabe,
1850 in Alexander Dyces mit Anmerkungen verselienen Works of Christopher
Marlowe, wo jedoch der älteste Drück nicht benutzt ist, 1870 in Francis
Cunninghams fehlerhafter, einen Rückschritt bildender Ausgabe, endlich
1885 in Band I von H. Bullens The Works of Christopher Marlowe und
zuletzt Wagners Abdruck der ältesten Ausgabe Octavo, London 1590, deren
einziges Exemplar die Bodleianische Bibliothek in Oxford besitzt. Von allen
fünf Ausgaben unseres Jahrhunderts, vielleicht mit Ausnahme der von Bullen
veranstalteten, die dem Ref. erst unvollständig bekannt ist, ist die zuletzt
und zuerst in Deutschland erschienene als die beste zu bezeichnen, nicht
allein weil A dem Abdruck zu Grunde gelegt ist, sondern auch weil der
Herausgeber unter Schonung der vorshakespeareschen Orthographie und der
sprachlichen Eigentümlichkeiten den Variantenapparat der beiden übrigen älte-
sten Ausgaben zu den zehn Akten unterhalb des Textes von A mitgeteilt hat.
Die Arbeiten der früheren Herausgeber Marlowes und seiner Emendatoren
sind in den reichhaltigen ttxtkritischen und lexikographischen Anmerkungen
gebührend berücksichtigt; dafs der Herausgeber hier zwölfmal auf die alte
Orthographie renowmed hinweist, zeigt seine Genauigkeit im Einzelnen. Die
Erklärung 3780, wo der Jaxartes zu suchen, war überflüssig. Ungern ver-
mifst man in den Anmerkungen, die viel trefl'liche Belege aus Shakespeare
beibringen, an einzelnen Stellen ein kurzes Eingehen auf die Quellen ; so
weifs man nicht, ob die wunderlichen geographischen Vorstellungen, wonach
z. B. die Donau in das Tyrrhenische Meer fliefst, oder Sansibar an der
Westküste von Afrika oder das Salzmeer (Limnasphaltis) am westlichen
Thore von Babylon Hegt oder sich um die Stadt hin erstreckt, vom
Dichter oder seinen Vorlagen herrühren; auch Nigra Silva where the Deuils
dance u. a. dürfte sich in den Quellen nachweisen lassen. Ein Namens-
verzeichnis wäre behufs Nachschlagens sehr erwünscht gewesen, besonders
wegen der zahlreichen klassischen Anspielungen. Die Technik des im Titel
mit „Two tragicall Discourses" bezeichneten Dramas und die Fertigkeit
des Dichters in der poetischen Darstellung wird nicht näher besprochen.
Dies und eine Reihe anderer Fragen haben in der Einleitung, wo u. a. der
Wunsch einer neuen Darstellung der metrischen Verhältnisse bei Marlowe
trotz Schippers Dissertation ausgedrückt wird, bei dem reichlich fliefsenden
Stoff' nicht alle erörtert werden können. Kurz, möge die sorgfältige Aus-
gabe des wichtigsten Marloweschen Trauerspiels, über dessen grofsartigen
Erfolg auf der Bühne man sich bei der gewaltigen Sprache nicht zu wun-
dern braucht, Anregung zu wi'iterer Forschung geben, und die so gut
inaugiu'ierte historisch-krilisclie Ausgabe der Werke des Dichters einen raschen
Fortgang nehmen.
Beurteilungen und kurze Anzeigen. ISO
Germanisches E. Erster Teil: Die lautgesetzliche Entwicke-
lung des indogerm. e in den ältesten germanischen Sprachen.
Leipziger Dissertation von Otto Bremer. Halle a. d. S.
1885. 41 S.
Der Verfasser der vorliegenden Dissertation bebandelt in diesem ersten
Teile seiner Abhandlung über „die lautgesetzliche Entwickelung des indo-
germanischen e in den ältesten germanischen Sprachen" den spontanen
Lautwandel des einen germanischen e-Lautes in betonter und nicht betonter
Silbe in den ältesten Sprachstufen, speciell dem Gotischen, Altnordischen,
Angelsächsischen, Altfriesischen, Altsächsischen und Althochdeutschen, wobei
er seinen Ausgangspunkt vom Urgermanischen nimmt. In gründlicher Weise
wird das vorhandene Material, insbesondere die germanischen Eigennamen
aus dem ersten Jahrhundert unserer Zeitrechnung, die gotischen Namen
vom Ende des vierten Jahrhunderts an, die schon zahlreicheren fränkischen
aus den Geschichtschreibern gesammelten Namen bis zu der Zeit der litte-
rarischen Denkmäler untersucht. Da der Verf. p. 2 sich auf S. b\ fl'. bezieht,
dieser Teil seiner 41 Seiten enthaltenden Arbeit jedoch noch nicht vorliegt,
so wird sich ein definitives Urteil über das Ganze erst nach Erscheinen der
vollständigen Abhandlung abgeben lassen. Indes kann nach obigem ersten
Teile sclion jetzt erklärt werden, dafs die noch mehr wichtige Ilesnltale für die
Lautlehre der altgermanischen Sprachen versprechende Untersuchung der
Schule würdig ist, aus der sie hervorgegangen ist und uneingeschränktes Lob
verdient. Bemerkt sei hier nur eins zu S. 16, wo der Verf nachweist, dafs
wir a für ae vielleicht schon zu Anfang des 1. Jahrh. n. Chr. in dem Worte
für „Glas" finden; aus Plinius' Berichten über die friesische berristeinreiche
Insel Glaesaria und aus dem germanischen Worte mit lat. Endung oicsum
(für Bernstein) in Tacitus' Germania macht \'erf. die Tonlosigkeit des s
in dem germanischen Worte wahrscheinlicher als die Annahme eines tönen-
den z durch Müllenhoff. Gegen Grimm I, 58 jedoch, der engl, glair mit
ags. glsere identifiziert, nimmt Mahn in seinen Etymologischen Unter-
suchungen celtischen Ursprung (bret, glaour, kymr. glyfoer) an. — Inzwi-
schen ist die vollständigere, einen Separatabdruck verdienende Arbeit Bre-
mers über „Germanisches e. I. Die lautgesetzliche Entwickelung des indo-
germ, e" in Braunes Beiträgen XI, 1 (1885) p. 1 — ^76 erschienen.
Die Sprachforschimg der Gegenwart mit Bezug auf die fran-
zösische Litteratur im Mittelalter. Von Ferd. Brunetiere.
Mit Genehmigung des Verfassers übersetzt von E. Laur.
Heidelberg.
Vor mehreren Jahren erregten in der Revue des deux mondes die
Erstlingsarbeiten F. Brunetieres durch ihren polemischen und satirischen
Ton nicht geringes Aufsehen, jedoch wurden seine Ansichten über die fran-
zösische Litteratur und Sprache des Mittelalters bald von kompetenter Seite
zurückgewiesen. Zwar ist es nicht unnütz, wenn zuweilen eine Stimme
gegen den alten Schlendrian des philologischen Pedantismus und gegen
Verknöcherung in Specialwissenschaften laut wird : aber die Verunglimpfung(>n
des Altfranzösisehen als einer höchst barbarischen Sprache, die roh wäre
wie die Sitten des alten Frankreich und gemein wie die Neigungen seiner
Bewohner, der Spott über das eintönige V'ersmafs, d^n schlechten Klang
und die nicht einheitliche Orthographie der alten Sprache, deren Erforschung
er lächerlich zu machen bestrebt war, ruhten auf einer zu oberflächlichen,
aus zweiter Hand geschöpften Kenntnis von ein paar schlechten, von ihm
für buchstäblicii unlesbar gehaltenen Fabliaux und Chansons de geste.
Brunetiere, einer der eifrigsten Mitarbeiter der Revue des deux mondes,
1!)0 Beurteilungen und kurze Anzeigen.
der nicht nur die \'ergangenheit seiner Nation zu kennen meint, sondern
auch seine Forschungen auf die Gegenwart ausdelint, wie sein zuletzt
(1. Oktbr. 1885) in seinem Lfiborgan veröflentlichter Aufsatz „Les cafes-
concerts et la chanson fran9aise" beweist, ist in obigem Buche die zweifel-
hafte Ehre einer Übersetzung seiner epochemachenden Entdeckungen ins
Deutsche zu teil geworden; aber trotzdem werden die Gelehrten seinen
Mahnungen entgegen sich weiter das Augenlicht und den Geschmack an
dem Studium mittelalterlicher Dokumente verderben und in Barbarei ver-
sinken ! Doch hier haben wir es nur mit der deutschen Übersetzung zu
tliun. Der Übersetzer hat jede Angabe unterlassen, woher er seine Über-
setzerweisheit entnommen hat, und scheint den irreführenden Titel zu dem
Buche selbst gewählt zu haben; von Spracliforschung der Gegenwart ist
blutwenig die Rede. Wir brauchen uns wohl ebenso wenig wie mit der
Widerlegung des Inhaltes des Buches mit dem Sündenregister der Über-
setzung aufzuhalten, in weicher z. B. Minnesängerund Fabliaudichter (p. 31 ;
p. 20 steht Aöde für Sänger neben 9ta^^öote statt 9it)a^lobe) vermengt
wird, und (p. 62) „von jenseit dem Rheine" oder (p. 5) „einen Mann von
Welt" u. s.w. Deutsch sein soll, zumal ein Bedürfnis nach solchen Arbeiten
in Deutschland nicht vorhanden ist.
L'instruction primaire et ses efFets sur la civllisation d'iine na-
tion. Conferences d'hiver de la Philosophical Institution
d'Ecosse. Discours prononce ä Edinbourg le 7 novembre
1884 par M. Aug. Couvreur, (Traduit du Scotsman.)
Bruxelles 1885. 21 p.
Der berühmte Ausspruch Macaulays, dafs, wer das Recht zu hängen
hat, die Pflicht hat zu unterrichten, findet in dem vorliegenden Vortrage
auf Belgien passemle Anwendung, wo der Kampf zwischen Staat und Kirche
um den öffentlichen Unterricht noch weiter tobt. Der ausgezeichnete Redner
entwirft vor seinen Zuhörern ein anschauliches Bild des Widerstandes seitens
der klerikalen Partei gegen die Bestrebungen des Staates zur Hebung des
Volksschulunterrichts, schildert die Ereignisse von 1830 bis zur Gegenwart,
bringt als Wirkungen der klerikalen Herrschaft Proben der krassesten Un-
wissenheit des Volkes bei (so dafs die Bezeichnung Ministre de l'ignorance
publique für Belgien sehr gut pafst), bespricht den Widerstand der katho-
lischen Bischöfe gegen das Gesetz von 1»79, das Streben des Klerus, einen
Staat im Staate zu schaffen, und schliefst mit einem Hinweis auf die gegen-
wärtige Haltung der belgischen liberalen Partei. Wer die Resultate des
klerikalen Unterrichts in Belgien und pfäflische V^erdummung kennen lernen
will, möge obige kleine Broschüre, insbesondere S. 10 — 14, selbst lesen!
Z e i t s c h r i f t e n s c h a u.
l^nglische Studien. Herausggb. von E. Kölbing. VIII. Band.
2. u. 3. Heft. Heilbronn 1885. S. 209—511.
209 — 254. A. Hoofe, Lautuntersuchungen zu Osbern Bokenams Legen-
den. — Die von C. Horstmann 1883 in Kölbings Altengl. Bibliothek Bd. I
neu herausgegebenen Legenden Osbern Bokenams, die 1443 — 47 im Suffolk-
Dialekt geschrieben sind, werden in dieser Abhandlung auf Grund der vor-
angegangenen Forschungen des Herausgebers ihrem Lautbestande nach ein-
Seliend untersucht. Nach dieser Laut- imd Flexionslehre verdient die Aus-
Beurteilunfren und kurze Anzeigen. 191
spräche in ihrem Verhältnis zu den Schriftzeiehen sowie der Sull'olk-Dialckt
in seiner Entwickelung vom 15. J;U:rh. bis zur Gegenwart besonders be-
handelt zu werden. — 254—287. C. Horstmann, Mitteilungen aus Ms. Vernon.
Drei Gedichte dieser Hs. finden hier zum erstenmal Veröffentlichung: 1) La
estorie del Euangelie: Dies Fragment enthält nur 392 Verse, welche, wäh-
rend im vollständigen Gedicht das ganze Leben Jesu bis zur Himmelfahrt
und zum jüngsten Gericht enthalten gewesen ist, nur die Zeit bis zu .Jesu
Geburt nebst der Geburtsgeschichte des Johannes nach der Bibel und homi-
letischen Berichten im südöstlichen Dialekt darstellen. Die metrische Form
(vierzeilige einreimige Strophen) wird vom Herausgeber, der das (icdicht
noch der zweiten Hälfte des 13. Jahrh. zuweist, besonders hervorgehoben.
Das zweite Gedicht, das um die Mitte des 14. Jahrh. in ostmittelländischem
Dialekt abgefafst ist, fulirt den Titel: A dispitison bitwene a god man and
\ie deuel, und behandelt dialogisch in kurzen mit Langzeilen wechselnden
Keimpaaren vom AVorte Gottes, wie es gepredigt wird, von den siel»en Tod-
sünden und von den Thorheiten der Zt;it. Das als solches vom Heraus-
geber charakterisierte Streitgedicht ist vollständig erhalten und bildet ziem-
lich 1000 Zeilen, die eine Durchforschung im Einzelnen veidienen. Das
dritte Gedicht, jie pope Trental betitelt, das 200 Zeilen in Reimpaaren ent-
hält, wird, obschon es zweimal nach drei anderen Handschriften heraus-
gegeben war, hier nach dem doppelten Texte des Ms. Vernon verölfent-
licbt. Den Stoff bildet die Legende vom heiligen Gregor. — Diesen Dich-
tungen schliefsen sich zwei Prosate.xte an; der erste ist vom Herausgeber
betitelt: „Ratschläge für eine Orientreise", und ist aus einer Cotton-Hs.
entnommen. Der ungenannte \'erf;isser beschreibt darin nicht nur die Reise
selbst, sondern giebt auch hygieinische Verhaltungsmafsregeln. Das kleine
Stück ans der Zeit vor John Mandeville gewährt einen Einblick in die
geographischen Vorstellungen des 14. Jahrh. — Endlich folgen noch nach
einer Londoner Hs. Zwiegespräche unter dem Titel: Qiiestions by-twene
the Maister of O.xenford and his Clerke. Diese höchst naiven Fragen und
Antworten erscheinen hier ausführlicher als in der von Wülker, Altengl.
Ivesebuch H, 191 — 194 aus Ms. Landsowne abgedruckten Version, in wel-
cher sechs Fragen weniger beantwortet sind. Die Frage nach dem ersten
Stä'itegründer steht bei Horstmann zweimal, docii mit verschiedener Ant-
wort. — 287 — S23. H. Klinghardt, Die Lautphysiologie in der Schule. —
Der sachkundige Verfasser dieser orientierenden Abhandlung, welcher die
Lauiphysiologie nicht für eine Modelaune der Wissenschaft betrachtet wissen
will, giebt erst einen Überblick über die Ziele und die historische Ent-
.wickelung der Lwutphysiologie, behandelt d.'inn die \'erwertung der physio-
logischen Resultate lur den Sprachunterricht auf Grund der für die Dessauer
l''hilologenversammlung entworfenen Thesen und sucht unter Hinweis auf
die neuesten Erscheinungen auf phonetischem Gebiet von Western. Schröer,
Breymann, Victor und Trautmann das Interesse weiterer Fachkreise an der
noch unfertigen Wissenschaft zu wecken. — 324 — 378. Litteratur. H. \'arn-
hagen, Longfellow's Tales of a Wayside Inn und ihre Quellen nebst Nach-
weisen und Untersuchungen über die vom Dichter bearbeiteten Stoffe.
Berlin 1884 (F. Liebrecht). Zu dieser giündlichen Arbeit wie zu desselben
Verfassers Buche über Ein indisches Märchen in den europäischen Littera-
turen werden hier einige ergänzende Zusätze beigebracht. — H. Druskowitz,
Bercy Hysshe Slielley. Kerlin 1884. — Der Recensent, der einige Mängel
des Buches tadelt, demselben jedoch seine Anerkennung zollt, üliersieht,
dafs die Arbeit von einer promovierten Dame herrührt. — K. W'arnke imd
L. Pröscholdt, Pseudo-Shakespearian Plays. II The merry devil of Ed-
monton. Revised and edited with introduction and notes. Halle 18S4
(M. Koch). Diese sorgfältige Ausgabe wird warm begrüfst mv\ eine rasche
Fortsetzung der Sammlung gewünscht. — M. Vietor, Elemente der Pho-
netik und Orthoepie des D< utsclx-n, Englischen und Französischen mit Rück-
192 Beurteilungen und kurze Anzeigen.
sieht auf die Bedürfnisse der Lehrpraxis. Heilhronn 1884 (F. Franke). Das
hier ausführlich besprochene Buch mit den Hauptresultaten der Laiitfor.schung
wird allen Jüngern der modernen Philologie empfohlen. — M. Trautmann,
Die Sprachlaute im allgemeinen und die Laute des Englischen, Franzö-
sischen und Deutschen im besonderen. L Leipzig 1874 (E. Förster). Auch
dies Werk wird dringlichst empfohlen. — J. Hoff'ory, Professor Sievers und
die Principien der Sprachphysiologie. Eine Streitschrift. Berlin 1884;
H. Breymann, Über Lautphysiologie und deren Bedeutung für den Unter-
richt. München, Leipzig 1884; A. Schröer, Über den Unterricht in der
Aussprache des Englischen. Berlin 1884; A. Western, Engelsk Lydlaere
for studerende og laerere. Kristiania 1882 (H. Klinghardt). Die ein-
gehende Besprechung dieser sachkundigen vier Schriften über Lautphysio-
logie bildet eine willkommene Ergänzung zu Klinghardts obiger Abhand-
lung. — Jane Austen's Novels, by G. Pellew. Boston 1883. (F. Bobertag.)
Diese Charakteristik Jane Austens wird lobend empfohlen. — G. Jansen,
Beiträge zur Synonymik und Poetik der allgemein als echt anerkannten
Dichtungen Cynewulfs. Münster. Das Thema dieser Dissertation wird nicht
für musterhaft behandelt erklärt, indem der Verf. statt einer Synonymik
lind Poetik in vielen Paragraphen eine gelehrt aussehende Nomenklatur ge-
liefert hat. Es ist die alte Klage über die mechanischen und geistlosen
in Münster gefertigten Dissertationen — Jos. Schürmann, Darstellung der
Syntax in Cynewulfs Elene. Paderborn (H. Klinghardt). Trotz der Be-
schränktheit und der Weitschichtigkeit des Themas wird diese mit Fleifs
und Verständnis gefertigte Dissertation anerkannt. — 354 — 378. Lehr- und
Übungsbücher für die englische Sprache. XV'. English Vofabulary. Metho-
dische Anleitung zum Englischsprechen. Mit durchgehender Bezeichnung
der Aussprache, von G. Plötz. II. Aufl. Berlin 1883 ; Englisches Voka-
bularium und Einführung in die Konversation. Mit kurzen Ausspraclie-
bezeichnungen und synonymen Anmerkungen und mit Berücksichtigung des
Französischen. Ausgabe A. Für die mittleren und oberen Klassen höherer
Lehranstalten und für den Selbstunterricht, von K. Meurer. Köln 1883:
i^nglisches Vokabulai'ium mit kurzen Aussprachebezeichnungen. Ausgabe B.
Für die drei unteren Jahresknrse, von K. Meurer. Köln; Anglo-American
Progressive Reader. Englisch-amerikanisches, vom Leichten zum Schweren
fortschreitendes Lesebuch. \'on K. Munde. Dritte Ausgabe. Leipzig 1883
(.]. Kochi. Trotzdem Koch die Vokabularien für den Schulunterricht min-
destens für überflüssig hält, widmet er der Besprechung dieser vier Bücher
mehr als 13 Seiten. G. Plötz' Vocahulary wird für Vorgeschrittenere, nicht
für Anfänger, unter Hinweis auf einige Ünvolikommenheiten, für ein gutes
Hilfsmittel erklärt. An Meurers Büchern wird die geschickte Zusammen-
stellung und Einrichtung gelobt, aber die grammatischen Noten werden für
überflüssig erklärt und in Bezug auf Synonymik wird gröfsere Beschränkung
empfohlen. Auch hier wird eine Anzahl Fehler berichtigt. Mundes Buch,
d;is vom Satze und von zusammenhängenden Gesprächen ausgeht und frisch
geschriebene Stücke enthält, wird für praktische Zwecke in Amerika warm
empföhlen, nicht für die Schule und England. — Materialien zu englischen
Klassenarbeiten sowie zu häuslichen schriftlichen Arbeiten und mündlichen
Ühungim. Für obere Klassen. Von B. Peters. Leipzig 1883 (Willenberg).
Das Buch wird in jeder Hinsicht günstig beurteilt. — Englische Briefe zum
liückübersetzen aus dem Deutschen ins Englische, bearbeitet von H. Brei-
tingcr. Zürich 1883 (Willenberg). Diese Sammlung interessanter Briefe
wird Lehrern, nicht Schülern empföhlen; der Stil wird getadelt. — Theo-
retisch-praktischer Lehrgang der englischen Spraclie mit genügender Be-
rüttksichtigung der Aussprache für höhere Schulen, von K. Deutschbein.
Achte verbesserte Doppelauflage. Köthen 1884. (jlrofse Ausgabe (Willen-
berg). Diese verdienstvolle umgestaltete Grammatik wird unter llinzufügiuig
von Bemerkungen für eine neue Auflage warna empfohlen. — English litera-
Beurteilungen und kurze Anzeigen, 193
ture in tlie eighfeenth Century by Th. Sergeant Perry. New-York 1883
(F. Bobertag). Trotz Ungleichmäfsigkeit wird das aus Vorlesungen ent-
standene geistvolle Buch angelegentlich empfohlen. — Evangeline, a Tale
of Acadie by H. W. Longfellovv. 17. Bändchen der „Sammlung gediegener
und interessanter Werke der englischen Litteratur von Schmick". Leipzig
(G. Weiidt). Diese Ausgabe, die nicht zu näherer Besprechung Anlafs
giebt, wird, weil Evangeline unerträglicli langweilig und wegen der oft häfs-
liehen Bilder und des schwerfälligen \'ersmafses nicht als geeignete Schul-
lektüre erklärt, sondern wegen der Einfachheit des Idylls reiferen Schülern
und Mädchen als Privatlektüre empfohlen. — The Lady of the Lake, by
Sir Walter Scott, Bart. Mit Anmerkungen, einer Karte und einem Wörter-
verzeichnis, hrsgb. von M. Krummacher. Berlin 1884 (R. Thum). Diese
Ausgabe wird kurz als eine sehr fleifsige und sorgfältige Arbeit gelobt. —
378 — 393. Programmenschau. Li Lais de Lanval. Altfranzösisehes Ge-
dicht der Marie de France, nebst Thomas Chestre's „Launfal". Neu hrsgb.
von L. Erling. Kempten 1883 (A. Rhode). In dieser Anzeige wird der
Wunsch nach einer ausführlicheren Darlegung der Quelle zu dem englischen
Gedicht ausgesprochen und dem Verf. empfohlen, eine kritische Ausgabe
nicht nur des Lanval, sondern der ganzen Werke der Marie zu veranstalten.
Inzwischen ist von Suchiers Bibliotheca Normannica Bd. 3 mit den Lais
der Marie de France, hrsgb. von K. Warnke, erschienen. — R. Boyle, Über
die Echtheit Heinrichs VIII. von Shakespeare. Separatabdruck der Pro-
grammschrift der St. .-^nnenschule. St. Petersburg 1884. Boyle hält Fletcher
und Massinger für Verfasser Heinrichs VIII. in seiner jetzigen Gestalt und
glaubt, dafs kaum etwas übrig geblieben ist von Shakespeares Stück. Die
geliarnischte, höchst beachtenswerte Anzeige findet im IX. Bande von Köl-
bings Studien ihren Nachhall. — Pudmenzky, Shakespeares Perikles und
der ApoUonius des Heinrich von Neustadt. Detmold 1884. Nach Skizzie-
rung des Inhalts der Abhandlung tritt der Ref. der „Legende" von der Auf-
führung des Perikles in München entgegen, die mit Shakespeare blutwenig
zu thun habe. — G. E Penning, Ducis als Nachahmer Shakespeares. Bre-
men 1884 (M. Koch). Die Arbeit, deren Stoß" schon öfter behandelt ist,
wird trotz höherer Forderungen als ein Beitrag zur Geschichte Shakespeares
auf dem Kontinente begrüfst. — K. Seitz, Zur AUitteration im Neuenglischen.
Itzehoe 1883/84 (E. Regel). Nach Zeuners N'organge wird in dieser Schrift
die AUitteration im Neuenglischen in gründlicher, umfassender und äufserst
lehrreicher Weise behandelt. — M. Wagner, The English dramatic blank-
verse before Marlowe. IL Osterode i. O. 1882 (J. Schipper). Dieser Teil
enthält die von Schipper Bd. V der Engl. Studien besprochenen N'orzüge
und Schwächen des ersten. — 394 — 426. Miscellen. Bemerkungen zum
„Lob der Frauen" (J. Zupitza). Die mittelengl. Destruction of Troy und
ihre Quelle (H. Brandes). Zu Byrons Childe Harold (M. Krummacher).
Über die attributive Konstruktion eines sächsischen Genitivs oder substan-
tivischen Possessivpronomens mit of (E. Beckmann). H. F. Stratmann (E. K.\
Bemerkungen zu der in VII!, 1 der E. St. enthaltenen Anzeige der Schrift
„Poesie und Moral im Wortschatze" von Kares (O. Kares). Erwiderung
(E. Eisenlohr). (TCgenäufserung des Recensenten (G. Sarrazin). Zu E. St.
VIII, 66 (J. M. Hart). Eine Korrespondenz zwischen Herrn Dr. E. Engel
und den Verlegern der Engl. Studien. — 427—464. M. Schwarz, Kleine
Publikationen aus der Auchin!eck-Hs. IV. Die Assumptio Marife in der
Schweifreimstrophe. Die älteste mittelengl. Version der Himmelfahrt Marias
war von (iierth im siebenten Bande der Engl. Studien untersucht worden.
Die vorliegende Arbeit behandelt die zweite Version, die nicht wie jene in
kurzen Reimpaaren, sondern in der sechszeiligen Schweifreimstrophe ge-
dichtet ist. Schwarz erörtert nach kurzer Einleitung das Verhältnis dieser
zwei Übertragungen in eingehender Weise, handelt über die Form und den
Stil des Gedichts, sucht den Dialekt des Dichters zu bestimmen und ver-
.\rcliiv f. n. Sprachen LXXV. 13
194 Beurteilungen um! kurze Anzeigen.
örtenllicht dann den Text der Hs. nach einer Aliscbrift Kölbings. Zu-
letzt wiri] anhant;sweise eine spatere in einer Hs. der Chetam Library zu
Manchester erhaltene Fassung der ältesten Version und als dritte Bearbei-
tung die mittt'lengl. Assumptio des Ms. Bodl. 779 nach einer Abschrift
Horstmanns kurz besprochen. Zur Vergleichung mit dem ziemlich dürf-
tigen Gediclit ist aufser dem lat. Text der Legenda aurea und der franzö-
sischen Bearbeitung Waces (des Konrad von Heimesfurt ist nur einmal ge-
dacht) keine weitere Version herbeigezogen worden. — 465 — 472. J. Zu-
pitza, Zur Etymologie von mittelengl. merry. Dies Wort wird, der bis-
herigen Herltitung aus dem Keltischen entgegen, zu dem got. gamaiirgian =
kürzen (ahd. murg = kurz) gestellt und als Beleg für einen ähnlichen Be-
deutungsübergang das Shakespearesche abridgment = Kurzweil, Zeitvertreib
aufgeführt. — 472—479. F. Kluge, Zu altenglischen Dichtungen. 2) Noch-
mals der Seefahrer. 3) Zum Phönix. Die Schlufsverse im Seefahrer werden
in Homilien als Reminiscenzen nachgewiesen, unter Mitteilung einer Stelle
aus Co'i. Tiber. A III und Cod. Reg. 7 C IV. Noch wertvoller sind die
zwei prosaisch-metrischen Betrachtungen über Johannes und den Phönix,
die der Herausgeber der zweiten Hälfte des 11. Jahrh. zuweist. Schliefs-
lich giebt Kluge noch zwei Etymologien : ags. swätan, scbott. swats = Bier :
ags. solmond, von sol =: Kuchen ; Sonne. — 480 — 494. Litteratur. R. Merbot,
Ästhetische Studien zur ags. Poesie. Breslau 1883 (F. Kluge). Dieser Erst-
lingsarbeit über ags. Dichter, Arten, Stil und Stoffe der Dichtungen wird
eine Anerkennung nicht versagt, trotz mangelhafter Vorbildung des Verf,
der für tüchtiger erklärt wird als „die Autoren Münsterscher Doktor-Disser-
tationen, an denen wir meist nur den Umfang der Arbeit mit Interesse be-
trachten". Einem späteren Bearbeiter dieses Themas giebt Kluge einige
Fingerzeige und wünscht gleichzeitig Berücksichtigung des Skandinavischen.
William Shakespeare. Sämtliche Werke in englisch -deutscher Parallel-
ausgabe. Nr. 1. Julius Cäsar, übersetzt von W. v. Schlegel. Bevorwortet
und eingeleitet von K. Sachs. Leipzig 1884 (M. Koch). Ein Bedürfnis
von Parallelausgahen wird, für Deutschland wenigstens, als kaum vorhanden
bezeichnet. Die Einleitung mit den aufgezählten Arbeiten über Julius Cäsar
sowie über Shakespeares \'erhältnis zu Frankreich und Deutschland erhält
hier mehrere wertvolle Ergänzungen. — Lehr- und Übungsbücher für die
englische Sprache. XVI. J. Fölsing, Elenientarbuch der englischen Sprache,
22. Auflage, neu bearbeitet von John Koch. Berlin 188.3 (H. Fernow).
Gerühmt wird an dieser Neubearbeitung «ile Verwertung der Ergebnisse der
Lautphysiologie für die Schule. Die Auswahl der Lesestücke, die Zusammen-
.stellung der Übungssätze und die Fassung der grammatischen durch Koch
wird gelobt, die Art der Verwertung der Phonetik jedoch bezweifelt. —
Schlüssel zu Deutschbeins theoretisch-praktischem Lehrgänge der englischen
Sprache nebst methodischer Anleitung zum Gebrauche des letzteren. Zweite
verbesserte .4ufl., hrsgb. vom Verfasser des Lehrganges. Als Manuskript
t^edruckt. Köthen 1884 (Willenberg). Die Erweiterungen und Änderungen
in der neuen Ausgabe des „Schlüssels" zu Deutschbeins in achter Auflage
erschienenem Lehrgange werden in einigen Bemerkungen kurz besprochen. —
Progrannnschau. Übersetzungen aus GoMsmitli. Von M. Krummacher.
Neunter Bericht der städt. höheren Töchterschule zu Kassel. Kassel 1884
(M. Koch). Die Fortsetzung der Übersetzung des Traveller wird als eine
philologisch und poetisch tüchtige Leistung gelobt und auf eine Reminiscenz
an Goldsmith in (ioethes Faust hingewiesen. — Alois Hruschka, Zur ags.
Namensforschung. Prag 1884 (F. Kluge). Unter verschiedenen Ausstel-
lungen an dem Progranun wünscht Kluge ein vollständiges, das vorhandene
ags. Material erschöpfendes Namensverzeichnis. — J. Gutersohn, Beiträge
zur phonetischen Vokallehre. Programmabhandlung der Realschule zu
Karlsruhe vom Jahre 1882 und 1884 (K. Deutschbein). Wie schon in
einem Vortr;i";e auf der Dessauer Pliilolnoenversammlunjr, so wird diese
Beurteilungen und kurze Anzeigen. 19;>
Abhandlung hier nochmals unter ausführlicher Inhaltsangabe von Deutsch-
bein angelegentlichst empfohlen. — 495-511. Miscellen. Zu 1 King
Henry IV. III, 1, 158 (K. Elze). Zu Cymbeüne II, 2, 49 (G. Sarrazin).
Bemerkungen zu: A Peniworj) of Witte (J. Zupitza). Vokalverkürzung in
englischen Wörtern germanischen Ursprungs (W. Fick). Zu Laurence INIinot
(Ed. Schröder).
Französische Studien. Hrsgb. von G. Körting und E. Kosch-
witz. V. Band, 1. Heft. Zur Syntax Robert Garniers
von A. Haase. Heilbronn 1885. 100 S.
Nachdem 1882/83 in Wendelin Försters Abdruck der ersten Gesamt-
ausgabe der Tragödien Garniers ein so bequemes Hilfsmittel erschienen
war, konnte es nicht ausbleiben, dafs ein tieferes Studium des Dichters
Platz greifen würde als nisher. Deshalb ist es nicht zu verwundern, dafs
jetzt gleichzeitig von zwei Seiten* eine Untersuchung der Syntax Garniers
unternommen worden ist, nachdem in früheren Arbeiten (von Püttmann über
Garnier als Dichter und als Nachahmer der Alten, Bonner Dissertation 1865;
von Bernage, Etüde sur Garnier 1880; von L. Faguet, La tragedie fran-
(jaise au seizieme sietle. Paris 1883) dies Thema unerörtert gelassen vyorden
war. Durch seine Vorarbeiten, „Syntaktische Studien zu Villehardouin und
Joinville" wie durch die Untersuclmng der Syntax Pascals und des Kon-
junktiv bei Joinville war A. Haase zu der Aufgabe am geeignetsten, die
Stellung Garniers zum Alt- resp. Mittel- und Neufranzösischen zu unter-
suchen. Gerade in der Behandlung dieses heiklen, zum Studium reizenden
Grenzgebietes der alten und neuen Sprache lag die Schwierigkeit der Auf-
gabe, deren Lösung jedoch dem Verfasser obiger Abhandlung wohl ge-
lungen ist. Die methodisch angelegte und verständig durchgeführte Arbeit
erstreckt sich in sieben Abschnitten auf die Kasus, Pronomina, das Verbum,
die Adverbien, Präpositionen, Konjunktionen, koordinierte Satzglieder und
Sätze. Am ausführlichsten behandelt ist das Verbum und die Pronomina.**
Überall, wo die Grammatiken und Darmesteters Histoire de la litterature
fran9Hise au seizieme siecle über den Sprachgebrauch im 16. Jahrhundert
im Stich lassen, findet man hier bei Haase in ausführlichen Belegen zu
(iarniers Syntax die gewünschte Auskunft. Mögen sich hier auch einige
syntaktische Einzelheiten nicht vorfinden, die den Umwandlungsprozefs in
der Sprache charakterisieren, möge sich auch an wenigen Stellen der Arbeit
etwas aussetzen lassen, immerhin bleibt das Urteil bestehen, dafs durch
diese ziemUch erschöpfende, verdienstvolle Untersuchung Haases eine nutz-
bare Vorarbeit für eine künftige historische Syntax der mittleren franzö-
sischen Sprachperiode geschaffen worden ist.
Revue des Langues Romanes publice par la soci^te pour l'etude
des langues romanes. HI serie. Tome XHI. Janvier —
Mai 1885. Montpellier. Paris 1885.
5 — 42. F. Castets, ßecherches sur les rapports des chansons de geste
et de r^popee chevaleresque italienne. Schon G. Paris in der Histoire
poetique de Charlemagne hatte den Übergang und die Metamorphose der
* Die Abhandlung von „A. Jensen, Syntaktische Studien zu Kobert Garnier.
Kiel, Lipsius & Tischer, 1885" ist dem Ref. nur dem Titel nach bekannt.
** Die Abliandlung von „Gefsner, Zur Lehre vom französischen Pronomen. Berlin
1873, 1874" liegt jetzt in zweiter Auflage vor, die Haase p. 2 noch nicht kennen
konnte.
13*
196 Beurteilungen und kurze Anzeigen.
Chanson de Roland zum Orlando furioso, eine nielirfacli berührte Frage,
behandelt. Castets handelt hier über den Renaud de Montauban, dessen
Herausgeber Michelant auf eine unvollständige Hs. in Montpellier hinge-
wiesen hatte. Aus dieser pikanlischen Hs. des 14. Jahrh. wird im Anschluls
an die Inhaltsübersicht beider Versionen eine im Texte mehrfiich lückenhafte
für die Legende der Quatre fils Aimon wichtige Episode mrtgeteilt. —
43-46. C. C(habaneau), Siir quelques mss. proven9;iux perdus ou egares.
Suite et fin. Additioiis et corrections. — 47. Varietes. One troisieme Imi-
tation du sonnet de P^izes contre l'abbe Plomet (A. Roque-P'errier). —
48 — .51. Bibliographie. Essai sur l'histoire administrative du Languedoc
pendant Tintendance de Basville (1685—1719) par M. Monin. Paris 18S4
(P. Gachon). — 51. Chronique. Additions et corrections. — 53 — 84. Th.
Cavalier, L'Eneide de Virgile, traduite en vers burlesques languedociens.
Suite et fin. — 85 — 92. P. Durand (de Gros), Notes de philologie rouergate.
Suite. XIIL Alte, gröfstenteils französierte Namen des südlichen Frank-
reichs werden hier untersucht. — 93 — 100. Varietes. Etymologies latines
et franc^aises (L. Marcel Devic). Ador, das aus dem Phönicischen stamme,
soll nicht Getreide, sondern eine Art Hirse bedeuten; Loriot wird nicht
vom lat. aureolus abgeleitet, sondern für ein onomatopoeticon erklärt;
Rasade, zuerst im 17. Jahrh nachweisbar, stammt aus Südfrankreich. —
101 — 103. Poesies. Subre Jordi Sand: AI paire Moureu de Gargilesso, pes-
caire de trouitos. Paisaitge d'Agoust (A Foures). — 104. Chronique.
105 — 120. C. Chabaneau, Sainte Marie Madelaine dans la litterature
provencjale. Suite. IV. Cantique proven^al en l'honneur de sainte Marie
Maiieleine. Die zuletzt von Bory (Marseille 1801) herausgegebene und zu
lioch ins 11. statt ins 13. Jahrh. gesetzte Cantinella, die 23 Strophen ent-
hält, erscheint hier in gereinigtem Text auf Grund der Ausgabe von 1773
und einer Pariser Hs. des 17. Jahrh nebst den Variauten der vier ersten
Strophen nach Torres-Amats Diccionario de los escritores catalanes und den
Lesarten einer Hs. des 18. Jahrh. nach Borys Ausgabe. — 121 — 140. G. De-
curtins, Un drame haut-engadinois. Der Gegenstand dieser Publikation ist
das nach einem italienischen Muster gearbeitete ladinische Drama (Tragi-
comedia) L'Amur et Moardt Desperattium dalg Cunt Othavo vom Kapit.
Fr. Viezel aus Zuotz, wo es 1673 aufgeführt ist. Schon A. de Flugi hatte
in Gröbers Zeitschrift für roman. Philologie IV in seiner Abhandlung über
Zwei weltliche ladinische Dramen des 17. Jahrh. aufmerksam gemacht. Von
der, wie es scheint, lückenhaften Hs. wird hier erst der Anfang, 616 paar-
weise reimende Achtsilbler, diplomatisch getreu abgedruckt. — 141 — 144.
Poesies. A M^e S. Mulsant a St. H^teve de Fourez (A. de Gagnaud).
A. G. Azais, l'autour octagenäri döu Reprin (B. Gault). A moun amic
Paul Chassary, en aprenant la mort de soun Pereit (A. Foures). — 145 — 146.
Varietds. Un denouement „moral" de la fable du Loup et de l'Agneau
(E. R.). — 147 — 151. Bibliographie. Fragment d'une chanson d'Antioche
en proven9al, publie et traduit par P. Meyer. Paris 1881 (C. C ). Chaba-
neau bringt eine Reihe Verbesserungen zu Meyers Text bei und weist dem
Herausgeber zahllose Fehler nach. — 151 — 154. Periodiques (C. C), (L. Con-
stans). — 155—156. Chronique. — 157 — 162. C. Chabaneau, Poesies in-
edites dt^s troubadours du Perigord. Additions et corrections. In einem
Nachwort mit dem Verzeichnis der Perigord angehörenden Troubadours —
darunter die von Dante gefeierten Namen Arnaut Daniel, Bertran de Born
unii Girant de Borneil — plädiert Chabaneau für Errichtung einer Statue
Bertrans de Born mit den Reliefs anderer Troubadours in Perigueux. —
16:5 — 183. Decurtins, Tragicomedia Am Schlufs dieses letzten Teiles des
lailinischen Dramas, das im ganzen 1209 Zeilen enthält, nennt sich der
Schreiber Guadench (i. Köedel. — 184 — 193. L. Lambert, Contes populaires
du Languedoc. I)ie volkstümliche Erzählung Lou Filhol de la Mort ist
von französischer Übersetzung begleitet. — 191 — 202. G. Azais, ön prezen
Beurteilungen und kurze Anzeigen. 197
de rei. Der greise Azais verölTentlicht hier ein kleines Gc(3Icht nebst fran-
zösisclier Übersetzung. — 203. \ arietes. Dotz; Arriver (C. C). — z04 — 208.
Bibliographie. Orthographia gaUica. Ältester Ti-aktat über französische
Aussprache und Ortiiographie, nach vier Hss. zum erstenmal hr.-^gb. von
J. Stürzinger. Heilbronn 1884 (C. C). Das Buch und sein Inhalt wird
kurz und lobend besprochen. — Altfranzösisches Übungsbuch zum Gebrauch
hei Vorlesungen und Seniinarübungen, hrsgb. von W. Förster und E. Kosch-
witz. I. Heilbronn 1884 (C. C). Der Inhalt wird kurz skizziert und die
Sammlung fiar die beste und vollständigste erklärt, die bis jetzt erschienen. —
Encyklopädie und Methodologie der romanischen Philologie mit besonderer
Berücksichtigung des Französischen und Italienischen von G. Körting. I — II.
IJeilbronn (C. C.). Unter Darlegung des Inhalts wird das wichtige Werk
empfohlen. — Rhätoromanische Grammatik von Th. Gärtner. Heilbronn 1883.
Das zum Studium der romanischen Idiome Rhätiens nötige Buth wird an-
erkannt. — Amis und Amiloun, zugleich mit der altfranzösischen Quelle
hrsgb. von E, Kölbing. Heilbronn 1885 (C. C). Der Inhalt wird kurz
dargelegt und die sehr ausführliche und sorgfältige Einleitung gelobt. —
A. Savine, L'Atlantide, poeme traduit du catalande, Messen Jacintbo Ver-
daguer, augmente d'une introduction et d'appendices. Paris 1884 (C. C.).
Die verdienstvolle Arbeit ist begleitet von einer Studie über die Renaissance
der katalanischen Poesie. — Cansons y Follies populars inedites recullidea
al peu de Montserrat per Pau Bertran y Bros. Barcelone 1885 (C. C.).
Geistliche und weltliche Lieder katalanischer Poesie sind hier veröfientlicht. —
Folk-lore catala. Cuentos populars catalans, per lo Dr Francisco de S. Mar-
pons y Labros. Barcelona 1885 (C. C). In dieser Sammlung sind 20 kata-
lanische Erzählungen mit Bemerkungen mitgeteilt. — Garbera catalana, per
lo Pastorellet de la \'all d'Arles. Perpinya 1884 (C. C). Neuere kata-
lanische und Roussilloner Dichtungen sind in diesem Bande vereinigt. —
208. Chronique. — 209 — 236. Ph. Tamizey de Larroque, Lettres inedites
ecrites ä Peiresc par Guillaume d'Abbatia, capitoul de Toulouse. Durch
diese acht Briefe werden über den wenig bekannten Advokaten G. d'Abbatia
aus dem Ende des 16. und dem Anfange des 17. Jahrh. und über seine
Stellung einige Daten bekannt. — 237 — 249. Poesies. A'N Mancini (L. Savie
de Ricard). La grando espigo sus la mort de Vitor Ugo (A. Foures).
A-n-uno maire (A Foures). A'n Pastour (A. F.). L'alumaire de gaztA. F.).
250 — 251. Varietes. Sur la date du Vers del lavador de Marcabrun (C. C.).
Auch hier werden P. Meyers N'ersehen gerügt. — 251—252. Bertran Al-
baric (C. C). Diesen Troubadour weist Chabaueau in einer Urkunde aus
Arles von 1346 nach. — 252—253. Ad radium tinsB (L. Marcel Devic). —
253—259. Periodiques (L. Constans) ; (C. C.j. — 259—260. Chronique.
Revue de l'enseignement des langues Vivantes. 2® annee. No. 1 :
15 mars 1885— No. 4: 15 juin 1885. Paris. Havre 1885.
1 — 2. A. K., Schilderung des Walliser Oberlandes. — Zu diesem Ver-
such, die gigantische Natur des VVaUiser Überlandes poetisch zu verherr-
lichen, sei nur bemerkt, dafs selbst dichterische Licenz sich nicht gestatten
darf, zu sagen :
Bald mit Nebel und Dunst hoch überschwemmte des Bachs
Mich laut tönender Sturz.
2—13. A Biard, Shall et will. Betreffs des modernen Gebrauches von
shall und will ist vom Verfasser des Artikels die Auffassung der deutschen
Grammatiker nicht genügend berücksichtigt worden. Die Fortsetzung folgt
weiter unten. — 13 — 16. J. Forscher, Notes grammaticales. Hier wird der
Gebrauch des deutschen all ohne den Artikel behandelt. Non liquet. —
16-21. E. Bailly, Un roman pedagogique et humoristique La eure de petit-
198 Beurteilungen und kurze Anzeigen.
lait et les noces de Susette par Ulrich Hegner. Unter allgemeinen Be-
trachtungen über den Roman in Deutschland wird der Inhalt des franzö-
sischen Lesern so gut wie unbekannten Romans Hegners angegeben. —
23—25. Concours de 1884. Certificat d'aptitude. — 25—28. Revue des
cours et Conferences, sujets et devoirs. — 29 — 32. Bibliographie. Enseigne-
ment des jeunes filles. Longfellow, Evangeiine et poemes choisis par
A. Malfroy (A. B.), (A. W.). Nominations.
33 — 42. E. Bailly, ün roman pedagogique et humoristic[ue etc. Suite
et fin. Hier wird das eigentlich Pädagogische in Hegners Roman erörtert
und die lesenswerten Stellen werden in französischer Übersetzung mitge-
teilt. — 42 — 44. De rhexametre dactylique dans la poesie anglaise (A. Biard).
Der Erfolg der Evangeiine Longfellows wird mit Recht nicht dem Versmafs,
sondern der Anmut in der Erzählung zugeschrieben. — 45 — 46. J. Forscher,
Note sur une poesie de Bürger. „Das vergnügte Leben" von Bürger wird
auf Grecourts (1684 — 1743) La vie heureuse als Quelle zurückgeführt. —
46—47. Varia. Reformes concernant les agregalions et certificats d'aptitude
(A. W.). — 47 — 49. Le baccalaureat (A. Lange). — 50—53. Revue des
.cours et Conferences. Agregation d'allcmand. Abrege d'une le9on. Züge
der lyrischen Gedichte Heines (A. K.). — .t3 — 57. Certificat d'aptitude.
Conseils aux candidats. La lo9on (A. O.). — 57—58. Traduction du theme
anglais. La Bruyere. Chap. XI De l'homme. — 58 -60. Agregation d'alle-
mand. Dissertations etc. — 60—64. Bibliographie. Geschichte der deut-
schen Litteratur von W. Scherer. Zweite Ausgabe. Berlin 1884 (AI. B).
Gab. Sarrazin, Poetes modernes de l'Angleterre. Paris 1885 (AI. B.). Cours
de langue allemande ä l'usage des institutions, cours, lycees etc. par A. Pey.
HI annee. 1 vol. Paris (J. Parmentier). Die französische Volksdichtung
und Sage. Ein Beitrag zur Geistes- und Sittengeschichte Frankreichs von
W. Scheff'ler. Leipzig 1884. 1 (A. Girot). Alle die genannten Bücher
werden empfehlend besprochen.
65 — 78. A. Biard, Shall et will et les grammairiens anglais. In diesem
Entwurf zu einem Buche werden die Ansichten Goulde Browns, Bains,
Heads und Mätzners diskutiert, der eher ein Linguist als Grammatiker
wäre und nur den jetzigen und früheren Sprachgebrauch konstatiere. —
78 — 84. Perrenot, Classification des langues. Leur parente. Les langues
indo-europeennes. Langues primitives et langues ilerivees. Diese Übersicht
über die Entwickelung der Sprachwissenschaft in Deutschland seit dem
19. Jahrh. enthält nur die Hauptergebnisse der Forschung. — 85 — 86. Varia.
A propos des 20 heures de Service. ^ 86-92. Revue des cours etc. Grim-
raelshausen, Simplicissimus. Traduction (F. Antoine). Dissertations etc.
Influence de la Bible sur la langue et la litterature anglaise (\. de Tre-
verret) etc. — 93 — 95. On the Structure of English Verse, by C. Witcomb.
Paris (J. Mothere). Dies zum Gebrauch in der Schule bestimmte Buch
wird als selbständige Leistung gewürdigt. — 95—96. Die Jugenddramen
des Pierre Corneille. Ein Beitrag zur Würdigung des Dichters. Zur Er-
innerung an den 200jährigen Todestag desselben (1. Okt. 1684), von Dr. P.
Langenseheidt. Berlin 1885 (F.). Der Recensent meint, man könne den
Titel dieser Arbeit mit La statistique des premieres oeuvres de Corneille
übersetzen, erkennt sie jedoch als travail tres serieux mit vielem Material
an und fragt, wie dies alles zu einer besseren Kenntnis des Dichters bei-
tragen könne etc. — 96. Agregation des lycees. Certificat d'aptitude.
97 — 98. E. Legouis, Les Asphodeles. Traduit de Wonlsworth. Der fran-
zösische Text ist mit dem englischen zusammen abgedruckt. — 99 — 111.
A short History of the English Language and Litcrature. A. Wolfromm
giebt nach einem kurzen Vorwort eine erste Probe aus J Parmcntiers im
Druck befindlicher Short History of the English Language and Literature.
Als Pendant hierzu soll eine Kurze Geschichte der deutschen S[)ractie und
Litteratur erscheinen. Diese Mitteilungen vers^prechen einen für französische
Buuiteiluiigen und kurze Auzeij^en. 199
Lfser brauchbaren Leitfa'len der englischen Litteraturgeschichte. - 1 1 •2—117.
Perrenot, Classification des langues. Suite. — 117 — 120. A. Biard, Du
subjonctif et de ses transformations en anglais. Die schiilerniäfsigen Er-
örterungen mit den Verkehrtheiten französischer Grammatiker können hier
nicht weiter berücksichtigt werden. — 120 — 121. Revue des cours etc.
Simplicissimus (F. Antoine). — 121 — 123. Traduction de la Version: Lessing,
Laocoon IV. Traduction du Theme: Das Lob der Komödie (A. K.). —
123 — 124. Dissertations. Agregation d'anglais (A. de Treverret). — 125 — 126.
Certificat d'aptitude. Traduction de la Version (A. K.). — 126 — 128. Tra-
duction du Theme etc. Die Fehler in der Übersetzung können hier nicht
korrigiert werden.
Germania. Vierteljahrsschrift für deutsche Altertumskunde.
Hrsgb. von K. Bartsch. 30. Jahrgang. N. R. 18. Jahr-
gang. 3. Wien 1885.
257 — 284. F. Bech, Zu Lamprechts Alexander. Eine grofse Zahl un-
berechtigter Textänderungen wird hier zusammengestellt, die sich K. Kinzel
in der neuen Ausgabe von Lamprechts Alexander (Halle 1884) erlaubt hat.
Vgl. Rödiger im Anzeiger der Zeitschrift für deutsches Altertum, Berlin
1885, p. 257—281 und Zachers Zeitschrift für deutsche Philologie 1885,
17. Bd., 4. Heft, p. 487 — 490. — 284—287. G. Ehrismann, Bruchstück eines
Facetus. Diese fragmentarischen Zeilen, deren Verhältnis zu der Gothaer
Hs. und zu Lafsbergs Liedersaal gezeigt wird, stammen aus einer Würz-
burger Hs — 287—306. Fr. Losch, Die Berner Runenalphabete. Dr. Losch
veröffentlicht hier die in Abbildungen beigefügten eigentümlichen Berner
Runen nach Hs. 207 und der Inkunabel 615 der ßongarsschen Bibliothek,
vergleicht die Zeichen mit denen der Alphabete, untersucht die etwaigen
Vorlagen, giebt zur \'ergleichung mit den bisher bekannton Runen eine
tabellarische Übersicht, untersucht die Namen u. s. w. An diese wichtige
inhaltsreiche Publikation schliefst sich ein Nachwort des Prof. Hagen über
Alter, Herkunft und Inhalt der benutzten Handschriften, von denen die aus
dem Kloster Fleury bei Orleans stammende Nr. 207 in das 9. oder 9 — 10.
Jahrhundert gesetzt wird und in Schottland oder Irland geschrieben sein
soll, während die Blätter der Luthersche Schriften enthaltenden Inkunabel
dem 15. Jahrh. zugewiesen werden. — 306 — 310. P. Walther, Der Name
Germanus. Die vielbestrittene Herleitung des Namens Germanus aus dem
Lateinischen wird hier durch Gründe zu stützen versucht. Die Ableitung
F. Mahns (Über den Ursprung und die Bedeutung des Namens Germanen.
Berlin 1864) aus dem Keltischen = Nachbarn wird dadurch nicht umgestofsen.
311—314. P. VValther, Zu Walther von der Vogelweide. Auch hier will
der Verf. nur die Lösung der Frage nach der Person des wilden Kindes
anregen, das Walther von der Vogelweide in einem Spruche anredet, be-
weist jedoch der Stellung und der Sprache des Dichters entsprechend, dafs
damit die ganze verwilderte Jugend gemeint ist. — 314 — 315. J. Peters,
Die Zahl der Blätter des Codex Argenteus. Die Angabe der Blätterzahl
in Uppströms Ausgabe des Cod. Arg., 187 von den ursprünglichen 330,
wird als richtig bestätigt. — 315 — 316. J. Trötscher, Zum mhd. Wörter-
buch. Mhd. mosanze =: mazance soll nicht ,jüdischer Osterkuchen" oder
„Matzen", sondern cechoslavischem mazaner entsprechend ein mit Eiern
und Gewürz bereiteter Osterkuchen heifsen ; mosanze mit dem hebräischen
mazzäh identifiziert, beruhe nur auf Volksetymologie. — 317—323. J. Bäch-
told, Züricher Parzival-Bruchstück. Der Text enthält im ganzen 556 un-
verändert abgedruckte Verse untergeordneten Wertes. — 323—324. A. Jeitte-
les, Ljed vom Ursprung der Eidgenossenschaft. Zu diesem in Lilienorons
historischen Volksliedern abgedruckten Liede werden nach Pfeilfers Abschrift
200 Beurteilungen und kurze Anzeigen.
des Cod. Emmeranus von 1499 die wichtigsten Abweichungen mitgeteilt.
325 -.350. R. ßrandstetter, Die Luzerner Bühnen-Rodel (Schlufs). —
.350 — 355. Litteratur. KovnrdSia. Recueil de documents pour servir a
l'etude des traditions populaires. I — IL Heilbronn 18H3, 1884 (F. Lieb-
recht). Der schon durch drei Zeitschriften (1. G. Pitres Archivio per lo
studio delle Tradizioni Popolari. Rivista trimestrale. IV. Palermo 1885;
2. Melusine. Revue de uivthologie, litterature populaire, traiiitions etc.
publice par Gaidoz et Sebillot; 3. Boletino Folklorico Espaüol) angebaute
neue Zweig der Wissenschaft der Volkskunde (folk-lore) erhält auch hier
wieder eine Bereicherung durch Erzählungen und Schwanke aus verschie-
denen Litteraturen seitens seines eifrigsten deutschen Anhängers. — 355 — 384.
Miscellen. A. Hazelius und das Nordische Museum in Stockholm (F. Lieb-
recht). Briefe von Meusebach an Gl. A. Schlüter (Schlufs). (^uomodo
crocuscoli debeat (Alois Müller). Zu Simrocks Mythologie (Th. Gelbej.
Handschriften und seltene Drucke. Nachträge und Berichtigungen (A. Bir-
linger; M. Blaas). 38. Versammlung deutscher Philologen und Schulmänner.
Motizen.
Strafsburger Studien. Zeitschrift für Geschichte, Sprache und
Litteratur des Elsasses. Hrsgb. von Ernst Martin und
Wilhelm Wiegand. II. Band. 4. Heft. Strafsburg 1884.
305—402, A. Schricker, Älteste Grenzen und Gaue im Elsafs. Ein
Beitrag zur Urgeschichte des Landes Diese gründliche Arbeit, der vier
Karten mit den alten Grenzen der Bistümer Strafsbnrg und Basel, dem
Valium Gallicum nebst den Römerstrafsen, den Grenzim der Gaue und der
\ ölkerschafteu beigegeben sind, bringt neue Ergebnisse für die älteste (je-
schichte und Geographie des Elsasses, dessen Name (im 6. und 7. Jahrh.
Alsatius := Unter-Elsafs) sich erst seit Anfang des 8. Jahrh. auf das Ober-
Elsafs ausgedehnt hat. Dieser Name ist angeblich durch die Alemannen
entstanden, die ihre linksrheinischen Stammesgenossen Alisazen = fremde
Sassen (got. ali = ander; ahd. säzo =: Sasse) nannten. Ohne auf den
reichen Inhalt einzugehen, sei hier nur noch bemerkt, dafs aus dem Nach-
lasse des Altmeisters auf dem Gebiete der Elsafskunde (A. Stöber, f 1884)
seine 50 Jahre lang fortgesetzten Arbeiten als Schlufsband der Alsatia er-
schienen sind u. d. T. : Neue Alsatia. Beiträge zur Landeskunde, Geschichte,
Sitten- und Rechtskundc des Elsasses. Mülhausen 1885.
403—430. H. Finke, der Strafsburger Elektenprozefs vor dem Kon-
stanzer Konzil. III. Der Artikel bildet den Scblufs der beiden früheren. —
431— 43D. G. Knod, Zur Schlettstadter Schulgeschichte. Der Biograph
Jac. Spiegels bringt hier auf Grund neuen Materials einen neuen Bi-itrag
zur Geschichte des elsässischen Humanismus. — 440-498. Joh. Crueger,
Briife von Schöpflin und anderen Strafsburger Gelehrten an Bodmer und
Breitinger. Den hier abgedruckten, für die Geschichte der Germanistik
wichtigen 39 Briefen voraus geht eine Einleitung, die sich über die in
Zürich aufbewahrten Originale, über die Bestrebungen der Schweizer zur
Belebung der altdeutschen Studien und über Schöpflin verbreitet. Betont
werden besonders die Anregungen, die durch El. Stöber von Strafsburg zur
Wiedererweckung der DIclitungen der Minnesänger ausgingen. Die \'cr-
öff'entlichung ist sehr verdienstlich. — 499 — 500. Kuppert, Strafsburger
Adel in der Murtenau (Fortsetzung). 2) Die Liebenzeller. — 501—504.
E. M., Zum heiligen Namenbuch von Konrad Dangkrotzlieim. Martin giebt
zu der als I. Band der Elsässischen Litteraturdenkmälfr aus dem 14. — 17.
Jahrhundert erschienenen Ausgabe des 188".i verstorbenen Pickel nach einem
Göttinger Druck einige Abweichungen an. — Eine Erklärung der Heraus-
iieber beschliefst das Heft.
Beurteilungen und kurze Anzeigen. 201
Taalstudle. Tvveemaandelijksch Tijdschrift voor de Studie der
Nieuvve Talen, onder redactie van L. M. Haale, K, Ten
Bruggencate en J. Leopold Hzn. Zesde Jaarganij. No. 4.
Te Kuilenburg 1885.
193—199. H. F. V. M., Le savetier et le financier. II. Die Bemer-
kungen zu Lafontaines Fabel „Der Schuhflicker und der Reiche" beziehen
sich auf d;is Gebiet der Lexikographie, der Synonymik, der Etymologie und
der Aussprache; bringen sie auch Bekanntes, so sind sie doch hübsch zu-
sammengestellt. Nicht alle Angaben erweisen sich als stichhaltig; so heifst
es, tröne habe einen aocent circonÖexe, weil es vom lat. thronus, griech.
thronos komme, dessen o lang sei. Dies ist jedoch nicht der Fall, da es
&QÖvoe heifst ; tröne hat einen circonflexe, weil es afrz. throsne lautet. Die
Zusammenstellung des Wortes mit chömer, das vom ndat. cauma Igr. y.nvfia)
abgeleitet wird, pafst also nicht wegen des verschiedenen Ursprunges von 6.
200 — 202. A. van der Ent, L'etude des mots et de leur signitication (Suite).
In diesem alphabetischen Wörterverzeichnis wird die Etymologie, Zusammen-
setzung und Bedeutung der Worte möglichst kurz angegeben. — 202 — 203.
Questiuns et reponses (L. M. B.). — 204—212. Bulletin bibliographique
(L. M. Baale). Li Romans de Carito et Miserere du Kenclus de Moiliens,
poemes de la fin du douzieme siecle. Edition critique accompagnee d'une
introduction, de notes, d'un glossaire et d'une liste des rimes par A. G. Van
Hamel. Deux tomes. Paris 1885. Der Herausgeber bat zur Herstellung
des l'extes öO vollständige Handschriften, 5 fragmentarische Kopien und
die Übersetzung eines Bruckstückes benutzt. Der Dichter, Klausner von
Älolüens-Vidame bei Amiens, also ein Pikarde, gehört noch dem Ende
des 12. Jalirh. an. Unter Darlegung des Inh;dts obiger Publikation wird
der Gelelirsanikeit und der Methode des ersten holländischen Romanisten
gebührende Anerkennung gezollt. — Anthologie des auteurs dramatiques fran-
^ais par J. Balland. Tome II: Racine. Zuiphen. Bruxelles 1&8d. Nach
mehreren Exkursen wird die Ausgabe schliefslich empfohlen. — ■ Zur Syntax
Robert Garniers von A. Haase. P'ranzösische Studien, hrsgb. von Körting
und Koschwitz. Heilbronn 18S5 (L. M. Baale). Der Ref. meint, dafs mit
Haases Syntax nun alles vorhanden wäre, was zu einem gründlichen Studium
Garniers nötig sei. — 213—222. Doublets in English (C. Grondhoud). V.
Die Fortsetzung enthält Doppelformen wie ship — skiff, book — beech,
bank — bench, kirk — church, dann die Worte mit wechselndem Acceute
und die orthographischen doublets wie draught — draft, queen — quean,
gate — gaite nebst den Etymologien und Bedeutungen in bunter Reihen-
folge. — 223—232. A new Edition of Amis and Amiloun (C. Stoflel). Be-
sprochen wird hier Kölbings Ausgabe von Amis und Amiloun (Altengl.
Bibliothek II).
233-244. Erklärung eines mittelhochdeutschen Gedichtes. Hartmanns
Armer Heinrich (H. Seipgens). Nach einer kurzen Übersicht der mhd.
Aussprache und Metrik beginnt die für Anfänger bestimmte Texterklärung
unter stetem Hinweis auf H. Pauls mhd. Grammatik. Zu Grunde liegt:
Hartmanns Armer Heinrich. Mit Anmerkungen und Abhandlungen von
W. Wackernagel. Hrsgb. von W. Toischer. Basel 1885. — 24ö— 250.
Miscellen. Die Frau in dem Nibelungenliede und der Kudrun (J. Leo-
pold Hz ). Hier wird aus der lehrreichen Abhandlung von M. Schwarze
im XVI. Bande von Zachers Zeitschrift für deutsche Philologie, Heft 4,
der Abschnitt über die Namen verkürzt mitgeteilt, wahrend die Abschnitte
über Tracht, häusliches Leben, Liebe und Ehe, Chaiakterzüge ausführlicher
wiedergegeben werien. Das ^Vel•k von C. Weinhold, Die deutschen Frauen
in dem Mittelalter, II. Auflage, findet sieb hier nicht erwähnt. Bei der
Ableitung des \\ ortes frouwe (S. 245, 3) von ahd. lio = Herr wird
■_0-' Ljeui'teilungon und kurze Auzoigen.
J. Kluges Bemerkung citiert, dafs man im Mhd. frouwe „mit scliönei- volks-
tündicher Deutung" zu freuen zog, wobei derselbe an Freidanks trefflichen
Spruch erinnert. Zu diesem stimmen auffallend Rückerts Worte:
Frauen sind genannt von freuen,
Weil sich freuen kann kein Mann
Ohn' ein Weib, das stets von neuem
Seel und Leib erfreuen kann.
Ungefraut ist ungefreut;
Wer der Frauen Auge scheut,
Hat die Freude nie geschaut.
250 — 256. Korrespondenz (J. Leopold Hz.). Bei der Erklärung von Redens-
arten wie „der Bien mufs" u. a. finden sich G. Büchmanns „Geflügelte
"W^orte" nicht erwähnt.
Programmenschau.
Tristan-Studien. Von Oberlehrer Dr. Fr. Bahnsch. Programm
des königl. Gymnasiums zu Danzig 1885. 20 S. 4.
Die Abhandluug hat den Zweck, gewisse übertriebene Vorstellungen,
welche über Gottfried verbreitet sind, auf das rechte Mafs zurückzuführen.
So hatte zwar Gottfried mehr Fühlung mit dem klassischen Altertum als
die anderen zeitgenössischen Dichter; er verstand wirklich Latein, er war
mit lateinischer Spruchdichtung bekannt, aber, wie hier vielfache Beweise
gegeben werden, er hatte von der alten Mythologie verworrene Vorstellun-
gen, so vom Vulkan, vom Cithäron u. a., und <lie altklassischen Reminiscen-
zen im Tristan sind Gemeingut der höfisch Gebildeten, seine Kenntnisse
von der lateinischen Litteratur sind grofsenteils aus abgeleiteten Quellen
geschöpft. Sein Ruhm besteht in schöner Wiedererzählung und in einge-
schobenen gedankenreichen Retrachtungen. Indem er weiter von seiner
Vorlage sich ganz abhängig gemacht hat, so ist er dadurch zu vielen Wider-
sprüchen und Unklarheit gebracht. In den geographischen Notizen zeigt
sich eine merkwürdige Verwirrung ; so ist Britannien bald England, bald die
Bretagne, und so manche andere \ orstellungen, die sich gar nicht miteinan-
der vereinen lassen. So sehen wir ferner, dafs die sklavische Abhängigkeit
von der Vorlage schuld ist. dafs einzelne Episoden sich nicht dem Gesamt-
kolorit der Darstellung fügen, dafs die Charakterzeichnung Öfters ver-
schwommen ist, dafs z. B. einzelne Züge im Bilde Isoldens durchaus ande-
ren widersprechen, dafs über die Gründe mancher Reden und Thatsachen
wir gar nicht belehrt werden, dnfs dann zwischen einzelnen Begebenheiten
kein Zusammenhang ist, kurz, dafs die innere Wahrheit des Berichts Gott-
fried keine Sorge macht. Alle diese Punkte erläutert der Verfasser durch
reiche Beispiele; sie sind wohl geeignet, einer blinden Vergötterung Gott-
frieds entgegenzutreten.
Andreas Gryphius als Lustspieldichter. Von Dr. Heinr. Hitzig-
rath. Programm des Gymnasiums zu Wittenberg 1885.
20 S. 4.
Bei der angeführten Litteratur fehlt das Werk von Prutz, ferner das
Programm von Klopp: Andreas Gryphius als Dramatiker (Osnabrück 1851);
über die Dornrose handelt besonders Koldewijn im Archiv für Litteratur-
geschichte 9, 56—63. Der ^'erfasse^ giebt von den Stücken <len Inhalt
kurz an. Er behandelt 1) die Übersetzungen d.i. der schwärmerische Schä-
204 Programmeiiscbau.
fer, aus ilem Französischen übertragen, in schwerfälliger Sprechweise, und
die Säugaiume, aus dem Italienischen, in fliefsender Diktion. 2) Original-
arbeiten. Gelegenheitsstüeke sind das Freudenspiel Majuma, von wenig
Inhalt, mit reichem mythologischen Apparat; Piastus oder die Sage von der
P>rhebung des Landmsmnes Piast auf den polnischen Thron; das verliebte
Gespenst; die geliebte Dornrose; diese beiden suchen besonders durch den
scharfen Kontrast der Hauptpersonen E^indruck zu machen. Von diesen
(iclegenheitsstücken sehr verschieden sind die beiden besten Lustspiele Hor-
ribilicribrifax und Peter Squentz. Uie Abhängigkeit des ersteren vom Ita-
lienisclien des Franc. Andrieni scheint dem Verfasser' erwiesen; der Zusam-
menhang zwischen den Akten und öcenen ist oft wenig erkennbar; im Ein-
zelnen ist viel Witz; als Zeitbild namentlich hat es seinen Wert. In Bezug
auf den Peter Squentz teilt der Verfasser die Ansicht, dafs er nach einer
Umarbeitung des Shakespeare durch die englischen Komödianten gedichtet
sei. Im Horribilicribrifax findet der N'erfasser manche Anklänge an Shake-
speare. Mit der italienischen Litterat ur war Gryphius bekannt. Durch sei-
nen langen Aufenthalt in den Niederlanden mit der holländischen Poesie
vertraut geworden, ist er in seinen Tragödien von ihr stark beeinflufst; in
der Kcmiödie ist der Einfiufs nicht abzuweisen , aber sehr beschränkt.
Didaktische Zwecke hat Gryphius auch in der Komödie verfolgt, aber das
ursfirüngliche Behagen am Stoff' ist fühlbar. Dafs er durch Zankscenen
gern komische Effekte erzeugt, bezeichnet seinen Zusammenhang mit der
Volksbühne. Die Feinheit der Zeit und des Ortes hat er nicht streng be-
obachtet. Leider hat der Lustspieldichter keinen Nachahmer gefunden.
Otto von Guericke. Biographische Ergänzungen. I. Otto von
Guerickes Sammlung lateinischer, französischer, italieni-
scher, holländischer und deutscher Sinnsprüche. Nach
einer im Stadtarchiv zu Magdeburg aufgefundenen Original-
Aufzeichnuno;. Geordnet und mit einer Übersetzuno: her-
ausgegeben von Direktor Karl Paulsiek. Programm der
Guericke-Schule (Ober-Realschule) zu Magdeburg 1885.
51 S. 4.
Der in der politischen und der Geschichte der Wissenschaft hervor-
ragende Mann tritt uns hier auf einem Felde entgegen, auf dem wir ihm zu
begegnen nicht hatten erwarten können. Otto von Guericke ist ein bedeu-
tender Mann gewesen, man kennt ihn meist nur als Erfin<]er, als Entdecker
wissenschaftlicher Wahrheiten; er hat sich aber auch, schon ehe er Bürger-
meister von Magdeburg wurde, einen Ruf als Diplomat erworben, um seine
Stadt die gröfsten Verdienste; er nahm aber auch an allen geistigen Inter-
essen, die seine Zeit bewegten, einen lebhaften Anteil. Bei der Wieder-
kehr seines Todesfalles 11/2L Mai 1686 werden im Jahre 1886 seine Mit-
bürger den Grundstein eines öffentlichen Denkmals ihres grofsen Wohl-
thäters zu legen hoffentlich nicht versäumen. Zu einer vollständigen Bio-
graphie Guerickes hat Herr Direktor Paulsiek den ersten wertvollen Beitrag
im obigen Programm geliefert ; wir hoffen, dafs demselben noch mehrere
nachfolgen, wie er uns hoffen läfst.
Referent übergeht den einleitenden Lebensabrifs Guerickes und seiner
Familie. Das Leben Guerickes ist sehr bewegt gewesen, nicht immer war
seine amtliche Thätigkeit in den schweren Zeiten des 17, Jahrhunderts von
beglückendem Erfolge gekrönt, er hat viel Trübsale eifahien. Um so be-
wundernswerter erscheint seine umfassende wissenschaftliche Thätigkeit,
unsterblich sind seine Verdienste um die Erweiterung der Physik, jeder-
mann keimt ihn namentlich als Erfinder der Luftpumpe und der magde-
Prograninieiischau. 205
burpisclien Halbkiigeln ; eine Fulsnote des Verfassers hat Referent Gelegen-
heit zu berichtigen. Die Erfindung der Luftpumpe wird um 1650 gesetzt und
es soll 1651 Guericke eine solche der Stadt Köln zum Geschenk gemacht
haben, diese aber seit 1794, dem Jahre des Einriickens der Franzosen, ver-
schwunden und seitdem nichts über sie btkannt geworden sein. Wo sie
geblieben sei, ist allerdings unsicher; Herr Dr. Berthold in Ronsdorf hat
aber (s. Annalen der Physik und Chemie N. F. XX, 345 flgg.) eine ältere
Nachricht mitgeteilt, wonach Gueiickes Luftpumpe schon 1641 dem Magi-
strat von Köln zugeschickt und noch 1799 vorhanden gewesen sei. Dies
beiläufig. — Nun fand Verfasser im städtischen Archiv zu Magdeburg eine
Handschrift von Guericke von 33 Foiioseiten, eine Sammlung von Sinn-
sprüchen, welche uns Guericke von einer neuen Seite kennen lehrt. Er
nimmt davon Veranlassung, in eingehender geistvoller \^'eise die litteratur-
geschichtliche Entwickelung der Sinnsprüche im allgemeinen uns vorzu-
führen, den Grund ihrer Entstehung, (iie wachsende Tiefe der Beobachtung,
ihre Form; von ihrem Ausgange im Orient aus verfolgt er den Sinnspruch,
den Lehrspruch, die Gnome bei den Griechen, Römern, bei den Kirchen-
vätern, bei den Deutschen von Thomasin von Zirkläre an, bei Freidank,
den Humanisten, wie denn Erasmus durch seine Adagie Neubegründer einer
zahlreichen Sprichwörterlitteratur wurde. Sachsen und insbesondere die
Stadt Magdeburg wurde eine fruchtbare Pflegestätte didaktischer Litteratur;
man denke an Johann Apricola, die beiden Rollenhagen, Johann Sommer.
In Holland wahrscheinlich erwachte Guerickes Vorliebe für diese Litteratur.
Er legte sich eine umfangreiche Bibliothek didaktischer Schriften an und
excerpierte sie für seinen eigenen Gebrauch; er führt als seine Quellen
biblische Schriftsteller an, Griechen, Römer, neuere. Die Sammlung ent-
hält 637 Sprüche, meist in Prosa, der Mehrzahl nach lateinische, dann
französische, italienische, holländische, 31 deutsche; in ihrer Gesamtheit
lassen sie uns in dem Sammler einen tiefernsten, an Lebenserfahrung und
Urteil reifen, religiösen Mann erkennen. Im Original fehlt es an bestimm-
ter Ordnung, der Herausgeber hat die Sprüche aber nach inneren GesicJjts-
punkten geordnet, so dafs wir nur ein handliches Buch der Lebensweisheit
vor uns haben, in dem man sich leicht zurechtfindet. Aber der Herauso-eber
hat mehr gethan, er hat allen fremdsprachlichen Sprüchen eine wohlgelun-
gene Übersetzung in Versen beigefügt. Die Hauptrubriken sind: inneres
Leben, menschliche Rede, menschliches Handeln, geselliger Verkehr, Fami-
lienleben, öffentliches Leben. Als Probe und als Beweis, wie durch diese
Guerickesche Sammlung in der modernen Bearbeitung unsere Spruchlittera-
tur eine Bereicherung erhalten hat, mögen liier schliefslich einige Sprüche
in Original und Übersetzung mitgeteilt werden. Frömmigkeit: Optinmm via-
ticum pietas = der beste Schatz, das beste Geleit auf dem Lebensweg ist
Frömmigkeit. Seelenruhe und Ernst: J'^quus animus commendat omnia =
Ein billiger Sinn und ruhig V.'ägen findet Gutes allerwegen. Grenze mensch-
lichen Könnens: Non omnia possumus omnes = Wie gut, dafs nicht ein
jeder alles kann und jede Kunst erfordert ihren Mann. Selbstsucht: Suse
quisque casaB = Jeder sorgt für sein Haus : darauf läuft alles hinaus. Sorg-
losigkeit: Periculum venit, quum contenmitur = Wenn du verachtest die
Gefahr, packt sie dich bereits am Haar Wirtschaftlichkeit: Quod non opus est,
osse carum est = Was dir nicht not, dafür ist ein Pfennig zu hohes Gebot.
Politik: Perseverer fait empörter = Harre aus, so gewinnst du den Straufs.
Der Lausitzer Dichter Aug. Ad. von Haugwitz. Ein Beitrag zur
Litteraturgesch. des XVII. Jahrh. Von Oberl. Dr. Hiibner.
Progr. des Progymn. zu Trarbach 1885. 26 S. 4.
Von Aug. Ad. von Haugv/ltz hat von den Litterarhistorikern nur Ger-
vinus Genaut-res berichtet, aber auch seine Bemerkungen sind nicht umfang-
'J06 Programnienschau.
reich unil öfters zu verbessern. Unter seinen Zeitgenossen hat Ilaugwitz
nicht nur als gelehrter Schriftsteller auf juristischem und historischem Ge-
l'iet, sondern auch als Dichter sich Lob erworben. Der Verfasser vorliegen-
der Abhandlung hat daher sich keine Mühe verdriefsen lassen, den Lebens-
umständen und Produktionen des Mannes aufs sorgfiiltigste nachzuforschen
und somit einen sehr beachtenswerten Beitrag zur Litteratur- und Kultur-
geschichte des 17. Jahrhunderts geliefert. — Wenn Gervinus Haugwitz mit
dem Schlesier Joh. Christ. Hallmann auf gleiche Linie stellt, so weist der
Verfasser nach, wie er durchaus von demselben verschieden ist und ihn
überragt, dafs er namentlich nicht wie jener der laxen Moral seiner Zeit
irgend welche Konzession macht. Hat er sich auch von seiner Zeit nicht
losreifsen können, ist er auch nicht in dem Sinne der Gegenwart Dichter,
so zeigt er doch oft seinen Widerspruch gegen die Gebrechen seiner Zeit-
genossen und überhaupt einen eigentümlichen Charakter. Seine wissenschaft-
lichen Werke sind: Prodromus Lusaticus d. i. Topographie, Geschiebte, In-
stitutionen, ein Auszug aus einem gröfseren Werke, das nicht veröffentlicht,
aber unvollständig handschriftlich erhalten ist; sodann der tractatus de regni
et aulaj Marschaliorum nomine 1690, 698 S. 4. — Die poetischen Werke
sind zusammengestellt im Prodromus poeticus «der poetischer Vortrab iu
Trauer- und Lustspielen, Sonetten, Oden, Elegien, Bey- und Unterschriften
1684. Darin: a) Schuldige UnschuM oder Maria Stuarda 1683, in Versen,
nicht in Prosa, wie Koberstein meint, b) Obsiegende Tugend oder der ße-
thörte doch wieder Bekehrte Soliman, Misch-Spiel in gebundener Rede
1684. c) R. C. D. Flora, Lustspiel, d) Auf die Dramen folgen Sonette,
Elegien, Bey- oder Uber-Schriften. Ein viertes genanntes Drama Wallen-
stein ist nicht veröffentlicht, aber wirklich vollendet und aufgeführt. —
Haugwitz wurde 1645 in der Überlausitz auf Ubigau geboren und ent-
stammte einem noch blljhenden Adelgeschleclite. Er bezog, zwanzig Jahre
alt, die Universität Wittenberg zu juristischen und historischen Studien.
Nach gutem Erfolge unternahm er die übliche Reise, deren Eindrücke er
ausführlich geschildert hat, nach Amsterdam, London, Paris. Zurückgekehrt
zog er sich in die .Stille des väterlichen Erbgutes zurück. Obgleich er nur
rüv seine Standesgenossen schrieb, hielt er sich vom Hofe fern und geifselte
scharf den Luxus der Höflinge. \ olle Befriedigung dagegen fand er in
der Wissenschaft Seine Arbeiten fanden unter einem Teile des Adels Zu-
stimmung, besonders bei seinem Oheim, dem Oberhofmarschall Fr. A. von
Haugwitz, einem feingebildcten hochangesehenen Hofmanne, der nach dem
Übertritte Augusts H. zum Katholicismus in bran lenburgische Dienste trat.
Seine Werke hat er nach der Sitte der Zeit angesehenen Persönlichkeiten
gewidmet, nicht aus Verlangen nach Belohnung, sondern um dadurch die
Poesie überhaupt zu empfehlen. Die Wissenschaft blieb ihm der eigentliche
Beruf; bescheiden stellt er sich unter Gryphius, Hofmann und Lohenstein,
aber er steht höher als andere ihrer Zeit gefeierte Versemacher. Er ist
allerdings nur ein formales Talent und scheiterte daran, dafs er sich an das
Schwierigste, an das Drama machte. Der Geschmack der höheren Lebens-
kreise war dazu dem ernsten Drama entfremdet, daher wurde er weniger
hochgestellt. Er starb am 21. September 1706. Seine Oden und Sonette
sind Kinder des Verstandes, seine Dramen ohne dramatisches Leben, er ist
ein Sohn seiner Zeit, auch in seinen wissenscliaftlichen Werken ; aber er hat
das Beste gewollt.
Cober, ein Moralprediger aus dem vorigen Jahrhundert. Von
Dr. Moritz Geyer. Programm des Gymnasiums zu Alten-
burg 1885. 28 8. 4.
Jean Paul sagt: „Das vergnügte Schulmeisterlein Maria Wuz in Auen-
thal schrieb in seiner Kindheit Bibelverse ab, heftete sie und sagte zu sich :
Progranmieiisc'liaii. 207
Abermals einen recht hübschen Koher ficniacht !" Dazu merkt Jean PhuI
an: „Kobers Kabinetsprediger, in dem mehr Geist steckt (oft ein närrischer)
als in zwanzig jetzigen ausgelaugten Predigthaufen."
Wer dieser Cober gewesen, darüber waren schon manche erfolgreiche
Untersuchungen angestellt, aber auch der neueste Artikel in der Allgem.
deutschen Biographie enthält nur wenige Notizen. Dem grrfsen Fleifse des
Verfassers ist es gelungen, alles was sich über Cober noch finden läfst, zu-
sammenzubringen und damit über sein Leben und seine Schriften Licht zu
verbreiten. Die wichtigsten Ergebnisse sind: Gottlieb Cobers Schriften
haben zu ihrer Zeit und noch lange nachher eine aufserordentliche Ver-
breitung gefunden. Er war am 10. oder 11. Juni 1682 in Altenburg ge-
boren. Nachdem er lange Jahre vergebens auf Anstellung gehofft hatte,
liefs er 1710 das „Epistolisch-evangelische Präservativ" erscheinen, eine
Sammlung von Andachten über die Episteln und Evangelien, welche später
unter dem Titel „Moralprediger im Kabinet" herausgegeben wurde. Be-
rühmt wurde Cober 1711 (iurch das Erbauungsbuch ,, r)e.r aufrichtige Ka-
hinetprediger", eine ernste Aufdeckung der verschiedenen Fehler und Thor-
heiten, deretwegen er Gefängnisstrafe zu erdulden hatte; nach dreiviertel-
jäbriger Haft entfloh er nach Leipzig, dort setzte er seine schriftstellerische
Thntigkeit rastlos fort. Der erste Teil des Kabinetspredigers wurde in vier
Jahren in 20 000 Exemplaren verbreitet. Manche Gegenschriften erschienen.
Das letzte Werk, welches Cober schrieb, war 1717 sein „Passionsprediger
im Kabinet". Er starb am 12. April 1717. Er gehörte zu denen, die, wie
er selbst sagt, ihr Brot mit Weinen essen und ihr Bett mit Thränen netzen
mufsten die ganze Nacht. — Eigenartig ist allen seinen Schriften eine un-
bestechliche Schonungslosigkeit; ähnlich wie Abraham a St. Clara greift er
besonders das Hofleben an. Er ist sehr scharf, aber die Zustände, gegen
welche er eifert, sind vorhanden gewesen. Sein Stil ist knapp, langatmige
Sätze, schwülstige Perioden, wie sie seiner Zeit üblich waren, hat er nicht,
aber, wie seine Zeitgenossen, schmückt er seine Predigten mit allerlei Ge-
schichten, immer aber zum Zwecke, nicht zu unterhalten, sondern zur Um-
kehr zu mahnen. Kunstvolle Komposition kennt er nicht. Seine Schriften
sind eine Fundgrube drastischer Sprichwörter und für eine solche Samm-
lung noch sehr zu verwerten. Er strebt danach, abstrakte Begriffe sinn-
lich anschaulich zu machen. Das Buch aller Bücher ist ihm die Bibel, aus
ihr schöpft er den meisten Stoff. Je länger er lebte, desto trüber wurde
seine Lebensanschauung, aber in dem Ernste und der Energie seiner Ge-
sinnung steht er hoch über Abraham a St. Clara, den er freilich an Be-
herrschung des Sprachmaterials nicht erreicht. Der hier nur in gedrängtem
Auszug wiedergegebenen Übersicht über das Leben Cobers läfst der Ver-
fasser noch drei Nachträge folgen : zuerst eine alphabetische Zusammenstel-
lung eigentümlicher oder in unbekannter Weise gebrauchter Wörter aus
Cobers Schriften, eine sehr wertvolle Bereicherung der Wörterbücher; es
sei nur erwähnt, dafs zu den 45 im deutschen Wörterbuch angeführten Ver-
bindungen mit „Hans" kommen: „Hanfs Ohnbedacht wird ausgelacht; weifst
du aber auch, dafs dein Nachbar Flanfs Schwelger geheifsen" ; — sodann
genaue bibliographische Nachrichten über alle Ausgaben der Coberschen
Schriften; — endlich eine Stilprobe aus dem zweiten Teile des Kabinets-
Predigers : Der getröstete Land-Mann.
Lessings Ansichten über das Verhältnis der Tragödie zur Ge-
schichte. Kritisch dargestellt von G. A. Lambeck. Pro-
gramm der Ober-Realschule zu Koblenz 1885. 34 S. 4.
Die Schwierigkeit der Frage nach dem Verhältnis der Tragödie zur Ge-
schichte ist so grofs, dafs Lessing dreimal in der Dramaturgie darauf ein-
gegangen ist, St. 19, 23 und 24, 87 bis 9ö. Diese Ansichten prüft obige
208 Programmenschau.
umfiingreiclie Abhandlung, auch auf die Urti-ile anderer über dieselben sorg-
fältig eingehend. In St. 19 giebt Lessing den Unterschied von Geschichte und
Tragödie an ; sein Gewährsmann if-t ihm Aristoteles in der Poetik Kap. 8 und 9.
Aristoteles hat von der Geschichte (Kap. 23) eine geringe Vorstellung, ihm ist
sie gleich Chronik, der Historiker aber will erklären, er begründet eine
Ordnung, Und doch ist diese Ordnung keine vollkommene, solange meh-
rere Ereignisse sich treffen, ohne dafs wir begreifen warum; das wirklich
Geschehene ermangelt für uns fast immer der Eigenschaften, die allein es
befähigten für dichterische Darstellung, der Einheitlichkeit und Ganzheit.
In dem dramatischen Kunstwerk aber ist jedes Folgende aus dem Vorher-
gehenden nach den Gesetzen der Wahrscheinlichkeit oder Notwendigkeit
hcj'geleitet, daher als möglich hingestellt, der dramatische Dichter entwickelt
jede Begebenheit aus dem Charakter seiner Helden; hier setzt der Verfasser
aber hinzu, die Begebenheiten sind nicht aus einer Besonderheit der Hel-
den, sondern aus (ier allgemein menschlichen Natur iierzuleiten; der un-
menschliche Hafs der Euripideischen Elektra gegen die Mutler scheint ihm
unmöglich. Indes er ist doch motiviert genug. Die Geschichte zeigt im
Gegensatz zur Poesie mehr das Einzelne; auch der Zufall ist ein Einzelnes.
Kann auch mitunter der Historiker die einzelne Begebenheit so motivieren,
dafs der Zufall verschwindet, so bleibt doch zwischen Poesie und Ge-
schichte ein grofser Unterschied ; dem Dramatiker kann nicht die Aufgabe
gestellt werden, die Grofsthaten der Geschichte zu verewigen.
Es ist in alle dem die Einheit der Handlung für das Drama voraus-
gesetzt. Indes das moderne Drama beobachtet die Einheit in dem Sinne
des Aristoteles vielfach nicht, es liebt die Mannigfaltigkeit. Ist nun doch
die Geschichte darstellbar? Aber die moderne Auffassung des Dramas ist
tiefer als die Aristotelische, die göttliche Gerechtigkeit als höchstes Forum
soll in) modernen Drama mehr betont werden, in ein helleres Licht treten ;
diese Rücksicht auf das sittliche Gefühl der Hörer trennt noch viel weiter
ilie Poesie von der (beschichte. Im 23. St. der Dram. ist nun Lessing von
Aristoteles abgegangen und erlaubt dem Dichter historische Stoffe, aber
formuliert das Verhältnis der Tragödie zur Geschichte so, dals der Dichter
in allem, was die Charaktere nicht, betreffe, von der geschichtlichen Wahr-
heit abgehen dürfe soweit er wolle, nur die Charaktere ihm heilig seien,
oder genauer St. .33, dafs er mit den Thatsachen beliebig verfahren dürfe,
solange er sie nur nicht mit dem Charakter in AViderspruch setze. Aber
dafs die vier Gründe, welche Lessing St. 23 und 3;3 für seine Theorie an-
führt, nicht stichhaltig sind, beweist der Verfasser gut. In der Tragödie
ist die Handlung die Hauptsache; die geschichtlichen Thatsachen verdienen
mindestens ebensoviel Respekt wie die geschichtlichen Charaktere. — Spä-
ter St. 87 bis 91 behandelt Lessing dasselbe Thema. Dort verlangt er, dafs
die Charaktere etwas Allgemeines darstellen, weil sonst sich niemand in den
Charakter des Helden ver.?etzeu könne, wie z. B der Aristophanische So-
krates nicht der einzelne Sokrates sei. Er meint dabei aber keine Abstrak-
tion einer einzelnen Sinnesrichtung für sich, sondern so, dafs neben dem
Hauptcharakterzug alle die Eigenschaften dem Helden bleiben, welche die
Geschichte ihm beilegt und welche jenem Hauptcharakterzug nicht wider-
sprechen, diejenigen aber, welche diesem widersprechen, durch andere er-
setzt werden (vgl. Goethes Egmont). Lessing sagt weiter, der Dichter
dürfe die Thatsachen in einem sehr weiten Umfange verändern, werde aber
immer noch den Personen ihre geschichtlichen Namen lassen. Dagegen
läfst sich einwenden, dafs, wenn gleich mit der Nennung eines geschicht-
lichen Helden der Zuschauer eine allgemeine Vorstellung verbindet, der
Reiz der Spannung für ihn abgeschwächt wird. Er meint feiner, dafs, wenn
den geschichtlichen Namen auch frei erfundene Begeberdieiten angehängt
würden, diese glaubwürdiger erschienen. Indessen das erste, was uns eine
Historie glaubwürdig macht, ist doch ihre innere Wahrscheinlichkeit. Doch
ProgrammenscLau. 209
(las b!eil)t bestehen, dafs dem historischen Namen der Zuschauer gröl'seres
Interesse entgegenbringt. — Man hat geschlossen, Lessing habe es an einem
tieferen Verständnis des geschichtlichen Prozesses gefehlt. Gegen einen
solchen Vorwurf spricht schon, dafs Lessing der Verfasser der Erziehung
des Menschengeschlechtes ist, überdem ausdrücklich eine Stelle im 79. St.
der Dramaturgie.
„Was wir in einem Kunstwerke schön finden, das findet nicht
unser Auge, sondern die Einbildungskraft durch das Auge
schön." Lessing, Laokoon Kap. VI. Materiahen lÜr die
Erklärung der Stelle in der Prima, zusammengestellt von
Baranek. Programm des Gymnasiums zu Gleiwitz 1885.
20 S. 4.
Der Verfasser ist ein entschiedener Verteidiger der Besprechung des
Laokoon in der Schule; er hebt als Muster mit Recht das Kölner Pro-
gramm von Brencker hervor. Ob aber Themen aus dem Laokoon auszu-
wählen seien, darüber schwankt er noch; die Bedenken gehen zu weit.
Wenn die Lessingschen Sätze dem Schüler so ins Bewufstsein übergegangen
sind, dafs er Längere Partien in einem Referat zusammenfassen kann, so
ist das doch etwas ganz anderes als die Umwandlung von Poesie in Prosa,
und sodann wenn er nach den Lessingschen Sätzen Kunstwerke zu beurteilen
vermag, so ist der Gewinn nicht hoch genug anzuschlagen, vor einem ober-
flächlichen Absprechen giebt es keinen besseren Schutz. Davon abgesehen
ist auf diese eingehende Besprechung des in der Überschrift genannten
Satzes der Deutschlehrer recht aufmerksam zu machen, sie giebt eine sehr
eindringende Erörterung der hier zusammengefafsten Begriffe, sie will den
Schüler anleiten, überall eine behutsame Kritik anzuwenden, ihn mit Les-
singschem Geiste erfüllen, sie zieht Parallelen vielfach heran, nicht von
rechts und links, sondern aus Lessingschen Stellen, sie bietet also wertvolle
Materialien zur Erläuterung des obigen, doch nicht ohne weiteres jedem
verständlichen Satzes. Aus der Praxis ist die Abhandlung hervorgegangen
und dient trefflich der Praxis. — Zunächst werden die Begriffe einzeln be-
trachtet, ihr Sinn bei Lessing festgestellt, dann ihre Synthesis ins Auge ge-
fafst. Kunst also zuerst ist Nachahmung, die des Malers insbesondere
Nachahmung schöner Körper durch Umrifs und Farbe; die Nachahmung ist
aber nicht sklavisch. Das wahre Kunstwerk wirkt illusorisch auf den Be-
trachtenden, er vergifst den Unterschied zwischen sich und dem (Gegen-
stände, und diese Täuschung gefällt; untergeordnet ist das Vergnügen über
die Geschicklichkeit des Künstlers. In dieser Wirkung auf das Gemüt liegt
der Einflufs der Kunst auf den Volkscharakter, also ihre sittliche Bedeu-
tung. Es folgt eine Besprechung des Schönheitsbegriffes, von dem eine
volle Definition sich bei Lessing nicht findet, dabei Erläuterung von Aus-
druck und Wahrheit und der Frape, wie der Künstler die Natur nachzu-
ahmen hat. Das Kunstwerk soll Wahrheit besitzen, deshrdb darf es nicht
sklavische Nachahmung der Wirklichkeit sein. Um zur Bildung des sich
mit der Entwickelung dos Geschmackes gestaltenden Ideals zu gelangen,
hat der Künstler die schöne Naturform von den zufälligen störenden Be-
standteilen zu reinigen. Die Form aber ist für den Künstler nur ein Mittel
für den höheren seelischen Ausdruck. Der Gegenstand der höchsten Schön-
heit ist der menschliche Leib. Weiter: Einbildungskraft (Phantasie) ist die
Fähigkeit des Erkenntnisvermögens, Wahrnehmungsbilder von Gegenständen,
die nicht vor uns stehen, im Bewufstsein wieder zu erwecken, sodann aber
auch die mannigfachsten Verbindungen mit ihnen vorzunehmen. Da nun die
Seele keine Vorstellung ohne Erregung eines Gefühls oder einer Stimmung
aufnimmt, so fügt die Phantasie nicht blofs Bild an Bild, sondern verbindet
Ai-clnv f. n. Sina^-liPii. LX.W. 14
'210 Programmenschau.
auch Bilder mit Ideen und Stimmungen und wirkt somit auch auf ^\'isspn-
schaft und diis praktische Leben ; sie ist also vorzugsweise eine schöpf'i'rische
Kraft. Im Gebiete der Kunst ist sie die schaffende Kraft im Künstler und
die nachschaßende im Beschauer. Da nun das Kriterium der Kunst-
schöpfung nicht im Auge liegt, weil die Nachahmung der Natur nicht die
Aufgabe der Kunst erschöpft, so ist der Hauptsatz bewiesen, das Zeitwort
finden aber umfafst sowohl die objektive Seite des Schönen als auch die er-
weckte Thiiti^keit der Seele, schliefst also das Empfinden in sich. Das
Auge liefert das liohmaterial für die Phantasie und den Verstand les kann
aber dann nicht, wie der Verfasser S. IG irrig sagt, von einem Handlanger-
dienst der Phantasie die Rede sein, diesen verrichtete ja das Auge), es
weckt nur die ästhetischen Eltmentargcfühle. In dem Beschauer wirkt das
Kunstwerk ein geistiges Nachschaffen; und noch über den Augenblick hin-
aus soll die Einbildungskraft weiter schaffen.
Sophie von La Roche in Schönebeck. Von Dr. Steiner, Pro-
gramm der Realschule in Schönebeck 18ö5. 14 S. 4.
Sophie von La Eoche hielt sich im Sommer 1799 längere Zeit in
Schönebeck bei ihrem dort beim Salzwerk angestellten verheirateten Sohne'
auf. Schreibselig wie sie war und nach (iem Tode ihres Mannes sein
mufste, hat sie die Reise von Off'enbach nach Weimar und Schönebeck 1799
geschildert, auch unter dem Titel: Schattenrisse abgeschiedener Stunden in
Off'enbach, Weimar und Schönebeck. Der Erfolg, den sie mit ihrem ersten
Werke, Die Geschichte des Fräuleins von Sternheim 1771 erzielt hatte, er-
mutigte sie, denselben sentimentalen Ton in den folgenden Werken festzu-
halten; dem Gedächtnis der Gegenwart sind sie entschwunden. Sie nahm
ihren Weg über Weimar, um den alten Jugendfreund Wieland zu besuchen,
nach Schönebeck. Aus dieser Reisebeschreibung teilt nun der Verfasser
vorliegender Abhandlung, dem sonstige Quellen nicht zu Gebote standen,
den auf Schönebeck bezüglichen Abschnitt dem Inhalte nach mit, der also
besonders die gegenwärtigen Einwohner von Schönebeck interessieren mufs.
Da aber Sophie auch noch Ausflüge nach Gnadau und Magdeburg machte
und von dem Leben dort allerlei erzählt, so ist das Ganze ein hübsches
Kulturbild. Aus dem Briefwechsel zwischen Goethe und Schiller hebt der
Verfasser noch einige köstliche Stellen hervor, welche uns die Angst der
Dichterheroen schildern, als Sophie herannahte. Von Schönebeck reiste sie
über Leipzig zurück, und ihr Reisegefährte von Leipzig bis Weimar war
Ernst Moritz Arndt, der gerade aus Italien zurückkam und Wieland in
Osmansteilt besuchen wollte.
Beiträge zur Metrik Goethes. Zweiter Teil. Von Dr. Ed. Bel-
ling. Programm des Gymnasiums zu Bromberg 1885.
18 S. 4.
Das Programm behandelt die metrischen Eigentümlichkeiten der ersten
Periode. Schon in seinen ersten Dichtungen zeigt, im Gegensatze zu Schil-
ler, Goethe eine ungemeine Leichtigkeit in der Behandlung der metrischen
Formen, und nach der Periode der Gärung in den Erzeugnissen des reifen
Mannesalters Ähnlichkeit mit denen der Jugendzeit, nur dafs die Feinheit
und Mannigfaltigkeit der metrischen Formen zugenommen hat. Auf die ein-
zelnen Gedichte der ersten Periode übergehend weist nun der Verfasser
mit zahlreiclien Beleg.stellen nach, dafs die Hebung tonloser Silben nicht
häufig ist. Die Strophenformen sind zahlreich und zerfallen in jambische,
janibisch-anapästischc, trochäische und freie Kompositionen. Am zahlreich-
sten sind die jambischen, Zwei-, Drei-, Vier-, Fünf- und Sechsfüfsler. Zu-
erst werden die jambischen Strophen nach ihren verschiedenen Unterabtei-
Programmen«cliau. 211
langen durch Beispiele erläutert, dann ebenso die jambisch-anapästischen,
die trocliäischen, endlich die mannigfaltigen freien Kompositionen. Die
Reime sind, auch anders als in den Jugendgedichten Schillers, wohllautend
und meist rein , am häufigsten finden sich noch die unreinen Reime i und ü,
seltener ä und e, ö und e, ei und eu, sowie ein in Konsonanten unrichtiger
Reim. Welches ist der Ursprung der Goetheschen Strophenform? Gewifs
wurde Goethe durch seinen angeborenen Sinn für Rhythmus instinktiv ge-
leitet; aber er hat auch die Produktionen anderer Dichter auf sich wirken
lassen. Mit dem subtilsten Fleifs weist der Verfasser nach, wie alle die
verschiedenen Goetheschen Stropl)enformen sich schon vor Goethe vorfinden,
sei es bei Geliert, Gleim, Hagedorn, Götz, sei es bei Paul Gerhard, Simon
Dach, Haller, sei es im Volksliede, nur dafs Goethe kleine Modifikationen
eintreten läfst. Grofs ist schon in dieser Periode die Mannigfaltigkeit der
Goetheschen Rhythmen, 18 jambische, 12 trochäische, 2 jambisch-anapästi-
schp, dazu die freien Kompositionen, die Gesamtzahl beträgt 40. An den
einzelnen Liedern zeigt endlich der Verfasser, wie vortrefflich das gewählte
Rhythmengeschlecht zum Inhalt pafst. Die Abhandlung ist ein sehr be-
achtenswerter Beitrag zur Goethe-Litteratur, sie führt zu einem tieferen
Verständnis der Goetheschen Poesie; wir wünschen, dafs die versprochene
Fortsetzung bald erscheinen möge.
Das Goethesche Gleichnis. II. Von Direktor H. Henkel. Pro-
gramm des Gymnasiums zu Seehausen ^1885. 24 S. 4.
Wie der erste Teil (1883) der Abhandlung, so zeichnet sich auch dieser
zweite Teil durch feinsinnige Bemerkungen und grofse Belesenheit aus.
Der \'erfasser hat nicht blofs die eigentlichen schriftstellerischen Werke des
Dichters benutzt, sondern auch die verschiedenen Briefwechsel und die Ge-
spräche. Er hebt zuerst die eigentümliche natursymbolische Lyrik Goethes
hervor, indem in den Dichtun<,'en die Natur nirgends Gegenstand selbstän-
diger DetailschilderuDg ist. Diese Eigentümlichkeit tritt schon in den Lie-
dern der ersten Schweizerreise hervor. Dann läfst der \'erfasser uns „das
Weltbild im Spiegel des Goetheschen Gleichnisses" entgegentreten ; man
kann wohl sagen, dafs in diesen Gleichnissen sich die Herrschaft ausspricht,
welche der Goethesche Geist über alle Gebiete des Weltwesens ausübt. So
werden nun die Gleichnisse aufgeführt, welche hergeleitet sind von den Ge-
stirnen (Sonne, Mond, Sterne, Planet), von Licht (Schatten, Wolke, Far-
ben, Tropfen, Smaragd, Spiegel, Zauberlaterne, Tubus, Doppel'^path), vom
Feuer (Funke, Flamme, Kolde, Feuerwerk, Lava;, vom Wasser (Urne, Quelle,
Kaskade, Bach, Strom, Damm), von Schifiahrt (Kahn, Nachen. Flotte,
Ruder, Kompafs), von Luft (Ostwiml, Barometer, Thermometer, Luftballon),
von Erde (Landschaft, Berg), von Mineralien (Perle, Gold, Silber, Magnet,
(Quecksilber, Pulver), von der Pflanzenwelt (Keim, Blatt, Knospe, Blume,
Straufs, Baum, Frucht, Beere, Wurzel, Samen, Pflugschar, Saatfeld, Spreu,
Stroh), von der Tierwelt, vom menschlichen Organismus, von Gesundheit
und Krankheit (Diät, Wunde u. a.), von Alter und Geschlecht (Wiegenlied,
Schaukelpferd, Grabstein), von Speise und Trank. Ein dritter Artikel soll
noch achtzehn Gruppen von Gleichnissen bringen.
Schiller in seinen Beziehungen zur Musik. Von Oberlehrer
Klötzer. Programm des Gymnasiums zu Zittau 1885.
24 S. 4.
Schiller war ohne musikalische Kenntnisse, aber nicht ohne gutes musi-
kalisches Gefühl und Urteil und ist durch seine Dichtungen mit der Musik
in Verbindung getreten. Was sich daher über diese Beziehungen zur Musik
aus Schillers Werken und den auf ihn bezüglichen Schriftwerken zusammen-
14*
:il2 Prograimiienscliaii.
fincJen liefs, hat der Verfasser übersichtlich dargestellt, wobei noch manches,
was nicht illrtkt das Thema berührt, vi^ele wohl in einer Biographie Schil-
lers passenden Ausführungen, ganze Inhaltsangabe der Semele u. s. w. aus-
gelassen werden konnte. Der Inhalt ist eingeteilt in: 1) EinHuf» der Musik
auf Schiller; Aufserungen aus der Jugendzeit; musikalische Übungen Char-
lottes unil mehr Karolinens von Wolzogen. 2) Seine Thiitigkeit für die
Musik, a) Oper: die musikalischen Aufführungen auf der Karlsschule; die
Operette Semele. Dann schrieb er zwei Arien und ein Terzett für eine
Oper von Holzbauer. In Weimar dachte er erst an Bearbeitung des Obe-
ron von Wieland für die Oper. Der Plan trat zurück. Auch aus dem Vor-
schlage des Kapellmeisters Naumann, ihm den Text für eine Nationaloper
1788 zu schreiben, wurde nichts. Seit der Übersiedelung nach Weimar
hatte er von der Oper eine gute Vorstellung; er hoffte, dafs aus ihr die
Tragödie in eiilerer Gestalt sich entwickeln werde. Von Glucks Ipliigenie
auf Tauris war er begeistert und hat für Goethe einige Proben im Theater
geleitet, b) Drama: Fast in allen Dramen Schillers spielt die Musik eine
Rolle. Durch die Räuber wurde er mit Körner bekannt, dieser schickte
ihm nach Mannheim die Komposition des Liedes Analus zu, deren Original
sich im Körner-Museum befindet. Die Kompositionen, welche der gedruck-
ten Auflage beiliegen, sind von Zumsteeg; das Lied Theklas, des Mädchens
Klage, dichtete er für Karoline Jagemann, die auch Sängerin war. Für
Wallensteins Lager verlangte er eine reiche musikalische Ausstattung;
Goethe half thätig dabei; das Reiterlied, zuerst von Körner, aber in einer
Schiller nicht befriedigenden Weise, dann oft komponiert, erwarb sich immer
viele begeisterte Freunde. Dafs das Chorlied der barmherzigen Brüder im
Teil nicht gesungen wurde, war durchaus gegen Schillers Absicht, c) Ge-
dichte: \ iele Briefstellen zeigen, wie sehr Schiller eine gute Komposition
seiner Gedichte am Herzen lag. Vf)m Liede an die Freude gefiel ihm Kör-
ners Behandlung des Chores, sonst auch Naumanns Komposition. Die
musikalisch-theatralische Darstellung, welche das Lied von der Glocke in
Dresden auf Veranlassung des Intendanten Baron Rackenitz erfuhr, war
weder nach Körners noch nach Schillers Geschmack. Die Art, wie der
Taucher von Zelter musikalisch bearbeitet war, fand Schillers vollen Bei-
i'all. Von den Gesellschaftsliedern liefs er das Lied Jtn die Freunde und die
Vier Weltdlter von Körner, das Punschlied und Siegesfest von Zelter kom-
ponieren. 3) Schillers Aufserungen über die Musik als Kunst. Zu dem
Gespräch Koilins oder über die Schönheit ersuchte Schiller Körner um Mit-
teilung seiner Gedanken über die Musik. Das Buch ist nicht erschienen;
an seine Stelle traten die Briefe über die ästhetische Erziehung; seine An-
sichten und Urteile über die Musik lernen wir aber am besten aus seinen
Briefen an Körner kennen.
V'orarbeiten und Beitrage zti einer kritischen Ausgabe Holder-
lins. Von Dr. Robert Wirth. Programm des Gymnasiums
zu Plauen i. V. 1885. 30 8. 4.
Die grofse Bedeutung Hölderlins ist in neuerer Zeit mehr und mehr
anerkannt worden ; in seinen Oden erhebt er sich nach Iidialt und Form
über Klopstock und alle späteren Odendichter. Von allen Klassikern ver-
langen wir jetzt kritische Ausgaben. Bei Hölderlin bestehen die Schwierig-
keiten einer solchen darin, dafs nicht wenige seiner Dichtungen aus schwer
lesbaren und mit Varianten angefüllten Manuskripten gedruckt werden mufs-
ten, weshalb eine neue sorgfältige Durchsicht des Stuttgarter Nachlasses
nötig ist. Aber nicht das allein: es sind sämtliche Zeitschriften, in denen
Gedichte Ilöderlins stehen, sämtliche Ausgaben sorgfältig nachzusehen und
zu prüfen. Wie nötig das ist, lehrt vorüegende Arbeit. Dem Verfasser lag
d is g;iiize Material, widches sich auftreiben liefs, vor; er behandelt danach
Progranmienschau. 21 o
nun kritisch eine Reihe von (TCilichten mit der siibtilslen Gonnnigkeit und
h'hrl was zu thun ist, um nicht einen verständlichen, sondern den richtigen
Text zu jievvinnen. Kein Herausgeber Höderlins, wer es auch sein mag,
wenn auch nach dieser Vorarbeit der Verfasser selbst der geeignetste schei-
nen möchte, darf diese vortreffliche Abhandlung übersehen. Bei der be-
wundernswerten Sorgfalt, welche der Verfasser seiner Aufgabe gewidmet
hat. darf man sich nicht wundern, dafs mancher Herausgeber und mancher
vielgeriihmte Erklärer herben Tadel erfährt.
Zur Feier deutscher Dichter. 17. Abend: Kopisch und HofF-
inann von Fallersieben; 18. Abend: K. Simrock und R.
Eeinick. Von Direktor K. Strackerjan. Programm der
Ober-Realechule zu Oldenburg 1885.
Die schöne Sitte, im Winterhalbjahr in der Aula der Ober-Realschule
zu Oldenburg durch die Schüler Gedichte bestimmter Dichter durch Dekla-
mation und Gesang vor einem grofsen Publikum vortragen zu lassen, wo-
tlurch nicht blofs die Schüler in diese Dichter eingeführt, sondern auch das
grofse Publikum mit Interesse für unsere Poesie mehr als durch litterar-
historische Vorträge erfüllt wird, besteht von Jahr zu Jahr noch fort und
legt ein erfreuliches Zeugnis für die Bildung der Heimat Herbarts ab. Der
Leiter dieser Festlichkeiten verbreitet diesen (ienufs in weiteren Kreisen,
indem er in den Programmen in dem Vorwort eine kurze Charakteristik der
Dichter mitteilt. Auch die diesmaligen Charakteristiken sind knapp', aber
treflend. Mit Reclit wird bei Kopisch eine gewisse Ähnlichkeit in dessen
dichterischer und malerischer Darstellung gefunden; Kopisch malt mit Tönen,
die tonmalenden Wortbildungen und Wortverbindungen sind unmittelbar
dem Volksmunde entnommen; er ist ein echt deutscher Dichter; es ist als
ob der lange Aufenthalt in Italien den angeborenen Sinn für deutsche
Volkstümlichkeit entschieden entwickelt und schärfer ausgeprägt habe. Es
giebt wenige Dichter, die so volkstümlich geworden sind wie Hof!"mann. Er
ist eine durch und durch deutsche Natur. Dafs er in seinen besten Manneg-
jahren fast heimatlos ein unstetes Leben führen mufste, davon schreibt der
Verfasser einen Teil der Schuld Hof!'mann seihst zu; indessen hat er zu-
nächst Schuld an der traurigen Wendung seiner Lage? Und müssen wir
diese Frage verneinen, ist dann nicht die Erbitterung sehr erklärlich? Hoff-
mann ist ein Lyriker ersten Ranges; in wenigen Zeilen enthalten seine
Kinderlieder einen überströmenden Reichtum echter Poesie. Keiner der
neueren Dichter hat den herzigen und zugleich munteren Ton des Volks-
liedes so getroffen wie er; er mutet uns an wie ein Walther von der Vogel-
weide; alles ist unmittelbar, leicht, fröhlich, innig und sinnig, ernst, von
Vaterlandsliebe durchglüht, alles will gesungen sein. Reinick ist der Dich-
ter für die Kinderwelt. Seine Gedichte sind singbar wie nur irgend welche,
daher so oft komponiert. Simrock ist hauptsächlich Epiker; keiner der
Dichter hat sich in die deutsche Vergangenheit mehr hineingelebt als er.
Seine Übersetzungen geben nicht blofs die Gedanken des Originals wieder,
sondern auch Ton und \'ersmafs; der Stoff beherrscht ihn manchmal zu
sehr, so dafs er denselben nicht recht plastisch gestaltet; am meisten leistet
er, wenn er alte Stoffe selbständig in alter Form verarbeitet. Diesen Cha-
rakterbildern hat der Verfasser eine anziehende germanistische Studie vor-
ausgeschickt: Der Mensch im Spiegel der Tierwelt, worin er eingehend
ausführt, wie in den drei Erscheinungen, der Namengebung nach Tieren,
der Tiersage und Tierepos, der Tierfabel, sich drei verschiedene, aber aus
derselben Grundwurzel herausgewachsene Bildungsstufen der deutschen V^olks-
seele offenbaren; auf der ersten Stufe sieht der Mensch in der Tierwelt
sein Vorbild, auf der zweiten sein Abbild, auf der dritten benutzt er sie als
214 Programmenscliau.
Nachbild, die ältesten Namen sind abgeleitet von Wolf, Bär, Eber, Adler,
Rabe, Schlange, Schwan.
„Markgraf Rüdeger von Bechelaren" von F. Dahn und das
Nibelungenlied. Von Emil Plaumann. Programm des
Gymnasiums zu Graudenz 1885. 25 8. 4.
Schon aus der kurzen Inhaltsangabe des Dramas Dahns, mit welcher der
Verfasser anhebt, erhellt die mehrfache Abweichung des Dichters von dem
Nibelungenliede nach Inhalt und Charakterauffassung, namentlich auch in
der Aufstellung einer neuen Grundidee. Indem der Verfasser dann aber
ausfuhrlicher das ganze Drama durchgeht, treten die grofsen Unterschiede
deutlicher hervor. Da ist Rüdiger nicht blofs derjenige, der um KriemhiM
geworben, sondern der auch auf Kriemhildens tTcheifs die Kurgunden zum
Feste geladen hat. Eine im Liede nicht vorkommende Persönlichkeit, und
zwar nachher von Bedeutung, ist Dietlindons Lehrer, Meister Konrad. Neu
ist auch das innige Freundschaftsverhältnis zwischen Rüctiger und Volker.
Besonders wichtig ist die Gestaltung des Charakters Dietrichs; nicht blofs
ermaiint er Rüdiger zum Gehorsam gegen Kriemhild, wie auch er selbst
die Absicht habe, Siegfried zu rächen, aber über diese Rache hinaus will
er die edleren \'ölker der Herrschaft des Heidenkönigs Etzel entreifsen.
Diese Absicht tritt dann weiter noch entschiedener hervor; die eigentliche
Rache für Siegfried soll darin bestehen, die Unterthänigkeit des Germanen-
tums zu brechen, auf den Trümmern des Hunnenroiches ein neues Reich
zu errichten. Von den Charakteren ist der Rüdigers mehr vertieft, und wie
nach ihm der Dichter sein Dran.a betitelt hat, so iiat er ihn mit Vorliebe
behandelt. Rüdiger ist der treue Linterthan, der fürsorgende Fürst, der
tapfere Feldherr, der treue Freund, der liebende und geliebte Gatte, der
zärtliche Vater, der für alles Gute und Schöne begeisterte Mann. Als
Dämon der Rache erscheint Kriemhild, welche die Ehe mit Etzel. der ihr ein
(Gegenstand des Abscheues war, nur zum Zweck der Rache geschlossen hat.
Auch die sprachliche Schönheit des Dramas Dahns hebt der Verfasser her-
vor; wer wird nicht von der schwungvollen Rede mit fortgerissen? Uml
doch klingt sie manchmal uns zu modern, etwas sentimental. Bei der Idee,
für welche der Dichter den Dietrich kämpfen läfst, hat ihm offenbar der
historische Theodorich vorgeschwebt, der ja gleich hohe Ziele verfolgte;
aber was der grofse Ostgotenkönig als Herr von Italien planen konnte,
konnte nicht von dem Dietrich an Etzels Hofe gedacht werden; die Situa-
tionen sind zu verschieden.
Herford. _ Kölscher.
Dr. J. ß. Peters: Einige Kapitel der französischen Grammatik
in tabellarischer Übersicht. Programm der höheren Bürger-
schule zu Bochum 1885. V u. 25 S. 4.
So klein und anspruchslos die Programmabbandlung auch erscheint,
dürfte sie doch hier besprochen werden, weil der \'erfasser darin einen ^^'eli
wandelt, der bis jetzt zwar noch wenig betreten, aber dennoch der allt in
richtige ist. Nach Peters schreibt der Schüler sich selbst eine Granunatik,
welche vor ihm entsteht, die er daher lieb hat und schnell und sicher ge-
brauchen kann. Ob aber die Regel vorher „an so und so viel Einzelfällen
zur Anschauung vorgeführt, erklärt luid geübt werden soll" — oder ob
nicht vielmehr eine Durchsieht des behaudellen Lehrstolles auf bcstiuniite
Ka|)itel der Grammatik und daraus ein Aufbau der Regeln am Platze ist:
darüber wollen wir hier nicht streiten, sondern freuen wollen wir uns, dafs
Programmenschau. 215
Peters auf dem Wege zu der neuen Weise des Spracliunterrichts einen er-
heblichen Schritt vorwärts thut. Ja, nicht blofs vorwärts thut — er steht
in gewissem Sinne bereits mitten in der neuen Methode : er giebt uns eine
tabellarische Übersicht der grammatischen Regeln, die wir notwendijr ge-
brauchen, wenn die Lektüre einmal nicht blofs im \'ordergrunde dos Unter-
richts steht, sondern der alleinige Unterrichtsgegenstand ist, um den sich
alles übrige gruppiert. Dehnt der Verfasser demnächst, wie er verspricht,
seinen Versuch einer tabellarischen Übersicht auf das ganze Gebiet der
französischen Grammatik aus, so können wir getrost mit der neuen Art des
Unterrichts beginnen; wir haben dann ein Hilfsmittel. Eins ist da freilich
zu bemerken: Die Petersschen Tabellen sind noch nach altem Schnitt; das
phonetische und historische Princip kommen in ihnen noch nicht zur Gel-
tung. Da müfsten vor allem die Schriften von Kühn und Breymann be-
rücksichtigt werden. Bezüglich der inneren geistigen Gestaltung der gram-
matischen Kapitel heben wir die Einfachheit und Klarheit der Vorstellung
hervor, die streng schulmäfsige Weise, in welcher der Verfasser den Stoß"
bebandelt; kritische Bemerkungen und Ratschläge gehören, solange das
Werk nicht vollständig vorliegt, noch vor das Forum des Autors selbst.
Aber über die typographische Gestaltung der grammatischen Kapitel mufs
schon jetzt gesprochen werden, und zwar mit dem höchsten Lobe. Gerade
flarin liegt die Haupteigentümlichkeit der Petersschen Arbeit. Jede Seite
bringt ein abgerundetes Kapitel der Grammatik, bietet etwas Vollständiges.
Ich greife ein Beispiel heraus: Seite 6 behandelt die „Inversion des Sub-
jekts in der direkten Frage", Seite 7 die „Inversion des Subjekts aufser
der Frage". Indem der Verfasser so ein Kapitel auf eine Seite beschränkt,
zwingt er sich ganz von selbst zu weisem Mafshalten. Daneben steht der
andere X'orteil, dafs die übersichtliche „äufsere Erscheinung" des Kapitels
das Gedächtnis stützt. — Der Druckerei ist hohe Anerkennung zu zollen,
da sie die TabtUen mit grofser technischer Vollkommenheit gedruckt hat
und so dem Verfasser in seinem Streben nach Übersichtlichkeit zu Hilfe
l^oinmt- H. P. Junker.
Die Sage vom ewigen Juden. Von Professor Dr. V. Suchomel.
Programm der IL deutschen Staats-Oberrealschuie in Prag
1881 bis 1883.
Sprichwort, Dichtung und Forschung sorgen dafür, dafs der ewige Jude
nicht zur Ruhe kommt; erst in jüngster Zeit publizierte Koseggers Heim-
garten von einem jungen Grazer Dichter ein Poem, welches das alte Thema
wieder einmal in eine neue P'assung brachte. Auch die Litteratur über den
ewigen Juden hat in neuester Zeit manche dankenswerte Arbeiten aufzu-
weisen, die sich ergänzend und klärend an die älteren bekannten Arbeiten
von Gräfse und Schöbel anschliefsen. Zunächst kann in dieser Hinsicht auf
die Monographie: Le juif errant, par Gaston Paris, Extrait de TEncyclo-
pe'die des sciences religieuses (Paris 1880) verwiesen werden, in welcher das
interessante Thema in ausgedehnter und geistvoller W^eise behandelt wird.
Aber nicht nur die deutsche und französische, auch die slavische Litte-
ratur wendet sich gegenwärtig der Sage vom ewigen Juden zu und weifs
manches bedeutungsvolle Streiflicht zu derselben herbeizuschaffen. Eine
kurze, leider nur vier Seiten umfassende Abhandlung hierüber findet man
im fünften Bande von V. Jagic' Archiv für slavische Philologie (Berlin,
Weidmann 1881), die gewifs mit gröfstem Interesse von jedem gelesen wird,
der sich überhaupt für die schöne internationale Sage erwärmt. Der Ver-
fasser, A. Wesselofsky, einer der geistvollsten slavischen Philologen, hat
auch in einer slavischen Zeitschrift eine längere Besprechung der Schrift
von G. Paris veröffentliclit. Einen zusammenfassenden Überblick ülier die
21(J Prograniuienscbau.
Genesis und die uianuigfaclien Wandlungen der Sage nebst einem Hinweis
auf" die Gestaltung derselben in der Dichtung der Völker bieten die oben
angeführten beiden Programmarbeiten des Prof. Dr. Suchomel, der auch
G. Paris' Schrift noch benutzte. Der kritische Teil der Abhandlung bringt
freilich nichts Neues und erscheint überhaupt ziemlicli matt gehalten, auch
die Litteraturnachweise sind nicht nur spärlich vertreten, sondern es ist da
ein recht sonilerbarer Gleichmut vorhanden. So hätte es sich doch wohl
der Mühe gelohnt, bezüglich (ioetlies Anteilnahme an der Sage genauui'e
Daten nachzuschlagen, da sie ja leicht genug zu haben sind.
Herr Prof. Suchomel sucht auch herauszuklügeln, warum Goethe, dem
die Ahasversage von 1769 — 1775 stark im Herzen lag, von ihrer dichte-
rischen Behandlung absah und uns nur ein wenig bedeutendes Fragment
hinterliefs, und kommt dabei zu dem doch wohl wunderlichen Schlufs,
Ahasver sei keine epische Persönlichkeit, darum sei ihm Goethe untreu
geworden. Ich denke, der Gegensatz Goetlie-Fausl und Ahasver-Werther
giebt eine bessere Deutung dieses Grundes, und ganz klar hat ihn Goethe
in folgendem Distichon angegeben:
Was die Epoche besitzt, verkünden hundert Talente,
Aber der Genius bringt ahnend hervor was ihr fehlt.
Darum liefs denn auch Goethe den Ahasver liegen und schuf — den Faust.
Verdienstvoll bleibt Suchomels Arbeit aber immer und interessant für den
Forscher wie für den Laien, jenem bietet sie ein dienliches Substrat für
seine Arbeit, diesem einen vollen Blick in ein reizendes Sagengewebe, an
dem die Phantasie verschiedener \ ölker durch Jahrhunderte gearbeitet und
in das hervorragende Denker und Dichter der Kulturnationen reichliche
Goldfäden mit verwoben haben.
Marburg a. d. Drau. Anton Nagele.
Französische Einflüsse bei Schiller. Von Prof. Otto Schanzen-
bach. Programm des Eberhard-Ludwigs-Gymnasiums in
Stuttgart 1885.
Diese soeben ausgegebene Schrift ist allen, die sich für deutsche und
französische Litteratur interessieren, angelegentlich zu empfehlen. Der Ver-
fasser will, wie er in der P^inleitung sagt, „nicht etwa zu den Bestrebungen
vieler Kleinmeister der Neuzeit, die selbst an dem Klassiker nichts Eigenes
und Eigenartiges mehr finden, einen neuen Beitrag geben". In Bezug auf
Schiller hält er fest an dem stolzen Wort: „Er war unser." Was diese
Studie will, ist: „an einem bestimmten Punkte zeigen, dafs und wie ein
grofser Geist das Fremde, das Ausländische aufnimmt, auf sich wirken läfst,
beurteilt, sich aneignet und abstöfst, dafs und wie dieser Einflufs sich auch
in seinen Schriften abgestaltet nach Form und Inhalt." Es soll versucht
werden, dies in historischem Zusammenhange mit Rücksicht auf Schillers
französische Lektüre darzulegen. Und dieser Versuch ist trefl'lich gelungen.
Als Schiller in die Militärpfl.mzschule aufgenommen wurde, trat er in eine
ihm vollständig neue Welt. Alles atmete hier französische Luft; denn die
Karlsscliule war ganz nach französischem Beispiel und Muster eingerichtet.
Von den Sprachen, die an der Anstalt untenichtet wurden, trat das Fran-
zösische weit mehr in den Vordergrund, als bei unseren heutigen Gymnasien
oder selbst Realgymnasien der Fall ist. Deshalb ist das Französische zeit-
lebens die einzige fremde Sprache geblieben, die er bis zu einem gewissen
Grade besafs. Von französischen Schriftstellern übte zuerst Rousseau Ein-
ilufs auf den Jüngling, ist doch auch eins seiner frühesten Jugendgeilichte
tJcm „Riesen" Rousseau gewidmet. Am zündend.sten und gewaltigsten
redet der rousseaubegeisterte Dichter in den Räubern. Karl und Franz ist
Programnienschau. 217
<]er Gc^'Ciisatz von Natur und Kunst. Auf" Ficsko ist Schiller in seinem
letzten akadeuiisclicn Semester geradezu durcli die Lektüre von Rousseaiis
Denkwürdigkeiten aufmerksam geniaclit wurden. Die Nouvelle Heloise hatte
das unveräufserliche Naturrecht des Herzens gegenüber dem Standesuiiter-
schiede verteidigt. Dei'selbe klafiende Spalt verschlingt die Liebenden in
Kabale und Liebe.
Schiller steht in seiner Jugend also unter dar Herrschaft jener welt-
bewegenden Ideen, welche von Frankreich aus in Umlauf gesetzt worden
waren. Sie hat der Dichter angenommen, „aber zum Dichter haben sie ihn
nicht gemacht ; was die 'jiou]ais betrifit, so tritt Schiller von Anfang an
selbständig in die Bahn und verfolgt als ein königlicher Genius mit Sieger-
schritt seinen \A'eg".
Dies wird des weiteren vom Verfasser in klarer und geistreicher, zu-
gleich streng philologischer Weise (im Don Carlos sind eine Reihe von
(jallicismen nachgewiesen) an den späteren Werken Schillers und dem Ein-
flufs Montesquieus, Diderots u. a. dargelegt: „Nicht immer, wo wir eine
P^ntlebnung vermuten oder wo wir selbst entlehnen würden, entlehnt der
Genius: wo er entlehnt, ist er so grofs im Nehmen wie im Entlehnen; trotz
des Nehmens und in der Art des Nehmens ist er originell; bei allen fran-
zösischen Einflüssen ist und bleibt Schiller eben — Schiller."
Iserlohn. Dr. Kosten
M i s c e 1 1 e n.
li o s e n k r a n z -Predigt.
Herausgegeben von Ludwig Fafsbender.
Folgendes Stück geistlicher Beredsajnkeit des vorigen Jahrhunderts ist
kulturhistorisch und litterarisch nierkwüidig an sich sowohl als auch da-
(luich, dafs es zeigt, dafs »Schiller wohl einmal Gelegenheit gehaht hat,
Abraham a Sancta Claras Reiiestil auch von der Kanzel herab zu hören,
ehe er seinen Kapuziner auf die Bühne brachte.
Die „Kosenkranz-Predigt" wurde wahrscheinlich bei Gelegenheit einer
Procession unter freiem Himmel an das „honete" Landvolk und, wie das
Titelblatt besagt „allen Ernstes gehalten zu Bogenhausen nächst München,
den 3. Oktober 1771) von dem sogenannten Wiesenpater aus Ifsmaning"
und von dem Verfasser gewidmet „der churfürstlich-baierischen gelehrten
Gesellschaft zur Beförderung der geistlichen Beredsamkeit und Katechetik
in München."
Die vorliegende dritte Auflage (1783. München bei Johann von Crätz)
beweist, dafs sie nicht allein das Bedürfnis der Hörer befriedigt hat, son-
dern auch wohl, dafs sie gebildeten Katholiken und Protestanten (mir ist
sie aus dem Nachlafs eines evangelischen Geistlichen in die Hände gefallen)
„auferbaulich" gewesen ist. Über den sogenannten Wiesenpater aus Ifs-
maning etwas in Erfahrung zu bringen ist mir bis jetzt nicht gelungen.
Eine Charakteristik desselben wie auch seiner Zuhörerschaft giebt die Predigt
selbst zur Genüge.
Vorspruch.
Der H. Rosenkranz überg'wältigt d'Höllen-Schanz.
Eingang.
Ja, ja, es ist schon so, honetes Landvolk, liebe Christen! es ist schon
so, der H. Piosenkranz überwältigt die Höllen-Schanz. Der H. Rosenkranz
ist die wahre Teufelsgeissel, der H. Rosenkranz ist die scharfgeladue Seelen-
Pistolen wider alle Afifechtungen, der H. Rosenkranz ist der sichere Keder
der allerheiligsten Mutter Gottes, mit dem Sie die Menschen, welche Sie
damit verehren, aus der stinkenden Pfitzen des Teufels in den Himmel
binaufangelt. Er ist ihr scharf-schneidend damafzierter Säbel, mit dem sie
der höllischen Schlang den Schweif abgehauet hat. Schleift's ihn brav,
schleift's ihn brav! liebe Christen! haut's zu damit auf den Teufel, haut's
zu damit in eurer Jugend, dafs er euch eure Unschuld nicht nehmen kann,
haut's zu damit in eurem ledigen Stand, dafs er euch nicht, als wie'n Davidl
Miscellen. 219
ziini Ehebrecher macht, haut's zu damit auf eurem Todt-Beth, dann da
wird er puch am ärgsten zuesetzen. Merkt's auf, ich will euch ein Exempl,
fjar ein schön's Exempl will ich euch erzählen, was der Teufel auf dem
Todt-Beth, sogar bey die heiligen Leuten für Spitzbuebereyen treibt: Einer
11. Äbtissin von der H. Clara seind bey ihrem Todt-Beth so viel Teufel'n
erschienen, als Bäum im nächsten Wald drausen seind. Was thuet die H.
Äbtissin? <len H. Rosenkranz hat's in die Hand g'nommen, hat die Muetter-
Gottes ang'ruefen. und — — — da schaut's her, die H. Engel seind vom
Himmel kommen, ein jeder 'einen H. Rosenkranz in der Hand. Was haben's
gethan damit? auf Teufel'n haben's damit zueg'schlagen, und haben's alle
zum Flunder g'jagt. Noch eine andere H. Äbtissin hat 7 Ampeln um ihr
Todt-Beth herum angezent, um von teuflischen Versuechungen unangefocht-
iier zu bleiben, was geschieht? der Teufel löscht ihr alle 7 Ampeln aus,
die H. Äbtissin aber greift nach dem H. Rosenkranz, schlagt'n dem Teufel
in d'Fressen hinein, und jagt ihn zum Loch aus. Liebe Bauren! liebe
Christen! So merkt's euch also, und last's euch nicht vom H. Rosenkranz,
er ist unsre beste Haus- und ISeeTn Arzteney, es wird euch wohl thuen auf
der Reifs in d'Ewigkeit, wenn ihr euch, als wie der Fuhrmann mit der
Geisel, einen offnen, sichern Weeg vor'n Teufel damit verschaffen könnt,
nur diese PL Seel'nmedicin lafs't in euren Hausapadeckl nicht ausgehen,
Frobatum est, es helft, es reinigt euch von euren Sünden, wie das beste
Trankl aus der himmlischen Hofapadecken. Aber, meine liebe Christen !
auf einmal hilft euch diese obwohl köstliche Medicin nicht, öfters, alle Tag
müest ihr's brauchen, ihr müest auch unter dieser H. Kuhrzeit bisweilen
ein (iewissenslaxaliv, eine H. Beicht vornehmmen, diese kostbare Goldtinc-
tur der H. Christ-Catholischen Kirchen müejit ihr nicht verabsäumen^ wenn
Spöttler und Frevler sagen, es nutzt euch nichts, kehrt's euch an die Spitz-
bueben-G'sichter, an die freigeisterische Höllen-Hund nicht! hört viehnelir
den H. Augustin: die hellijie Beicht, sagt er, soll man mit denen Nägl'n
aufkratzen, und wenn's tausend Klafter tief in der Erde vergraben war, mit
Fickel und Schaufeln, sa<:t er: solls man's ausgraben, und wenn's eine ganze
Meil VVeegs tief eing'maurt war. O heilige Beicht! o heilige Goldtinctur!
o heilige Seelens-Reinigung ! du bist das bewärteste Hausmittel wider alle
Nachstellungen des Teufels, und aller seiner Schelmer-schlachtiger Anhänger,
dan dafs solche Menschen, solches Lumpeng'sind, das wider die heilige
Beicht, wider diese heilige Arzteney schmelt, um keinen Schuehadern besser
seynd, als der Teufel selbst, sagt der H. Bernhard «rar schön : Ex patre dia-
bolo estis, sagt er, zu teutseh : ihr seid aus dem Teufel eurem Vater. Die
heilige Beicht, un<i den heiligen Rosenkranz last euch nicht nehnnnen, liebe
Christen! aber ihr habt halt niclit alle Tag Zeit, sagt ihr? nicht Zeit? aber
Schniderhipfel, aber Sausangl könnts singen auf d'Naoht, mein! lasFs den
Pfiferling seyn, und bett's dafür einen Rosenkranz, dan der überwältigt
d'Höllen-Schanz. Zum Beweis will ich euch ein gar auferbauliches Exem-
pel erzählen: In einem gewisen Frauenkloster ist einmal eine gewise Kloster-
frau gewesen, und die ist Portnerin worden, und da ist alleweil ein junger
Geistlicher dazuekommen, Sie haben von Anfang weiter nichts Böses im
Sinn g'habt, aber wie's halt geht, wenn man's Feuer zum Stroh legt, der
Teufel ist halt ein Schölm, man darf ihm halt nicht trauen, denn schaut's,
nachdem's so eine Zeitlang b"ständig zusammen kommen sind, verlieben Sie
sich endlich gar ineinander, und was g'schicht? er ist jung gewessen, Sie
ist jung gewessen, Sie entschliessen sich also mit einander auf- und davon
zu gehen. Das ist schön, das ist brav! ich wünsch Glück auf d'Reifs, und
ein schön's Wetter auf'n Puckel, das wird ein schönes Leben werden, Sie
eine Klosterfrau, er ein Geistlicher, dafs Gott erbarm war das ein Geist-
licher, war das ein Klosterfrau! und wo werden's dan hingehen, ins Luter-
tlium hrtlt, was Werdens anfangen ■!* dÖrft's ia nicht zweifeln, ein Lueder-
Leben halt, ia, ia, es ist schon so, Sie seynd würklich miteinander zum
220 Miscellen.
Klunder gangen, sieben ganze Jahr seinds miteinander in der Welt lierum-
vagiert, endlich hat der geistlose Geistliche sein saubere Klosterfrau (ver-
zeih niirs (iott ! ich liätt's lit'ber einen Sihlepsack g'ncnnt) sitzen lassen,
und ist ihr auf und davon. Bedank niichs' Truncks, wie wirds ihr ietz
gangen seyn? Könnt's euch's wohl einbilden, wie es bey einem solchen
Pack gehet, Sie hat halt ihre Fleisch-Bank aufg'schlagen, und hat von ihrem
Körper g'lebt; Pfui der Schand ! ist das ein ISauleben ! aber wart's nur ein
Bisel, wir müessen uns nicht übereilen. Merkt's auf, was gscheihen ist.
Auf d'letz hat Sie sauber gar nichts mehr g'habt, weil Sie ihr mit ihrem
Sau- Hand 1 nichts mehr hat verdienen können, dan durch ihr Lueder-Leben
krank worden, und in ihrer Krankheit ist's endlich zum Kreuz g'rochen.
So gehts, wenn man nicht mehr biedern kann, fangt man s'betten an. In
Gott's Nahm, wenn's nur nicht bisweilen schon z'spatt war. Aber die An-
dacht der H. Rosenkranz lüegt halt selten, und dieser Andacht ist die gute
Beatrix (so hat diese Klosterfrau geheissen) alleweil ergeben gewessen, und
sogar wi's durchgangen ist, so hnt's ihre Schlüssel der Mutter Gottes un-
ter'n Kreuz ang'henkt, und g'sagt: Meine liebe Muetter Gottes, ich hab dir
bis dato treulich gedient, aber ietzt, kann ich nicht mehr, versieh du meine
Portner-Dienst, ich kan's einmal nicht mehr versehen. Und die Muetter-
Gottes ist ihrem Begehren auch getreulich wilfahren, hat die Portner-Dienst
die ganze Zeit, die unsere Beatrix ausgewessen ist, fleisig versehen, dan
nachdem unsre Land-Streicherin wieder g'sund worden ist, hat Sie sich ent-
schlossen, wieder in ihr Kloster zurückz'kehren, und wie's beym Kloster
ang'langt ist, geht's zu der Porten hin, in Willens, sich durch Portnerin
bey der gnädigen Frau melden z'lassen, und um eine heilsame Straf zu
bitten, und Besserung ihres Lebens zu versprechen. Aber o Wunder über
Wunder, wie die Portnerin die Thür aufmacht, überfahlt unsre Büesserin
ein Schrecken, und ein Schauder, dafs Sie nicht mehr g'wust hat wo Sie
ist, die Portnerin aber geht auf Sie zue, und sagt: meine liebe Schwester,
meine liebe Beatrix, sey ohne Sorgen, es weifs im ganzen Kloster kein
Mensch, dafs du so lang ausg'wessen bist, ich hab unterdessen dein G'stalt
angenohmmen, hab deinen Habit angelegt, und deine Dienst versehen, nihm
jetzt deine Schüssel wieder zu dir, leg deinen Habit an, es wird dir kein
Mensch kein Haar krümmen, sey künftighin frömmer, bett' fleisig deinen
H. Rosenkranz, und sey wieder meine Dienerin wie zuvor. Beatrix ist über
diese Reden voller Erstaunen g'wessen, hat der Muetter Gottes alles ver-
sprochen, und auch fleisig g'halten, und ist endlich im Ruhm der Heiligkeit,
als eine strenge Büesserin gestorben, und hätt von der ganzen Sach kein
Mensch nichts g'wust, wenn Sie es nicht selbst auf ihrem Todt-Beth ihrem
Beichtvater einem heiligmässigen Dominicaner eröffnet, und ihm gebetten
hätt, er soll es kunnt, und offenbar machen. Meine liebe Bauren! wie
g'fahlt euch dieses Exempl? Müest ihr nicht blind seyn? wenn ibrs noch
nicht einsehet, wenn ihr noch nicht überzeigt seyd, dafs der heilige Rosen-
kranz überwältigt d'HöUen-Schanz.
Ich beweise es euch aber weitläuftiger in denen zwey Theilen meiner
Predig, und siig, ohne Beicht, und Rosenkranz giebts kein reines G'wissen,
das werd ich euch zeigen in dem ersten Theil.
Ohne reines G'wissen giebts kein Himmel und keine Glückseeligkeit ist
mein zweyter Theil, mit Beystand der Muetter Gottes und des heiligen
Rosenkranz fang ich an. Jetzt setzt eure Hüett auf, dan es scheint d'Sonn
gar stark, ich schwitz selbst rechtschafen, und mufs mich ein bisl abtrück-
nen, dan es ist heut g'waltig warm.
Erster Theil.
Mein! sagt's mir, wenn einer von euch ein neues Haus baut, nicht
wahr? so baut er eine Küchel, und einen Kamin auch drein, der Kamin ist
Miscellen. 221
vom Anfang Schneeweis, aber wenn man ein Feuer aufmacht, wenn man
Küechel, und Nudehi kocht, wenn man b'ständig sied't, und brad't, wie lanc
daurt's, dafs der Kamin weis bleibt? Wird er nicht ruessig, wird er nicht
rauchig? gelt's ia? braucht man also kein Kaminfeger? ich glaub io.
So ist's mit dem G'wissen auch, wenn niemand sündigt, darf niemand
lieichten. Man braucht keine Beiclit, sagen die jetzige säubern Modi-
Pfaffen (ich hätl's bald luterische Prädikanten geheifsen) ia habt's recht,
ihr super -g'scheide Herrn, habt's recht, man braucht keine Beicht.
Aber s'Sündigen, aber d'Höll müest ihr auch abbringen, dem Teufel müest
ihr's s'Sünden-Register z'reissen, damit er's auf dem jüngsten Tag nicht zu
eurer eignen Schand aufzeigen kann. O mein Gott! ich kan mir's gar nicht
einbilden, was s'jetzt für aufgeklärte Ochsenköpf giebt, wie eselhaft als Sie
daherreden, das Beichten ist nur eine aufgebrachte Pfaffen-Histori, ist nur
ein Kuttenschwenk, sagen's. O ihr unverschämte Stock-Fisch 1 Zungen soll
man euch rausreissen. So seind also alle Mönchen, alle Gei^stliche Spifz-
bueben? alle .Jesuiter Spitzbueben? alle Franciskaner Spitzbueben? alle
Augustiner Spitzbueben? O! ihr Lästermäuler! ihr seyd Spitzbueben, ihr
seyd Teufels-Zungen, ihr wollt die heiligen Orden verachten, die die heilig-
sten, die geiertesten Männer aufz'weisen haben, die sich an allen Enden und
Ecken der Welt haben martern lassen für den heiligen Römischen, Christlichen,
Catholischen, Apostolischen alleinseligmachenden Glauben, die schwitzen und
schwaisen im V^'einberg des Herrn, die alles im Weinberg wieder aufbauen,
was ihr mit euren unreinen Gosch'n umwüehlt, aber wart's nur, es wird
einmal eine Zeit kommen, wo ihr froh seyn wurd, wenn ihr nur ein solchen
Spitzbueben (wie ihr's jetzt nehnt) haben könnt, da werd't ihr daliegn auf'n
Todt-Beth, als wie Tropfen, da werd't ihr zitter'n, als wie die nassen Budl-
hund. Wenn man's Sterben halt probieren dürft, so wär's noch ein leichts,
aber zwey Seel'n hab'n wir halt nicht, als wie zwey Kugl beym Langaus-
scheiben, da schad'ts freilich nicht, wenn man eine an d'VVand würft, man
kann auf die letz auch noch schon was scheib'n, wir hab'n aber halt nur
ein Seell, ein einzige Seell hab'n wir, ist die hin, so ist das ganze Spiel
verlohren, und nutzt kein Setzen auf's neu auch nimmer, einmal verspielt,
ist allemal verspielt, ich bitt euch also, seyd's nicht so dum, und wider-
strebt's der erkannten Wahrheit nicht, was nutzt's euch, wenn's euch ein-
mal reuen thuet? und wenn's darnach z'spat ist, werft's die Teufelsbüecher
weeg, die euch der Satan selbst aus der Höll rauf in d'Händ spielt, bett's
dafür einen H. Rosenkranz, damit ihr die Gnad der H. Beicht erlangt,
damit ihr euer (»ewissen reinigt, dann ihr glaubts nicht, was durch den PL
Rosenkranz schon für Wunderwerk geschehen seind. Ich hab erst vor-
gestern ein Exenipel g'lessen, ich hab's mit Fleis zweymal g'lessen, damit
ich's euch recht ordentlich erzählen kan, das Buch m dem ich's g'lessen
hab, hat ein gelehrter Jesuiter mit Nahmen Marquart Otto g'schrieben, ich
sag halt allemal, wenn man ein schön's, ein gelehrt's Buech lassen will,
muefs man halt ein Buech von einem Jesuiter lessen, dan die seynd die
Männer, denen wir die Erhaltung des Christ-Catholischen Glaubens zu dan-
ken haben, und wir därfen betten, was kreuz möglich ist, das unser Herr
Gott wider herunter regnen last mit dem Thau des Himmels, und das er's
aufwachsen last, als wie d'Schmalzbluemen auf'n Feld. Aber ich hab euch
ein Exerapl versprochen, so gebt's also acht, und merkt's wohl auf: Ao.
1540 crad um die selbe Zeit, wie der sauber Martin Luter (Martin Lueder
soll man sagen) mit seiner braven Klosterfrau, oder Renn-Sau seine teuf-
lische Lehren um und um ausgesprengt hat, grad um dieselbe Zeit ist's
g'wessen, dafs sich halt alles wider'n Pabst aufg'wickelt hat, und hab'n den
heiligen Stadt-Halter Jesu Christi glatt z'grund richten wollen, dort ist's
halt auch so sauber zuegangen, als wie jetzt, denn heut zu Tag giebts
gnueg, die den Pabsten schlechter, als einen Kuchel-Bueben halten, Sie
fressen Frey tag, und Sambstag Fleisch, wenn's ein Spanfackl haben, ha!
222 Miscellen.
fressen wir's halt auf'n Freytag auf'n Pab?ten sein G'sun<lheit, Sie fressen
anthen, und Ganfs, ilein G'sundheit Pabst! ein solches Gebäck hat's halt
selbenmals auch geben, und da haben die grossen Herrn selber dazue g'hol-
fen, und haben eine Macht von fünf-nial-hundert-tausend Mann zusamni
bracht, haben sich wider'n Pabsten gVicht, der Pal)st hat bey allen Christ-
lichen Machten Hilf g'suecht, aber kein Mensch ist ihm beyg'^tanden, er
hat seines Leid's kein End g'wust, geht endlich in sein Schlafkavinet, bett
einen H. Rosenkranz, und bitt d'Mutter-Gottes um Hilf, und Rath, drauf
gebt er in die Kirchen, legt sich mit dem Kopf auf'n Altar, und fangt zu
schlafen an, und da traum't ihn, dafs ihm die Türken, und Mohren zu Hilf
gekommen seind, und haben seine Feind überwunden, über eine kurze Zeit
ist er aufg' wacht, und hat seinen Traum überlegt, hat an den König der
Saracener, und Abidiner dem Mohren-König, geschrieben, Sie sollten ihm
zu Hülf kommen. O! mein Gott! O! mein Gott! wie schlecht sieht's mit
dem Christenthum aus, wenn Türken, und Haiden dem Stadthalter Jesu
Christi zu Hilf kommen müessen, da ist's aber halt doch schon so g'wessen,
der Abidiner ist auf einer Seithen, und der Saracener auf der andern mit
seinem Kriegsheer herausgezogen, und der Pabst hat eine Proce>sion ang'-
stehlt, und hat selbst s'Kreuz dabey vorangetrasen, und so seind Sie dem
Feind entgegen gezogen, und haben ihn in d'Flucht g'jagt, und das Feld
erhalten, die ganze Macht der Saracener, und des Moliren-Königs, sammt
des Pabstens seiner ist nicht der lOte Theil von denen andern ihren Kriegs-
heer g'wessen, und doch hat der Pabst mit dem heiligen Rosenkranz mehr
ausgricht, als die andern mit ihre fünf-m;d-hundert-tausend Mann. Ist das
nicht Sonnenklar? ist das nicht augenscheinlich? kann man noch mehr Prob
verlangen? wie nützlich des heiligen Rosenkranz ist? aber noch nicht genueg,
die Mohren habens selbst g'sagt, man soll ihnen doch sagen, wer denn die
fremde Soldaten g'west seind? die wehrender Batalie durch den Luft daher-
g'flogen seynd, und sich zu ihnen g'schlagen haben? Diese haben Sie g'sagt,
haben g'fochten, als wie die Riesen, und kaum das die Schlacht aus ist
g'wessen hat man keinen einzigen mehr davon g'sechen. Das meyn' ich
war so ein Mirackl, dafs der Mühe abthuet, und es ist halt dennoch so
g'wessen, dan wenn's d'Mohren einmal sagen, so meynete ich man dörfts
wohl glauben. Jetzt könnt iiir euch leicht vorstellen, was der Pabst über
diese Nachricht für eine Freud wird g'Labt haben, was für ein Trost es
für ihn muefs g'west seyn, dafs ihm die Muetter Gottes so augenscheintlich
geholfen hat. er war aber auch ein Mann, der es verdient hat, er ist ein
frommer, geistreicher heiliger Mann gewest, und ein naher Anverwandter
von dem jetzigen glorreich-regierenden Pabst, welcher ein Peregrinus Apo-
stolicus ist, und Gott sey gedankt, so gern, als es einige sehnten, und troz
allen Lugen, die von seinem Tod ausgesprengt werden, wider g'sund ist,
und wenn's Gott's Willen ist, noch lang gottseelig und Christlich regieren
wird. Dan ich hab selbst die Cntholische Zeitung von Augsspurg g"lessen,
wo's drin stehet, dafs er, Gott Lob! wieder recht frisch, und wohl auf ist.
Da kan man's gleich sehen, wie's mit dem Christenthum stehet, vor Zeiten,
ich denks selbst noch, als ein kleiner Bue, wenn man nur von weitheu
g'hört hat, dafs der heilige Vater, der Pabst nicht recht wohl auf ist, hat
man in allen Haushaltungen für sein lieben G'sundheit bett, itzt, ha! was!
was ist darnach? heist's, wenn er auch stirbt der Pabst, ist grad als wenn
man eine Fensterscheiben naus stöst, da giebt's wieder einen Gregory für
Pfaßen ab, hab'n Bettschwester auch ein Freud, wenn's ein neu's Jubiläum
abgiebt. So! ist's nur ein Gregory für Pfail'en? ist nur ein G'spas für
Bettschwestern? wenn die heilig Römisch-Catiiolisch Apostolisch Kirch, den
Gnaden Schatz Jesu Christi eröffnet, wenn ein jeder Priester die hohe Gnad
erhalt alle Sünder, und Sünderinnen von dem Gwalt des Teufels zu be-
freycn, und ein Kind Gottes daraus z'machen? Mein ! sag mir einer, als
ilim alles eins war, wenn er einn Schlange bey ihm müest im Bett liegen
Miscellen. 223
lassen, oder ein Liini')!':' n'iAn wahr, ein jeder wird sagen, ich will mich
lieber zum LambI als zu d'Schhingen legen, glaub euchs gern auch, mir
war auch nicht änderst, aber, was ist den ein Casus Reservatus, oder eine
solche Sund, die nur d'Pabst allein auflösen kan? ist's ein LambI, oder ein
Schlangen? Ich glanb halt s'letzt. Ist's also nur ein Gspas, nur ein Gre-
gory, wenn man von einem so abscheulichen Thier befreyt wird? \A'as mich
aber am besten ärgert, das ist, dafs grad solche Leut, die's am notwendig-
sten haben, dafs's aus ihrem Sünden\Vüest rausz'ogen werden, und die fast
alle acht Tag ein neues Jubiläum braucheten, für die man den ganzen
Gnaden-Schatz allein verschwenten durFt, dafs grad solche seynd, die am
verächtlichsten, am spöttlichsten von die heiligsten Sachen reden, aber das
ists halt ein solches Juden-Gepack, von dem unser Erlöser am Kreuz noch
ehe er g'storb'n ist, g'saot hat, Herr verzeich ihnen, dan Sie wissen nicht
was Sie thuen, wahrhaftig, die wissen nicht, was's thuen, aber sehen könn-
ten Sie's, dann ihre Laster seynd so patzat, dafs man's mit Händen grei-
fen kan.
Aber was soll ich mich da lang mit solche Lumpen-Rerirn aufhalten?
die Waar ist nicht werth, dafs man d'Zeit damit vertragt, was mich nicht
brennt, das blas ich nicht, heist das alte Sprich-\\ ort, aber auf die alten
Sachen halt man freylich letzt nichts mehr, ja ! es ist mein n'aid so, ich
will gleich eine Prob mit dem Sprichwort, was dich nicht brennt, blas nicht,
machen, mein! sagt's mir, was wurdt'st g'sagt haben, wenn's zu derselbigen
Zeit glebt hätt, wie die H. Judith ihr lieb's Vaterland von dem grausamen
Hollofernes befreyt hat? ich will aber d'Sach euch so vorstellen, wie's in
der That g'west ist, der Hollofernes ist mit seinem Kriegshecr für d'Stadt-
Mauren g'rückt, in der die H. Judith (was nutzt, wenn ich euch d'Stadt
auch nelm, ihr vergest's so gleich wieder) gleb't hat, und weil er ein schlauer
Mann g'west ist, so hat er wohl eing'sehen, dafs sich d'Stadt so leicht nicht
ergeben wird, er geht also her, und lafst alle Wasser-Teichen, die in d'Stadt
gangen seynd, abgraben, dafs in der Stadt eine solche Wassers-Noth ent-
standen ist, dafs man das wenige Wasser, dös man bey der Stadt g'hahit
hat, obrigkeitlich s'Tags zweymai hat austheilen lassen, und das ist allezeit
geschehen in der Frühe um 6 Uhr, und auf d'Nacht um 6 Uhr, und da hat
ein jeder nur so viel griegt, als er braucht hat, damit man die armen klei-
nen Kindel'n hat ein Müesl kochen können, und die andern Leut haben
schaugen können, wo's gleichwohl hab'n etwas z'trinken griegt, die H. Judith
hat das Elend der armen Burgerschaft, und anderer armer Leuten nimmer-
mehr ansehen können, und hat sich destwegen auf ihre Knie niederg'worfen,
hat Gott und Muetter Gottes mit einem andächtigen H. Rosenkranz ver-
ehrt, und hat gebethen, dafs unser Herr Gott, doch eine Aenderung machen
möcht, darauf fallt ihr ein, Sie will selbst ins Lager nausgehen, und will
schaugen, obs n' Hollofernes nicht persuadieren kan, dafs er von der Stadt
abzieht. Sie ist also hergangen, hat sich auf 3 Tag mit Proviant versehen,
und ist zum Hollofernes ins Lager n'aus, der Hollofernes, wie er d'Judith
hat z'sehen griegt, hat er sich gleich in Sie verliebt, dan d'Judith ist gar
eine schöne Frau g'west, und der Hollofernes ist ein Erz-(iaisbock g'west,
wenn er ein bisl ein sauber Weibsbild g'sehen hat, wie halt d'Soldaten seynd,
und da hat er glaubt, es braucht weiter nichts, als dafs er's zu seiner
Matres macht, aber anpumt Herr Pfarrer, es ist ganz anders gangen, er
hat's gleich zu ihm kommen lassen, und da ist er auf einen 3 Stafl-hohen
Thron g'sessen, und um und um seynd Officier, und Soldaten g'sessen, und
g'standen, der Judith aber hat er einen Sessel geben lassen, und hat ihr
g'sagt Sie soll sich zu ihm hinsetzen, mein! dafs wir aufs wenns dich nicht
brennt, so blas nit, kommen, was hätt ihr dazu g'sagt, wenn einer von euch
mit d'Pfeifen im Maul einen Soldaten a so über d'Axel eineg'schaugt hätt?
nicht wahr? ihr wurd halt g'sagt hab'n, das ist mir auch schon die Sauber,
das ist auch eine rechte Soldatenhuer, aber nein, mein lieber Brueder! das
224 Miscellen.
ist kein Lueder, das ist kein Wild-Sau, es ist die H. Witiifrau, es ist die
H. Judith, Schau! solche Mäulcr habt's, gleich über d"Sacb raisoniert ohn
allen Grund, Pfui, Schaiuts euch, ihr AJaul-Aufreisser, und überlegts d'Sach
zuvor, ehe ihr gleich drüber s'schreyen anfang, ich weis wohl dals's letzt
so der Braucht ist, aber das ist ein Sau Brauch, thuet ihr doch sonst nicht
alles was der Brauch ist, warum dann iJa hernach? letzt will ich euch aber
d'Historie gar auserzählen, der Hollofernes hat mithin die H. Judith g'fragt,
was ihr Begehren ist, dafs Sie sich hat ins Lager herausgewagt, so hat ihm
dann die H. Judith g'sagt, Sie hat ihn so loben g'hört, dafs er ein so
braver Herr ist, und mitbin hat's ihm bitten wollen, er möcht doch der
Stadt, und dem Land verschonnen, der Hollofernes hat, ihm denckt, da
lafset's sich im Trüeben fischen, und hat der H. Judith g'sagt Sie soll auf
d'Nacbt in sein Zel'n zu ihm kommen, er will sich unterdessen b'sinnen,
was er thuen will, was g'schicht? die H. Judith verspricht ihm, dafs s'auf
d'Nacbt fleifsig kommen will. Wann mich nicht die H. Schrift selber be-
lehrete, was vorgangen ist, so schwindlete mir jetzt selber ein bisl, aber
Bibel hilft mir aus dem ganzen Traum, dan da steht drin, dafs die H. Ju-
dith zwar die ganze Nacht, bis gegen den anbrechenden Tag beym Hollo-
fernes in der Zel'n g'west ist, aber dafs man weiter nichts Unrechtes ver-
muthen darf, indem sich die ganz Sach dem andern Tag Sonnenklar gezeigt
hat, und hat sich d'Sach kürzlich so verhalten, d'Judith ist in der Frühe
gegen 3 oder halbe 4 Uhr aus den Hollofernes seiner Zel'n rausgangen,
kein Soldat hats weiter nicht aufg'halten, weil's glaubt haben, Sie ist ihres
Feldherrn sein Matres, mithin ist Sie unanfg'halten in (l'Stadt hineingangen,
hat ihren Ranzen, in den's ihr Proviant g'habt hat, auf'n ßuckl mittragen,
aber wie's in der Stadt drin ist g'wessen, hats iliren Ranzen ausglart, und
was meynts, dafs drin hat g'habt? ich will eueh's kurz sagen, s'Hollofernes
sein Kopf hat's drin g'habt, dan bey der Nacht, wie er g'schlafen hat, hat's
ihn den Kopf mit seinen eigenen Schwerdt abg'schnitten, hat'n mit ihr in
d'Stadt hinein tragen, an ein Stangen ang'spiest, und auf d'Stadtmauer
g'steckt, wie's Tag ist worden, haben dSoldaten alleweil g'wart bis der
Feldherr aufsteht, aber da mag der Teufel aufstehen, wenn man kein Kopf
hat, endlich seynd's halt in d'Zell'n hineingangen und haben ihro Excellenz
Herrn General in seinem Hochgräflichen Bluet daliegen sehen, was das für
Jammer, und Getöfs g'wessen ist, könnt's euch schon einbilden, weil alle
so confus g'west seyn, dafs's nicht einmal g'sehen hab'n, dafs der Feind
einen Ausfahl aus der Stadt macht, und ist das ganze Kriegsheer (dan ein
Kriegsheer ohne Comandanten ist grad, als wie ein Fuchs ohne Schwaif)
dergestalten ist zusamg haut worden, dafs d'Inwohnner löO Tag grad gnueg
z'tragen haben ghabt, bis d'Beut von Schlachtfeld bracht haben, herengegeu
haben's uacher auch 150 Tilg öffentliche Gastmal g"halten, und hat also die
ganze Stadt ihre Befreyung nach Gott, und der Mutter-Gottes keinen an-
dern Menschen z'danken g'habt, als der H. Judith, und der Andacht des
H. Rosenkranzes. Ich bab euch also im ersten Theil zeigt, dafs ohne Beicht
und Rosenkranz kein rein's Gewissen giebt, letzt will ich euch auch im
zweyten Theil beweisen, dafs ohne reinen Gewissen kein Glückseeligkeit
giebt, merkt's fleifsig auf, und habt's Geduld.
Zvveyter Theil.
Kotz Gwissen und kein Ead, was der Pfaf für ein Gschrey hat da, es
meynt einer, es wär'n Himmel der Boden ein, G'wissen, Beichten, Bethen,
Beichten, Bethen, G'wissen. das ist die alte Leyr'n in einem Trum, es ist
grad, als wenn kein Mensch kein so guets G'wissen nit hätt, als wie er.
Ho! ho! seydt's nur wieder guet, und macht's mich nit u so aus, man wird
ja reden dürfen mit euch, kotz Kreutz, wenn man euch d' Wahrheit nimmer
sagen därft, so hätt ich bald g'schagt, was ich auf mein Predigen nauf tliät.
Miscellen. 225
Es ist freylich b'ständig die alte Leyr'n aber es nutzt halt doch nichts,
wenn man euch die neniliehe Wahrheit sied't, oder brad't, ihr lafst d'Wahr-
heit, Wahrheit seyn, und thuet doch, was euch freut, und wenn man's euch
sagt, so heist's man schreyt, da kunt wahrhaftig ein Capnziner scheltend
werden, aber da frag ich nichts darnach, ich mach meine Schuldigkeit,
exsplicier euch d'Sach, ob ihr's hernach thuet, oder nicht, ist mein g'ring-
ster Kummer, bey euch dürft man alleweil schreyen und predigen, es
war doch alleweil der alte Hadern, her und gegen därft's euch einmal
nicht aus reden auf mich, unser Herr Gott wird sagen s'klein Pfafl hat
euch's redlich, und treulich g'sagt, aber ihr habt ihm nur ausg'lacht,
und habt's trieben, was euch g'freud't hat, letzt gebt's Rechenschaft,
Redde ratione vilicationis tuae, wird er sagen, Bauer gieb Rechenschaft
von deinem Hof, es mag hernach ein ganzer, ein halber, oder ein viertel
Hof seyn, und wenn's auch nur ein Söllner, oder ein Häusler ist, Redde
ratione, gieb Rechenschaft wird er sagen, da werd ihr d'Augen aufreisen
als wie ein abg'stochener Gaisbock, da werd ihr zittern und schnaddern,
als wie Kinder, wenn's den Klaubauf sehen, aber das wird alles nichts
nutzen, hätt ihr zuvor zittert, wird's heifsen, hält ihr zuvor dran denkt,
dafs ohne reines Gwissen keine Seeligkeit giebt, hätt ihr dem Prediger
glaubt, so kunt's letzt Red, und Antwort geben, so wurds euch nicht gehen,
wies einmal einem g'wifsen Kavalier gegangen ist: der Kavalier hat sich in
Sünden und Lastern g'wältzt, als wie ein Schwein in der Kottlacken, und
obwohl ihui seine tugendsame Frau GemahHn oft ermahnt hat, er soll doch
bisweilen wenigstens in ein Predig gehen, er soll beichten, und Buefs
thuen, so hat bey ihm doch alles nicht g'frucht, sondern er hat allezeit
g'sagt, ich kan, ich mag nicht beichten, dan der Pfafl' könnt mich etwan
nicht absolviren, oder er möcht mir eine gar zu grofse Buefs auf-
geben. Seine Ehegemahlin aber gab ihm allemal darauf zur Antwort, wie?
haltet ihr dann die Peinen der HöU für leidentlicher als eine geringe Buefs
von eurem Beicht- Vater? der Kavalier sagte, meinet ihr dan, dafs es eine
Höh, einen Teufel, oder ein anderes Leben nach diesem giebt? die Pfaffen
haben's halt so erdichtet, dafs man desto mehrer Respect für Sie haben
soll. Weill also die fromme Dame g'sehn hat, dals ihre Ermahnungen bey
ihrem gottlosen Gemahl fruchtlofs seyn, so hat Sie ihn nach seinen eigenen
Willen fortleben lassen. Es hat sich aber bald darnach zuetragen, dafs,
als er ein.smals in einem Beth g'legen ist, die Teufel'n g'kommen seynd,
und ihn mit sich in d'HöU furtg'führt haben, seine gottesfürchtige Gemahlin
aber hat dieses ganze grausame Spectackel im Geist g'sehen, und weil Sie
ein fromme gottliebende Frau gwest ist, so hat Sie Gott bltt', er möcht
ihr doch offenbaren, was mit ihren unbuefsfertigen, lasterhaften Gemahl
g'schehen sey? wie's hernach den andern Tag in der Frühe aufg'standin
ist, hat Sie den ganzen Leib ihres Mannes schwarz mit einen Feuerbrand
aufn Beth liegen g'sehen, und in der Hand hat er einen Brief g'habt, in
dem ist drin g'standen: ich hab nicht glaubt, dafs's ein Gwissen, einen
Teufel, oder eine HöU giebt, ich hab Predig, und Beicht veracht, und das
hat mich zum Höllenbrand g'macht. Ich wünsch keinen von euch, daf^i's
ihm auch so geht, aber keinen Gspas dörfts deswegen nit machen, dan wer
sich an dem Prediger nicht kehrt, wer auf keine Beicht, auf kein Gwissen
nichts halt, bey dem sieht schon haarig aus, und wir haben Beyspiel gnueg,
dafs die mehrsten von solchen Leuten sauber s'Teufel worden seyn. Ich
will euch einen Beweis davon aus dem berühmten G'schichtschreiber Michael
Fux von Hernau anführen, dieser erzählt von zweyen jungen Edelleuten,
von einem tugendsamen, und einem lasterhaften folgendes. Angelicus hat
Corvinum vermahnet von seinen Sünden, und Lastern abzustehen, eine reu-
müthige Beicht und Buefs verrichten, aber Corvinus hat nur grofs G'spött
und G'spafs daraus g'macht. (Dann wird weiter erzählt, wie Coi'vinus plötz-
lich krank wird, ihm während der Krankheit in zwei aufeinander folgenden
Avrliiv f. II. S)n;i(:li..ii. LXXV. lö
22G Miscellen.
Nächten zuerst Gott der Vater und dann Gott der Sohn ersclienien, um
ihm seine ewige „Verdammnus" anzukündigen. Der Letztere wirft ihm
„zur Bestättiguno;" eine Handvoll Blut ins Gesicht. Eiligst läfst sich der
Kranke nun am dritten Tage mit den U. Sakramenten versehen, da der heilige
Geist noch „übrig" ist. Dieser erscheint auch in der dritten Nacht und ver-
kündet ihm Nachlals seiner Sünden, so dafs er selig in Gott entschläft.)
Seht's letzt, wie naliend als es dem gueten Corviims g'standen ist. Weil er
die Ermahnungen des frommen Angelicus so verächtlich autgn'ohmmen hat,
und wenn er's s'letztnial auch so g'niacht hätt, wie zuvor, so ist kein
Zweifel, dafs er nicht iuuner, und ewig brinnen und braden müeset, aber
auf das därfts euch nicht verlassen, dafs euch die 3 göttlichen Personen
selbst erscheinen werden, das ist nur eine sonderheitliche Gnad g'wessen,
dan einem jeden sitzen's nicht auf'n stüelerl da, und wenn's allezeit warten
wollt, bis euch unser Herr Gott, oder ein Heiliger erscheint, so könnt's
unterdessen zehnmal s'Teufels werden, folgt's dem Beichtvater, die meynen's
g'wifs guet mit euch, und es wird euch g'wifs nit fehlen, wenn's fleifsig
thuet, was euch die sagen; bis aufs Todtbeth darf man's guet thuen halt
nit sparen, dan der Poet sagt, qualis vita, mors est ita, wie man lebt, so
stirbt man, oder wie man Kueh auf'n Markt treibt, treibt man's wieder
davon, also verlafst eucli nicht drauf, dann wenn sich ein grofser Sünder
aufm Todtbeth bekehrt, so ist's grad so viel, als wenn eine blinde Sau eine
Eichel find't, und auf einem solchen Zuefahl möcht ich mich weiter nicht
verlassen, dan man tragt halt den Krueg so lang zum Brunnen, bis man'n
einmal zamstöst, nacher hat der G'spafs ein End.
B e s c h 1 u f s.
So seyd's also g'scheider bett's lleifsig eurem heiligen Rosenkranz, da-
mit's die Gnad der heiligen Beicht erlangt, damit's euer G'wissen rein erhalt,
und euch der ewigen Glückseeligkeit iheilhaftig machen könt, ruefts öfters
d'Muetter Gottes an, und wenn's halt nicht einen ganzen Rosenkranz betten
könnt's, so bett's halt 1 oder 2 3 Ave Maria, oder ein anders kurz Gebe-
thel, ich will euch eines lehrnen, das kurz, und doch anmüthig zu betten
ist, das soUt's aber wenigsten des Tags 2 oder 3 mal betten, wir wollen's
zum Beschlufs mit einander das erstemal betten, thuets d'Hüed't ab, bebt's
d'Händ auf, und sprächt's mir fleifsig nach:
Heilige Muetter Gottes mein !
Lafs mich doch dein Scliutzkind seyn
Steh mir bey in aller Noth
Sowohl im Leben, als im Todt.
Sey du mein Hilf, sey du mein Schutz,
So bietil' ich Welt, Fleisch, und Teufel truz,
Steh mir auf meinem Todt-Beth bey!
Mach mich von allen Sünden frey.
Führ mich in d'himmlisch Glory eiu
Und lafs mich stets dein Diener seyn.
Amen.
Salamander reiben.
Der Studenten-Ausdruck „Salamander reihen" ist odenbar einer der
vielen Ausdrücke, welche im Laufe der Zeit zufällig oder absichtlich bis
zur Unkenntlichkeit verstümmelt worden sind. Den Eitidruck mufs man
sofort bekommen, wenn man si>h bestrebt, auf den Ursprung zurückzugehen,
die ersten Anfänge zu ermitteln, und von jeher sind die verschiedenartig-
sten Deutungversuche beliebt worden. Aber besonders kam die Frage des
Salamandencibens wieder lebhaft in Flufs, seitdem Professor Dr. Uhrig iu
Miscellen. 227
Miltenberg im Jahre 1884 einen Aufruf zur Lösung derselben erliefs, Eine
Unmasse Versuche ging binnen Jahresfrist ein, und Uhrig veröffentlichte
dieselben gesichtet, auszugs- oder andeutungsweise, indem er sodann seine
eigene Ansicht als „Lösung" anschlofs.* Diese unterschied sich von den
meisten früheren, oft sehr flachen Deutungen wesentlich dadurch, dafs nach
Victor von Scheffels Vorgange bedeutsam auf die altdeutsche Zeit zurück-
gegriffen ward. Besonderes Gewicht ward hierbei auf das „Reiben" gelegt,
indem dies auf die germanischen Opferbräuche und die Gewinnung des hei-
ligen Reibfeuers (Notfeuers) zurückgeführt ward. Ob die Uhrigsche „Lö-
sung" thatsächlich eine gelungene, andere Ansichten ausschliefsende genannt
werden kann, mufs ich dahin gestellt sein lassen. Mir scheint sie das Rich-
tige berührt, aber nicht vollständig getroffen zu haben; denn nach meinem
Dafürhalten ist das Bestreben, eine nähere Verbindung zwischen dem Reib-
feuer und dem Rlinnetrunke nachzuweisen, und vor allem der Versuch, den
Ausdruck „Salamander" aus persisch-arabischem Einflüsse zu deuten, als
gescheitert anzusehen. Diese ganz objektiven Erwägungen haben mich be-
stimmt, vorläufig bei meiner bisherigen Ansicht, von ührig „Minnesalz-
Theorie" getauft, stehen zu bleiben. Schon 1882 gab ich in den St. Galler
Blättern** (S. 31) diefem meinem Gedanken Ausdruck in einem Aufsatze,
welcher viel Anklang fand und jetzt unter bedeutender Umarbeitung und
teilweiser Anknüpfung an Uhrigs Abhandlung der vorliegenden Arbeit als
Grundlage gedient hat.
Victor von Scheffel spricht in seinem „Ekkehard" (Anmerkungen) die
Vermutung aus, dafs das „Salamander-Reiben" einen Anldaiuj an altheulni-
.sche Tj-anJiopfer enthalte, und weil die Entstehung jener einzig in der
Burschenschaft haften gebliebenen Sitte nicht erst in diesem Jahrhundert
denkbar zu sein, sondern viel eher in unbekannter, sogar fei-nster Zeit zu-
rückzuliegen scheint, so könnte Scheffel in der That das Richtige getroffen
haben. Dies führte mich zu einer näheren Betrachtung der alten Weih-
(Opfer-)Bräuche, und schliefslich reifte der Gedanke in mir, dafs „Salaman-
der" leichtlich aus „sal amandi" — d. i. wörtlich „Liebesalz", besser wohl
ursprünglich „Minne(Gedächtnis-)Salz — zu deuten sei, wozu dann auch
das „Reiben" sich gut eignen würde; der lateinische Ausdruck für die
deutsche Studentensitte düifte dabei nicht befremden. Leider sind die alten
Salzgebräuche zu wenig bekannt geworden, um völlige Gewifsheit erlangen
zu können. Das wenige mir N'orliegende sei zusammengestellt, vielleicht
dafs es Anlafs zu näherer Beobachtung manches bisher unbeachtet Geblie-
benen werde.
In schroffem Gegensatze zu dem Seesalze galt das der Erde entquel-
lende Salz unseren Altvordern für äufserst heilig, wie schon die ältesten
Nachrichten besagen. Die Germanen wähnten es — laut Tacitus — mit der
Gottheit Willen durch die Gegenwirkung von Wasser und Feuer oder —
nach der Edda — aus der Zusammenwirkung von Eis und Feuer, Frost und
Hitze entstanden. Von der Urweltkuh Audhumla (d. i. die Saftreiche),
welche die Regenwolke versinnlicht, und deren rote Zunge als die das Ge-
wölk durchdringende Sonne — letztere als himmlisches Feuer aufgefafst —
zu denken ist, ward aus salzigem Eishlocke der Urgott Buri (Poro) hervor-
geleckt, der Stammvater der Äsen (Ansen), der den stofflichen Riesengöttern
gegenüberstehenden neuen geistigen Götter; dieser Buri ist der Grofsvater
Odhinns (VVuotaris), des obersten Germanengottes.
* De exercitio salamandri. Von Dr. Adam Jos. Uhrig, Professor. Würzburg,
1885, Georg Hertz, Kommissionsverlag. Mk. 1,30. Das fleilsig zusammengestellte
lehrreiche Büchleia mufs allen Salamander-Freunden empfohlen werden.
** Zollikofersche Buchdruckerei, St. Gallen.
15*
228 Miscelleli.
Sinirock sagt mit Recht vom Salze: „Es dient 'überall zum Bilde gei-
sii()er Kraft und Nalivung .^'' Üo war es denn bei den Weilibietunfjen ein
wesentliches Erfordernis; wahrscheinlich ward davon in die Oplerijgur ge-
streut.* Daher kommt auch noch heutzutage die Heiligkeit des vSaizgef'äfses,
welches früher unter der feststehenden Benennung „väterliches Salzfafs" als
kostbares Stück von Geschlecht zu Geschlecht vererbt warcJ. „Heiliges
.Salz'' wird zum Teil noch jetzt vom Volke zur Weissagung benutzt. So
auch ward das Salz zur Bekräftigung von Liebe- und Freundschaftsbänden,
zur Weihung der Eheschliefsungen, sowie zur liechtskräftigmacliung von
Besitzergreifungen gebraucht. Bei Eidesleistungen tauchte man zur Erhär-
tung der Wahrheit den angefeuchteten Finger in Salz. Auch bei der heid-
nischen Taufe scheint Salz oder Salzwasser angewandt worden zu sein, wie
noch lange Zeit bei der katholischen Taufe das Salz seine Rolle spielte :
Den Kindern ward nämlich etwas geweihtes Salz in den Mund geschoben
mit den Worten: „Empfang das Salz der Weisheit zum ewigen Leben I" —
Im allgemeinen glaubte man,"dafs das Salz gegen biise Geister sichere und
Glücl: schaffe; hingegen bedeutet z.B. noch heutigen Tages ein umgestürz-
tes Salzfafs Unglück und Unfrieden, wobei man ursprünglich wähnen mochte,
dafs durch die Entweihung des zauberkräftigen Gewürzes die Unholde die
vorher fern gehaltene Macht des Schadens zurückerlangen.
Aber das Salz war nicht nur den Deutschen und Germanen heilig, son-
<lern die hohe Auflassung desselben ist mindestens indogermanisch, wenn
nicht noch allgemeiner oder gar ganz allgemein. Die Heiligkeit des Salzes
erhellt auch schon aus den Benennungen. Das lateinische ^Vort sal,
aus welchem unser Wort Salz entstanden ist, scheint einer Wurzel mit
salus, d. i. Heil (Glück) zu sein. Eine seltsame Erscheinung ist, dafs
in Deutschland, während mehrere Flufs- und Ortsnamen mit der fremden
oder halbfremden F^orm sal, salz gebildet sind, wie Saale, Salza, Salzwedel,
Salzungen, Salzburg, anderseits häufig in Ortsnamen der Ausdruck häl
(hall), entsprechend dem griechischen hals (gen. halos), in demselben Sinne
begegnet, wie die Ortsnamen Hall, Halle, Hallein, Hallstadt, Keichenhall
bekunden. Dies häl scheint in der That die volkstümlich deutsche Benen-
nung für Salz gewesen zu sein, hal wie sal bedeuten beide (nach J. Grimm)
ursprünglich ganz allgemein den „heiligen Stoß'"', und unser Wort „Heil"'
berührt sich mit dem alten hal ebenso eng wie das lateinische salus mit sal.
Die grofse Heilighaltung des Salzes entstand wohl anfänglich aus der
richtigen Würdigung von dessen Nutzen. Der Ort, wo die Salzquellen, die
salzhaltigen Flüsse, aus der Erde quollen, war ein Hal oder Halidom (Salz-
stätte, Heiligtum). „Man betrachtete — (mit Grimm zu reden) — ihren
Ertrag als der nahen Gottheit unmittelbare Gabe; Besitz der Stätte schien
blutigen Krieges wert." So kämpften Chatten und Hermunduren, sowie
später Burgunden und Alamannen um Salzquellen. „Gewinnung und Aus-
teilung des Salzes (war) ein heiliges Geschäft; wahrscheinlich waren Opfer
und Volksfeste mit dem Salzsieden verbunden." Das Sieden geschah an
geweihten Orten ursprünglich mittels Aufgusses des Salzwassers avf glü-
henden Brand ; so ward also die Gewinnung des Salzes nach alter Glaubens-
ansicht fortgesetzt, wenn nicht geradezu diese in Übereinstimmung mit jener
sich herausbildete. Die Hausfrauen (für die Sippe) und die Priesteriunen
(für die Gemeine oder den Gau) verwalteten — nach Grimm — die Berei-
* Nach Mannhardt (Baumkultus) hat sich eine Erinnerung an Salzgebraueh
bei Opfern in Vienne (Frankreich), vielleicht aus burgundischem Ursprünge, erhal-
ten : Dort besprengt der Hausvater zu Weihnachten inmitten eines grofsen, in tie-
iem Scliweigen versammelten Zuscliauerkreises einen Holzklotz, den „tison de Noöl"
mit Salz mid Wasser, zündet ihn während der drei Feste an und bewahrt ein
kSlückcheu, um es als Mittel der Abwehr beim Gewitter anzuzünden.
Miscellen. 229
tnng des Salze?, und der Salzkessel „stand unter ihrer Aufsicht und Sorge";
bei Einführung des Christentums ward das heidnisch-iieilige Amt der Salz-
bereitung auf Hexen, böse weibliche Wesen, übertragen, und der altheilige
Salzkessel ward zum Hexenkessel.
Hier mufs der alten Namenbildung Salida, Saide gedacht werden, unter
welcher man, namentlich im 13. Jahrhundert, aber auch schon weit früher,
eine weibliche Verleiblicbung oder, wenn man so sagen darf, Göttin <les
Glückes verstand, sei es nun, dafs das Wort mit sal oder salus, Salz oder
Glück, oder beiden zusammenhängt. Der sagenhafte Süldenberg ist der
„Ber(j des Heiles*", das Paradies; wenn in „Etzels Hofhaltung" der Wun-
derer die Königstochter Saide verfolgt, so bedeutet dies einfach die Jagd
noch dem Glücke, und mannigfache alte Redensarten weisen auf die hohe
Glückträgerin hin. Grimm hat eine Menge Bezüge von „Frau Sülde" zu-
sammengestellt. Sie erscheint, begegnet, neigt sich ihren Günstlingen mit
dem Antlitz, hört sie an, lacht ihnen zu, ist hold und bereit, aber auch
gram ; wen sie nicht mag, den meidet und flieht sie, dem entrinnt sie, dem
kehrt sie den Kücken zu u. s. w. Die Saide eignet sich bestimmten Men-
.«chen, schirmt und beglückt sie, ivacJit für sie, icährend sie schlafen, wie
man sagt: „Das Glück ist mir im Schlafe gekommen." Dem Worte
,,Glückskind, Schofskind des Glückes" entspricht schon frühe „der Saide
Kind". Man sollte einen Hezug der Glücksgöttin Salida auf das Salz er-
warten; aber leider ist ein solcher nicht übermittelt, so sehr er vermutet
werden darf. In den Gedichten unseres Mittelalters wird auch oft von der
Scheibe oder dem Bade der Saide, des Glückes, geredet, woraus sich sodann
der Begrifl' eines Mühlrades oder Mühlsteines und in der Folge ein sich an-
knüpfendes bedeutendes Sagengebiet entwickelte.
Es giebt eine merkwürdige altgermanische, dänische Sage, welche dem
obigen Salzsieden das Salzmahlen zur Seite stellt: Der dänische Sagenkönig
Prodi (Fruote) hatte zween Mühlsteine als Geschenk erhalten, welchen die
zauberische Eigtenschaft innewohnte, dafs sie alles mahlten, was man wünschte;
die Mühle hiefs Grotti. Weil die Steine aber so grofs und schwer waren,
dafs in ganz Dänemark niemand sie umzudrehen vermochte, so hefs Frodi
in Swithiod (Schweden) zwei Riesenniädchen kaufen, welche Fenja und
Menja (Fania und Mania) biefsen. König Frodi liefs sie in die Mühle füh-
ren und gebot ihnen, Reichtum (Gold), Frieden und Glück zu mahlen. Da
legten die riesigen Mädchen Hand an, setzten die Felsen in drehende Be-
wegung und mahlten emsig, indem sie ihr Zauberlied dazu sangen. Sic
mahlten dem König Reiciitum in solcher Fülle, dafs er weithin deshalb be-
rühmt ward; sie mahlten ihm Frieden, welcher als Frodis Friede sprich-
wörtlich ward; sie mahlten ihm auch Glück, so dafs dem Frodi alle Unter-
nehmungen gelangen. Endlich trugen die Mahlmägde ermüdet den Herr-
scher, ob sie rasten dürften; dieser aber gönnte ihnen keine Kühe, sondern
hiefs sie immer noch mehr „Frodis Glück" mahlen. Da zürnten die starken
Jungfrauen auf den Unersättlichen, und sie mahlten dem verblendeten König
statt des Glückes Unglück: Das Unglück nahte schnell. Ein feindliches
Heer, von Mysingr geführt, kam über See, — Frodi ward getötet, und
reiche Beute, darunter auch die Wundermühle nebst den beiden Riesinnen,
ward zu Schilfe geführt. M_vsingr, der neue Herr, befahl nun Fenja und
Menja, Sah zu mahlen. Um Mittnacht frugen sie Mysingr, ob er Salz genug
habe; er aber befahl ihnen fortzumahlen. Da mahlten sie in Zorn noch
eine kurze Frist, da fuhr der eine Mühlstein mitten entzwei, und das Schili"
sank unter der Last des Salzes. In der See al)er entstand nun ein Schlund-
wirbel, wo das Wasser durch das eine Mühlsteinloch fällt, und dieser Wir-
bel, welcher bis zum heutigen Tage sichtbar ist, heilst Mahlstrom.
Erinnerung an die alte Zaubermühle Grotti findet in Deutschland sich
vielfach in Geister und Teufelsmiihien, sowie in der scherzhaften „.^Iten
Weibermühle", welche noch jetzt zu Kasnachtzeit an vielen Orten auf-
230 Miscellen.
getührt wird. Audi der Name ]\Ienja, Mania hat sich erhalten, nämlich in
dem Pflanzennamen Manigold, Mangold. Alles dies dient als Beweis, dafs
die Sage nicht nur in Nordland, sondern auch in Deutschland heimisch ge-
wesen ist, vielleicht gleich so vielen anderen Sagen hier iliren Ursprung
hat. Die Mühle wird ursprünglich die Sonne bedeutet haben, welche als
feuriges Rad oder feurige Scheibe gedacht, zur himmlischen Mühle, Glücks-
mühle ward, weil der Sonne im allgemeinsten Sinne die Fülle der ir^Hschen
Güter zu verdanken ist. Daher auch führt die Milch^trafse den Beinamen
„Mühlenweg". — Das G/ück, welches von den Mägden dem Frodi zu mahlen
war, scheint sich mit dem Salze des Mysingr zu decken, und durch unsere
liishenge Betrachtung ist diesem Gedanken eine feste Grundlage gegeben.
Das Übermafs des Glückes schlägt in den Sagen meist in das Gegenteil
um, und so bewirkt das geheischte mafslose Weitermahlen des Salzes oder
Glückes von selber Frodis und Mysingi'S Unglück; die nähere Ausführung
ist hiercei nebensächlich und unwesentlich.
Sehr vorteilhaft läfst sich der Sage von der altdeutschen Zaubermühle
eine altindische Sage als Seitenstück vergleichen. * Als es sich darum han-
delte, den Unsterhlidtkeitstrank (Amerta, Amrita) zu bereiten, setzten di<5
Götter den Berg Mandara in die See und begannen ihn heftig zu drehen;
gleichsam als Seil diente ihnen eine grofse, um den Berg sich windende
Schlange. Nach langem, heftigem Reiben^ wobei Gott Wischnu in Gestalt
einer Schildkröte den Berg aus dem Wasser emporhielt, der Berg aber zu-
letzt mit seinen Bäumen in Brand geriet, geschah es dann, dafs aus dem
Satte der in die See stürzenden Bäume in Verbindung mit dem zu butter-
artigem Schaume geriebenen Seewasser der ersehnte Trank zu Tage kam.
— Der in die See gesetzte Berg Mandara ist selbstverständlich die Erde,
die den Berg oder die Erde umgürtende Schlange ist eigentlich schon ein
Sinnbild der See, wie auch im Germanischen genau ebenso der grofse
Mittingart-Wurm Jörmungandr, oder richtiger: Fenrir, begegnet.
Das &&\zmaTilen der obigen germanischen Sage mufs unwillkürlich an
das „Salamander-/?ez7ven", das „Tleiben"' des snl cnnandi, des Minnesalzes
erinnern. Ich vermute, dafs bei VVeihmahlen** das durch Sieden gewonnene
heilige Salz, gemahlen oder zerrieben, den Trankopfern, Minnetränken zu-
gefügt ward, was demjenigen, welchem man den Trunk zubrachte. Glück
bringen sollte, und ich glaube bestimmt, dafs das studentische Salamander-
reibcn ein Bleibsel der alten Sitte ist. Ich würde mich freuen, durch
weitere Ermittelungen Bestätigung meines Gedankens zu finden.
*'Auf diese stützt Dr. Macke eine eigene geistreiche Deutung des Salamander-
reibens. Die Heranziehung der indischen Sage ist gewifs lobenswert und wirft ein
ganz neues Licht auf die Sage von der Zaubermühle. Aber wenn Dr. Macke nun
aus jener weitere Folgen zieht, indem er meint, dafs „Salamander" aus dem Berg-
namen Mandara und dem Sanskrit-Worte sala, was „drehen" bedeutet, entstanden
sei, und der den Berg im Kreise drehenden Schlange den Namen Salamandara bei-
legt, so ist das eine sehr gewandte, aber ebenso willkürliche Annahme. So kann
ich auch das Wort von Macke nicht gelten lassen: „In Nachahmung dessen (des
Werkes der Götter) reiben unsere Musensöhne von der Zeit an, wo in Europa durch
das Sanskrit-Studium die altindische Mythologie bekannt wurde, in dem SalamiUider-
brauche den Trank Amerta, auf dafs der Gefeierte ewig lebe!" So bestechend schön
alles dies klingen mag, so gezwungen erscheint es mir. Der Salamanderbrauch
wäre danach nur ein gekünstelter Brauch der Neuzeit, und dagegen mochte ich an-
streben.
** Ob das Wort „Mahlzeit" nicht auch daliin zu deuten ist — die heilige
„Zeit zum Mahlen, Salzmahlen"?! Man denke desgleichen an „Gesegnete Mahl-
zeit".
Miscelkn. 231
IL
Zum Schlüsse imifs ich noch die Aufmerksamkeit auf die altdeutsclie
Sidz- lind Studentenskult Halle (m der Saale* lenken, deren ^Salzquellen
sclioii in ältesten Zeiten bekannt waren. Auf der sogenannten „Halle",
einem bisher wüst „im Tbale" gelegenen Grund und Buden innerhalb der
iStadt (lalle (unmittelbar neben dem Marktplatze), befindet sich der „Gut-
jalirsl)runnen", jene Salzquelle, welche nach der Chronik bereits im Jahre
<ier Geburt des Heilanties fast oflen zu Tage trat und dann blofsgegraben
ward; um ihn gruppierten sich nach und nach drei andere Brunnen, welche
aber im Laufe der Zeit wieder verschwanden. Allbekannt ist die uralte,
stolze Stammverbrüderung der Arbeiter beim Salzwerke in Halle, die Hallo-
ren, von welchen nicht festgestellt ist, ob sie ihren Namen von der Stadt
abgeleitet haben oder umgekehrt. Sie selber nennen sich gern „Salzwirker-
brüderschaft im Thale zu Halle" oder kurz „Thalbrüderschaft". Sie hatten
bis vor wenigen Jahren noch ihr besonderes Amthaus, genannt das „Thal-
haus", welches erst neuei-dings dem verflachenden Einflüsse der Zeit weichen
mufste. Jahrliunderte hindurch bildete das Gebiet der „Halle" eine Art
Freistatt; wer sich auf ihm befand, war für die staatliche Gewalt unerreich-
bar. Wenn auch dies sondeibare Verhältnis des kleinen Völkchens nicht
mehr besteht, und die Zahl desselben durch die Beeinträchtigung der aus-
schiiefslichen Stammesinzucht allmählich abgenommen hat, so sind die Hal-
loren doch von den übrigen Bewohnern der Stadt und Umgegend durch
Mundart und Tracht, sowie durch Sitten nnd Gebräuche bis auf die neueste
Zeit streng geschieden, uml stolze Überlieferungen und Vorrechte haben sie
sich zu bewahren und zu behaupten verstanden. Dazu gehört vor allem,
dafs die Halloren als solche dem Landesherrn seit Urgedenken feierlich
huldigen und ihre alten Vorrechte sich bestätigen lassen; der König ent-
bietet sie zur Huldigung und sendet ihnen nach Halle eine neue Fahne,
sowie aus seinem Marstalle einen Schinnnel, auf welchem nach uralter Sitte
die Salzbrunnen umritten werden. Auf weitere und eingehendere Erörterun-
gen müssen wir Verzicht leisten.
Wunderbar: Man weifs bis heutigen Tages nicht bestimmt, welchen
Ursprunges und Stammes dies kräftige Geschlecht ist, ob keltisch, germa-
nisch oder slavisch. Sehr vieles spricht lür das Germanentum, nur wenige
Bedenken lassen sich dagegen vorbringen. Ich bin geneigt, auch ohne ganz
sichere Beweise, die Halloren auf Grund ihres urdeutsch erscheinenden
Volkstums, ihrer Sitten und Gebräuche, für ein germanisches oder minde-
stens sehr früh germanisiertes Volk zu halten. **
Und wie stehen nun die Halloren zu jener Studentensitte? Das ist die
verhängnisvolle Frage. Könnte der „Salamander", das Reiben des Minne-
salzes, nicht ursprünglich ein hallorisch-germanischer Brauch gewesen sein?
Die Haller Hochschüler genossen früher nicht unbegründet den Ruf grofser
Urwüchsigkeit; so hatten sie sich auch gleichsam schütz- und trutzverbun-
den den kecken Halloren angeschlossen und standen sogar bis auf die
* Merkwürdiges Ziisanimentreften der Formen hal und sal ! Wann der Ort
„Halle" entstanden, ob wirklich das Calägia des Ptolemäus, ob sclion ursprünglich
den Germanen zugehörig, ist unbekannt. Der deutsrhe Name Halla begegnet ui'-
kundlich zuerst im Jahre 806. Der fremde, wahrscheinlich slavische Name Dobro-
gora kommt urkundlich erst 966 vor und scheint bei der Überflutung des dortigen
Germauentums durch das Slaventum zeitweilig den alten deutschen Namen verdrängt
zu haben.
** Der Gedanke slavischer (wendischer oder sorbischer) Abkunft ist ziemlich
entschieden über Bord geworfen trotz des Namen Dobrogora. Die beiden Angel,
um welche sich die Frage dreht, sind fast ausschliefslich, ob Kelten, ob Franko-
Germanen Näher darauf einzugehen, müssen wir uns hier versagen.
232 Miscellen.
neueste Zeit nach Hallorensitte mit Ihnen auf Brüderschaft. Konnte so sei-
tens der Hallenser nicht ein Brauch der Halloren entnommen sein — ein
Brauch, welcher als ein unbewufstes Bleibsei uralter Zeiten erscheint, wenn
auch dessen wahre Bedeutung dem Verständnis und Sinne der Pfleger des-
selben vielleicht vollständig entschwunden und unbekannt war? Bedauer-
lich ist, dafs die alten Salzgebräuche der Halloren nicht so vollständig er-
halten sind, dafs man völlige Gewifsheit darüber zu erlangen vermöchte.
Aber ich glaube bestimmt, dafs bei den Halloren der Ausgangspunkt wei-
terer vorurteilbarer Forschung gesucht werden mufs. Von Halle aus mag
dann der Brauch später"-*' auch nach den anderen Hochschulen gekommen
sein.
Sei uns allen vergönnt, noch recht häufig .ein kräftiges sal-amandi zu
reiben! Ad exercitium salis-amandi — Eins — Zwei — Drei!
Adalbert Rudolf.
Ein deutscher Sprachverein.
Prof. Hermann Riegel, Direktor des Museums in Braunschweig, hat
seiner im vorigen Jahre erschienenen kleinen Schrift: „Ein Hauptstück von
unserer Muttersprache", in welcher er mit aller Kraft gegen das Fremd-
wörterunwesen zu Felde zog, ein neues Heft nachfolgen lassen: „Der allge-
meine deutsche Sprachverein" (Heilbronn, Gebrüder Henninger), in wel-
chem er Vorschläge zur Bekämpfung jener Seuche macht, welche die
höchste Beachtung verdienen und hoHentlich auch finden werden.
Riegel beginnt mit einer Darstellung dessen, was seit dem Erscheinen
seiner Schrift für die gute Sache geschehen sei. Leider sind alles nur Tha-
ten der Feder, Bücher, Abhandlungen etc. Von einer Reinigung des all-
gemeinen Sprachgebrauchs ist noch immer wenig die Rede; hier bleibt unser
Generalpostmeister noch immer der einzige, der wirklich etwas zu
Wege gebracht hat, während man auf allen anderen Gebieten nur zu schüch-
ternen Versuchen kommt oder Huch selbst diese für überflüssig hält. Ins-
besondere leidet das Eisenbahnwesen noch sehr unter den Fremdwörtern:
Man denke nur an die tbörichten Ausdrücke: ^Vaggon, Lowry, Coupe.
Selbst ein so haarsträubender Unsinn wie „Rechts"- und „Linksperron" des
Potsdamer Bahnhofes prangt zur Beförderung der allgemeinen Sprachver-
derbnis noch immer an Ort und Stelle.
Riegel bringt wiederum mancherlei Neues herbei, um den traurigen
Stand der Dinge zu kennzeichnen. Am schaudervollsten zeigt sich die
Denkfaulheit und der Mangel an Sprachbildung in Handel und Gewerbe.
Man giebt sich gar nicht die Mühe, nach einem deutschen Worte zu suchen.
Wissenschaft und Handwerk machen es nicht viel besser. Der Grund —
dies mufs immer und immer wieder betont werden — liegt vor allem in den
Schulen, in der mangelhaften Pflege, welche hier oft der deutschen
Sprache zu teil wird. Das gilt sowohl von den höheren, wie von den
Volksschulen.
Was die letzteren betrifl't, so beschäftigt sich Riegel ausführlich mit
einem der wichtigsten Unterrichtsmittel derselben, dem sogenannten „Klei-
nen Pütt kamer". Er schreibt über das W'örterverzeichnis dieses Buches
folgendes :
* Die iiltesten Nachrichten aus der Studeiilcnschaft haben bis dahin merk-
würdigerweise erst bi.s etwa 1830 zurüciigefiibrt werden küiiiien. Aber eine der-
artige Jugendliclilieit der Sitte ist ganz undenkbar und wird Wdhl nirgend ernstlieh
behauptet werden können.
Miscellen. 233
„Das Wörtcrverzeii'hnis unifafst uiif 25 Dnirkseiten zu je drei Spalten
im ganzen etwa 3500 Wörter und darunter rund 1500, in Buchstaben ein-
tausend fünfhundert fremde, nicht deutsche. Das heifst also Drei-
siebentel oder beinahe die Hälfte aller hier aufgeführten Wör-
ter sind Fremdwörter, reine Fremdwörter, die in ihrer Form sofort
ihre Zugehörigkeit zu einer fremden Sprache erkennen lassen und die bis
auf einige wenige vielleicht, ganz und gar zu entbehren sind. Ich habe
Wörter wie „Partei, Katalog, Nation, Modell" und dergleichen mehr gar
nicht mitgezählt, weil ich dieselben als in unsere Sprache aufgenommen
erachte, obwohl manches dieser \\'örter dermaleinst auch durch einen Aus-
druck rein deutschen Ursprungs sich würde ersetzen lassen. Doch auf
solche Einzelheiten kommt es gar nicht an. Das Bestreben, die deutsche
Sprache von dem ihr anhaftenden Unflat zu befreien,- richtet sich gegen
das Übermafs fremder Eindringlinge und ganz besonders gegen die Masse
der französischen Schmarotzer. \'on einzelnen Wörtern und selbst von
einer Handvoll solcher Wörter wird kein verständiger Mensch viel Auf-
hebens machen. Aber das ist doch noch etwas anderes als die Verwel-
schung und Verquatschung der deutsehen Sprache. Das „Wörterverzeich-
nis" scheint nun aber in der That diese Verwelschung, die echte und rich-
tige Fremdwörterseuche recht hegen und pflegen zu wollen. Das Gift wird
der Jugend nicht tropfenweise, nein gleich eimerweise eingeflöfst, die Ver-
quatschung der Sprache wird methodisch betrieben und zu einer Aufgabe
der Schule gemacht. Es giebt Spalten in diesem Wörterverzeichnisse, wo
nicht ein einziges deutsches Wort steht, wo unter den 44 oder 46 Wörtern,
die sie enthalten, die gröfsere Hälfte der französischen, die kleinere der
lateinischen Sprache angehört. Lauter welsche Ausdrücke! Da möchte ich
denn doch lieber gleich französisch oder lateinisch reden. 25 bis 30 und
selbst 40 fremde Wörter auf der Spalte bilden die Regel. Nur einige
wenige Spalten mit zwei, drei oder überhaupt nur einer geringen Zahl von
Fremdwörtern kommen vor. Der Buchstabe W ist der glücklichste. Auf
drei und einer halben Spalte hat er nur ein einziges Fremdwort, dafür frei-
lich auch eines der alleralbernsten, das urdumme Wort „Waggon", das
echten, alten, deutschen Ursprungs ist, eine englische Form hat und fran-
zösisch ausgesprochen wird. Und so etwas wird der Jugend auf den Schulen
unter dem Aushängeschilde deutscher Rechtschreibung beigebracht!«
„In den dem Wörterverzeichnisse vorangehenden Regeln wird auf vier
Seiten (S. 16 bis 19) Anweisung „über die Schreibung der Fremdwörter"
gegeben, und nachher werden anderthalbtausend dieser Fremdwörter aus-
führlich verzeichnet. Das heifst doch soviel, dafs diese Fremdwörter als
Bestandteil des Sprachschatzes aratliih angesehen werden, den man in den
Schulen für deutsch ausgiebt und dessen Rechtschreibung man regeln
wollte. Denn dafs diese Sprache noch die deutsche genannt werden
könnte, darf doch nur der behaupten, der gar keinen lebendigen Begriff'
vom Wesen und Geist der deutschen Sprache hat, der kein Gefühl für na-
tionalen Anstand besitzt und der nicht weifs, wie stark und nachhaltig das
fremde Wort die Gesinnung beeinflufst. Da stehen sie in geschlossenen
Reihen; diese Franzosen! Auf dem Schlachtfelde haben wir sie überwun-
den, nicht aber auf dem Felde unserer Sprache. Da herrscht noch ganz
die schmählichste Unterjochung, die albernste Afferei. „Affaire, aff'rös,
Assemblee, Balance, charmant, Parasol, Revanche, soupieren, Jalousie, bril-
lant, Etage, changieren, Cousin, genieren, Queue, Recherche, tranchieren,
rikoschettieren, Raffinement, Eloge, Decharge, Entree, Chaine, Chance,
Nuance" und so fort, schier ins Unendliche. Die Belehrung über diese
Wörter und deren Schreibung gehört doch in die französische Sprachstunde,
aber im Leben nicht in den Unterricht über die deutsche Rechtschreibung."
Vergifst nun auch der Verfasser, dafs es sich bei einem solchen Wörter-
verzeichnisse gerade um die „schwierigen" Wörter handelte, Fremdwörter
234 Miscellen.
silso vorwiegend berücksichtigt werden mufsten, so kann man doch seinem
Zorne im allgemeinen nicht unrecht geben, und muls es bedauern, dafs
der Name des Ministers an dieser Arbeit hängen geblieben ist.
Um nun der Bewegung zu gunsten unserer edlen Muttersprache einen
Halt zu geben, schlägt Riegel die Gründung eines „allgemeinen deut-
schen Sprachvereins" vor, dessen Zweck sein soll:
1. die Erhaltung und Wiederherstellung des echten Geistes und wahren
Wesens der deutschen Sprache zu pflegen, — und dabei
2. ganz vorzugsweise die Reinigung derselben von fremden Bestandtei-
len zu fördern; — sowie
3. die Errichtung einer Akademie der deutschen Sprache von Reichs-
wegen zu erstreben.
Wenn sich mit- den ersten beiden Punkten jeder befreunden wird, so
ruft der dritte (du Bois-Reyniond hat bekanntlich dasselbe gefordert) sicher-
lich bei manchem Bedenken hervor. Wir pflichten demselben indessen bei,
vorausgesetzt, dafs die Aufgaben der Akademie in richtiger Weise begrenzt
werden. Im weiteren hat Riegel die Satzungen des Sprachvereins bereits
bis ins einzelne entworfen, und zwar, wie anerkannt werden mufs, mit vie-
lem Geschick. Um von vornherein eine gröfsere Einigkeit zu erzielen, will
er sogar alle streitigen Fragen (denn über das Fremdwörterunwesen besteht
ja im Grunde keine Meinungsverschiedenheit) von der Erörterung aus-
schliefsen, so Reclitschreibung und Schrift. Dagegen sieht er ein, dafs der
Verein sich wenigstens mit jener gegen unsere Sprache gerichteten Zer-
störungswut beschäftigen mufs, welche am liebsten Deklination und Konju-
gation beseitigte und die Syntax nach Kräften mit Füfsen tritt. Hier
könnte der Verein in der That segensreich wirken; vor allem aber, indem
er auf eine bessere Belehrung der Jugend in allem Deutschen, Sprache,
Geschichte und Heimatskunde dränge, denn das hängt alles innig mitein-
ander zusanmien.
Wir wünschen von Herzen, dafs der „allgemeine deutsche Sprachverein"
recht bald ins Leben tritt, und danken Herrn Riegel für seinen Vorschlag
und für sein mutiges Dreinschlagen. Dafs der Verein bald viele Mitglieder
zählen wird, bezweifeln wir nicht. Dann aber wird er auch mit Nachdruck
einschreiten können. Es handelt sich nicht um eine Sprachreinigung mit
„Sand und Lauge", sondern nur um eine Beseitigung des Geschmacklosen
und Verächtlichen.
Proben einer neuen französischen Übersetzung deutscher
Dichtungen.
Von A. Pariselle.
Tai lief er, d'apres Uhland.
Le duc normand Guillaume a ses pairs dit un jour:
Qui chante donc ainsi dans ma salle et ma cour
Jusque tard dans la nuit, le matin des l'aurore,
Et me ravit le coeur par sa chanson sonore?
„C'est Taillefer qui chante ainsi durant le jour
Quand il tourne du juiits la roue en votre cour;
Qu'il attisc le feu dans l'ätre de la salle,
Qu'il se Icve ou se couche, on entend sa voix male."
Le duc ensuite dit: „C'est un bon serviteur,
Ce brave Taillefer, fidele et plein d'ardeur,
J
Misccllen. 235
II fait toiiroer ];i roue, il altise la llamme
Et de sa claire voix il elcve nion äme."
Que je servirais niieux mon duc, dit Taillefer,
Libre et sur un coursier comme un vassal et pair,
Comme je clianterais tout en faisant sans treve
Avec mes chants sonner et bouclier et glaive.
Et bientot Taillefer sur un grand destrier
Put faire resonner et glaive et bouclier,
Et du haut de la tour, le voyant qni s'avance,
La scBur du duc l'admire en sa noble prestance.
Elle voit Taillefer de la tour s'ap^rocliaiit,
Semblable h la tempete, a, la brise est son chant.
Admirable chanson, dit-elle, ravissante,
Cuinine la tour, mon coeur tremble h sa voix puissaiite.
Le duc Guillaume allait voguant sur l'Ocean,
Menant conlre Albion un formidable ban.
II descend du vaisseau, tombe en sautant h, terre,
„Ah!" dit-il, „maintenant je t'embrasse, Angleterre."
Au monient oü l'arniee allait livrer Tassaut,
Taillefer vers le duc s'avancjant aussitot:
„En attisant la flamme avec soin, vigilance,
J'ai chante, j'ai porte l'epee avec la lance.
Avez-vous pu louer le service et le chant,
D'abord de votre serf, puis du chevalier franc,
Permettez en ce jour que pour ma recompense
Je porte a l'ennemi le premier coup de lance."
Et Taillefer marchait en avant le premier,
Du glaive et de la lance arme sur son coursier.
Devant Hastings sa voix vibre en la plaine immense,
Des heros, de Roland il chante la romance.
Comme un bruit de tempete est le chant de Roland,
II exalte les coeurs; l'etendard flotte au vent,
De tous l'ardeur guerriere embrase et remplit Tänie:
La voix de Taillefer attise bien la flamme.
II s'elance en avant pour frapper le premier.
Du coup tombe un Anglais, orgueilleux Chevalier ;
Pour un deuxicme exploit il prend son cimeterre:
Un second chevalier a mordu la poussiere.
Les Normands, qui l'ont vu, courent aux ennemis,
Frappant leurs boucliers et jetant de grands cris.
Quel choc! quel sifflement de fleches sur leur tete!
Enfin Harold succombe et l'armee est defaite.
On plante l'etendard dans les sillons sanglants
Et la tente au mil'eu des morts et des mourants.
Guillaume au banquet tient une coupe doree
Et du bandeau royal sa tete est decoree.
236 Rliscellcn.
Mon bravt" Taillefer, viens et fais-moi raison.
Triste OLi gai, qiie de fois j'entenrlis ta chanson!
Mais l'e^ho de Hastings, ta romance guerricrc
Me charmeront encore a nion henre derniere.
Lc chäteau de ßoncourt, d'apres Adalbert de Chaniisso.
Je reve encor des jours de mon enf'ance,
Et nies cheveux sont blanchis par les Ht\s.
Tu me poursuis, 6 douce souvenance
Que je croyais eteinte des loiigtemps.
Dans un enclos oiybreux et solitaire
S'elcve et brille un chäteau dans les airs.
Je vous connais, portail et pont de pierre,
Tour et creneaux, tous k mon co-ur si chers.
De l'ecusson les lions en silence
Fixen t sur moi leurs yeux avec amour.
Je les salue en vieil anii d'enfance
Puis ä, grands pas me bäte vers la coiir.
N'oila le sphinx, le figuier qui s'dleve
Tout verdoyant k cote du jet d'eau,
Et la t'enetre, abri du premier reve
Qu'enfant je tis en mon heureux berceau.
Et francbissant le seuil de la cbapelle,
De mon aieul je cherche le tombeau.
C'est la qu'il est ! au pilier etincelle
L'ancienne armure et l'orgueil du chäteau.
L'emotion a voile ma paupiere,
L'inscription se derobe ä mes yeux,
Quoique du ciel une vive lumiere,
Par les vitraux, vienne inonder ccs lieux.
A tout jamais, 6 chäteau de mes peres,
Tu vis empreint profonderaent en moi ;
Tu disparus jusqu'aux dernieres pierres,
Le soc tranchant passe aujourd'hui sur toi.
Sois fecond, sol tant cheri ! länie emue
Je te benis du profond de mon coeur;
Et toi qui tiens sur son sein la charrue,
Je te benis deux fois, 6 laboureur!
Püur moi je vais, rappelant mon courage,
Aux düux accords (J'un luth harmouieux,
Ell mon exil, aller de plage en plage
Porter mes cliants au loin sous d 'autres cieux !
L ' o r m e a u de H i r s a u , d'apres Uhland.
Dans los ruines de Hirsaii, II s'enfonce profbndcment
Et des murs dominant le faite, 8ous le sol du vieux monastcre,
S'dleve un verdoyant ormeau, Dans Tazur d'un ciyl rayonnant
Aux vents il balance sa tetc. Öe courbe en conpole legere.
Miscellen.
237
Prive d*air, sans un doiix rayon
Au fond de l'enceinte de pieire,
Du sein de sa morne prison
11 s'elan9a vers la luniiere.
Quatre murs pour le proteger
S'elevent coutre las orages,
Cependant que svelte et leger
Monte son tronc vers Ics nuages.
Dans le vallon silencleux,
Au fond de la verte prairie,
C'est k lormeau raajestueux
Que sattachait ma reverie.
Lorsque j'errais seul en revant
Dans la morne et soiubre masure,
De son feuillage sous le vent
Toujours j'entendais le murmure.
Combien de fois, de doux rayons
Je Tai vu se teindre ä l'aurore !
Et l'ombre emplissait les vallons
Qu'au soleil il brillait ent.'ore.
A Wittenberg jadis per(;a
La voüte d'un vieux monastere
Et dans Tespace s'elan^a
D'un grand chene la tete altiere.
Tu plonges, 6 rayon divin,
Dans les profondeurs <Je la terre !
Tu pänetres, esprit humain,
Dans la hauteur et la lumiere!
Das Begründen einer Centralstelle für Dissertationen und Programme
dürfte von allen denen mit Freuiien begrüfst werden, welche es schon oft
und vielfach vermifst haben, dafs jene kleinen Geletrenheitsschriften, wie es
die Doktordissertationen, Schulprogramnie und ähnliche sind, bisher meistens
sehr schwer beschafft werden konnten. Man wird es daher der Buchhaml-
hing von Gustav Fock in Leipzig Dank wissen, dafs sie eine solche Central-
stelle geschaffen hat und auf diese \Neise dafür sorgt, dafs manch kleines
iSchriftchen, welches sonst weiteren Kreisen unzugänglich geblieben wäre,
zur Verbreitung gelangt.
Es versteht sich von selbst, dafs ein solches gemeinnütziges Institut
nur durch Entgegenkommen der betr. Autoren sich als wirksam erweisen
kann, insofern sie bereitwilligst eine Anzahl ihrer Abhandlung diesem In-
stitut entweder gegen Vergütung oder in Umtausch überlassen. Es liegt
uns vorläufig ein Verzeichnis von Dissertationen und Programmen aus dem
Gebiete der neueren Philologie, Germanistik nebst Orientalia vor, circa 1500
Abhandlungen enthaltend, welches uns bereits einen genügenden Überblick
über die reichhaltige Litteratur aus diesem Gebiete verschafft und uns die
Überzeugung aufdrängt, dafs ein solcher .Sammelpunkt höchst dankens-
wert ist.
Bibliographischer Anzeiger.
Ai:
eemeines.
J. Bierbaura, Die Reform des fremdsprachlichen Unterrichts. (Kassel,
Kay.) 1 Mk. 60 Pf.
A. Rambeau, Der französische und englische Unterricht in der tleiitschen
Schule, mit besonderer Berücksichtigung des Gymnasiums. (Hamburg,
Nolte.) 1 Mk,
Grammatik.
n. Schuchardt, Über die Lautgesetze. Gegen die Junggrammatiker.
(Berlin, Oppenheim.) 1 Mk.
W. Waltemath, Die fränkischen Elemente in der französischen Sprache.
(Paderborn, Scböningh.) 1 Mk. 20 Pf.
A. Aubert, Des emplois syntaxiques du genre neutre en fran^ais. (Mar-
seille, Cayer.)
A. Aubert, De usu partieipiorum prsesentis in sermone gallico thesim
facultati litterarum A(iuarum Sextiarum proponebat. (Marseille, Barlatier-
Feissat.)
A. Mahn, (jrammatik und Wörterbuch der aItproven9alischen Sprache.
I. Lautlehre und Wortbildungslehre. (Köthen, Schettler.) 6 Mk.
.1. Byrne, General principles of the structure of language. (London,
Trübner.) 36 sh.
Lexikographie.
Matthias Lexer, Mittelhochdeutsches Taschenwörterbuch. III. umgearb.
Auflage. (Leipzig, Ilirzel.) 5 Mk.
Ch. C. Fleuriot, Itecueil de proverbes francjais, d. i. Auswahl französischer
Sprichwörter mit deutscher Übersetzung. (Breslau, Schletter.) 1 Mk.
A. Toi hausen, Technical dictionary in the english, german and french
languages. II Part. (Leipzig, Tauchnitz.) 3 Mk.
A. Murray, A new English Dictionary on historical princi|)les. Part II
(And — Balten). (Oxford, Clarendon Press.) 12 sh. 6 d.
Lit teratur.
K. Müllenhoff, Altdeutsche Sprachproben. 4. Aufl., besorgt von Max
Rödiger. (Berlin, Weidmann.) ;5 Mk. GO Pf.
K. Bartsch, Beiträge zur Quellenkunde der altdeutschen Litteratur. (Strafs-
burg, Trübner.) 8 Mk.
Bibliographischer Anzeiger. 239
W. Wilmanns, Beiträge zur Geschichte der älteren deutschen Litterntur.
I. Der sogenannte Heinrich von Melk. (Bonn, Weber.) 1 Mk. .")0 Pf.
H. Kamp, Der Nibelungen Not in metrischer Übersetzung, nebst Erzählung
der älteren Nibelungensage. (Berlin, Meyer & Müller.) 2 Mk. 25 Pf.
E. Walter, Die Sprache der revidierten Lutherbibel. (Bernburg. Schmelzer.)
1 Mk. 20 Pf.
C. Harff, Anseis de Mes. Chanson de geste aus dem 13. Jahrh. (Progr.
des Reaigvmn. in Erfurt.)
E. Ko schwitz, Kommentar zu den ältesten franz. Sprachdenkmälern. I.
(Heilbronn, Henninger.) 5 Mk. 80 Pf.
Faust von Goethe. ^Iit Einleitung und fortlaufender Erklärung hrsgb. von
K. J. Schröer. I.Teil. 2. Auf 1. (Heilbronn, Henninger.) 3 Mk. 75 Pf.
J. Röfsler, Erläuterungen zu Goethes Faust. Teil I u. II. (Berlin,
Mecklenburg.) 1 Mk.
H. Düntzer, Abhandlungen zu Goethes Leben und Wirken. Teil 2.
(Leipzig, Wartig.) 10 Mk.
J. Braun, Schiller und Goethe im Urteile ihrer Zeitgenossen. 2. Abteil.:
Goethe. IIL Bd. (Berlin, Luckhardt.) 7 Mk. 50 Pf.
Wilhelm Teil by Schiller. Translated into English by Edward Stan-
hope Pearson. (Dresden, Pierson.) 1 Mk.
Joinville, Histoire de saint Louis. Te.xte original ramene ä l'orthographe
des chartes, precede de n( tions sur la langue et la grammaire de Joinville,
et suivi d'un glossaire par Natalis de Wailly. (Paris, Hachette.) 2 fr.
A. Tobler, Ein Lied Bernarts von Ventadour. Aus den Sitzungsberichten
der Pr. Akad. der Wissenschaften.
Nourisson, Pascal physicien et philosophe. (Paris, Fischbacher.) 3 fr. 50 c.
A. Bettelheim, Beaumarchais. Eine Biographie. (Frankfurt a. M., Litt.
Anstalt [Rütten & Löning].) 10 Mk.
A. Copin, Histoire des comediens de la troupe Moliere. (Paris. Frinzine.)
7 fr. 50 c.
R. Mahrenholtz, Voltaires Leben und Werke. IL \'oltaire im Auslände.
(Oppeln, Franck.) 5 Mk.
C. Siegert, Die Sprache Lafontaines, mit besonderer Berücksichtigung
der Archaismen. (Leipzig, Dissert.)
C. V. Reinhards töttner, Plautus. Spätere Bearbeitungen der plauti-
nischen Lustspiele. (Leipzig, Friedrich.) 1 Mk.
W. C. Robinson, Introduction to our early english literature. (London,
•Simpkin, Marshall.) 5 sh.
H. Sweet, Anglo-Saxon Reading Primers. 2 vols. (London, Longman.)
Leonhardt, Über Beaumont und Fletcher's Knight of the Burning Pestle.
(Progr. des Realgymn. zu Annaberg.)
r. Hofmann- Wellenhof, Shakespeares Perikles und Georg Lillos Marina.
(Progr. der Ober-Rcalschule zu Graz.)
A. Tennyson, Enoch Arden. Aus dem Englischen übersetzt von R. Wald-
müller. (Hamburg, (jrüning.) 1 Mk. 60 Pf.
Shakespeares sämtliche Werke, übersetzt von Schlegel und Tieck, in englisch-
deutscher Parallel-Ausgabe. Bevorwortet und eingeleitet von K. Sachs.
(Leipzig, Schäfer.) a Heft 60 Pf.
Dante Alighieris Paradies. 3. Abteil, der göttl. Komödie, übertragen von
Francke. (Leipzig, Breitkopf & Härtel ) 5 Mk.
J. Ulrich, Altitalienisches Lesebuch. 13. Jahrhundert. (Halle, Niemever.)
2 Mk. 50 Pf.
E. Dorer, Beiträge zur Calderon-Litteratur. 2 Hefte. (Dresden, v. Zahn tfe
Jäntsch.)
E. Günthner, Calderons Dramen aus der spanischen Geschichte, mit einer
Einleitung über das Leben und die Werke des Dichters. (Progr. des
Gymn zu Rottwoil.)
240 Bibliographischer Anzeiger.
Cervantes, Novelas ejemplares. Mit erklärenden Anmerkungen von Ad.
Krefsner. I. (Leipzig, Renger.)
A. Loiseau, Histoire de la litterature portugaise depuis ses origines jusqu'h
nos jours. (Paris, Thorin.) 4 fr.
Hilfs buch er.
F. Keil mann, Der Aufsatz in der vierklassigen Volksschule, Unterrichts-
stoff'und Anleitung zur Behandlung desselben. (Mainz. Frey.) 2 Mk. 40 Pf.
E. Müller, Hilfsbuch zur franz. Grammatik. (Hamburg, Meifsner.) 1 Mk.
W. Bertram, Questionnaire grammatical. Les regles renfermees dans la
gram, de Plcetz, redigees par demandes et par reponses. (Bremen, Hein-
sius.) _ 1 Mk. GO Pf.
H. Sweet, Elementarbuch des gesprochenen Englisch. Grammatik, Texte
und Glossar. (Leipzig, Weigel.) 2 Mk. 40 Pf.
Shakespeares Julius Ciesar. Mit Anmerkungen von E. Pritsche. (Ham-
burg, Meifsner.) _ _ 1 Mk. 20 Pf.
Biblioteca italiana. Für den Unterricht im Italienischen mit Anmerkungen
in deutscher, französischer und englischer Sprache von A. Scartazzini.
4 Bändchen. Inhalt: Adelchi. Tragedia di A. Manzoni. (Davos, Richter.)
1 Mk. 30 Pf.
Giovanni, Italienische Phraseologie. (Davos, Richter.) 1 Mk.
A. de Fagolari, Italienisches Konversations- und Taschen- Wörterbuch. Durch
zahlreiche Noten und Zusätze, sowie einen kurzen Abrifs der ital. Gram-
matik erweitert und herausgegeben von H. Mondschein. (Leipzig,
Fock.) 2 Mk. 50 Pf.
Deutsche
Kultur und Litteratur des 18. Jahrhunderts
im Lichte der zeitgenössischen italienischen Kritik.
(Teil II.)
Welche Umstände, aufser des grofsen Friedrichs überwäl-
tigendem Einflüsse, zu der Weckung und Erstarkung deutschen
Geisteslebens in der Mitte des 18. Jahrhunderts sonst vornehm-
lich beigetragen, welche Impulse dasselbe erhalten, so daf^ es
alle ausl'ändiechen Stützen und Krücken, mit denen es bisher
eich beholfen, wegwerfend jener biblischen Gestalt gleichen
konnte, an welche das Wort erging: „Nimm dein Bett und
wandele!" — darüber läfst uns, ebenso wie über die wesent-
lichsten Momente seiner Neugestaltuno; die litterarische Kritik
Italiens fast völlisr im Stich oder ist, wenn sie Andeutungen
giebt, voreingenommen und einseitig. Aber dieses ihr Schwei-
gen darf ebenso wenig Mie ihre Unsicherheit oder Unkunde
uns auffallen. War ja die deutsche Poesie seit dem Beginne
der zweiten Hälfte des Jahrhunderts in voller, rüstiger Arbeit
beo-riffen an dem Werke eigener Befreiung und Aufrichtung,
der Loslösung von den von altersher überlieferten Schranken
fremder Nachahmung, der ernsten Gewöhnung an die Wieder-
gäbe von Erfahrungen selbsteigenen Geistes- und Gefühlslebens,
das von demjenigen der Nationen, denen sie bisher gefolgt, so
unendlich verschieden war, der selbständigen Erftissung des
Altertums mit seinen reichen Schätzen, des Wachsens und Er-
starkens in seinem sittlich-nationalen Bewufstsein, endlich des
Ablegens fremder, erborgter Formen, um für diese, wenn
Archiv f. n. Sprachen. LXXY. 16
242 Deutsche Kultur und Litteratur des IS. Jahrhunderts
auch im Anfange unbeholfen und mühsam, doch mit wachsen-
dem Erfolge eigenartige sich einzutauschen! Kann es verwun-
dern, wenn über diese im deutschen Volke sich vollziehende
Wandelung selbst nicht nur, sondern auch über deren tiefere
Ursachen das Ausland mit seinem Urteile nicht sogleich fertig
zu werden vermochte?
So ist denn unter anderen Cornianl geneigt, die auch in
seinen Augen bewundernswerte „maturitä e perfezione", welche
die deutsche Poesie, noch vor kurzem so „informe e bambina",
seit 1750 sich angeeignet, als ein Verdienst jenes „philosophi-
schen Geistes" zu bezeichnen, der sein Jahrhundert überhaupt
charakterisiere und mit seinem Lichte auch in diejenigen Ge-
biete dringe, die lediglich dem Ergötzen dienstbar seien. Die
deutsche Poesie, versichert er, sei eben nicht blofs eine Poesie
von Worten; ihre besten Gebiete vielmehr seien reich an grofsen
Ideen, philosophischen Wahrheiten, aber des rein wissenschaft-
lichen Schleiers entkleidet und durch die Anmut des Ausdrucks
verschönt. Reich an srofsartisfen, kräftigen und doch dabei
anmutigen Gebilden der Phantasie, mit denen das tote Material
belebt werde, sei der deutsche Stil energisch und elegant zu-
gleich, gebe selbst geringwertigen, alltäglichen Dingen ein eigen-
fremdartiges edles Gesicht und verschönere, idealisiere die Ge-
genstände, ohne doch die Grenzen der Natürlichkeit und Wahr-
scheinlichkeit zu überschreiten.
Ob unter die hauptsächlichsten Verbreiter dieses „philoso-
phischen Geistee" nach Cornianis Ansicht auch Chr. Wolff zu
begreifen, dessen Philosophie ja einen so eminent kosmopoliti-
schen Charakter an der Stirn trug, möchte man aus mancherlei
Gründen billig bezweifeln, und doch ist es eine Thatsache, die
von WolfF selbst schon 1737 „mit Dank gegen die besondere
Vorsorge Gottes und die censores" bestätigt worden, dafs seine
Schriften orerade in Italien grofsen Anklana; gefunden hatten.
Denina versichert nicht blofs, dals seit dem Erscheinen des
WolfFschen „Naturrechts" und seiner „Moralphilosophie" die
Weltanschauung des deutschen Denkers an fast allen Universi-
täten Europas die herrschende gewesen, sondern auch dafs seit
Albertus Magnus, Nicolans von Cusa und Luther kein Deut-
scher je in Italien solchen Ruhm besessen habe, von ihnen aber
im Lichte der zeitgenössischen itahenischen Kritik. 243
keiner so heftig angeo-rifFen und verteidigt worden sei wie
Leibnitz und Wolff. Über die Momente, welche zu dieser
hohen Bedeutung beigetragen, spricht sich Denina um so we-
niger aus, als ihm Wolf mit der durch ihn vermeintlich herbei-
geführten Wandelung der Theologie in Metaphysik ebenso wenig
wie Leibnitz mit seiner prästabilierten Harmonie sympathisch
sein konnte. Das indes giebt er, obwohl ihm die Sprache
Wolffs hart und sein Stil mangelhaft erscheint, bereitwilligst
zu, dafs derselbe durch seine deutsch geschriebenen Abhand-
lungen die Entwickelung seiner Muttersprache gefördert, sie
mit „termes expressifs" zu bereichern, ihr eine gewisse Präci-
sion und Energie zu verleihen gewufst habe: ein Verdienst,
an welchem freilich nicht weniger die Bildungsfahigkeit der
deutschen Sprache für wissenschaftliche und technische Be-
zeichnungen, als Wolffs Geschick in ihrer Verwendung seinen
Anteil beanspruche. In jedem Falle sei, dank vielleicht seiner
schlesischen Herkunft — denn der Dialekt dieser Provinz sei
dem obersächsischen völlig gleich (!) — und seiner Erziehung
durch Chr. Gryphius, sein deutscher Stil seinem Latein vorzu-
ziehen, das etwa dem der Scholastiker des 14. und 15. Jahr-
hunderts gleiche.
So abhold aber Denina der Wolffschen Philosophie ist und
so sehr man aus seiner Mitteilung, dafs er infolge der Machi-
nationen Maupertuis' und Voltaires bei Friedrich H. in Un-
gnade gefallen und überhaupt ,.passe de mode" sei, die Genug-
thuung des Theologen herausliest, so wenig billigt er die ein-
stigen auf Erwerbung einer Lehrkanzel gerichteten egoistischen
Ränke eines Lange und des zu ihm haltenden bigott-theologi-
schen Konsortiums oder die gehässige Parteinahme Friedrich
Wilhelms L, des „roi vandale", einem Manne gegenüber, der,
wie er bereitwilligst einräumt, weder als „antichretien" gelten
konnte, noch in seinem Privatcharakter sich irgend welche
Blöfse gegeben hatte. Nur dafs er es sich nicht versagen kann,
den Protestantiemus mit seinen, wie er meint, pharisäischen
Lamentationen über das Verhalten der katholischen Kirche
gegen Galilei, Sarpi, Giannone und andere gerade auf AVolffs
und vor ihm eines Pufendorf oder Thomasius Schicksale zu
verweisen. — In dem Jahrgange 1775 der „Nuova Raccolta"
16*
244 Deutsche Kultur und Littcratur des 18. Jahrhunderts
erkennt, um daniit zu echliefsen, ein Anonymus in einem Auf-
satze „Dello studio politico" das Bestreben Wolffs an, den
Nachweis zu führen, dafs die Staatsinstitutionen, so wie sie
seien, mit den Gesetzen des natürlichen Rechtes im Wider-
spruche ständen, rügt aber, dafs er dann, anstatt in einfacher,
klarer Methodik die Grundsätze des Idealstaates nach den na-
türlichen Gesetzen zu entwickeln — ein Verfahren, wie es nach
ihm Vattel eingeschlagen ■ — sich „sulle orme del precettore
Leibnizio" mit dem Bemühen, wissenschaftlich zu werden, in
Axiomen, Syllogismen, Schollen und Korollarien ergangen; dafs
er über dem Drange nach Neuem, Rühmenswertem seine na-
türliche Neigung, anderen zu helfen, vergessen und so doch
nur für wenige geschrieben, von wenigen nur habe verstanden
sein wollen. Aber dieser Vorwurf ist mehr als ein Bedauern
denn als Geringschätzung aufzufassen, auch selbst in dieser
Kritik also ein Beweis der hohen Achtung zu erkennen, deren
sich Wolft' und seine Philosophie jener Zeit in Italien erfreuten.
Während so auf der einen Seite der „philosophische Geist"
des Jahrhunderts als mächtigster Hebel der erwachten deut-
schen Poesie betrachtet wird, meinen andere, wie G. Napione,
den Beginn ihrer Blüte von der Zeit an datieren zu sollen, da
die lateinische Sprache aufgehört habe das Idiom der Gelehr-
ten zu sein. „Welch ungleich vorteilhafteren Begriff", ruft
letztgenannter aus, „haben wir jetzt von dem guten Geschmacke
der Deutschen, als unsere Vorfahren hatten? Deutschland
rühmte sich hochgelehrter Männer schon seit dem 16. Jahrhun-
derte, nicht blofs in den ernsten Wissenschaften, in Astronomie,
Physik, Mathematik, sondern auch in der Kritik, Philologie,
schönen Litteratur ; aber bei alledem hatten seine litterarischen
Erzeugnisse doch nicht den strahlenden Glanz, diese natürliche
Frische, den zarten Duft sich erworben, der sie jetzt uns so
wertvoll macht! Diese lateinischen AVerke waren verbor-
gene Schätze und übten auf Bildung und Geschmack der
ganzen Nation so wenig Einflufs aus, dafs trotz der grofsen
Zahl berühmter Landsleute, die so lanofe Jahre hindurch un-
ermüdlich in dieser Sprache litterarisch thätig gewesen, noch jetzt
die grofsen Männer Deutschlands seine Litteratur als eine erst
eben im Entstehen begrifFene betrachten."
im Lichte der zeitgenössischen italienischen Kritik. 245
Liebenswürdig neidlos konstatiert und erörtert die künst-
lerische Suprematie Deutschlands für seine Zeit der Graf Torre
di Rezzonico. In seinem „Elogio di Scutellari" versichert
er, die Werke Hasses, „detto volgarmente il Sassone", der
Glucksche Orpheus, die Stamitzschen und ßeck(?)schen Sinfo-
nien bewiesen, dafs Deutschland in musikalischer, und die Hal-
ler, Gefsner, Klopstock, Rabener, dafs es auch in litterarischer
Beziehung Italien durchaus nicht nachstehe. Es scheine eben,
als ob die Musen in ihrem Streben, allmählich ganz Europa
zu veredeln (d'ingentilire), in diesem Jahrhunderte gerade
Deutschland zu ihrem Wohnsitze und dem Mittelpunkte ihres
Eroberungsgebietes zu machen gedächten. Die einfache, rauhe,
an Wechseln reiche Natur dieses Landes verleihe allerdings der
Seele weniger künstliche, dafür aber rührendere Affekte, der
Phantasie grofsartigere Bilder, dem Ausdrucke Kraft und Em-
pfindung. Der Tod Abels, die Alpen, der Messias bestätigten
diese \A'^ahrnehuiung für das Gebiet der Dichtkunst, zahlreiche
Gemälde deutscher Meister, die Wärme ihrer Farben, die na-
türliche, unstudierte Haltung ihrer Gestalten, die Eigenartigkeit
und der Phantasienreichtum ihrer Kompositionen allem An-
scheine nach auch für das der Malerei.
Was Denina anlangt, so rühmt auch er wohl die Blüte
unserer Universitäten, besonders Wittenbergs, Leipzigs und
Jenas, erkennt die Bestrebungen Augusts II. und III. und ihres
allmächtigen Ministers an, mit dem Zusätze freilich, dafs sich
die „begli ingegiii" jener Zeit wesentlich auf das lyrische und
didaktische Genre beschränkt hätten; mit Recht sieht er in den
Buchhändlermessen Leipzigs, dieser „ohne maritime Lage, ohne
Flufs oder Kanal, trotz schlechter Strafsen blühenden Proviu-
zialstadt einer Macht kaum zweiten Ranges", ein für die da-
malige litterarische Welt höchst bedeutsames Einheitscentrum,
das noch lange der Hauptsitz der deutseben Litteratur bleiben
werde; wohl fixiert er den Eintritt der neuen Ära mit dem Er-
scheinen des Messias ; wohl berichtet er, dafs erst dann, als in
Deutschland an das Vorbild der Italiener und Franzosen sich
dasjenige Englands angereiht, das „deutsche Phlegma" sich zu
gröfserer Thatkraft angeregt gefühlt habe, und reproduziert ein-
verständnisvoll das Gutachten eines Grafen Salmour, wonach
246 Deutsche Kultur und Litteratur des 18. Jahrliunderts
die südlichen Länder Deutschlands damals geistig hochgestan-
den, als das Licht der Gelehrsamkeit aus Italien geströmt sei,
jetzt aber, da England im Vordergrunde des wissenschaftlichen
wie des Handelsinteresses stehe, Norddeutschland ihnen den
Vorrang bestreite ; mit Freuden erkennt er in der Litteratur
Deutschlands eine „ardentissima fermentazione" und konstatiert
in Übereinstimmung mit Andres ihre hohe Blüte. Anstatt aber,
wie es den Thatsachen entsprechend gewesen wäre, in der Ab-
kehr von französischer Schablone, der Anlehnung an englische
Muster, und, was das Wichtigste, in dem Erwachen des na-
tionalen Bewufstseins die eigentlich erlösenden Momente
des beginnenden Aufschwunges zu erblicken, macht er den
Wechsel des Geschmackes der zeitgenössischen Generation zum
Vorwurfe, die im Laufe von nicht ganz 30 Jahren drei ver-
schiedene Schreibweisen mit Entzücken aufgenommen, bewun-
dert, nachgeahmt, verachtet, im Stiche gelassen habe und trotz
allen Strebens und augenblicklicher Blüte doch nicht Avisse, was
sie denn eigentlich wolle. — Ergänzend möge hier noch die
an anderer Stelle ausgesprochene feste Überzeugung Deninas
Platz finden, dafs trotz allem die deutsche Litteratur sich kaum
jemals den Ruf der englischen erwerben werde ; sei doch die
dichterische Kraft Englands nicht Resultat des Klimas oder
Bodens, sondern seiner freien Regierung, seines die Anschauun-
gen erweiternden, ideenschöpferiechen Handelsverkehrs. „Kann",
ruft er aus, „ein Unterthan eines Erzbischofs von Trier, eines
Bischofs von Brixen oder Fulda, eines frommen Kurfürsten von
Bayern oder einer bigotten Kaiserin- Königin, kann der Bürger
einer dem Namen nach freien, aber rings von mächtigen Nach-
barn umgebenen Stadt so denken, sprechen und schreiben, wie
ein Mitglied des englischen Parlaments oder auch nur wie ein
einfacher Bürger, welcher das Wahlrecht besitzt?-' — Eine
ähnliche Prognose stellt Andres unseren litterarischen Lei-
stungen, welche seiner Ansicht nach stets jene Feinheit, jene
Vollendung vermissen lassen würden, die zur Einreihung unter
die „opere classiche e magistrali" gerechten Anspruch verleihe.
Ja Bett in eil i bedauert schmerzlich, dafs aus purem „amore
di novitä." und von der Sucht befangen, dem Auslande zu hul-
digen, seine „guten Landsleute" gewissen deutschen Dichtern
im Lichte der zeitgenössischen italienischen Kritik. 247
allzusehr und unverdient zu huldigen pflegten. Mit dem Aus-
rufe „Povera Italia, in quai mani cadi tu troppo sovente" er-
öffnet er an anderer Stelle eine Reihe ähnlicher „patriotischer
Beklemmungen".
I)afs an dieser Tedeskomanie — sit venia verbo — Klop-
stock einen hervorragenden Anteil habe, ist, auch ohne dafs es
uns eigens versichert wird, so einleuchtend, dafs im V^erhält-
nis zu den Lobsprüchen, welche, wie wir bemerken konnten,
so manchem Johanneswürmchen unseres Parnasses vom Aus-
lande gespendet worden, Bezeichnungen wie „Homer Deutsch-
lands" oder „Milton vergleichbar" oder „Patriarch des nörd-
lichen Helikon" um so weniger auffällio; erscheinen können, als
dieselben in der That nur schwache Symptome der fast un-
geteilten hohen Verehrung sind, welche Klopstock in Deutsch-
land genofs und an welche nach Deninas (vom 26. Oktober
1782) und Cornianis Zeugnissen weder die Ariosts noch Tassos
in Italien heranreichte.
Klopstocks Erstlingswerk, mit welchem er zielbewufst, wie
seine Schulpfortaer Abschiedsrede darthut, seiner Nation dich-
terisches Ehr- und Selbstgefühl wiederzugeben suchte, ist zu-
gleich dasjenige, welches im Auslande vornehmlich — in Deutsch-
land schätzte man ihn Denina zufolge höher als Voltaire —
seinen Ruf dauernd begründete. Über das Versmafs freilich,
welchem durch den Messias an Stelle des pedantischen Alexan-
drinischen Menuettrhythmus das Bürgerrecht verliehen werden
sollte, waren, wohl nicht unbeeinflufst von dem landläufigen
schroffen Vorurteile des Auslandes von der Härte unserer
Sprache, überhaupt damals die Meinungen geteilt. Während
der Herausgeber der Frugonischen Opere, Graf Rezzonico, in
seinem Rag- sulla volg. poes. die Hexameter Klopstocks einfach
bellissimi nennt, ein Lob, das allerdings von einem Verehrer
Frugonis und seiner versi sciolti nicht gerade viel besagen will;
während Denina, dessen rhythmisches Zartgefühl doch weit em-
pfindlicher war, offen gesteht, dafs die dem Messias eigene
Ver.sifikation den Deutschen die Energie und den Reichtum
ihrer Sprache erst zum Bewufstsein gebracht habe, dafs sie
eine Harmonie besitze, deren Möglichkeit man nicht einmal
geahnt habe, nennt Corniani in seinem oben erwähnten Saggio
2 IS Deutsclie Kultur und Litteratur dos 18. Jalubundorts
zwar die Verse des Messias ebenso „singolari" — in lobendem
Sinne — wie ihren Inhalt und sieht darin, dafs Klopstock wie
Mihon und vor ihnen Trissino das „Joch" des hergebrachten
Keimes abgeschüttelt, eine dankenswerte That, aus der zwar
„una fatica assai piü penosa", dafür aber „bellezze molto mag-
giori" resultierten: aber schon damals ist er, was das Verhält-
nis der Klopstockschen Hexameter zu den antiken anlangt, vor-
sichtig genug, um von eigenem Urteile abzusehen und zu ver-
eichern, dafs wenigstens die Landsleute des Dichters in seinen
Versen die gleiche Harmonie zu bemerken glaubten wie in den
besten griechischen und römischen, ja dafs Deutschland „con
trasporto" diese „glückliche Neuerung" adoptiert habe. In sei-
ner später geschriebenen Litteraturgeschichte aber geht er noch
freier mit der Sprache heraus, indem er versichert, die ganze
Harmonie des deutschen Hexameters beschränke sich auf die
aus einem scheinbaren (apparente) Daktylus und einem Spon-
deus bestehende Schlufskadenz. Dafs er zur Begründung des-
sen sich auf eine Aufserung gerade Deninas beruft, wonach
diejenigen sich einer „furchtbaren Täuschung" hingäben, welche
in den Gedichten Bodmers oder Klopstocks das Metrum Ho-
mers oder Vergils wiederzufinden glaubten, läfst uns an der
Aufrichtigkeit des oben citierten Deuinaschen Lobes einiger-
mafsen irre werden; doch giebt der in Pr. lit. s. v. gezogene
Vergleich des Stiles und Versmafses im Messias mit dem Rhein-
weine, der auch erst zu schmecken anfange, wenn man sich an
ihn gewöhnt habe, seine wahre Meinung um so klarer zu er-
kennen, als er hinzufügt, dafs es einem an französische, spani-
sche, italienische Weine gewöhnten Gaumen freilich sehr schwer
werde, am Rheinweine Genufs zu finden.
Mit dem Gedichte selbst, seinem Inhalte und seiner Ten-
denz beschäftigt sich am eingehendsten, und, so sehr auch aus
der Haltung seiner Kritik das „mediocribus esse poetis non licet"
herausklingt, mit wohlwollender Teilnahme Andres. Wenn er
gleich betont, dafs weder Milton, noch Voltaire, noch Klopstock
in ihren Leistungen an die Epiker des IG. Jahrhunderts, au
Camoens, Ariosto, Tasso heranreichen, gelten ihm doch an an-
derer Stelle die Reinheit und Eleganz der Sprache sowie die
lebhafte und energische Diktion des Klopstockschen Epos als
im Lichte ilor zeitgcnössischm italienischen Kritik. 240
unbestreitbare Vorzüge, nur dadurch beeinträchtigt, dafs es dem
Dichter nirgends gelungen s-ei, dem Leser mit glänzenden Bil-
dern zu gefallen oder sein Herz durch pathetische Züge zu
rühren. Die Originalität der Gleichnisse, führt er aus, an sich
ein Vorzug, werde durch ihre Absonderlichkeit und Verschro-
benheit ein Mangel. Welche Vorstellungr grebe unter anderem
Gabriels Reise auf einer Strafse, die ganz aus Sonnen gebildet
sei? Oder die Fröhlichkeit der Engel, vermöge deren ein Sab-
bath heiliger werde als andere ihresgleichen, oder andere ähn-
liche Erfindungen der Klopstockschen Phantasie? Die That
des vom Teufel besessenen Samma, der seinen Sohn lienoni
gegen eine Klippe schleudere, sei, abgesehen davon, dafs sie
abgeschmackt, für die Seele des Lesers, statt sie zu rühren,
tief beleidigend und verletzend. Der Tod des Judas habe doch
gewifs eine vortreffliche Gelegenheit geboten, Scenen zu schaf-
fen, die von „anmutigem Schaudern" belebt seien. Was aber
habe Kloj)stock gethan? Er verliere sich darin, den Ituriel,
Judas' Berater, den Teufel Abbadonna suchen und letzteren
die feierlichen Formeln der Todesengel sprechen, dann aber die
Seele des Judas, von den aus dem Leichname ausgeströmten
Lebensgeistern umgeben, wegfliegen und in die „frostigsten Ab-
geschmacktheiten" ausbrechen zu lassen. Nur im Fluge be-
rühre er den verbrecherischen Tod dieses Verworfenen, male
aber nichts von den höllischen Leidenschaften, welche seiu
Herz bestürmten, nichts von den wilden Qualen seines Ge-
wissens, nichts von alledem, was dieses düstere und schauer-
liche Bild hätte anregend, packend machen können. So sei denn
die Idee, Klopstock in dem Sinne als Nachahmer Miltons zu
betrachten, wie Virgil als den Homers — ein Verhältnis, das
übrigens nach Deninas Mitteilung von Klopstock selbst bestrit-
ten wurde — , durchaus unstatthaft; denn so wenig man Milton
eine feurige Phantasie, das Erbe Homers, absprechen könne,
so wenig zeige sich in seinem Nachahmer Klopstock jene
Nüchternheit und Klarheit der Aufll^assung, jene Schärfe des
Ausdrucks, welche aus Virgil das Wunder der Jahrhunderte
machten. Mit Milton zwar habe er das Feuer der Phantasie
und des Enthusiasmus gemeinsam, aber auch das Ungeschick
sowohl in der Wahl des Stoffes als in der Decenz seiner Be-
*250 Deutsche Kultur und Litteratur des 18. Jahrhunderts
handlung. So könne es denn — damit schliefst Andres seine
Beurteilung — nicht ausbleiben, dafs dem nicht ganz glaubens-
festen Leser die Geheimnisse des Christentums wohl gar in
dem trüben Lichte von Fabeln erschienen, und darum sei es
wohl das Beste — hier zeigt sich wieder einmal der geistliche
Charakter genannten Kritikers — , diese Mysterien den Theo-
logen zu überlassen, als aus ihnen so zu sagen eine christliche
Mythologie bilden zu wollen. Von dem, was Hettner mit vollem
Rechte an Klopstocks Gestalten aussetzte, dafs man an ihnen
jenen Dante-Miltonschen tief plastischen Gestaltungstrieb ver-
misse, „der die Furcht nicht kenne, die Reinheit und Heilig-
keit der religiösen Empfindung durch irdische Vermenschlichung
zu gefährden", davon ist Corniani ganz verschiedener Meinung.
Gerade Dantes Phantasie scheint ihm mit ihrer Verteilung der
Geister in die drei Welten allzusehr die natürlichen Grenzen zu
überschreiten und in die unermefslichen Räume der Unendlich-
keit sich zu versteigen, während es Klopstocks ebenso wie
Miltons unbestrittenes Verdienst sei, den Schauplatz wenigstens
der ersten Handlungen auf diese Erde verlegt und damit die
Persönlichkeiten der Dichtung uns menschlich näher gerückt
zu haben. — Dafs die Wunder der Schöpfung — er führt dies
an einer anderen Stelle (unmittelbar nach Erscheinen des letz-
ten Gesanges) aus — die Phänomene der Natur, die unent-
wirrbaren Regungen der menschlichen Leidenschaft im jNIessias
SO glücklich dargestellt, dafs das Ganze von lebhaften Bildern
durchwoben sei, welche die Phantasie des Lesers mit sich fort-
reifsen ; dafs die erhabenste Metaphysik die Phantasie des
Dichters wie seiner Leser in die dunkeln Geheimnisse des gött-
lichen Weltenplanes einführe und ihr die Kraft verleihe, die
Tiefen der Unendlichkeit zu messen: diese Vorzüge scheinen
ihm die Vortrefilichkeit des „meraviglioso j)oema" noch nicht
erschöpfend genug darzulegen ; er citiert vielmehr noch einige
Stellen aus der Vorrede, welche Giacomo Zigno, der enthusiasti-
sche Verehrer unseres Dichters, seiner italienischen Übersetzung
der ersten zehn Gesänge des Messias beigab, und in welcher
dem Gedanken Ausdruck gegeben Avird, dafs gerade Klopstock,
„der eigentliche Schöpfer der klassischen Epik", iWit grofsem
Geschick gleichzeitig die Herrlichkeit und Barmherzigkeit des
im Lichte der zeit<>;enössischen italienischen Kritik. 251
Weltenschöpfers dem menschlichen Verständnisse zu nähern
und doch seine unendliche, unfafsliche Vollkommenheit zu schil-
dern gewufst, dafs er die christliche lieligion in ihrer ganzen
Höhe und Gewaltigkeit darzustellen und doch in die tiefsten
Geheimnisse der Göttlichkeit und Ewigkeit einzudringen und
sie zu verklären verstanden habe.
Wie zu erwarten, giebt Bettinelli seiner Abneigung gegen
die zeitgenössische deutsche Litteratur auch in seinem Urteile
über Klopstocks Epos unverhohlenen Ausdruck. „Die endlos
langen Gespräche, der Mangel an Handlung, die ermüdende
Einförmigkeit, die sich breit machende Metaphysik und Theo-
logie, die Gestalten der Engel und Dämonen, die Behandlung
des Geheimnisses der Gnade und der Prädestination": alle diese
Dinge erscheinen ihm als ebensoviele Bestätigungen der von
ihm bei jeder Gelegenheit proklamierten tiefernsten angeblichen
Thatsache, dafs es der deutschen Dichtung an einem der wich-
tigsten Requisiten des Dichtens überhaupt, an dem guten Ge-
schmacke fehle. — Welchen Ruf indes das Werk in Italien
besessen, möge daraus ersehen werden, dafs nicht nur Denina
mit seiner freieren philosophischen Anschauung vom Christen-
tume ihm vor der seinerzeit viel gelesenen „Redenzione" Tri-
veris mit der in ihr strikt eingehaltenen theologischen Obser-
vanz den Vorzug gab, sondern dafs auch den um ihrer Ten-
denz willen Aufsehen erregenden zwölf Visioni „del gran Va-
rano" der Litterarhistoriker und Dichter Monti noch 1807, um
ihre Vortreff'lichkeit kurz zu bezeichnen, keine bessere Empfeh-
lung zu geben wufste als ihre Gleichstellung mit den Visionen
Hesekiels und mit Klopstocks Messias. Andererseits bietet
gerade Montis Kritik über letztgenanntes Epos in " den ver-
schiedenen Jahren und Phasen seines wechselvollen Lebens ein
Bild von der augenfälligen Wandelung des Urteils, welche der
Messias in den ersten fünfzig Jahren nach der Veröffentlichung
seiner ersten Gesänge überhaupt zu erleben hatte. In einem
Briefe an Aur. Bertöla vom 5. November 1779 bedauert er leb-
haft, da er gezwungen' sei, „a perdere i pensieri in cose che
nulla hanno a fare colla poesia", seinen Plan einer Messias-
übersetzung aufgeben zu müssen. In einem im gleichen Jahre
erschienenen „Discorso ad E. Quir. Visconti" versichert er,
252 Dtutsclie Kultur uii'l Litteratur des 18. J;ibiliuiKk'rts
dies Epos vermöge ihn „con violenza" iu das dem deutschen
Dichter eigene „sentimento", ja seine Phantasie in Ekstase zu
versetzen; er nennt dort Klopstock einen „Bruder MiUons, gleich
diesem vom Geiste eines David beseelt" ; seine Phantasie im
Ausmalen des Schrecklichen sei wohl noch mächtiger als die
des Engländers, wogegen letzterer in feinen, zarten Zügen mehr
als jener zu leisten gevvufst habe. So erwecke beispielsweise
die Versammlung der Teufel im zweiten Gesänge solche Furcht,
dafs Beelzebub selbst, wäre er Dichter, die Rede Satans nicht
besser hätte abfassen können. 44 Jahre später hingegen, 1823,
entschlüpft Monti bei Beurteilung der Pyrkerschen Tunisiade
der von nichts weniger als von Bewunderung zeugende Ausruf,
Milton wie Klopstock hätten ihr Möglichstes gethan, Engel wie
Teufel im Reiche der Poesie in Thätigkeit zu setzen, aber die
AVeit habe bereits gerichtet, mit wie geringem Erfolge: diese
Wesen stünden im Vergleiche zu der menschlichen Natur ent-
weder zu hoch oder zu tief; es fehle ihnen die notwendige In-
dividuation, so dafs die Phantasie ihr Bild nicht festhalten
könne.
Das Lessingsche Epigramm auf Klopstock, das ja in erster
Linie dem Messias galt, ist auch Denina bekannt; er erklärt
sich indes diese vorwiegend platonische Liebe seiner Zeitgenos-
sen aus dem Widerspruche, in welchem das Gedicht zu dem
unchrißtlich gesvoi denen Geschmacke derselben stehe. Zweifel-
los sei es, dafs man einst, und zsvar zur Zeit des Erwachens
deutscher Poesie, dank Luthers Bibelwerke, dem damals einzig
mustergültigen Meisterwerke deutscher Schriftsprache, gerade
an heiligen Stoffen und biblischem Stile, an der Sprechweise
der Propheten und Patriarchen Geschmack gefunden habe, und
in diesem Sinne sei Luther als der deutsche Petrarca zu be-
trachten. Denn wie einst die Dialoge, Novellen und sonstigen
Dichtungen der italienischen Cinquecentisten einzig darum von
Liebe durchglüht seien, weil ihre Vorbilder Petrarca und
Boccaccio, die ihnen ihre Sprache geschaffen, ihnen eben nichts
anderes als derartiges geboten, so hätten auch die Deutschen,
denen kein besseres Buch in ihrer Sprache als die Lutherische
Bibel zu Gebote gestanden, sich lediglich „suUo stile dei cantici
e sopra le manicre di parlare de' patriarchi e de' profeti*' ge-
im Lii'Iite der zeitgenösslscln'n italienischen Kritik. 253
bildet. Mit der zunehmenden Entchristlichung aber habe die
Abnahme des Geschnaackes an biblischem Stoff und Stil glei-
chen Schritt gehalten. Dafs jedoch trotzdem das Werk in
Deutschland hohes Ansehen geniefse, entnimmt Corniani aus
der ungewöhnlich grofsen Zahl von Interpreten und Kom-
mentatoren desselben, unter welchen ihm der von Zigno als
„Addison Klopstocks" bezeichnete Göttinger Prof. Meyer einer
besonderen Erwähnung würdig zu sein scheint.
Die Lyrik Klopstocks, jenes Gebiet, auf dem er das zwei-
fellose Verdienst hat, wahrhaft schöpferisch gewirkt zu haben,
wurde von Italien aus nicht ungünstig beurteilt; selbst Retti-
nelli mufs (SuU' eloq. Pref.) bekennen, dafs von allen modernen
Dichtern diejenigen der germanischen Völker — er nennt na-
mentlich die Engländer und die Deutschen — unter ihnen Klop-
stock, in erhabenen Bildern und Gedanken die Nachahmung an-
tiker Gröfse zu relativ höchster Vollendung gebracht haben.
Bertola erwähnt den „Züricher See-', eine Ode, welche dieser
See mit den Reizen seiner Umgebung -wohl verdient habe ;
Denina bewundert die edle, erhabene Sprache der Klopstock-
schen Lyrik, der man freilich eine gewisse Schwerverständlich-
keit nicht mit Unrecht zum Vorwurfe mache, und nur Cl. Van-
netti sieht in ihnen — er hat wohl vorzüglich die religiösen
Oden mit ihrer „facultas lacrimatoria", ihrem Gefühls- und
Thränenchristentum im Auge — nichts als langausgedehnte
Ekstasen, Visionen, Träume, Geistesparoxysmen in wechseln-
dem Stile, bald stofs- und sprungweise, bald in bombastischen
und einer Stentorlunge angemessenen Perioden, mit obligatem
Wechsel von O! Ah! Ach Gott! kurz dasjenige, was Hille-
brand einmal mit dem „beständigen Zittern in pathologischer
Unruhe" treffend bezeichnet, Klopstock selbst aber als „Thaten
der Seele" charakterisierte. „Was würde, Sig. Abate mio gen-
tilissimo", schreibt mit Bezug darauf der spottsüchtige Cava-
liere seinem gleichgestimmten Freunde Bettinelli, „aus jenem
Meisterwerke, dem vierten Buche der Aneide geworden sein,
wenn um unserer Sünde willen der Herrgott es zugelassen
hätte, dafs dieses Sujet von einem deutschen Dichter verarbeitet
würde? Würden nicht diese so angemessenen, ruhigen Ge-
spräche von ihm in ein Meer von Betrachtungen, Selbst-
254 Deutsche Kultur und Litteratur des 18. rTahrliunderts
gesprächen, Antithesen aufgelöst, diese lebhaften, aber innerlich
wahren leidenschaftlichen Empfindungen zu philosophischen und
romantischen Delirien geworden sein?"
Es kann nicht wunder nehmen, wenn bei solcher Strenge
der Beurteilung Klopstocks dramatische Dichterthätigkeit, wie
in Deutschland, wo nach Deninas Berichte selbst des Dichters
„Adam" sich auf der Bühne nicht hatte halten können, so auch
bei der italienischen Kritik sich nur gemischter Wertschätzung
erfreute. Wirklich aufrichtige, fast enthusiastische Bewunde-
rung findet das Drama nur bei seinem Übersetzer Gasp. Gozzi.
Ihn fesselt vor anderen Vorzügen desselben besonders die Ein-
fachheit seines Stils und die Wahrheit und Reinheit seiner
Sprache. Wie es, bemerkt Gozzi in dem Proemio zu der
Übersetzung dem Leser, kein leichtes Beginnen und gewifs
keine gei'inge Probe poetischen Geistes sei, das Charakterbild
eines Naturmenschen wie Adams so zu schaflTen und zu erhal-
ten, dafs man von einer mühsamen oder erkünstelten Redewen-
dung keine Spur bei ihm finde, er vielmehr selbst dem Hervor-
brechen der Leidenschaft stets edle, erhabene Worte zu geben
vermöge: so sei es ihm freilich von Anfang an klar gewesen,
dafs gerade die Wiedergabe solch grandioser Einfachheit dem
Übersetzer eine Verpflichtung auferlege, zu deren Übernahme
ihn persönlich eben nur das bei der Lektüre des Dramas em-
pfundene hohe Wohlgefallen habe bestimmen können. In sei-
nem der Übersetzung hinzugefügten Ragionamento berichtet
Gozzi, bei Vorlesung des Dramas seien häufig genug heifse
Thränen von solchen Zuhörern vergossen worden, deren Augen
sonst stets trocken, denen bei ähnlicher Gelegenheit eine töd-
liche Langeweile vom Gesichte abzulesen sei; es sei letztere,
bemerkt er, die unausbleibliche Folge davon, dafs die italieni-
schen Tragiker, der natürlichen Einfachheit vergessend, „bei
jeder Gelegenheit die grofse Glocke ertönen, bei jedem Verse
alle Kraft, die sie in den Lungen hätten, ausströmen liefsen".
Im weiteren Verlaufe seiner Besprechung lenkt er auf einige
seines Erachtens ganz besonders hervorrao-ende Schönheiten des
Dramas, auf den Schauer Adams vor dem Tode, auf das
Totengräberamt, das er für seine eigenen Gebeine verrichte,
auf seine Sehnsucht, vor dem Tode noch einmal das irdische
im Lichte (?er zeitgenössisclien ifalienisclien Kritik. 255
Paradies zu schauen, auf die Ankunft Kains, das Auffinden
des Abelschen Altars und anderes die Aufmerksamkeit der Leser
und unterzieht endlich die Tragödie rücksichtlich ihrer Sprache
einem Vero-Jeiche mit den tragischen Dichtungen Koms und
Griechenlands. Die würdige Haltung Adams angesichts des
ihm vom Todesengel verkündeten Dahinscheidens legt ihm hier-
bei einen Vergleich dieser Situation mit der ähnlichen Hekubas
in den gleichnamigen Tragödien Senekas und des Euripides
nahe, der allerdings zu Ungunsten wenigstens des römischen
Dichters ausfallen mufste. — Anders die übrigen italienischen
Kritiker. Bettinelli bezeichnet den Adam kurzweg als „insipido".
Andres berichtet mit offenkundigem Spotte, Klopstock habe
aufser dem Namen, den er sich durch das „Anstimmen der
epischen Trompete" erworben, seinen Kuhm durch Anlegung
des tragischen Kothurns vermehren, habe nicht nur der Homer,
sondern auch der Sophokles Deutschlands sein wollen. In vor-
sichtigen, aber nicht eben absprechenden Wendungen bewegt
sich bezüglich des „Adam" Denina. Bei Besprechung Dantes,
der angeblich die Anregung zu seiner Divina Commedia von
den „Novellieri francesi" des 13. Jahrhunderts erhalten habe,
bemerkt er, diese Novellendichtungen und die göttliche Komödie
ständen in demselben Verhältnisse zueinander wie etwa die
läppischen Bühnendarstellungen der vergangenen Jahrhunderte
zur Eacineschen „Athalie" oder zu „Adam" von Klopstock.
Wenn Denina dann mitteilt, er habe von einem der geachtet-
sten Autoren Deutschlands — den Namen erfährt man nicht —
gehört, dieses Drama sei die beste aller Klopstockschen Dich-
tungen, und dessen neun Jahre nach seinem Erscheinen durch
Gleim erfolgte Versifikation aufrichtig bedauert, so sind der-
gleichen Äufserungen doch immerhin nicht bestimmt genug, um
über dieses Kritikers eigenes Urteil von Klopstocks dramati-
schen Verdiensten ins klare zu kommen.
Über Klopstocks Bardiete, mit denen ja ohnehin der Dich-
ter erst spät in die Öffentlichkeit trat, ist als solche uns kein
Urteil zu Gesicht gekommen. Corniani erwähnt wohl sein
„Poema, intitolato Bardiet o sia la battaglia di Arrainio", knüpft
aber daran keinerlei beurteilende Bemerkung. Dafs Klopstocks
immerhin nicht erfolglose Bemühungen, dem deutschen Volke
256 Doutsche Kultur und Litteratur des 18. Jahrhunderts
wieder Mut und Selbstvertrauen zu geben, in ihm den Glauben
an den Adel deutscher Gesinnung und Sitte wieder zu wecken,
seiner Poesie „die Seele einzuhauchen", im Auslande seinerzeit
nicht anerkannt wurden, ist w^ohl kaum zu verwundern ; auch
uns Deutschen ist ja erst lange nach Klopstocks Tode die bei
allen Schwächen hohe Verdienstlichkeit seines patriotischen Wir-
kens ins Bewufstsein getreten!
Wie in Deutschland, so hat auch in Italien die kleine Zahl
von Anhängern, welche man wenigstens mit Rücksicht auf
Klopstocks Lyrik zu einer Schule seines Namens vereinigen
könnte, wenig Anerkennung gefunden. Hatten doch, wie das
so oft geschieht, auch Klopstocks Bewunderer gerade die auf-
fälligen Seiten und Neigungen seines dichterischen Schaffens
zu kopieren und — freilich ohne ihres Vorbildes innere Berech-
tigung hierzu — fortzubilden sich bemüht, Neigungen, welche
dem italienischen Naturell überaus wenig sympathisch sein
konnten! So wird denn von allen Klopstockschen Nachahmern
— wir haben hier besonders jenen „vertrockneten Zweig unse-
rer Litteratur", die Bardendichtung, im Auge — eigentlich nur
Denis, und auch dieser nur von Andres und Denina als her-
vorragender Dichter genannt; von ersterera wegen einer ge-
wissen Gefälligkeit und Anmut der Darstellung, welche man in
der deutschen Sprache vordem lange vergebens gesucht; von
letzterem einmal um seiner Übersetzung des Ossian willen, die
ihm einen Vergleich des „Druiden an der Donau" mit dem
seinerzeit gefeierten italienischen Ossianübersetzer Cesarotti nahe
legt, dann aber, um mit seiner und mehrerer anderer österreichi-
scher Dichter, wie Blumauers, Mastaliers, Sonnenfels' Namens-
nennung das nach seiner Ansicht unbegründete Vorurteil von einer
Inferiorität der geistigen Atmosphäre Wiens Berlin gegenüber
zu entkräften, für die, wenn sie wirklich vorhanden, in jedem
Falle die Ursachen ganz wo anders zu suchen seien, als etwa
— das Cölibat ausgenommen — in religiösen Verhältnissen
oder einem sittlich-intellektuellen Defekte.
Man hat es mit Recht als einen Vorzug der Wielandschen
Muse stets betrachtet, dafs dieselbe mit dem ihr eigenen, im
Gegensatze zu Klopstock, dem Patrioten, weltbürgerlichen Sinuc
inid Wesen, mit der Gefälligkeit, ja Zwanglosigkeit ihrer Dar-
im Lichte der zeitgenössischen italienischen Kritik. 257
Stellung — fino e gentile nennt sie'Bertöla — , mit der aus ihr
atmenden, heiter sinnlichen, realistischen Lebensauffassung —
„leggiadramente giuocare colle Grazie" nennt es Andres, ,.vo-
luttuosa morbidezza" Zanella — , mit ihrem dem Naturell des
Südländers so willkommenen graziösen Humor, ihrer schalk-
haften Skepsis ganz besonders o-eeisznet gewesen sei. die roma-
nische Welt an Deutschlands erwachter litterarischer Schaffens-
kraft dasjenige Interesse gewinnen zu lassen, welches die starre
Form und der spröde Stoff der Klopstockschen Dichtungen
allerdings einzuflöfsen nicht vermocht hatten ; und wenn wir
den modernen italienischen Litteratoren glauben wollen, hat
gerade der Umstand, dafs Wieland in der Eigenart seines
Denkens und Empfindens so wenig deutsch war, dem übrigen
Europa die Bekanntschaft mit unserer Sprache und Litteratur
in erster Linie vermittelt. Um so mehr niufs es mit Verwun-
derunor erfüllen, dafs die italienische Kritik in so gerinofem
Mafse von Wielands Leistungen, selbst den besten, Notiz
nimmt. — Eine kurze, mehr skizzierende als erschöpfende
Kritik der im Banne der Seraphik entstandenen Wielandschen
Jugendschriften giebt in der Nuova Raccolta Corniani. Er
macht unter ihnen das didaktische Gedicht „die Natur" nam-
haft, in welchem sich Wieland als einen „enucleatore" des
Lukrez beweise, dann „Moralische Briefe", jene Kopie der
Ip, „Epitres diverses" des Landdrosten von Bar, und „Anti-Ovid",
gedenkt des gastlichen Aufenthalts, den der Dichter durch
Bodmer in Zürich gefunden, und der von dort aus publizierten
Schriften: „Briefe von Verstorbenen", in denen Wieland die
„Friendships in death" der gefeierten Rowe nachahmte, nennt
das Fragment gebliebene Gedicht „Cyrus", in welchem er das
Ideal eines Helden und Regenten zu zeichnen unternahm, das
Trauerspiel „Johanna Gray" — als einen „meschino tentativo"
charakterisiert es ein moderner Litterarhistoriker mit Recht — ,
sowie endlich „Poetische Schriften"; letztgenanntes Werk be-
trachtet er als eine Nachahmung der Thomsonschen „Jahres-
zeiten", nicht blofs was die in ihnen dargestellten „interessant!
avventure patetiche, consecrate all' amore, alla sensibilitä, all'
amicizia" anlange, sondern auch in der Kunst der Beschrei-
bung, in der Kraft, Schönheit und Mannigfaltigkeit der Farben-
Archiv f. n. sprachen. LXXV. 17
258 Deutsche Kultur und Litttratur des 18- Jahrhunderts
abtönung. Das letzte der von ihm besprochenen Werkelten sind
die „Gedanken über eine alte Inschrift"; er bezeichnet es als
eine moralische Schrift, in welcher der Dichter die menschlichen
Charaktere, ihre Denk- und Handlungs weise und die Rücksich-
ten bespreche, aus denen man zu dem Entschlüsse gelangen
könne, sich der Sorge und des Argers über fremden Leumund
zu entschlagen. — Von dem Beifall, den Wieland, und zwar
angeblich in weit stärkerem Mafse als Klopstock, bei Lebzeiten
gefunden, bekommen wir eine Andeutung vom Herausgeber der
Frugonischen AVerkc, der ihn als Vertreter der Erotik bewun-
dert; dann aber berichtet hierüber auch Denina mit dem Hin-
zufügen, dafs der Dichter sein frivoles, mutwilliges Zeitalter
mit seinem Verlangen nach anderen dichterischen Objekten,
anderer Schreibweise, anderer Versbildung, als sie Klopstock
und Bodmer geboten, klar erkannt und es daher für richtiger
gehalten habe, den Spuren des leichten, gefälligen Messer Lo-
dovico (Ariost) als des würdigen, ernsten Tasse zu folgen. —
Denina selbst findet, so oft er auch Wielands Erwähnung thut,
und bei aller Anerkennung^ mit alls^emeinen Redewendungen
lobender Tendenz, W^ieland doch nur als Dichter des Oberen
nennenswert, weshalb er ihn einmal schlechthin als einen „poeta
epico semicomico" bezeichnet, der, wie von ihm in derselben
Schrift betont wird, in diesem seinem Werke mit Erfolg die
„Feerie" wieder zu Ehren gebracht habe, wenngleich, wie er
wunderlicherweise meint, nicht zu leugnen sei, dafs dieselbe
einem „edlen und wahrliaft heroischen" Gegenstande nicht an-
gemessen erscheine; wie denn überhaupt die Wahl eines Sujets
in dieser glaubens- und phantasielosen Zeit äufserst schwer sei,
in welcher Engel, Heilige, Zauberer und Teufel all den Kredit,
den sie zur Zeit Tassos und Miltons besessen, hätten preis-
geben müssen! Gäbe es doch thatsächlich kaum Helden oder
Ereignisse mehr, welche einen grofsen Teil der Christenheit in
dem Maf?e zu interessieren vermöchten, wie die Eroberung des
heiligen Landes zur Zeit Pius V., der Sündenfall in dem
„siecle theologique" Cromwells, die Bürgerkriege Frankreichs
beinahe noch jetzt einen grofsen Teil Europas! Dafs im Gegen-
sätze zu der zeitfjenössischen öffentlichen Meinung Wieland,
wie man höre, nichts mit Ariost gemein haben, sondern mit
im Lichte der zeitgenössischen italienischen Ki'itik. 259
seinem Oberon, übrigens einem ,.joli poeme" eine originale Lei-
stung geboten haben wolle, kann üenina nicht zugeben; viel-
mehr nimmt er ihn etwaigen Angriffen gegenüber, welche auf
diesen „celebratissirao e certamente maraviglioso autore" wegen
seiner den Italienern Ariosto, Pulci, Fortiguerra geleisteten Ge-
folgschaft etwa gemacht werden köimten, mit dem Nachweise
in Schutz, dafs auch die Voltairesche „Pucelle" durchaus nicht
original, sondern ganz und gar in der Manier der Italiener ge-
dichtet worden, überdies die Originalität nicht als das einzige
Kriterion der Vollendung zu betrachten sei. Ja, so unum-
stöfslich ist diese seine übrigens vollkommen begründete Mei-
nung von Wielands Nachahmung italienischer Autoren, dafs er
fast triumphierend dieselbe als einen Beweis mehr für den ge-
ringen Einflufs anführt, den Voltaire auf die Entwickelung des
deutschen Geschmackes geübt habe. ;,Die Pucelle", ruft er
aus, „ist nur allzu eifrig in Deutschland gelesen worden, und
doch, wo ist ein deutsches Gedicht, das in diesem Geschmacke
gedichtet worden und auch nur einigermafsen Beifall gefunden
hätte? Ohne Zweifel hat der Verfasser des Oberon Voltaire
gelesen; kann man aber sagen, dafs er ihn gerade als Vorbild
genommen und nicht vielmehr Ariost, Tassoni und Fortiguerra?"
— Aber so hoch auch Denina den Oberon stellt, so wenig ver-
mag er, wie aus einer anderen Stelle erhellt, seinem Agathon,
dessen auch Andres, ohne eine Kritik beizufügen, gedenkt, rech-
ten Geschmak abzugewinnen. Er vermifet in ihm, diesem Ab-
güsse von griechisch verkleideter Shaftesbury- Voltairescher
Tagesphilosophie, jene „force d'imagination", jene Phantasie,
welche den Romanen anderer Nationen eigen, und glaubt den
Grund für diesen Mangel, welcher die deutsche Romandichtung
überhaupt charakterisiere, vorzugsweise in der Kleinheit des
Gesichtskreises, in dem geringen Suceurs grofser, sei es j^oli-
tischer, sei es moralischer Gesichtspunkte suchen zu müssen,
der ebenso wie in den Universitätsstädten auch in den Resi-
denzen Deutschlands, Wien etwa ausgenommen, einem derarti-
gen Dichter zur Verfügung stehe. Auch der Umfang der
deutschen Romane, im eigentlichen Sinne gesprochen, genügt
Denina nicht. Wohl müsse, führt er aus, die deutsche Nation
sich Glück wünschen, nicht solche Romane wie beispielsweise
17*
260 Deutsche Kultur und Litteratur dos 18. Jahrhunderts
die von Crebillon fils aufweisen zu können ; aber wie es un-
bestritten sei, dals ein Roman stets mit dem Charakter der
Nation, in deren Bereich seine Helden lebten und wirkten, und
zwar so wie der Erzähler ihn kennen gelernt, in engstem Zu-
sammenhange stehe; wie beispielsweise die moderne venetiani-
sche Romandichtuns: fast lediglich von den „filles de theätre"
zu handeln pflege: so atmeten die wenigen Erzählungen dieses
Genres, welche Deutschland aufzuweisen habe, fast durchweg
den Duft jener engbegrenzten Sphäre, in der ihre Verfasser zur
Zeit ihrer dichterisch schaffenden Thätigkeit sich bewegt hätten.
So interessant Romane wie Werthers Leiden, Wilhelmine,
Sophie dem Leser seien, sie seien doch nur klein im Verhält-
nisse zu denen anderer Nationen, und London und Paris för-
derten in sechs Wochen deren so viel ans Tageslicht wie
Deutschland in sechs Jahren. Vielleicht werde — damit schliefst
Denina diese interessante Auseinandersetzung — , wie einst für
England, das ja ebenfalls vor dem Eintritte in seinen welt-
erobernden und -beherrschenden Beruf ein Theater wohl, aber
keinen Roman besessen, eo auch für Deutschland, wenn es erst
die Gelegenheit zu reisen und sich auszubreiten besitze, eine
Zeit heranbrechen, in welcher es an Romanen so reich sein
werde wie an Erzeugnissen strenger Gelehrsamkeit. Wir den-
ken, die Litteraturgeschichte hat diesem Voraussehen des wacke-
ren Abate nur allzusehr recht gegeben!
Den Vorwurf geringerer Originalität, beschränkten Ge-
sichtskreisej=, aufserdem aber der Mattheit des Gefühls wie des
Ausdrucks, dazu einer schleppenden Entwickelung, innerer Un-
wahrscheinlichkeit der Handlung und bedenklicher Annäherung
an Plattheiten, ja Gemeinheiten, macht Denina auch dem schon
oben genannten Her messchen Roman „Sophie", den er aber
mit Recht nicht, wie wir dies gern thun, als eine Frucht Wie-
landschen Einflusses, sondern der Nachahmung Richardsons
und seiner Familienromane betrachtet. Überhaupt ist von einer
Wielandschen Schule oder Gruppe in dem bei uns noch hier
und da gebräuchlichen Sinne weder bei Denina noch sonst wo
die Rede, und das Staelsche Wort, dafs Wieland der erste
und der letzte deutsche Dichter der französischen Schule des
18. Jahrhunderts geblieben sei, hatte wohl schon, ehe es aus-
iiu Lichte der zeitgenössischen italienischen Kritik. 2G1
gesprochen, bei der italienischen Kritik seine Geltung besessen.
Denn auch der andere Nachahmer Wielands, H. v. Thünimel,
den übrigens Denina bei Gelegenheit der Vermählung des Erz-
herzogs Ferdinand in Mailand persönlich kennen lernte, findet
mit seiner „Wilhelmine", einem „joli petit roman", wie Denina
sich ausdrückt, diesem „wahren Meisterstücke einer komischen
Epopöe, die mit -ihrem schalkhaften, satirischen Genius sogar
die Blicke des Auslandes auf sich gezogen", wie sie ein deut-
scher Litterator des 18. eJahrhunderts besang, nur als Einzel-
erscheinung, nicht aber im Schatten Wielands Beachtung. —
Von Blumauer in Wien behauptet Denina in Dresden ge-
hört zu haben, wobei ihm, dem Bekämpfer des Cölibats von
alters her, besonders der Umstand Interesse einflöfst, dafs die-
ser, gleich Clem. Bondi Exjesuit, die Absicht habe, sich zu
verehelichen. Auch seine dichterische Thätigkeit ist Denina zu
Ohren gekommen ; sie führt ihn zu einem Vergleiche mit Lalli
(geb. 1572, Vertreter der poesia Bernesca und Verfasser einer
Aneistravestie) und Scarron und läfst ihm die spöttische Be-
merkung entschlüpfen, so seien denn die Jesuiten (er schrieb
dies einige Jahre nach Aufhebung ihres Ordens) drauf und
dran, nicht nur ihre „zaccherose- sottane ed i cappelloni", son-
dern auch endlich ihre mandarinenhafte Gravität abzulegen.
In welch tiefem Gegensatze die vornehmlich auf die Sinne
wirkende dichterische Art Wielands und seiner wenigen Nach-
ahmer zu der fast ausschliefsHch der Empfindung hingegebenen
Klopstockschen Gemeinde sich befand, hat Denina, wie oben
angedeutet, mit einer für den Ausländer anerkennenswerten
Klarheit erfafst; auch die schwärmerische Begeisterung, welche
der Göttino;er Bund für den nordischen Sänger in ebenso
naiver wie ostensibler Form an den Tag legte, ist ihm nicht
unbekannt geblieben ; nur dafs ihm der Irrtum begegnet —
ohne ein solches kleines Malheur geht es bei solchen Angaben
selten für ihn ab — , das\Präsidium dieses „poetischen Kon-
gresses" dem Grafen Dalberg (soll heifsen Stolberg) zu über-
tragen, den Sitz des Kapitels aber „in Wernigerode im Halber-
städtischen" zu suchen. Leider ist Denina — denn er allein
kommt hier in Betracht — weder die Stelluno; der einzelnen
Glieder des Bundes zu der von letzterem geltend gemachten
■2{'r2 Deutsche Kultur und Litteratur des 18. Jahiliundeits
dichterischen Idee zum Bewufstsein, noch sind die Wandelungen
in dem persönlichen Verhältnisse der Spitzen des Bundes zu-
einander, noch endlich die Eigenart ihres poetischen Schaffens
zu seiner Kenntnis gekommen, überhaupt aber aus diesem
Kreise ihm nur Bürger und Vofs und, wenn man den einzig
treugebliebenen Freund des erstereu hinzuziehen darf, dank
seiner „Lieder zweier Liebenden" als auteur sentimental
Göckingk bekannt. \^on Bürgers Privatleben berichtet De-
nina 1791, er mache, obwohl er in Göttingen nur „des le^ons
particulieres" erteile, dort ebenso „Figur" wie die berühmtesten
Professoren dieser angesehenen Universität ; auch bespricht er
sein Verhältnis zu Elise von der ßecke, Stiefschwester der
Herzogin von Kurland, aus deren Teilnahme für ihn wie für
die Ramlersche und Klopstocksche Muse er als Feind aller
„educazlone conventuale" die weitgehendsten Schlufsfolgerungen
auf die Bildung und das Bildungsbedürfnis der deutschen
Frauen überhaupt zu ziehen Anlafs nimmt. — Wie sthr die
Vorliebe für englische Dichtung in Deutschland heimisch ge-
worden, in dem Mafse, dafs „i maggiori lumi" der deutschen
Gelehrtenrepublik es für ihre Pflicht gehalten, sich dem Publi-
kum mit irgend einer Übersetzung aus Pope, Thomson, Shake-
speare, Sherlock, Sharpe und sogar aus dem „Fanatiker For-
ster" zu präsentieren, wie dieses Studium auch auf Bürgers
volkstümliches Dichten eingewirkt, wie er infolgedessen als ein
wenn auch viel angefeindeter Pionier der Volksdichtung für
Deutschland anzusehen sei, darüber berichtet Denina; und dafs
nach dem Tode dieses „tutto Tedesco" seine dichterischen Pro-
dukte auch in Italien Eingang gefunden haben und unter an-
deren Giov. Berchet mit seiner Übersetzung der „Lenore" und
des „wilden Jägers", die in dem „Conciliatore" von 1818 er-
schien, den Zorn Montis erregte, ist eine mehrfach beglaubigte
und 80 bedeutsame Thatsache, dafs sich gerade an diesen Ver-
sionen in Italien der Streit zwischen Klassizismus und Ro-
mantik entzündet hat. Dafs aber schon während seines Lebens
in Bürgers Dichtungen jener „milde, sich immer gleich blei-
bende, männliche Geist" vermiföt wurde, der, nach Schillers
Worten, „auch in der vertrautesten Gemeinschaft mit dem V'olke
nie seine himmlische Abkunft verleugnet": das erkennen wir
im Lichte der zeitgenössischen italienischen Kritik. 263
aus der Deninaschen Vergleichung seines poetischen Genres
mit dem eines Berni oder Scarron; ein Urteil, das sich freilich
weniger auf seine bänkelsängernden Balladen als auf die falsche
Annahme, er habe nicht eine Übersetzung, sondern eine
Travestie der Ilias geschrieben, zu stützen scheint.
Ob Vofs und seine „admirable traduction d'Homere", eine
Übertragung, die man der Popeechen gleichstellte, in der That
ohne Klopstocks Messias das nicht geworden wären, was sie
wurden, wie es Denina als seine und seiner deutschen Zeit-
genossen Überzeugung ausspricht, mag mit Recht auch heute
noch als kontrovers gelten : sicher ist, dafs Vofs dem Auslande
durch sie, und zwar nur durch sie so bekannt geworden, dafs
Gius. Maffei neuerdings auch die Verdienste der Montischen
Homerversion im wesentlichen auf Vofs' Vorgang zurückzufüh-
ren geneigt gewesen ist. „Tutto Greco" nennt denselben ein
anderer moderner Litterator, Zanella, und meint, diese Vertraut-
Iieit mit dem Wesen und Schaffen der Alten in seinen Idyllen,
die an Theokrit und Bion erinnerten, in gleichem Grade erken-
nen zu können, wie in seiner Homer und Vir^il abfrelernten
geschickten Handhabung des epischen Verses.
So rühmenswert nach unseren bisherigen Beobacht untren
im allgemeinen die Diskretion war, mit welcher seitens der
italienischen Kritik die religiöse oder kirchliche Ei!j;enart der
Vertreter unseres Parnasses als bestimmendes Moment der Be-
urteilung behandelt wurde, so wenig ist es zu bezweifeln, dafs
religiöse, oder besser gesagt kirchliche Voreingenommenheit bei
dem Urteile einiger italienischer Zeitgenossen über Lessing,
den „parcus deorum cultor et infrequens", selbst auf Gebieten,
wo die Religion imr unmittelbar oder orar nicht in Betracht
kommt, vielfach die Feder geführt oder doch mindestens die
Kritik bestimmt hat. Denn wenn selbst ein INJann eo milden
Sinnes, wie Abbe Denina, der das Splnozasche „actiones hu-
manas neque ridere neque lugere neque detestari, sed Intelle-
gere" zur Richtschnur seines Urteilens gemacht zu haben
scheint, ein Mann, dem eigene bittere Lebenserfahrung über
pfäffischen Zelotismus die Augen geöffnet, bei Besprechung der
Relmarusschen Frao-mente und der aus ihrer Herausgabe resul-
tierenden Kontroversen mit Göze die Bemerkuns nicht unter-
26'4 Deutsche Kultur und Litteratur des 18. Jahibunderts
drückt, man könne nicht leugnen, dafs Lessing in seinen letz-
ten Jahren zur Erschütterung der Grundfesten der Kirche viel
beigetragen — ein Vorwurf, der sich an einer anderen Stelle
desselben Werkes mit dem Hinweise auf Lessings Laiencharak-
ter wiederholt ; Menn er über den Nathan, dieses „dramma sui
generis", wie es de Gubernatis nennt, auch nicht ein Wort
der Kritik, weder tadelnder noch lobender, zu finden weifs, es
aber der Erwähnung für wert hält, dafs Lessing mit Juden und
Jüdinnen viel verkehre, wenn ferner ßettinelli noch im Jahre
1775, als Lessing längst seine Minna und Emilia geschrieben,
das Tendenzdrama desselben, „Die Juden", aus der Vergessen-
heit, der es damals schon anheimgefallen, hervorzieht, um aus
der „insipidezza" dieses und des „Schatz", des trotz antiken
Vorbildes notorisch unbedeutendsten unter Lessings dramatischen
Erstlingswerken, die Unfähigkeit Deutschlands überhaupt zu
dramatischer Bedeutung nachzuweisen : dann mufs allerdings
die Vermutung nahe liegen, als habe denn doch wohl die
Strenjje religiöser Auffassung dem Urteile über den Dichter
Lessing mehr denn billig die Feder geführt! — Aber Denina
wird doch nicht, wie Bettinelli, geradezu ungerecht, und der
Eindruck, den er von ihm bei wiederholten persönlichen Be-
gegnungen in Turin 1775 (bei Gelegenheit seiner mit Prinz
Leopold unternommenen Heise) erhalten, ist immerhin ein so
nachhaltig bedeutender gewesen, dafs er noch zehn Jahre nach
Lessings Tode sich gewisser Einzelheiten ihrer Gespräche
genau zu erinnern vermag. Mit Bewunderung erfüllen ihn un-
seres Dichters umfassende Kenntnisse, selbst in der italienischen
Litteratur; mit Befremden hat er — denn den durch Lessings
Kreuz- und Querzüge sich schlingenden roten Faden des Er-
kenntnisdranges konnte der Ausländer nicht wahrnehmen! —
des Dichters Neigung bemerkt, a changer de place et d'occu-
pation : habe Lessing doch, wie er ihm selbst versichert, noch
nicht ein einziges Mal drei Jahre lang in derselben Stel-
lung ausgehalten und eben damals wieder den Gedanken ge-
hegt, Braunschweig zu verlassen und Theaterdirektor in Mann-
heim zu werden! Aus voller Überzeugung aber bezeichnet er
ihn als den bahnbrechenden Schöpfer der deutschen Sprache —
er hat hier vorzugsweise die Prosa im Auge — und Litteratur.
im Lichte der zeitgenössischen italienischen Kritik. '265
In erster Linie gebührt dieser Ruhm der von Lessing zu
dem Range einer Wissenschaft erhobenen ästhetischen Kritik,
die, wie G. Capponi sich ausdrückt, mit der ihr eigenen „ele-
vatezza" im stände war, „sein ganzes Jahrhundert mit letterati
zu befruchten". In diesem Sinne macht Corniani den kritischen
Wegweiser seiner Nation als den Herausgeber der Dichtungen
von i\I. Opitz, Denina der Werke Logaus namhaft, über dessen
Schreibart er „Reflexionen" angestellt habe; letzterer hebt auch
die Bedeutung der Litteraturbriefe gebührend hervor, bespricht
den tiefen Eindruck, den sein Laokoon, diese erste Urkunde
der neuen Ästhetik, auf die zeitgenössische wissenschaftliche
Welt gemacht, einen so tiefen, dafs man Lessing von da ab
als „le plus profond litterateur de l'Allemagne" und als den
betrachtet habe, „qui avait le plus de goüt". Er versichert
dann, sein in der „Dramaturgie" geführter erfolgreicher Kampf
gegen den Regelzwang französischer Dramatik und gegen fran-
zösischen Übermut überhaupt, besonders den Voltaires, im
Verein mit den drei Letztlingen seiner dramatischen Muse sei
es gewesen, der ihm den Namen des „grofsen Lessing" für
alle Zeiten gegeben. Was insbesondere „Laokoon" anlangt, so
war allerdings, wenn auch ein so hervorragender Kunstkenner
wie Ennio Quir. Visconti in seinen Schriften wiederholt sich
auf ihn als Autorität stützte, das Ansehen Winckelmanns in
seinem Adoptivvaterlande zu gewaltig, auch wohl die Eifersucht,
welche der seherische Enthusiasmus des letzteren der spiegel-
klaren Schärfe des Lessingschen Verstandes gegenüber empfand,
zu grofs, als dafs eine gerechte, unbefangene Würdigung des
Meisterwerkes daselbst sogleich hätte P'ufs fassen können.
Werfen wir, ehe wir fortfahren, einen wenn auch nur
streifenden Blick auf W inck elmann und die Stellung, welche
derselbe in dem zeitgenössischen Italien einnahm.
Mit Stolz erfüllt es uns, dem Namen und noch jetzt den
Manen Winckelmanns allenthalben in Italien eine Verehrung,
ja Bewunderung gezollt zu sehen, welche über das Mafs her-
kömmlicher internationaler Achtung weit hinausgeht. Mag es
immerhin sein, dafs, wie uns Zanella versichert, Winckelmann
infolge seines langen Aufenthaltes in Rom, seiner vertrauten
Freundschaft mit den Kardinälen Albani, Archinto und anderen
26G Deuttche Kultur und Litteratur des 18. Jitlubundcrts
liochangesehenen Gelehrten und Künstlern des Südens, auch —
wie wir hinzufügen können — auf Grund einer echt romani-
schen Denk- und Anschauungsweise „in qualche modo" als
Italiener angesehen werden kann ; mag man inuiierhin, wie sein
Biograph Justi es thut, VVinckelmanns ßömcrreise lediglich als
die Korrektur eines Versehens betrachten, welches das Schick-
sal bei seiner Geburt begangen hatte; hat auch Hettner vollauf
recht, wenn er an Winckelmann es rühmt, dafs derselbe inso-
fern den groften Italienern des 16. Jahrhunderts so ähnlich
gewesen sei, als er, wie diese, das Altertum nicht blofs stu-
diert, sondern gelebt habe; mag endlich Winckelmann selbst
es wiederholt in seinen Briefen ausgesprochen haben, dafs Rom
sein Vaterland geworden: in jedem Falle war er ein Deut-
scher, und so wenig wir je daran gedacht haben oder denken
können, etwa Metastasio, trotzdem er in dem deutschen \A'ien
weit langer gelebt als Winckelmann in der ewigen Stadt, für
Deutschland zu reklamieren, so wenig w'ird Winckelmann auf-
hören als ein Deutscher angesehen zu werden, auf welchen wir
gerade Italien gegenüber wohl Anspruch haben, recht stolz zu
sein. — Wir Epigonen kennen neben Winckelmanns aufser-
ordentlichen Vorzügen auch die ihm wie jedem Autodidakten
anhaftenden Schwächen, vor allen die seiner Auffassung der
griechischen Kunstentwickelung als einer von fremdem Einflüsse
unberührt gebliebenen, in sich abgeschlossenen ; nicht unbekannt
ist uns seine Einseitigkeit, in deren Banne befangen er den
Dichter so tief unter den Plastiker stellte: die Geschichte der
bildenden Kunst selbst hat ja Lessings Laokoon Recht gegeben ;
und wenn auch das bei ihm nicht ganz zutrifft, was einst
d'Alembert von Descartes sagte: „apres avoir eu des sectateurs
Sans nombre il est presque reduit a des apologistes", so hat die
Nachwelt sich von seinen Ideen vielleicht mehr als gut ist zu
emancipieren gewufst. Die Mitwelt \Mnckelmanns aber sah mit
bewunderndem Auf blick in ihm fast lediglich jenen, wie sich
Andres ausdrückt, „piü sodo, piü profondo, piü compito anti-
quario, che poträ forse chiamarsi per distinzione d'onore l'anti-
quario", einen Mann, in welchem Geist, Geschmack und Wissen
sich auf das glücklichste vereinten, um aus ihm den vollendet-
sten Interpreten und Richter der gesamten bildenden Kunst des
im Liclite der zeitgenössischen italienischen Kritik. 267
Altertums zu machen. Wenn Bianconi den Einfluf:?, welchen
ßaf. Mengs „sotto gli auspizj" Archintos auf Winckelmann aus-
geübt habe, ein wenig übertreibt, so dafs er unter anderem be-
hauptet, dieser sei es gewesen, der den Doctor umbraticus —
um mit Ruhnken zu reden — von jener „scorza pedantesca"
zu befreien geuufst, die demselben von der „Nöthnitzer Einsam-
keit" her eigen gewesen ; so mag dies der Begeisterung des
Lobredners für seinen so hoch verehrten, zu früh dahingeschie-
denen Freund zu gute gehalten werden : giebt er ja doch gleich
darauf zu, dafs die „penetrazione", welche Mengs in der Auffas-
sung griechischer Skulpturen eigen gewesen, sich mit dem stren-
gen Schönheitssinne und dem tiefen Wissen Winckelmanns auf
das glücklichste zu gemeinsamem Schaffen ergänzte, und, wenn
wirklich einmal ihre Auflassungen sich widersprochen, sie zu
Kardinal Albani „come al Paride della bellezza" rekurriert hätten.
Als die bedeutendste der Winckelraannschen Schriften gel-
ten Andres die „Monumenti inediti" — als sein „Exegi monumen-
tum" bezeichnet es Justi — ein Werk, von dem man sagen müsse,
dafs, trotzdem das Feuer seiner Phantasie und die Lebendigkeit
seines Geistes ihn in demselben zu bisweilen nicht ganz begrün-
deten Behauptungen fortgerissen, er doch mit ihm allein schon
eine neue Wissenschaft der Plastik geschaffen habe; dann sein
„Saggio sull' architettura degli antichi", vor allem aber seine Ge-
schichte der Kunst des Altertums, „das edelste und interessante-
ste Werk der antiquarischen Wissenschaft". Als dasselbe 1779
von dem Cistercienserkloster zu Mailand in italienischer Über-
setzung ediert wurde, glaubten die Herausgeber des dem Kardinal
Albani gewidmeten Druckes sich dem landsmännischen Leser-
kreise nicht besser empfehlen zu können als mit der Bemerkung,
dafs es Italien nicht gezieme, ein Werk, welches der unsterbliche
Winckelmann in Italien gedacht, geschrieben und auf die dort
befindlichen Schätze des Altertums gegründet habe, der fremden
Sprache zu überlassen, und eine Notiz des Pisaner „Giornale dei
Letterati" von 1 780 erklärt, indem sie die Herausgabe dieser Über-
setzung ankündigt, man werde kaum irren, wenn man Winckel-
mann mit diesem Werke dieselbe Stelluno; im Gebiete der Kunst
anweise, wie Montesquieu für das Studium der Gesetze, Descartea
für das der Philosophie. Nicht nur der sonst so mifsgünstige ßet-
268 Deutscbo Kultur und Litteratur des 18. Jahrhunderts etc.
tinelll nennt Winckelniann den „dottissimo raaestro" auf dem Ge-
biete der Kunst, sondern auch Lombardi gedenkt seiner wiederholt
in den Ausdrücken lebhaftester Achtung. Bei Erwähnung einer
litterarischen Kontroverse, welche der in seinen kunstkritischen
Aufstellungen zuweilen etwas kühne „antiquariuolo" Dom. Agost.
ßracci anläftlich seines Sammelwerkes „Memorie degli antichi
Incisori"' mit dem deutschen Archäologen hatte, und in welcher
der Italiener mit langverhaltenem Grimme sich nicht entblödete,
den Gegner als „testa ridicola e non troppo esperto antiquario"
zu brandmarken, tritt er seinem Landsmanne mit Entrüstung über
diese „espreseione insultante ed alla veritä assolutamente contraria"
entgegen und erklärt Winckelmanns Autorität auf diesem Ge-
biete für unantastbar. — Interessant ist, was uns Cam. Ugoni,
der allerdings mit seiner schriftstellerischen Wirksamkeit dem 18.
Jahrhunderte nicht mehr angehört, über das innere Verhältnis
Winckelmanns zu seinem Nachfolger als Oberaufseher der römi-
sehen Altertümer, E. Quir. Visconti — den Varro Italiens nannte
ihn Cassi — berichtet : Während der deutsche Schuhmachersohn,
führt er aus, des Geistes der Klassiker voll, mit deren methodi-
scher Lektüre er sein Wissen bereichert, den systematischen Geist,
der den Deutschen eigen sei, nach Rom gebracht und vermöge
dessen es verstanden habe, auch die Prüfung und Erkenntnis
klassischer Denkmäler zu einem methodischen Systeme zu gestal-
ten, in diesem „lato nazionale" also Visconti unbestreitbar über-
legen sei, habe dieser, dem die schwere Berufs- und Gedanken-
arbeit seines Vorgängers erspart geblieben, sich in der glück-
lichen Lage befunden, an das, was jener geschaffen, das Messer
der Kritik zu setzen, hier und da den „tuono poetico ed ispirato"
des deutschen Antiquars zu zwar ebenfalls eleganter, aber doch
einfacher und mafsvoller Darstellung zu dämpfen und ohne jeg-
liche Herabsetzung seines Vorgängers mit der Schärfe seines
L^rteils jenen bald übertriebenen, bald künstlichen, bald gar visio-
nären Enthusiasmus zu mäfsigen, vermöge dessen Winckelmann
oft mehr in dem Marmor habe liegen sehen, als in Wirklichkeit
in ihm sei.
Dresden. Dr. Th. Thiemann.
(Schlufs folgt.)
Die Hamlet-Periode in Shakspeves Leben.
Yon
Hermann Isaac.
III. Die Abfassung des „Hamlet." 2.
(Schlafs.)
Wenn wir die geäammelten Parallelstellen zu Haml., unter
denen sich eine stattliche Zahl frappanter Übereinstimmungen
finden, als Beweismaterial für eine zweifache Redaktion des
Dramas verwerten wollen, so könnte jemand vielleicht versucht
sein, als leitendes Princip für die Beweisführung den uneinge-
schränkten Satz aufzustellen: Die Parallelismen für Gedanken,
die bereits der Q. 1 augehören, müssen sich nur in früheren,
die Parallelismen zu Q. 2 ausschliefslich in späteren Dichtun-
gen finden ; dann ist die Wahrscheinlichkeit einer doppelten
Redaktion erwiesen. Finden sich dagegen Parallelstellen zu
Q. 1 auch in Dramen des 17. und umgekehrt Parallelstellen
zu Q. 2 auch in Dichtungen des 16. Jahrhunderts, dann ist
der gewollte Beweis nicht erbracht. —
Das wäre indessen ein sehr oberflächliches Raisonnement :
so einfach lieo^t die Sache nicht, wie leicht einzusehen, wenn
wir die folgenden Erwägungen uns georenwärtig halten:
1) Es ist kein Grund vorhanden, weshalb Shakspere, wenn
er — was durch meine 300 Beispiele doch wohl hinlänglich
bewiesen ist — keine Scheu vor Wiederholungen hatte, nicht
einen Gedanken aus der frühesten Dichtung in der allerspäte-
sten nochmals verwertet haben sollte. Es finden sich bei-
spielsweise einzelne recht hübsche Parallelen zwischen Oth. und
2\L, Cor. und 1 FI. VI., Wint. und Lu., Temp. und 3Iids,
270 Die Hamlet-Periode in Shaksperes Leben.
^^ efclialb sollten aljo die späteren Diciitungen nicht auch Paral-
lelismen zu Q. 1, die früheren zu Q. 2 enthalten?
2) Wäre Q. 1 ein authentischer Druck nach einem Manu-
skripte des Dichters, was Q. 2 fast unzweifelhaft ist, so könn-
ten die Verbesserungen und Erweiterungen von Q. 2 genau
festgestellt werden. Da aber Q. 1 nur eine schmähliche Ver-
stümmelung dessen ist, was ein geschmack- und gedankenloser
Nachschreiber von der Bühne vernahm, so können wir ebenso
wenig den Umfang wie den Wert des der Q. 1 zu Grunde
liegenden Schauspiel-Textes erkennen. Wir wissen, dafs zahl-
reiche und bedeutende Auslassungen stattgefunden haben müs-
sen, um ein Shaksperesches Produkt bis zu diesem Grade der
Unkenntlichkeit zu entstellen. Wenn also eine Stelle sich in
Q. 2 allein befindet, so ist — ganz absolut, ohne Rücksicht
auf die speciellen begleitenden Umstände gesprochen — damit
nicht gesagt, dafs sie nicht doch sich schon in dem der Q. 1
zu Grunde liegenden Texte befunden haben möge. Da diese
Annahme unabweisbar ist, so ist damit die scheinbar auffal-
lende Erscheinung erklärt, dafs eine i^elativ nicht unbedeutende
Zahl von Parallelstellen für ausschliefslich der Q. 2 angehörige
Gedanken und Einkleidungen sich in früheren Dramen findet.
3) Es giebt eine Reihe von Fällen, wo sich für Stellen,
die in beiden Qs. vorkommen, Parallelen sowohl in Stücken
des 16. als auch in Stücken des 17. Jahrhunderts finden.*
Unter der Voraussetzung einer doppelten Redaktion — aber
auch nur dann — ist der Grund dieser Erscheinung leicht ge-
fimden : da die Haraletischen Gedanken den Dichter zu zwei
verschiedenen Perioden seines Lebens lebhaft beschäftigten, so
sind sie auch in die zeitlich getrennten Produkte dieser beiden
Perioden übergegangen. Ebenso gut hätten aber auch die An-
klänge in der ersten Periode fehlen und sich erst in den späte-
ren Bahn brechen können ; und so finden sich in der That eine
Anzahl von Parallelismen für Gedanken, die in beiden Qs. ent- •
halten sind, allein in späteren Dichtungen r^ sie wurden erst
wiederholt, als der Dichter sich zum zweitenmale mit ihnen
beschäftigte.
' 174. 180. 220. 232. 2.37. 240. 251.
- 165. 168. 195. 200. 204. 221. 233. 241. 2G6. 28u. 287.
Die namlet-Pcriode in Shaksperes Leben. 271
Indessen sind diese Erscheinungen nicht geeignet, die Re-
sultate meiner Untersuchuno: in Fra^e zu stellen. Formalien
oder Gedanken, die sich von einem sehr frühen in ein sehr
spätes Produkt übertragen, sind naturgemäfs äufserst spora-
disch. — Wenn manche von den Stellen, die uns nur in Q. 2
überliefert sind, sich schon in der ersten Redaktion befunden
haben mögen, so ist doch die unvergleichliche Mehrzahl derselben
sicher als neue Zuthat zu betrachten. Selbst wenn wir die
Bemerkung auf dem Titel der Q. 2 „enlarged to almost as
much againe as it was" nur als eine von dem Buchhändler
beabsichtigte Empfehlung dieser Ausgabe im Gegensatz zu
Q. 1 auffassen wollten — was keineswegs notwendig ist — , so
ist doch der quantitative Abstand zwischen Q. 1 und Q. 2 zu
grofs (2146 : 3708 Zeilen); ^\^ des Dramas konnte der gewis-
senloseste Abschreiber nicht auslassen ; mag er immerhin ^ g
von dem, was er auf der Bühne hörte, nicht zu Papier ge-
bracht haben, so würde dennoch Q. 2 um die Hälfte länger sein
als die supponierte erste Redaktion. — Und wenn auch einige
Gedanken der ersten Redaktion durch die zweite in spätere Dra-
men übergegangen sind; das Hauptinteresse des Dichters mufste
sich im Beginn des neuen Jahrhunderts doch auf die Verfeine-
rungen und Erweiterungen konzentrieren, die den Zweck seiner
letzten Überarbeitung bildeten ; diese Zusätze müssen die An-
klänge in den späteren Dramen vorzugsweise zum Gegenstande
haben.
Das Princip, welches der von mir angewandten Methode
zu Grunde liegt, mufs, wenn sie nicht eine ganz verkehrte sein
soll, sich auch hier wie überall bewähren: das Princip, dafs
die Hauptmasse der Parallelstellen zu einem poetischen Erzeug-
nis sich in den annähernd gleichzeitigen Schöpfungen finden,
dafs sie je nach der zeitliehen Entfernung der früheren oder
späteren Dichtungen seltener werden. Dieses Princip auf den
vorliegenden Fall angewandt, müssen die Parallelstellen zu Q. 1,
falls derselben eine frühere Redaktion zu Grunde liegt, sich
vorzugsweise in Dramen des 16., die Parallelen zu Stellen,
welche der Q. 2 allein angehören, sich vorzugsweise in Dramen
des 17. Jahrhunderts finden. Dafs dies thatsächlich der Fall
ist, dafür diene als demonstratio ad oculos die folgende Tabelle
272 Die Hnmlet-Periode in Shaksperes Leben.
(S. 274 u. 275), in der !^ämtliche Parallelstellen nach Akten und
Scenen einerseits und nach den beiden Ausgaben andererseits
geordnet und jede einzelne ihrer Bedeutsamkeit nach gekenn-
zeichnet ist. ^
Sehen wir uns die Tabelle näher an, so zeigt sich uns,
dafs die meisten Parallelen zu Stellen, welche sich in beiden
Qs. befinden, in Stücken des 16. Jahrhunderts zu finden sind
(Kol. IV). Neun von den hier angeführten Parallelismen gehen
durch Q. 2 in die späteren Dramen über; sie sind kursiv ge-
druckt und erst in der folgenden Kolumne mitirerechnet. Aber
sie können nicht die volle Geltung; als Übereinstimmungen der
Q. 1 mit späteren Dramen haben wie die in Kolumne V an-
geführten Stellen. Deshalb stehen den 50 Parallelstellen der
früheren Dichtungen zu Q. 1 genau genommen nur 11 (und
nicht 20) Parallelstellen in späteren Dichtungen gegenüber: ein
sprechendes Verhältnis.
Von den 28 Parallelstellen, welche Q. 2 in früheren Dra-
men hat (Kol. VI), gehören neun Dichtungen an, welche gegen
Ende des Jahrhunderts entstanden sind: Ca3s., H. V., Tw.. Wiv.
und den spätesten Sonetten. Diese Stellen können natürlich
nicht als Gewicht gegen die Annahme einer zweiten Redaktion
im Beginne des 17. Jahrhunderts in die Wagschale fallen, da
die betreffenden Dichtungen der zweiten Redaktion so nahe
stehen: ebenso wohl wie ein Gedanke von Q. 1 in Cjbs. oder
H. V. überging, konnten sich Anklänge von diesen Dramen
nach Q. 2 fortpflanzen. Wenn wir ferner bedenken, dafs eine
Anzahl der in dieser Kolumne verzeichneten Stellen sicher
schon in der ersten Redaktion gestanden haben und von dem
flüchtigen Nachschreiber derselben ausgelassen sind, so stellt
sich das Verhältnis der Parallelstellen, welche Q. 2 im 16. und
im 17. Jahrhundert hat, sehr zu gunsten des von mir beabsich-
tigten Beweises: Stellen, die nur der Q. 2 angehören, finden
auffallend zahlreiche Wiederholungen in Dramen des 17. »fahr-
hunderts (Kol. VII).
Betrachten wir die bedeutsamsten (fett gedruckten) Parallel-
' Die unbedeutenden Ausdrucks-Parallelen sind in Klammern einge-
schlossen, die auffallenden und längeren Wiederholungen durch fetten Druck
hervorgehoben.
Die Hamlet-Periode in SLaksperes Leben. 273
stellen für sieb, so sind sie für Q. 1 nur in früheren, für Q. 2 nur
in späteren Dramen vertreten, mit einer Ausnahme: 233 Meas.
Die achte Kolumne ist trotz der geringen Anzahl von
Parallelismen, welche ich für ausschliefslich der Q. 1 angehö-
rige Stellen habe auftreiben können, nicht zu übersehen : es
wäre höchst bedenklich gewesen für den Erfolg meines Beweis-
Verfahrens, wenn Teile, die also nach meiner Annahme nur in
der ersten Kedaktion vorhanden waren und in der zweiten vom
Dichter aufgegeben wurden, dennoch Nachklänge in späteren
Dichtungen gehabt hätten: diese Parallelstellen aber gehören
alle früheren und zum Teil sogar recht frühen Dramen an.
Sehen wir uns die vorliegende Tabelle scenenweise an, so
mufs die siebente Kolumne von höchstem Interesse sein: ist meine
Annahme richtig, so müssen diejenigen Scenen, welche in Q. 1
und Q. 2 am meisten in ihren Fassungen abweichen, d. h. in
der zweiten Redaktion die gröfste Erweiterung, die eingehend-
ste Bearbeitung erhalten haben, die meisten Parallelismen mit
späteren Dramen aufweisen. Vergleichen wir nun die vierte
mit der siebenten Kolumne, so fallen in der letzteren die Sce-
nen II 2, III 3, III 4, IV 7 auf als verhältnismäfsig stark
mit Parallelismen bedacht: es sind in der That diejenigen Sce-
nen, welche die grÖfste Umgestaltung erfahren haben, wie schon
ein Blick auf die Zeilenzahl, noch mehr aber eine Vergleichung
des Inhaltes lehrt. — Die Scene I 5 weist nur geringe Ver-
schiedenheit in den beiden Qs. auf; dementsprechend sind die
Parallelstellen fast nur in früheren Dramen zu finden.
Wir können aber noch mehr ins Einzelne gehen, um nach-
zuweisen, dafa die Erweiterungen der Q. 2 ihre Anklänge in
späteren Dramen haben. In I 1 enthält die Q. 2 einen länge-
ren auf Cassar bezüglichen Zusatz, der eine merkwürdige Wie-
derholung aus Cces. und einen Anklang an H. V. enthält; gleich-
zeitig sind aus dieser revidierten Scene zwei Gedanken in Cor.
und Mach, übergegangen. — Die Hof-Scene I 2 hat in ihrem
ersten Teile einschliefslich des ersten Monologes Hamlets we-
sentliche Veränderungen erfahren; für diesen Teil giebt es acht
Parallelstellen in Cymh., Mach., Leai^, Oth., Cor., Ant, daneben
vier in R. IL, As, Ado (169 — 17^<). In dem darauf folgenden
und die Scene beschliefsenden Gespräche zwischen Hamlet und
Archiv f. n. Sprachen. LXXV. 18
274
Die Hamlet-Periode in Shaksperes Leben.
Die Parallelstellen zu Hamlet nach Akten und Scenen geordnet.
Alit,
Sfone.
Zeilenzahl.
In Q. 1 und Q. 2
Voninien vor Parallelstelleii zu
Dichtungen des
Nur in Q. 2
Uoniinen vor Parallelstellen zu
Dichtungen des
Nur in Q.
kommen vor V
rallelstellen z
Dichtungen d«
Q. 1
Q. 2
16. Jahrh.
17. Jahrh.
16. Jahrh.
17. Jahrh.
16. Jahrh
1 1.
140.
186.
(164.) Cics.l H.IV.
165. Cor.
168. Macb.
(166.) H. V.
167. Caes.
I 2.
187.
274.
172. E. U.
174. R. II. Lear.
178. Ado.
179. Ca;s.
176. As.
169. Cor.
170. Macb.
(171.) Lear.
173. Oth. Ant.
175. Cymb.
(177.) Lear.
1 .5.
70.
140.
180. Sonn. c. 1592.
Gentl. Meas.
185. Sonn. (c. 1596)
187. H. V.
(188.) Ado. LL.
191. Compl.
John.
(192.) 2 IL IV.
(182.) Cymb.
(183.) Cymb. Ant.
184. Meas. Cymb.'
(186.) Tira.
189. Temp.
(181.) 2 H. 1\
190. Ln. Merc
-.4.
59.
101.
196. LL.
195. Lear.
193. 1 H. IV.
194 Cymb.
I 5.
170.
205.
197. Sonn. (c. 1596).
198. Troil.
(199.) Sonn.
(c. 1598.)
201. Sonn. (c. 1596).
202. 1 H. IV.
Merch.
(203.) Troil.
200. Cymb.
204. Wint.
III.
66.
127.
205. John.
206. As.
II 2.
V ■
344.
504.
212. Troil.
220. Ca;s. Cor.
222. 2 H. IV.
223. Troil.
208 a. Mids. Merch.
221. Cymb.
(209.) As. Tw.
Wiv. H. V.
210. Gentl.
215. Merch.
219. Ado. LL.
(208.) Lear.
211. Cor.
213. Meas. Lear.
214. Macb. Lear.
(217.) Cymb.
218. Cor.
224. Troil. Macb.
225. Troil.
226. Macb.
(227.) Macb.
(228.) Cor.
(229.) Meas.
(207.) Per. Ro
216. Mids. Merc
Shrew.
Im 1.
135. : 192.
232. Sonn. (c. 1597).
Merch. Meas. Tim.
234. Merch. Caes.
236. ÄS.
237. As. Cor.
240. 2 U. IV. Meas.
Cyinü.
233. Meas.
239.1 H.IV. Sonn,
c. 1596. CiBS.
Tim.
(230.) Macb.
231. Oth.
235. Oth.
238. Lear.
1
' I.
II.
II.. 1
IV.
V.
VI.
VII.
vin.
Die Hamlet-Periode in Shaksperes Leben. 27.5
Die Parallelstellen zu Hamlet nach Akten und Scenen geordnet.
A.I(t,
cene.
Zeilenzahl.
In Q. 1 und Q. 2
komnien vor Parallelstellen zu
Dichtungen des
Nur in Q. 2
kommen vor Parallelstellen zu
Dichtungen des
Nur in Q. 1
kommen vor Pa
rallel stellen zu
Dichtungen de.'
Q. 1
Q, 2
16. Jahrh.
17. Jahrh.
16. Jahrh.
17. Jahrh.
16. Jabrh.
I 2.
237. .354.
1
242. 1 H. IV. ' 241. Troil.
246. 2 H IV. 1
247. Ado.
247 a. Sonn. 11.5.
249. As.
25l'. Ado. Cymb.
252. John.
(248.) Ado. ' 243. Oth. Tim.
244. Oth.
(245.) Troil. Macb.
. 250. Macb.
11 3.
31. 101.
253. Troil. Lear.
254. Cor.
255. Meas.
II 4.
113. 230.
261. fl. V.
(256.) H. VnL
257. Oth.
(258.) Tim.
259. Cymb.
260. Cymb. Oth.
262. Macb.
IV 1.
21. 46.
j 263. Lear.
IV 2.
- 25.
265. Merch.
264. 2 H. IV.
Sonn. 71.'
IV 3.
43.
61.
(266.) Cor.
267. LL.
IV 4.
6.
127.
68.
1 ,
IV .3.
210.
268. Macb.
269. Airs.
270. B. II.
IV 6.
36.
26.
270. Cymb.
IV 7.
55.
205.
* Die Scene erscheint in Q. 1
daf8 manches, was Q. 2 allein h
ersten Redaktion enthalten gewep
1
275. zahlreiche
Stellen.*
276. Ado.
so verstümmelt,
at, schon in der
en sein mufs.
1
(271.) Cymb.
(272.) Lear.
(273.) Oth.
274. Ant.
277. H. V. Macb.
H. VIII.
V 1.
176.
265.
279. Merch.
280. Lear.
278. Shrew.
281. Ca!s.
(282.) Oth. H. VIII.
(283.) Ant.
(284.) Wint.
V2.
130.
2146.
388.
290. Cffis.
293. Merch. Ca;s.
296. As.
297. As.
(287.) Troil.
289. Merch.
(s. 279.)
292. Sonn. 74.
275. AIl's.
(285.) Ant.
(286.) Cymb.
(288.) Temp.
291. Lear.
(294.) Troil. Lear.
3708.
(6.) 36. 8.
50.
(2)8+8.1+1
(9+11) 20.
(7.)20(+275?)l.
28.
(28.) 1+38. 5.
72.
"■U;
I.
II.
1 III.
IV.
V.
VI.
VII.
18*
vin.
276 Die Hanilet-Periode in Shaksperes Leben.
seinen Freunden, das in beiden Qs. nahezu gleichlautet, ist ein
Anklang an Cces. — I 3 ist besonders im ersten Teile (Laertes'
Abschied) erweitert: hierfür finden sich sechs Anklänge an Meas.,
Cymh., Ant., daneben vier an frühere Dichtungen (180 — 185).
— II 1 ist trotz des Unterschiedes der Zeilenzahl in Q. 2
schwerlich umgearbeitet worden; der Nachschreiber hat sich
nur in dem Gespräch zwischen Corambis und Montano (Polo-
nius, Reynaldo) mehrere sinnentstellende längere Auslassungen
zu schulden kommen lassen : die zwei Parallellsmen finden sich
in früheren Stücken. — III 1: Von dem Gespräch zwischen
König, Polonius, Rosenkranz etc. finden sich, dem veränderten
Arrangement entsprechend, nur Bruchstücke in Q. 1 ; die Pa-
rallelstellen zu diesem Auftritte der Q. 2 finden sich in Mach,
und Oth. (230. 231). Ein Vergleich des Monologes (To be etc.)
in Q. 1 und 2 zeigt nicht unbedeutende Abweichungen; daher
finden sich gewichtige Übereinstimmungen damit in Meas., Tim.,
Oth. — III 2: In dem Gespräch zwischen Hamlet und Horatio
finden gerade diejenigen Stellen, welche in Q. 1 nicht stehen,
Parallelen in Tim., Oth., Mach.; im übrigen sind die Änderun-
gen nicht schwerwiegend. — Diesen merkwürdigen und bewei-
senden Thatsachen gegenüber fällt das Gespräch zwischen
Hamlet und Ophelia, das in beiden Qs. dasselbe ist und den-
noch Anklänge an Meas.., Cymh , Lear, Cor., Tim. aufweist, und
die Scene V 1, welche in Q. 1 wohl kürzer, aber nicht wesent-
lich abweichend von Q. 2 ist und ebenfalls mehrere Parallelen
in späteren Dichtungen hat, nicht ins Gewicht.
Von ganz besonderem Werte sind die folgenden zum Teil
schon an Ort und Stelle hervorgehobenen Einzelheiten:
1) Stellen, die nur in Q. 1 vorkommen, die also — wenn
eine einmalige Redaktion angenommen wird — von dem Ver-
unstalter der Q. 2 hinzugefügt sein müfsten, tragen doch die
nachweisbaren Kennzeichen shakspereschen Ursprunges (S. 181.
190. 2(5;K 270 und die Wendungen am Schlüsse von IV 6).
2) Es finden sich Stellen, die in Q. 1 und Q. 2 durchaus
verschiedene F'assungen haben; und für die Fassung von Q. 1
bieten nur die früheren, für die von Q. 2 nur die späteren Dra-
men Parallelismen (207, 208; 216, 217, 218; 241 a, 243, 244, 245).
3) Recht beweisend für eine zweifache Redaktion ist 255.
Die Hamlet-Periode in Shaksperes Leben. 277
Wenn wir uns jetzt ein Bild gemacht haben von dem
Verhältnis der Hamlet-Parallelismen in den beiden Qs., so
wird es zur weiteren Klärung unserer Anschauung notwendig
sein, diese Parallelismen nach den Dramen geordnet zusammen-
zustellen. Und zwar wollen wir sie, um die Weite der Hamlet-
Beziehungen scharf überblicken, die verschiedenen Grade ihrer
Intensität genau unterscheiden zu können, in fünf Abteilungen
sondern: in 1) Jugend-Dichtungen bis c. 1594, 2) Dichtungen
der zweiten Hälfte der Neunziger c. 1594—1598, 3) Dramen um
den Schlufs des Jahrhunderts c. 1599. 1600, 4) Dramen aus dem
Beginn des 17. Jahrhunderts c. IGOO— 1604, 5) letzte Dichtun-
gen. Aus dieser Tabelle (S. 278) erkennen wir mit grofser
Deutlichkeit das in der Einleitung gezeichnete Bild von der
merkwürdigen Verteilung der Hamlet-Parallelismen: die frühe-
sten und die spätesten Dichtungen (besonders //. FZ77., Wint.^
Temp^ stehen in nur schwacher Verbindung mit dem Gedanken-
gehalt des Dramas; die Hauptmasse der Beziehungen finden
sich einerseits in den Dramen der zweiten Hälfte der Neunzi-
ger, andererseits, und zwar in noch gröfserer numerischer Stärke,
in den Dramen aus dem Beginn des 17. Jahrhunderts. Da-
zwischen finden sich drei Stücke H. V., und besonders Tw.
und Wiv., die nur wenige Parallelismen mit Haml. aufzuweisen
haben, i Es scheint demnach, als ob das Hamlet-Problem am
Schlüsse des Jahrhunderts im Geiste des Dichters geruht habe,
während es ihn in vorausgehenden und nachfolgenden Jahren
lebhaft beschäftigt hat.
Läge nur eine Redaktion des Hamlet vor, die wir in Q. 2
besäfsen und von der Q. 1 nur eine Verunstaltung wäre, so
würde diese Erscheinung ganz abnorm sein; denn jedes Drama
hat die Hauptmasse seiner Parallelismen nur in einer Periode
d. h. in der, in welcher es verfafst ist. Eine Ausnahme von
dieser Regel machen nur die Dramen, welche mehrere Bearbei-
1 Der Leser wird in dieser und der folgenden Tabelle bemerken, dafs
das numerische Verhältnis der Parallelismen den Angaben der Einleitung
nicht entspricht. Der Grund davon ist, dafs ich es vor dem Schlüsse der
Arbeit geraten fand, eine Anzahl von Dramen nochmals zu lesen, und den
Erfolg davon hatte, mein Material nicht unerheblich und zwar durchaus zu
gunsten meiner Beweisführung vermehrt zu sehen.
278 Die Hamlet-Periode in Shaksperes Leben.
Die Parällelstellen zu Hamlet nach den Dramen geordnet.
Dichtungen.
Q. 1.
Q. 1 u. 2.
Q.
Summe.
(
1
2
2
0
2
1
1
1
1
1
1
2
2
2
2
3
3
3
3
(1)
(iesanit- j
umnie. ]
Per. .
Mids.
Gentl.
Sonn.
Comp).
Lu. .
AU's '
Shrew
John .
R. II.
(1)
(1)
16 1 li
Troil. (Liebes
geschichte)
Rom
LL.2
Ado
As
1 H.
Sonn. ^ .
Merch. .
2 H. IV.
Cses.< .
IV.
(1)
(1)
(1)
(1)
(1)
(1)
(1)
(1)
4 1 2
l 1
4
7
1
(1)
(1)
0)1 1
(1)
2
1
4
!
0)
1
(1)
3
4
(2)
5
7
,
(1)
5
2
8
(1)
3
1
5
(1)
7
11
1
9
11
(2)
2
2
6
(1)
7
1
9
(11)
45
!|
3S O
CJ O
O CO
H. V.
Tw. ,
(2)
(1)
3
5
1
1
1
1
(3)
4
Meas. . .
Cymb.5 . .
Macb. . .
Lear . . .
Otb. . . .
Troil. (Lager
geschichte)
Cor. f" . '.
Tim. . .
(2)
(4)
(3)
(5)
(2)
(2)
(1)
(2)
(2)! 6
(4)
(3)
(5)
(2)
2
7 i 2
10
(3)^ 4
(2)1 7
(2) 2
(23) 50 6 7
Ant. .
H. \ III.
Wint.
Temp.
(3)j 2
(2)! 1
(1)
O) 1
(3) 2
(2) 1
(1) 1
(1) 1
(7) 5
1 AU's ist unter den .lugenddraraeu verwertet, da eben nur eine blofse MörH chkei t einer zweiten spater
Bearbeitung vorliegt. — 2 Von den Dramen Rom., LIj. ist es unzweifelhaft, von Ricli. 111. (s. folg. Tab.) wahrscliei
lieb, dafs siu spater lib'Tarbeitet worden sind (s. Einl. Bd. LXXIII, ii;!i); ilire l'arallelisiiieii mit spateren ])raini
HJnu also durch die um die glitte der Neunziger erfolgte J?earl)nituu'_r ciitstaiKlcn. — 3 j)ie Sonette cisclieiuen
dieser und der folg. Tab. in drei ihrer Abfassungszeit i'ntsiirecln'iiilrii .-Vhtt'iliingL'U ; jngemllirlie, iiiittlero ui
späte Sonette. — 4 Cais. gehört zwar (M)cnfaUs m. K. an di-u Sclihifa (h-s .lalirh,: es ist aber <lu-i It-tzto ilerjeiiipi
ijramen des ic. .Jahrb., auf welche liamletisclie lOintlüsse sich noch geli'-rul mailii n. — 5 ü'"''' <^Vmb. s. Iliul. S. r
— C Cor. habe ich nach meinen Untersuchungen, in die ich hier nicht eingehen kann, triftige Gründe in die Zt
von Oth. u. Lear zu verlegen, wie ich überhaupt mjtKlze der überzeuyung bin, dal's die dit'literisebe l'roduktn
Shaksperes sich keineswegs bis zum Jahre lijio oder gar ifiia ausgedehnt liat. Ob es aber möglieli ist, wie Kl
will, I60i als Schlufsjahr zu er\veisen, ist mir sehr zweifelhaft.
Die Hamlet-Periode in Shaksperes Leben. 279
tungen erfahren haben: Ro., LL,, (R. IJL?) und TroiL, zu
denen also auch Haml. gehören mufs. Am klarsten ero-Iebt
eich diese Folgerung aus einer Zusammenstellung der Paral-
lelismen derjenigen Dramen, deren Abfassungszeit ich in dieser
Arbeit festzustellen versucht habe: IroiL, As, Ado^ Cces.,
Cymh.
Ein Blick auf die nachstehende Tabelle lehrt, dafs das
Verhältnis der Parallelismen dem von mir aufgestellten Prin-
cipe vollkommen entspricht. Die Liebesgeschichte von
TroiL steht den Dramen der ersten und der zweiten Periode
der Zahl ihrer Parallelstellen nach gleich nahe (44 : 40), d. h.
ihre Abfassungszeit fällt in die Mitte zwischen beide Perioden;
die relativ zahlreichen Anklänge an spätere Dramen (8 und 7)
erklären sich durch die im 17. Jahrhundert vorgenommene
Überarbeitung und Erweiterung. — Bei As und Ado ändert
sich das Verhältnis zwischen den Dramen der ersten und zwei-
ten Periode ; die Anklänge an die erste Periode sind noch zahl-
reich genug, aber die an die zweite sind doppelt so stark
(20 : 44 ; 16 : 30); die Parallelstellen in den Dramen der dritten
Periode sind in ihrer Gesamtheit nicht so zahlreich als die
der ersten. — C«s., welcher an das Ende des Jahrhunderts
gehört, steht mit der ersten Periode kaum mehr in Beziehung;
dagegen werden die Anklänge besonders an die ersten Dramen
des 17. Jahrhunderts ziemlich zahlreich. — Cymh. hat mit den
Jugend-Dichtungen keine Parallelismen, sie beginnen erst in
den Dramen der zweiten Periode; die Hauptmasse derselben
findet sich in den Dramen aus dem Beginne des 17. Jahrhun-
derts, zu denen es selbst gehört; und die Anklänge an die
spätesten Dramen sind zahlreicher als in den früheren Stücken.
Nichts kann indessen beweisender sein als ein Vero'leich
der Lager- und der Liebesgeschichte von Troil. in dieser Ta-
belle; wobei jedoch zu berücksichtigen ist, dafs die Lager-
geschichte viel kürzer ist als die Liebesgeschichte und sich
ihrem Umfang nach zu dieser verhält wie 2:3. 44 Parallel-
stellen zu der Liebesgeschichte in den Jugend-Dichtungen ent-
sprechen 2 zu der Lagergeschichte; 40 in den späteren Dra-
men des 16. Jahrhunderts 9; die Hauptmasse der Parallelis-
men hat die Lagergeschichte in den Dramen des 17. Jahr-
280
Die Hamlet-Periode in Shaksperes lieben.
Troil.
Troil.
(Lielies-
As.
Ado.
Cffis.
Cymb
(Lager-
geschiclite.)
gescliiohte.)
Tit.
2
'
'
Per.
(1)
1 H VI.
1
1
Err.
(1)
(1)
(1)
Ven.
(2)
2
1
Mids.
(1)
2
1
(1)
1
1
Gentl.
(2)
o
(1) 1 ,
(1)
2
Compl.
2
1 1
,
Lu.
3
i
(1)
JSonn.
(3)
8 2
(1); 9 ; 1
4
1
2 H. VI.
(1)
2
1 :
1
1
3H.VI.
(1)
1
1
1
1
All's
(1) 2 1
(2)
Shrew
(1)
1
(1)
i
John
1
2
R. 11.
i i 1
1
Summe:
44!
1 20 1
116
.' 3
! 2 ■ ■
R. IIL'
2
(1)
1
!
Rom. '
12)
9 2
(1) 1
(2) 5
2
1
LL.i
(1)
(4) 2
(3)
1
Troil.
(1) 3
1
Liebesgescli.
As
0)
3
(1) 4
1
1
1
Ado
(1) i 4
1
(1) 1
1 H.IV.
2
(1)
(1) 1
1 1
1
Merch.
1 '
2 j 1
(2) 1
2
Sonn. -
(l)
2
(1)
4 1
! 3
1
1
2 H. IV.
1
1 j
! 1
(2)
3
1
Haml. 1.3
(1)
2 1
8 ! 2
(1) 3
(1)
5
3
-
Caes.
1 1
1 i
! 1
1
2
H.V.
(1)
4
2
1
1 1 , 1
1 i ■
Tw.
(1)
1
(2)1 2
1 1
(1)
1
1 1
Wiv.
3
1 2
(1)1
(1)
' 1
Summe;
|40i
' 44 1 1 30
i22|
12
1 9 i
Meas.
! 1
! 1 1
(2)1 2
1
Cymb.
1
1
1
(1) 1 2 ,
Sonn.
(1) 1
1
1
I
1
Haml. II.
(1)
1
(1) 2
2
1
(4) , 4
2 (3)
4
Macb.
(1)
1
1
1
(1) 1
2
Lear
0)
b
(2) 2
1
2 i
Oth.
(1) 1
(3) 1
i
2 1
Troil.
1
(1) 1
2
(1)! 2
1
Lagergesch.
■ '
1
Cor.
1
2
2
(2) , 4
(2) 3 11
Tim.
1
1
1
(1) 2
1
Summe:
8
' 6 1
8
16
36
25
Ant.
(2) 2 ;
1
1
(1) 1
H. VIII.
1
i 1
(1)
(0
Wint.
(1)' 1
1
, 1 ,
(3)
(1) 1
Temp.
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! 1
1 1 1
(2)!
1
Summe :
i 7 1
1 1
1
1 1
1 3
1
1 8
1
1 3
1
Die Hamlet-Periode in Shaksperes Leben. 281
hunderts, aus denen auf die Liebesgeschichte im ganzen 15
entfallen. Wenn wir nun bedenken, dafs diese 15 Wieder-
holungen jedenfalls durch die Neubearbeitung des Troil. und
nicht durch die jugendliche Liebesgeschichte veranlafst worden
sind, und meistenteils sich auf spätere Einlagen beziehen, so
wird das Verhältnis der Parallelismen ein noch sprechenderes.
Es kann kein Zweifel sein, dafs hier zwei verschiedene Redak-
tionen vorliegen. Würden wir die beiden Teile von Troil. als
eine einheitliche gleichzeitige Schöpfung betrachten, so wür-
den wir ein Drama erhalten, das in drei verschiedenen Perio-
den gleich starke Anklänge hat (46—49—43), eine Abnormität,
welche das Princip, auf dem meine Untersuchung des Alters
der Sonette wie die gegenwärtige beruht und dessen Richtig-
keit ich schon jetzt an 24 Dramen zifFernmäfsig nach-
weisen könnte, als falsch aufhöbe. Die Parallelismen keines
Dramas — mit einer Ausnahme — bieten eine gleiche Er-
scheinung, eine ähnliche — den ähnlichen Verhältnissen ent-
sprechend — nur die von LL. und Rom.., deren wiederholte
Redaktion kaum jemand bezweifelt; die gleiche einzig und
allein Hamlet.
Nachdem ich mich mehrere Jahre mit diesen Untersuchun-
gen beschäftigt habe, kann ich zum Schlufs — ohne Rücksicht
auf den eventuellen Beifall oder Widerspruch, welchen meine
Methode finden wird — nur meine feste Überzeugung aus-
sprechen, dafs in den zahlreichen Wiederholungen Shak-
speres ein neues Moment für die litterarhistorische
Forschung in Bezug auf Shaksperes Dichtungen ge-
funden ist. Man hat in den bisherigen Altersbestimmungen
auf einzelne solcher Parallelismen mitunter ein unberechtigtes,
ungebührliches Gewicht gelegt; man möge jetzt die ganze
Masse derselben in Betracht ziehen zur Bildung objektiverer
Schlüsse. — Es giebt einen Standpunkt, von dem aus der-
artige Forschungen, wie auch die Untersuchungen über Vers
und Reim, als eine Art von pedantischem Sport erscheinen,
dem die Existenz eines Shakspereschen Stückes alles, seine
Entstehung nichts bedeutet. Vertreter dieses Standpunktes sind
nicht Philologen, und noch weniger Litterarhistoriker : die
Schöpfungen des Dichters sind in tieferem Sinne sein Lebe
282 Die Hamlet-Periode in Shakspercs Leben.
und von Shaksperes Leben — es ist ein Unglück und viel-
leicht doch ein Glück — kennen wir wenig mehr als seine
Schöpfungen,
Es bleibt nun noch übrig, die Ansichten anderer Shakspere-
Forscher über die Entstehung Hamlets zusammenzustellen und
anderweitig geltend gemachte Kriterien zu prüfen.
Die Ansichten über die Abfivssung Hamlets gehen so weit
auseinander, dafs einige nur eine einmalige (im 17. Jahrhundert),
andere eine doppelte, noch andere sogar eine dreifache Redak-
tion annehmen. Die letztere Ansicht ist hervorgerufen durch
das Faktum, dafs nach Andeutungen von Nash (1587 — 89?),
Henslowe (1594), Lodge (1596) (s. die Ausgaben von Delius
oder Elze) ein Drama „Hamlet" zweifellos schon so früh exi-
stierte, als dessen Verfasser, der nirgends genannt wird, einige
Kyd, andere Shakespere annehmen :
Malone — — 1600
Chalmers
—
1598
—
Drake
—
1597
1600
Skottovve
—
—
1600
Knight 1
c. 1588
—
1600—1602
Gervinus
—
—
1602
Delius
—
—
1602
Elze 2
vor 1589
1597/8
1600—1602
Tschischwitz 3
—
1597
—
Fleay *
[1589]
1601
1603
Stokes
—
1599
1600
Dowden
—
—
1602
1 Knight hat aus inneren Gründen den ungeheuren Abstand der Q. 1
von Q. 2, als poetische Leistungen betrachtet, nachgewiesen, und sieht daher
in dem der Q. l zu Grunde liegenden Bühnentexte eine Jugendarbeit Shak-
speres. Die Einwendungen, welche Delius gegen dieses Verfahren erhebt,
sind durchaus stichhaltig: die N'erstümmelung der Q. 1 ist so bedouten'J,
dafs wir daraus über das zu Grunde liegende Original nicht urteilen können.
- Elze nimmt an, dafs der alte Hanil. nicht von Kyd, sondern eine
Jugendarbeit Shaksperes sei, eine Blut- und Rache-Tragödie, die auf glei-
cher Stufe mit Tit. gestanden habe.
3 Tschischwitz supponiert neben der authentischen und vollständigen
Q. 2 (gedichtet 1597) eine kürzere Bühnenbearbeitung aus der Hand des
Dichters, von der Q. 1 herrührt.
'' Fleay erklart mit grofser Bestimmtheit den alten Hamlet für ein ge-
meinsames Produkt von Shakspcre und Marlowe, aus dem noch Spuren in
der ersten Quarto („dem Coramt)is-Han\let'') zu erkennen sind. — Schade nur,
dafs die WissenscLaft von seiner Sehergabe keinen Gebrauch machen kann.
i
Die Hamlet-Periode in Shaksperes Leben. 283
Im übrigen sind noch folgende Ansichten zu erwähnen: Col-
lier, Tycho Mommsen und neuerdings Tanger nehmen
an, dafs der Q. 1 nicht eine frühere Redaktion des Dichters zu
Grunde liegt, sondern dafs dieselbe eine freilich entsetzliche
Verstümmelung der authentischen Ausfjabe von 1604 ist. —
Staun ton meint mit Knight, dafs das Original zu Q. 1 eine
Jugendarbeit des Dichters ist. — Die Herausgeber der Claren-
don Press, Clark und Wright, glauben, dafs Shakspere ein äl-
teres Drama „Hamlet",. 1602 bearbeitete, aber nur unvollständig
(etwa wie Tim.?), so dafs wir in Q. 1, die von dieser Bearbei-
tung ausging, noch Teile des alten Stückes haben; und dafs
wir in Q. 2 zum erstenmale Shaksperes „Hamlet" haben.
1) Die Frage, ob der alte „Hamlet" von Shakspere oder
einem anderen verfafst sei, werden wir als unentscheidbar fal-
len lassen müssen. Q. 1 hat allerdings eine verhältnismäfsig
grofse Menge von Anklängen an die Jugend-Dichtungen; die
Möglichkeit, dafs wir in den betreffenden Stellen Fragmente
einer noch älteren Bearbeitung haben, ist deshalb nicht aus-
geschlossen. Aber um in dieser Frage über blofse Vermutun-
gen hinauszukommen, müfsten wir eben ein Exemplar jenes
alten Haml. besitzen.
2) Im Jahre 1602 (26. Juli) findet sich folgender Eintrag
in die Buchhändler-Register: James Roberts. A booke, The
Revenge of Hamlett prince of Denmarke, as yt was latelie
acted by the Lord Chamberlayn his servantes. — Der von
Shaksperes Truppe gespielte Haml. scheint dem Zusätze nach
zu schliefsen ein neues Stück gewesen zu sein, d. h. also die-
jenige Redaktion, die zwei Jahre später wirklich von „J. R."
Igedruckt wurde. 1602 ist also das späteste Jahr, in welchem
[dieser Haml. — ob alleinige oder zweite Redaktion — ent-
ätanden sein könnte.
3) Die handschriftliche Bemerkung Gabriel Harveys
"in einem Exemplar von Speghts Chaucer-Ausgabe, nach der
der „Hamlet" zur Zeit der Niederschrift ein bekanntes Stück
war, scheint nicht dasjenige Gewicht zu haben, welches ihr
mehrere Shakspere-Forscher beilegen. Nach Steevens und Drake
wurde diese Bemerkung 1598 niedergeschrieben, nach Malone
1600, nach Fleay zu irgend einer Zeit vor 1620. — Wir haben
284 Die Hamlet-PerioJc in Shaksperes Leben.
also für die Abfassungszeit der ersten Redaktion aufser den
Parallelstellen weder ein äufseres noch ein inneres Indicium;
denn
4) die verschiedenen Tests können natürlich nur die Aus-
gabe von 1604 zum Gegenstande nehmen. Hinsichtlich der
Double Ellding' Test kommt Haml. nach Cces., Tiv., As, Ado
und vor Troll, Meas., Otk, Lear; nach der Light Ending Test
nach Merch., Tio. und vor Cws., Meas. — Weak Endings giebt
es in Haml. nicht. — Die Alexaildrilier-Test stellt Haml.
zwischen T'io., H. V., Cymb. einerseits und Meas. andererseits,
die Reim-Test zwischen Merck., Meas. einerseits und Cymh.,
Ca?s., Tic andererseits. Danach folgt Haml. merkwürdigerweise
immer direkt oder bald nach 7w. und trifft mit Meas. und
Cymh. wiederholt zusammen.
Nach der Gesamtheit dieser Proben könnte man
Q. 2 ins Jalir 1601 setzen; auf dasselbe Jahr weisen 2.
und die Parallelstellen. — Für die Vollendung der
ersten Redaktion ist nach den Parallelstellen als spä-
tester Termin 1598 zu betrachten; die Arbeit mag sich
über die Jahre 1596 und 1597 hingezogen haben.
über die Verdoppelung der Konsonanten
im Altnormunniechen.
(Schlufs.)
1.
Nicht mouilliertes 1.
Präpositionenzusainmensetzungen.
1) ad 4- /.
A alascet 75. 116. alasserent 100. aloet 16. aluez 109. aliiiet
appendix. rakmier 124.
R alient 990. 1641. alosez 898. aluee 2941. alumer 2958.
ralier 1319. ralient 3525. ralumer 124.
LC aluees 392. alue 2285. alumer 664. alumees 2533.
OP alege (Vulg. allevarentur) 72,18. alier 149,8. cuntralient
34,22. alaitiez 130,4. alaitant C. Moys. ad f. J. 38. alnat 22,1.
alne 103,23.
CC alenes 392. aliied 2285. aluignant (fehlt in LC) 379. 388.
alumer 664. alumees 2533.
CP aliance 82,5. 88,3. aliied i 67,13. aliee 59,8. aleitanz8,2.
alaiterent 77,36. aliut 7,5. aluad 77,55. 106,36.
B alelterent 103,21. alaitat 120,12.
' Q alaitanz 88, 10. alassez 49, 9. alasserunt 178, 3. aleverent 279, 6.
aliance 14,13. 69,9. alierent 48,9. 136,6. alievent 9,12. alogierent
14,3, 42,12. alosez 212,14. aluad 317,15, alouent 354,17. alu-
mames 115,17. alumad 206,2.
In allen Beispielen findet sich also nur einfaches 1.
^ Im Text steht alued, im Glossar richtig aliied ; auch in Ztschr. für
rom. Phil. III, S. 572 wird auf diesen Fehler aufmerksam gemacht.
286 Die Verdoppelung der Konsonanten im Alt normannischen.
2) en (in) -f l.
Diese Verbindung findet sich nur einmal zu eil kontrahiert, in
elluminede OP 138,11. Dieser einen Form stehen folgende mit enl
gegenüber:
R enluminet ^ 535.
LC enlacet 1790. enluminout 429. enluminet 445.
0 P enlumine 12, 4. enlumines 17, 31 . enluminement 43,5. 77, 15.
eniiet 19,9.
CC enlaciez 1790. enluminout 429. enluminet 445.
CP enlumine 12,3. enlumines 17,28.2
B enlancets 87,17. enlaced 87,20,
Q enlumineras 208,11. enluminerent 253,12.
3) sub {subtus = siiz, sus) -|- L
Aus subtuslevare entstand sulleverad CP 106,41. Daneben
bietet OP- susleva 77,76. suzleved C. A., M. S., 10 und CP selbst
suslievet 36,17. suslieve 27,10. suzlevas 88,44. suzlevet CA.,
M. S., 10.
Die Form sulleverad ist aus sudleverad und dieses aus suzleverad
entstanden; CP hat auch die Formen sudplanter 139,5 und sudpuied
144,15.
Über 1 und 11 im Lateinischen sagt Corssen (I, S. 81 u. 82):
„Daher war 1 und 11 in der That so wenig voneinander unterschieden,
dafs zwischen beiden Schreibweisen ein haltloses Schwanken statt-
findet," z. B. Amulius, Amuliius u. s. w. „Man vergleiche hierzu die
. . . schwankende Schreibweise mille . . , mile . . . milliaria . . . millia . . .
milia." Ebenso findet sich vilicus neben villa, entstanden aus vinula,
ilico^ für in loco ; ebenso solemnis neben soUemnis, solennis. -^ »Da-
gegen findet sich umgekehrt 11 geschrieben, wo man nur ein 1 er-
warten sollte, so: querella . . ." quasrella ... relligio ... relli-
quise . .."6
1 Erwähnt werde hier quell = qu'en le 1316; es = en -f- les 1634.3016.
2 eloin 118,150 = en loin.
3 Druck- oder Schreibfehler für enlacet.
'' Vgl. Anni. 1 u. 2.
•'' Auch in C P findet sich, wie wir hernach sehen werden, soUemnittS
80,3 neben solennited 104,45.
c Vgl. S. 133, Anm. 1.
Die Verdoppelung der Konsonanten im Altnormannisclien. 287
Lat. 11.
1) Zeitwörter auf eler (ellare, ülare).
A apelent 5. apele 34, maiseler 86. ^
R apelet 14. 1692. cancelant 2227. cancelet 3608. escantelet
1292. neielez 684. -novelet 2118. renuvelent 3300. revelerunt 2921.
seieler 2613. ventelet 48.
LC apelent 251. apelet 323. apellent 320. apellet 729. apelle
715. apellum 697. 3131. renuvelees 262. renoveler 2370.
OP apelerums 19,8. apele 49,16, rapeler 101,25. flaele 72,5.
flaelez 72,14. renovele 50,11.
CC apelent 251. apelet 320. 323. renuvelees 262. rennveler 2370.
L apelent 42. 811. apele 48. estencele 300. tachelee 574.
CP apelerai2 115,4, 137,3. apellerai 114,2. 114,4. fiaele 72,5.
flaelez 72,14. renouvelee 102,5 (OP: renovee). renovele 50,11.
chancelerad 37,16. chancelerent 108,25. venteleruns 43,5.
B apeled 93,19. apele 130,1. apelum 79,21, 79,26. apellum
84,8. 94,31. drapellez 129,5. drapelez 129,17. rapellat 83,5. re-
nuvele 110,24. seieler 126,5,
Q apeleras 58,8, apelerai 205,7, apele 356,18. rapelad 348,16.
cbancelad 67,17. chancelout 85,1. flaelerent 15,8. renuvelum 38,4.
renuveler 301,28. reveler 87,10, 100,12. ruelee 100,14. turtellet
311, 12. ventelerad 293, 8. venteleras 366, 1.
In allen diesen Formen wie auch in den folgenden wiegt das ein-
fache 1 bei weitem vor.
2) Substantiva und Adjektiva auf ele (ellus, ella, illus, illa, ellurn).
A nacele 17. noveles 96. pulcele 14. 94 (auch pulcela 9. 12).
turtrele 30.
R buele 2247. capele 52. 726. chapele 2917. cervele 1356.
2248. damisele 3708. escheles 1034. 3026. furceles 1294. 2249.
nuveles 55. noveles 336. pulcele 821.
LC nuvele 194. 1107. pulcele 1352. 1353, escuele 2651.
1 Nach den meisten Erklärern von maxilla. In den Gott. gel. Anz. I,
\. 896 leitet A. Tobler es von maisei (macillum) Schlachthaus und Gemetzel
\\i. Vgl. maixeles S. 288 (in OP).
- Es werden vorzugsweise solche Formen citiert, in denen man U er-
warten könnte; andere Formen, wie CP apelant 4,1. apelai 16,(5 u. s. w.
werden nur, wenn sich jene nicht bieten, genannt. (\'gl. die Verdoppelung
les t in den Verben auf eter: S. 130, c.)
288 Die Verdoppelung der Konsonanten im Altnormannischen.
OP anccle 85,15. gravele 77,31. 138,17. juvenceles G7,27.
maixeles 31,12.1 maisuncele 101,7. matneles 21,9. purnele 16,9.
C. Moys. ad f. J. 14. salterele 77, 51. 104,32.
CC scnele 2651. nuvele 194. 1107. pulcele 1352. 1353.
L arundele 396. femele 681. gravele 170. 530. prunele 809.
CP ancele 85, 16. 122, 2. cordele 77, 55. gemele 67, 14. gravele
77,28. 138,20. maissele 3,8. maiseles 31, 10. niameles 21, 9. pulceles
67,26. purnele 16,8. C. M. (Deut.) 14. salterele 77,46. 104,34.
B buele 85,16. 85,18. femele 95,6. 99,3. graveles 108,13.
mamele 81,15. 81,17. nuvele 87,26. 115,7. pucele 81,12. 81,15.
Q ancele 3,15. 4,11. dameisele 163,14. 165,1. eschieles 14,6.
61,7. gunele 164,13. 164,16. nuvele 14, A. 2,2. 24,17. nuvelement
405,5. pulcele 162,11. 163,12. stencele 168,10. estencele 297,13.
rueles 255,2. ruele 255,13. vaisselle 148,6. vaissele 148,1. 185,3.
3) Alle übrigen Formen mit lat. oder hebr. IL
a) Geblieben ist ll:^
u) In den gelehrten Wörtern :
A excellist appendix.
LC AUeluia 3325. 3330. Alla 3333. allegorie 577. 1471.
OP illusiüns 37,7. illusiün 78,4 (in CP steht vergoigne und
escharn). pallor 67,14.
' Von maxilla; vgl. S. 287, Anm. 1.
^ In diesen Wörtern diente die Schreibung 11 (1) zur Bezeichnung des
gedehnten 1-Lautes.
Zunächst möge hier wiederholt werden, was Isidor Flodström in dem
Aufsatz „Zur Lehre von den Konsonanten" in Bezzenbergers Beiträgen
VIII, 1 (1883) sagt: „dafs zwei Konsonanten von derselben Art, die un-
mittelbar aufeinander folgen, unmöglich in derselben Silbe vorkommen kön-
nen, dafs es aber möglich und gewöhnlich ist, dafs zwei gleiche Konsonanten
zusammentreffen, von denen der eine eine Silbe schliefet und der andere
t;ine beginnt, wobei ... in der Stellung der Mundteile beim Übergang von
dem einen Konsonanten zu dem anderen keine Veränderung vor sich geht"
(S. 23). Wenn nun Lesaint, Traite de la prononciation fran9aise, sagt, dafs
noch heute zwei 1 gesprochen werden, z. ß. in allegorie, alleluia, Illusion
— es sind dies Wörter, die auch in unserer Arbeit vorkommen — , ferner
(um auch dies gleich hier schon zu erwähnen) zwei r in error, im Futur
von mourir und dechoir, ferner zwei m in Amnion, zwei n in annal u. s. w.,
so folgt hieraus — in Übereinstimmung mit Victor, Elemente der Phonetik
S. ]31: „rr =: rr = r mit Schwächung und Wiederverstärkung", und
S. 177: „Doppeltes, d. h. langes n wird statt des sonst fiir nn geltenden
einfachen n gesprochen in inne . . . Cinna" u. s. w. — , dafs durch die Ver-
«loppelung die Länge der betr. Konsonanten bezeichnet werden sollte. Denn
die eigentliche lat. Gemination ist, wie wir bereits oben gesehen haben, im
Französischen nicht fortgeführt worden.
k
Die Verdoppelung der Konsonanten im Altnormannisthen. 289
CC Alla 3325. 3333. allegorie 577. 1471.
B allegorie 85,19. 88, U.
ß) In fast allen Eigennamen :
R Apollin 8. 417. Apolin 2580. 32G8. Balaguct 63. Balaguez
894. Galice 1637. 3073.
B Sabelliun 91,26.
Q AUopheles 71,20. Berzellai 194,13. 195,5. Bcizelai 185,1.
Gallin 102,10. Mello 270,14. Mosollamot 398,2. Odollan 85,8.
212,12. Sellum 392,22.
}') Häufig in milliers:
R milliers 109. 1685. miliers i 1417. 1439.
OP milliers 3,6. 67,18.
CP milliers 67,18. miliers 3,6. 83,10. milier 90,7.
Q milliers 186,4. 216,15.
Daneben findet sich einfaches 1 in:
A miles 103.
R milie 13. 410. miliers 3415.
CP railium 49,10.
Q milie 14,8. 15,14.
b) Einfaches 1
steht in fast allen anderen Formen für lateinisches 11.
A acoler 86. bele 17. 97 (auch bela 96. 97). belament 10. can-
celers 76. celui 14. cele 37. ele 30. 87 (auch ela 29. 94). eschevelede
85. icele Gl. 76. iloec 17. 40. iloc 18. 23. nule 36. 48. palie (pallium)
28.2 tolut 22. tolir 71.
R arcbaleste 2265. avalat 730. avalet 1037. balient ^ 976. bele
61. 445. belement 862. 3159. cadelet 936. 2927. capelers 3435. celoi
411. 1803. cele 649. 958. chevaler 25. 99. chevalerie 594. 960. che
velefire 1327. defulent 2591. ele 635. 959. esteiles 3659. folage 313
folie 496. 569. icele 979. 2495. iloec 332. 436. malez (raallati) 3855
nule 1657. 2002. pale 1979. paliesllO. palie 272. pelee3323. seles91
sele 1295. toluz 236. tolit 1649. valees 710. valee 1449. vile 3661. 3678
LC avaler 3268. bele 2614. cele 473. 721. chapelain 10. ele 19
1 Eigentlich fehlerhaft millere.
- palea wird mouilliert: paille e. c; palie (von pallium) findet sich
noch in R und Q.
3 „L'assonance exigerait baleient. ßas-latin balhcare? de ballare."
Gautier (Rol.).
Aicliiv f. n. Spiaclien. LXXV. 19
290 Die Verdoppelung der Konsonanten im Altnorniannisclien.
eles 261. e.steile 220. 302. esteille 2586. fule 491. 1726. folie 12G.
2641. foleiant 3344. icele 319. iceles 1236. iloc 217. 593. nule 129.
1201. vilanie 125. vilains 132. vilain 164.
OP amoliees 54,24. bele 146,1. celiers 143,15. celui 36,35.
eles 42,3. 77,3. esteiles 8,4. 135,9. esteilles 146,4. 148,3. folie
37,5. 68,7. folierent 57,3. folient 94,9. icele 94,9. iluecl3,9. 22,1.
moülez (meduUata) 65,14. nule 22,1. saülez 16, 16. saület 16,17.
21,28. toleiz 9,27. tolanz 45,9. valede 59,6. valedes 64,14. valees
103,11.
CC avaler 3268. bele 2614. cele 405. 721. Chevaliers 451. Che-
valier 546. chevaline 1418. ele 19. eles 261. csteile220. 302. steille ^
508. estencelemenc (fehlt in L C) 403. fole 491. 1726. folie 126.
2641. folant 3344. icele 319. 1223 (iceles 1236). iloc 217. iloec 593.
nule 129. 1201 (nulla 3138). vilainie 125. vilain 132. 164.
L afolez 403. bele 66. 169. cele 151. 171. celui 359. 713. ele 51.
183. icele 229. 355. iloc 338. 572. nule 167. 278. tollent 231. tollez 560.
CP beles 15,6. bele 80,2. cele 77,46. Chevaliers C. M. 22. de-
fulerad2 107,13. defulerums 43,5. ele 38, 5. 108,24.3 esteiles 146, 4.
148,3. esteilles 8,4. 135,9. folie 37,5. 68,7. foleerent 57,3. 106,4.
icele 33,14. iluec 121,4. 138,9. mascheleres 57,6. moles 54,23.
moülez 65, 13. nule 22,1. F. C. 25. saüllableteth 15, 11. saüle 16,14.
21,27. tolis 31,6. tolid 77,27. valees 103,10. valee 107,7.
B balier 108,19. baliement 108,20. bele 74,3. 87,26. belement
101,27. 110,7. cele 83,7. 101,12. celui 96,24. ele 82, 15. 91, 5.
foles 89,16. 89,19. folie 76,27. 91,28. icele 79,13. 89,17. iloc
92,17. 99,5. ilores 108,23. muele 112,21. muole 113,14. nule 76, 11.
127,21. pulainees 92,24. pulains93,4. saülees 93, 2. steile 96,11.
96,12. tolit 83,9. tolait 103,2. vilainie 93,26.
Gehört auch decolez (=: „basket") 92,25 hierhin?
Q aiselers 250, 17. aisseles 255, 15 (auch aissels 255, 8 u. 255,12).
avalad 206,3. avalerad 311,14. bele 59,13. beles 66,11. cele 3,A.
1,1. 4, A. 2,11. celi 135,8. 158,11. celui 64,15. 181,5. cdiers
369,10. cheles 34,3. 362,7.'* chieles 409,10. 410,11. chevalerie
' Eigentlich de steille, vielleicht also esteille.
- Dieses Wort fehlt in OP; an dieser Stelle steht: a neient demerra.
■^ elles 77,45 ist Öclireibfehler für il les, wie Hs. ß hat.
' Nach Ztsclir. f. rom. Phil. 1, S. 428 von „quid velles". Diese von
H. Suchicr vorgeschlagene Erklärung bestreitet G. Paris in Roraania \ 1,
fcj. 629, ohne freilich eine bessere vorzuschlagen.
Die N'irdoppelung der Konsonanten im Altnormannischen. 291
39,11. 52,12. die valiers 42,11. 86,11. chevelure 171,9. decolasscnt
o80, Rand, defuler 162,5. 301,2. ele 3,7. 4,A. 2,10. entredalierent
236,10. esteiles 420,3. 426,9. folie 99,18. 290, A. 1,7. foloment
43,13.216,18. iceli 49,2. 109,10. iloc 22,1. 22,2. iloques24,l.
iluec 348,8. mole 162,6. nule 13,4. 13,6 (nuli 114,4). palie 84,9.
sele 16,12. 194,1. tolage 219,9. toleit 38,12. toli 65,18. valee 22, 3.
vile 21,16. viles 18,7. 22,14. villes 303,14. vileins 27,12. vilainie
113,3. vileites 398,18.
Germ an. 11
ist fast stets 1 geworden:
R Alemans 3038. 3701. Alemaigne 3038.1 3977. isnelement 2
2085. 2109. WiUalme 3938.
LC isnelepas 678.
OP felnnie 5,4. 6,8. feluns 1,1. felunessenient 17,24. 34,22.
ignelement 6,10. 36,2. ignelment 68,21. 78,8.
C C isnelepas 678.
L feluns 232.
CP felenesses 58,4. 73,20. felencssement 82,13. felunessement
17,21. 74,4. isnelement 30,2. 77,33. inelernent 36,2. ignelement
68,20. 78,8. escrillants 72,18.
B felunesse 109,11.
Q felenessement 71,9, 132,7. fenelessement 174,9. 298,10.
felenie 65,2. felun 65,12. 117,1. ignele 30,6. 35,13.
Lat. 1 wird ausnahmsweise 11 oder bleibt in:
R Carir 562. 566. Carl' 597. 833. meistens Carles 560. 655.
Marsille* 1889. sonst stets Marsilie, z. B. 7. 10. seignurill 151.
1 „G. Paris liest mit ^'n. und Hofmann de la Marche." Jahrbuch für
rom. und engl. Litt. (N.F.) III, S. 72.
- „Lüdouuig ther snello. thes unisduames föllo", beginnt Olfrid seine
Evangelienharmonie. Dafs i schon im Lateinischen euphonischer Vorschlag
war, bezeugt Schucbardt II, 338 ff. Beza sagt S. 81: „Vtteres scribebant
et integre sonabant" s in „isnel (velox)", das schon in OP igr.el lautet;
vgl. «. 326.
3 Vulpata: in lubrico ; OP übersetzt: pur les tricheries.
* Wohl Schreibfehler für Marsilie, also ohne mouilliertes 1; es gehiirt
zu derselben Klasse von Wörtern, wie z. B. R Gilie (^Egidius) 2096. Sezilie
200. bibilie 955. LC und CC vigilie 2220. OP cuucilie 39,14. volatilie
49,12. CP olie 5i,23 e. c.
19*
292 Die Verdoppelung der Konsonanten im Altnormannischen.
OP milliu 21,15. 21,23. pelioan (CP hat pellican) 101,7. solen-
nite 73,5. solennnited ^ 80,3.
L AUectoire^ 127. voill 550 ist Schreibfehler für voilt (146).
CP milliu 21,15. 35,1. miliu 135,11. 135,15. mileu 137,7.
illiers 37,7. pellican ^ 101,6. sollemnite * 80, 3. .^olennited 104,45.
solennitez 88, 32.
B cocodrilles ^ 85,7. 115,15.
Q Alias! 122,13. Hallas ! 366, 6. Hellas! halas! 352, 10. Ha
las! Ha las! 367,12. laquelle 6 124,3. milleu 255,17. Messullam
423,4. Messalleineth 422,3.
Norm. 11
entstand aus 1) gracilis in;
R grailles 700. 1004. graisles 1454. 2443. gresle 1319. grasles
2110.
LC grelles 1336.
CC grelles 1336.
B greille 75,6. gredle 75,20.
2) lat. rl in :
B pullent 96,3. 120,27. pulente 125,8.
3) lat. sl in :
R mellee 450.
LC malles 2014.
OP illes 71,10. 96,1. mellowe 101,10. melle 105,33.
CC males 2014.
L isle 69. 325. ille 292.
CP illes 71,10. isles 96,1. mellez 74,8. mellai 101,9.
B ille 108,4. illes 115,15. idle 85,12. 127,25. isle 127,24,
malle 119,8. malles 119,13. male 95,6. 99,7.
' Nach Meisters Kollation (S. 120) ist solennited zu lesen.
- Bei Plinius (nach Beckmann S. 17) mit einfachem 1.
" In Homania VI, S. 204 sucht d'Ovidio die VerdoppeUmg des 1 im
italienischen pellicano durch den Nebenaccent auf der Haupt silbe vor dem
Ilauptaccent zu erklären (wie in seppellire, coccodrillo c. c).
^ Diifs es schon im Lateinischen neben solemnis ein sollemnis gab,
haben wir bereits oben erwähnt.
'> Das Wort kommt nur hier vor; es reimt zu idies und illes.
« Wohl Schreibfehler für laquele; z. B. quele Q 2.50, Hand: laquele
OP 118,49. Lat. -älis wurde stets ele, z. ß. OP uniele 2], 21; CP nutur-
nele 89,4; B tele 77,11; Q morteles 350,18 e. c.
Die \'en]oppeIaiig der Konsonanten im Altnormannischen. 293
Q ille 246,8. medlee 373,14. mellez 48,1. vallez (vassallum)
397,16. vadles 65,14. vadlet 82,3.
4) lat. tl \n:
R croUee 442. espalle 647. espalles 1344.
OP crollerat 7,13. crollant 28,7. crollement 105,29.
CP colee 105,29. escroUee 76,18. 98,1. espalles 90,4. espalde
(so schreibt OP stets) 20,12. 80,6.
Q crodlez 205,16. crodled 413,17. croler 293,6.
5) lat. dl in :
R mollet 3159. mollez 3900. Rollant 175. 392. Roll' 104. 194.
6) Im in:
OP barnillent (viriliter) 26,20. barnilment 30,31.1
Aus allen diesen Formen ergicbt sich, dafs das Normannische das
einfache 1 dem doppelten vorzieht; jedes fremdsprachliche 11 ist fast stets
zu 1 geworden. Um so mehr ist der Schlufs berechtigt, dafs das nor-
mannische 11 dort, wo es sich regelmäfsig findet, die Länge des Kon-
sonanten bezeichnen sollte.
Mouilliertes 1.
Durch Hinzutritt eines i (animalia = almailles), eines j (bajulia
=: baillie), eines unbetonten e (palea = paille), eines c-Lautes (buti-
cularius := buteilliers) oder eines t (vetuhis = vieiP) erhielt das 1
im Laufe der Zeit durch die Änderungen, die die genannten Buchstaben
erfuhren, den mouillierten Laut. Auf verschiedene Weise haben die
Schreiber unserer Texte denselben durch die Schrift wiederzugeben
versucht ; einige der wichtigsten Formen mögen hier erwähnt werden.
Denselben Laut sollte bezeichnen OP brulled 82,13 und CP
bruilled 82, 14. OP cavaillers C.Moys.22 und 0 P cavalers C.Moys. 22.
OP groselier 57,9 und CP groseiller 57,9. OP travailai 6,6 unä
1 Vgl. S. 138, Anm. 2.
^ „La Serie phonetique est vetulus, vetlus, veclus"; Gautier (Kol.). In
Anknüpfung an dieses veclus möge hier folgen, was Joret, DuC..., S. 317
über das cl medial sapt: „II faut lüstinguer eiitre cl latin et cl de forma-
tion romane, c'est-ä-diie provenant de Tapocope d'une voyelle intermediaire
a c et a 1. Dans le premicr cas cl se change ... en eh...; cl medial de
formation romane se rencontre dans les «Icrives en aculus, eculus, iculus
et uculus, si commun dans le latin de la decadence ..." Dieses cl wurde
mit wenigen Ausnahmen mouilliert (S. 319).
„Die Abzweigung ]j = cl ist früher als das 9. Jahrh. nachzuweisen:
... botilla ... bütiliario." Schuchardt II, S. 488, Anm.
291 Die Vcidoppelung der Konsonanten im Altnonuanni.vclKMi.
travaillent 41,14, sowie CP travallied 105,31. L batallie 140 und
bataille 576. B reculli 86,2 und recuillir 123,24. B traveiler 79,25
und travaille 85, 1 u. s. w.
Beza erklärt das monillierte 1 dahin, es laute wie italienisches gli,
spanisches 11 in llamad = liamado. Und in Ztschr. f. rem. Phil. IV,
S. 413 sagt H. Suchier über das mouillierte 1 folgendes: „Die alten
normannischen Texte weisen zwei Wortklassen auf, die mit einer
Strenge geschieden sind, wie solche in sprachlichen Dingen nicht immer
aufzutreten pflegt. Zur ersten Klasse gehören z. B. bataille (bataile),
entrailes ... fueille, fille ... vergnine vigne .... Zur zweiten gehören
z. B. olie uelie ... ulie ... milie ... concilie ... volatilie ... pecunie ...
testimonie. Die erste Klasse hat 1 mouille oder n mouille vor dem
auslautenden e. Die zweite Klasse hat 1 oder n in derselben Laut-
kombination, in welcher r in miserie, adversarie, v in dihivie ... fluvic
..., d in estudie ... envidie ..., rd, rb, nd in misericordie ... superbie
... iracundie auftreten. Das heifst: in den Worten der zweiten Klasse
geht dem auslautenden e ein halbkonsonantisches i und diesem ein kon-
sonantisches 1 oder n vorher, ohne Mouillierung."
Eine besondere Besprechung erfordern eine Reihe von Formen,
die teils auf 11, teils auf Iz endigen. Ad. Horning sagt darüber: i „La
valeur de z reste donc constante, que 1 soit precedee d'uu i ou non,
que 1 elle-meme tombe ou se maintienne. Ce fait, que z a dans ces
mots aussi une valeur phonetique bien precise, suffit ä refuter les theo-
ries qui veulent faire du z un signe de pure Convention indiquant selon
les uns que 1 est mouillee (G. Paris, Alexis 101, Mall, Comput 91),
selon d'autres qu'elle ne Test pas. Cette derniere opinion a ete accre-
ditee par la note publice par M. Schuchardt Romania III, 285. Selon
ce savant le z indique que dans genoilz p. ex. l'l n'etait pas mouillee"
... und wenn man, so heifst es weiter, travalz, genolz, conselz etc.
ohne i und mit z findet, „cela tient a ce que z a la valeur phonetique
ts (ds) et n'est pas autre chose ... Une tout autre question est cellc
de savoir si les mots ecrits par z au sujet singulier et au regime pluriel
ont ete mouilles ou non, Personne ne le souliendra aujourd'hui pour
des formes telles que travalz, conselz, oelz. Mais que faut-il penser
d'oilz, genuilz, de cunseilz qui sont tres frequents dans l'Alexis, Ic
' „Du z dans les mots mouilles en langue d'oil" in den Rom. Studien
IV (Heft 16), S. 627.
i
Die \'tTdoppcluiig der Konsonanten im Altnornjannischen. 295
Roland, le Psaut. d'Oxf., bref dans un grand nombre d'anciens textos."
Horning kommt zu dem Resultat, dafs i nicht beweise, ob 1 mouilliert
gewesen sei oder nicht.
Eine andere Anfserung über denselben Gegenstand findet sich in
Zeitschr. für roman. Philologie II, S. 539 fF. Dort heifst es:^ „Das
Schwinden der Mouillierung vor s wird ... durch Vertauschung des s
mit z bezeichnet. Thomsen aber (Memoires de la Soc. de L. III,
S. 119, Anni.) scheint die Mouillierung von n und 1 vor z gegen
Schuchardt aufrecht halten zu wollen ^ und sucht die physiologische
Möglichkeit einer solchen Lautverbindung durch eine veränderte Aus-
sprache des z zu gewinnen." Ulbrich kommt dann selbst, wie auch
Chabanoau in der Revue des langues romanes V, S. 330 — 339, zu
dem Schlufs, dafs das z hörbar gewesen sei ohne Mouillierung des I.
Die in unseren Texten vorkommenden Formen mit mouilliertem 1
.sind : '
A aillurs 39. baillie 42. 108. bailide 107. baillir 74. bailissent
105. conseilers 52. cuileita app. desconseilet 64. conseilet G8. doilet
101. filie 8. 93. fille* 9. meillurs 22. merveile 88. 89. moilent 54.
muiler 4. 6. nioyler 8. vailant 2. vailante 4. voillent^ 1 16. vollent 120.
R acoeillent 3967. amiraill 2615. 2767. amiralz 967. 2602. ami-
rail 2760. apareilliez 643. apareillez 1144. 2535. aquillit 689. Ar-
goilles 3529. Argoillie 3474. Arguille 3527, asaill 987. asaillet 1659.
asaillit 2564. av'rill 3503. baillastes 3446. baillit 453. 3497. baillie 94.
bataillee 18. 589. bataillie 2602. bataill 1887. bruill 714. buillit2248.
1 „über die vokalisierten Konsonanten des Altfratizösiscben" von
0. Ulbrich.
- Thomsen sagt: „Dans la Romania III, 285, M. Schuchardt a cherche
a montrer que l'ecriture Iz et nz prouve que 1 et n ne sont plus mouillees.
C'tst un fait dont je ne conviens pas du tout. A peu d'exceptions prcs,
... z ne se trouve qu'apres 1 et n primitivement mouillees . . . Fideilz
meme peut avoir eu 1 mouiilee, comp. prov. feilh, Bartsch, Chrest. p. 35, 3. .. "
3 Erwähnt werde schon hier, dafs li u. a. folgende Formen aufweist:
amiraill (n. s.) 2015, amiralz (n. s.) 967, genoill (a. s.) 2664, sowie orgoill
(a. s.) 313, ferner gentill (n. s.) 1853 und gentilz (n. s.) 176, soleill (n. s.)
980 und soleilz (n. s.) 1002, sowie soleill (a. s.) 2317 und soleilz (a. s.)
2450, veilz (n. s.) 2409 und viel (n. s) 2615, sowie veillz (n. s.) 796 und
velz (n. s.) 30.^)0. OP hat 62,9 gupilz (CP 62,11); dasselbe Wort heifst
B 106,12 gupille (auch gupilz 105,22) u. s. w.
^ Nach G. Paris 8. 102, Anm. eine schlechte Lesart, denn „la fusion
de l'i avec l'l n'etait pas complete ä l'epoque de notre poeme."
•' Cette forme „doit d'autant moins etre maintenue qu'on lit ailleurs
voilent" (G. Paris).
G In Romania VI, S. 201 nennt d'Ovidio *batvalia als Etymon und
fügt hinzu: „anche per influsso di battere." Schuchardt II, S. 470 heifst es:
•J'JG Die \'eidoppelung der Konsonanten im Altnonnannischen.
coillit 3771. cunseiller 2212. cunscillet 2668. cunseilez 20. cunseill
62,2. ciintrevaillet 1984. curaille 1271, desinaillees 3387. desmailel
1270. 2051. esveillet 724. esveillat 736. exill 1862. 2935. faillir801.
1866. fillastre 743. fille 2744. gaillard 2895. gaillarz 3086. gaillarde-
nient 2959. gentill 1853. gentil-c 176. 2045. genoill 2664. gemiilz
2192. gresilz 1425. Grossaille 1649. raaile (macula) 1329. maik (mal-
leos) 3663. meillor 51. 231. merveille 550. 2466. merveillus 815. 2474.
nierveilus 370. 1397. merveiller 537. (je me) merveill 3179. niuiller^
42. muiller 361. oreille 732. oreilles 1656. orguill 228. orgoill 313.
orgoil 1941. 3315. orguilz 1549. orgnillus 28. orgoillos 474. Piiillanie
2328. puillain 2923. Puille 371. recuillir 2965. requeillit 3210. Ros-
sillon 797. Russillun 1896. saillent 2469. soleiU 980. 2317. soleil
1808. soleilz 1002. 2450. taillet 1339. travaillent 380. traveillet 540.
vaillanz 789. vaillant 1168. vaille 376. vaillet 1666. vieill 2048. veill
112. 2189. veillz 796. veilz 2409. 2807. vclz 3050. viel 2615.
Veillantif 1153. 2032. ventaille 1293. 3449. vermeille 386. verineilles
950. vermeill 968. 1299. vermeilz 999. 2872. voeill 330. 521. voell
2180. voeil 492. voillet 1419. voeillet 1873. 2043. voeille 3834.
voeilet 2168.
LC apaieilliee 22. baillie 465. 778. bataille 84. cunseillier 170.
dcspuillat 1690. esboillisant 1331. esmerveillet 1825 (CC: se merveilt).
failli 168. faillir 3504. grisil 1396. gresil 1413. orguillast 561.. re-
eüilletl52. saillantes 1262. saillir 2967. travaillai 109. 122. tressaillum
2347. 2373. vaillant 212. 459. voillet 141. 1452.
OP agenuillums 94,6. almailles 67,11. almaille 103,27. apareilat
7,13.9,8. apareillanz 64, 7. apareillenient 64, 10. batalle 17, 37. 17, 43.
batailles 45,9. 67,34. brülle 25,25. brulled 82,13. cavailler.> C. Moys.
22 (CP: Chevaliers), oavalers C. Moys. 22. coailliez 1 18, 70. corbt-ille
80,6. CLiillent 125,6. cunseilerent 30,17. defailli 38, 14. defaillit 54, 11,
despoilles C. Moys. 9. enorguilist 9,23, enorguillissent C. M. ad f. J.
40. entailledures 77,64. enlailleüres 96,7. entaileüres 105,33. en-
trailes 50,11. enveilirent 31,3. enveilli 36,26. esbuillissed C. Hab.
25. esparpeilet 21,14. esparpeilled 147,5. espuilles 67,13. 118,162.
estuibeillun C. Hab. 21. csveillez 77,71, csveille 79,3. exillet 36,9.
fameilercnt 33, 10. fameillerui 49, 13. fameillanz 106, 5. f'ameillus 106,9.
„battualia quge vulgo battalia vocantur. Cassiod. S. 2300 P." — A. Boucherie
hat also unrecht, wenn er in den Memoires I, S. 90, Anni. sagt: „battuerc
est (autif,"
Die Verdoppelung der Konsonanten im Altnormannischen. 297
fillc0,14. mies 44,10. fuille 1,4. fuilles 36,2. gresille 17,14. 17,15. grisille
77,52. gioselier 57,9. grundillowent 40, 8. giipilz 62,9. merguillerent
73,8. merguillede 105,36. merveillus 4,4. 64,5. mervcilus 8,1. 8,9.
nierveilles 39, 7. 70, 19. merveiles 9, 1. 25, 30. merveilerent47, 5. narilles
113, 14(CP:nes). oeiHes48, 14. 64,14. oeiles 8, 7. oreilles 9,41. 39,9.
oreiles 5,1. 16,2. orgnillu.s 17,30. 88,11. quaille i 104,38. remasilles
16,16. 20,12. repostaille 138,14. C. Hab. 22. repostailes 9,30. rc-
postaile 9,31. sunieillai 3,5. sumeilla 118,28. tille 73,7. travaillent
41,14. travaillerat 48,8. travailent 22,6. 26,4. veilles 76,4. veillai
101,8. veilece 70, 11. veillece 70, 20. 91, 10. voilles 102,2. voillez
C. A. 7. Voiles 36,1. 36,8. volle/: 61,10. 94,7.
CC apareilliee 22. baillie 465. 778. bataille 84. ciinseillier 170.
despuillat 1690. esbuillissant 1331. failli 168. failiir 3504. gresil
1396. 1413. orguillast 561. recoillet 152. saillantes 1262. s illir 2967.
travaillai 109. 122. tres.saillum 2347. 2373. vaillant 212. 459. voillet
141. 1452.
L aparelliees 60. batallie 140, bataille 576. batailles 591. boillant
333. boillir 638. buillir 606. desboillir 333. despoiller 852. estur-
builun2 590. faille (s.) 451. 536. faillie (s.) 139. failiir 248. 944.
gresik 640. meillors 153. meillor 350. meillur 515. 878. merveilose
460. merveilkise 803. moille 265. nioile 55. travaille 452. 682. tra-
valle 158. vaillant 151. 168. valliant 160. vaille 681. viellie (adj.)
704. paillie 429. paille 535. saillir 605. talliees 59. entallie 108. en-
lallier 388. taillee 688. entailliee 362.
CP aCLiillit 26,12. agiiillun T. D. 16. ailles 31,9. almailles
67,11. 103,11. aparaillied 5,2. 7,12. aparellie 131,17. apareiler
r. Z. 9. apareilas C. S. 3. bataille 17,34. 23,8. bruillement 47,7.
bruilled 82,14. brullerad 96,3. bruUant 103,4. buillid 104,30 (es-
biiillisset C. Abb. 24). contruvailles 76,12. corbeille 80,6. cnilleit
34,16. defaillirent 63,6. 68,4. desparpeillas^ 17,41. 43,11. despar-
peilat C. S. M. 6. despueilles 67,13. 118,162. despoiiles C. M.
' Littre: „bas-latin qiiaquila; de ralleraanrl : flamand.du moyen äge,
cjuakele ..." Schuchardt II, S. 488 nennt quaylas, das den Übergang zu
quaille deutlich erkennen läl'st, als im 8. Jahrh. vorkommend.
■■^ In dem V^erse: „De fuildre ne d'esturbuilun" ist esturbuilun wohl
Schreibfehler für esturbeillun, wie O V, C P und Q dieses Wort schreiben.
3 Dieses in CP mehrfach wiederkehrende Wort hat ÜP nur einmal
als desparpelat C. Movs. 6; sonst hat t) P z. B. deperdis 17,44. departeient
43,12 e. c.
298 Di« Verdoppelung der Konsonanten im Altnorniannifchcn.
(Ex. 15) 9, despoilie 75,5. devinaille (OP: propositiün) 48,4. cnor-
guillissanz 45,3. enorgullisent 48, 6. entailleüres 73, 6. 77, 58. entailli'ee
96, 7. entrailles 50,11. 54, 4. entrailes (Hs. B : 11) 48,11. P. Z.l 1. enveilli
36,25. esbuillii^set C. Abb. 24. esparpeillerat 28,6. esparpeillat ^ 52, 5.
esturbeillun 54,8. 82,15. esveillant 72,20. esveillai 3,5. fameillerent 33,10.
fameillerai 49,12. feineilanz C. S. M. 8. fedeilement Fides Cath. 42
(fedeilment 29). 2 fiUe 9, 14. filles96,8. foillel,4. foillees 117, 28.
fueillant 91,13 (OP: pacient). gresille 17, 12. 148,8. groseiller 57,9.
grundillement 5,1. grnndillent 34, 21. grundilloent 40, 7. gupilz62, 11.
niarguillied 36,18. margtiillierent 73,7. merveilles 9,1; 25,7. mer-
veillns 4,3. 105,45. merveillie 47,5. meillure^ 62,4. meillur 118, 72.
oeilles 77,52. 77,70. oueiles 151,1. ueiles 151,5. ueilles 8,8. oreille
9,38. 16,1. orguillus 75,5. 135,19. orgeillus 18,13. 25,4. orguilus
C. S. M. 6 (orguil 30,19. 30,24). paroillent (0 P: parolgenf) 33,13.
paveillun (0 P : tabernacle 14,1) 77,60. quaille 104,40. remesille
16,14. 75,10. remasille C. E. R. 2. repostailles 9,28. 16,12. saillirent
113,3. saillistes 113,5. suillei-at 54,22. suraeillerat 120,4. sumellai
3,5(sumraeill31,4). toilIes(OP: tolgent 39, 19. tolges 50,12) 50, 12.
118,43. travaillai 61,6. travaillante 67,10. travaillie 65,12. 106,39.
travallied 105,31. traveillanz 26, 14. travelllat * 55, 1. turbeilluns 148,8.
vaillant (OP: fort) 45,1. 87,4. veillerai 16,15. veille (vigilia) 34, 24.
veilles 62,7. veilz 104,22. veillece 70,9. veillesce 70, 18. 91,10. ver-
seillerai 56,9. verseillouent 67,26. verseilliez 65,2. 67,33. vuilles
4,4. 36,1. voilles 9,33. 31, 10. voeilles 102,2. voilliez 104,15. voillez
104,15.
B aillurs 130, 19. baillie 76, 29. 81,23. bataille 125,27. bruillerat
100.21. bruille 110,17. cillerat 110,2. 111,5. ciiillie 101,24. cuillir
113.22. cuveiller 120,15. despuillat 81,5. enveillist 110,15. enveillir
113,22. esveillerat 82,20. esveiUe 85, 14. exiller 100, 8. faoilles 87, 7.
faille85,l. fiillel29, 14. 129,15. fuille 101,22. fuillue (foliata) 101,22.
fuilluz 101,23. gupille 106,12. gupilz 105,22. 106,3. merguillet
107,21. merguillerat 107,28. merveille 85,14. 103,20. muiller
1 esparpeill G7,l ist Schreibfehler für esparpeillet, wie IIs. B liest.
^ OP hat S. Ath. er. 27 u. 40 fedeillement. Das Wort lautet sonst
feelment.
^ OP kennt nur niieldre (62,4. 83,10), was auch in CP vorkoiumt
(83,10: Hs. A).
^ travaillz 45,1 ist Schreibfehler für travailz; sonst kommt das Subst.
in CP nicht vor.
Die Verdoppelung der Konsonanten im Altnormannischen. 299
(*niolliare) 122,18. mulier 100,8. muliers 117,24. oillot 116,12.
oreille 95,25. 96, 2. orailes 102,7. paiUete 90, 28. paille 91, 2. re-
cuillir 123,24. reciilli 86,2. seillerunt 103,16. travaille 85, 1. traveiler
79,25. traveillerunt 85,2. traveillement 82,8. uille (ustulat) 110,17.
vaillanz 83,21. veillat 80,9. veillad 80,12. vellesce 114,6. vcillesce
114,16. vermeille 78,6,
Q acuillid 74,11. 107,11. agenuillez 264,14. agennillat 346, 10.
aguillon 44,18. aillurs 18,16. almaille 50,1. 54,6. apareillast 43,12.
apareilled 62, 5. aparailliez 194, 14. argilluse 257,1. asaillid 61,1.
153,6. baillie 3,12. 24,5. balle 251, 6. baeilad 359, 15. baillad 96, 12.
bailled 156,9. bataille 15,12. 36, A. 1,2. bataillerus 60,9. buillo
198, 16. buteilliers 272, 2. cuillit 82,4. 311, 2. cunseiller 174, 3. 214, 7.
defaillent 10,8. defaille 132,13. descunseillez 223, 2. despuillez 76,11.
despuillerent 119,8. duille 86,14. entailles 247,19. enlaille 247,20.
envieilliz 38,9. esmerveillerent 58,10. esmerveiller 76, A. 1,2. espar-
peilled 116,3. 336,16, esturbeillun 321, 7. 321,9. esveillast 104, 4.
esveillad 235, 11, faillance 29, 13. faillent 85,5. faillid 116,12. 272,3.
fameillus 6, 11. fille 4, 5, 27, 15. fuillees 2, A. 2, 2 u. 3. fuillie 396, 13.
fuiUe 254,15. fiiilli 2,A. 1,6. lentilles 185,4. meillnr 88,8. 107,18.
inerveilles 41,10. merveille 76, A. 1,8. merveillus 15,1. inerveilluso
15,5. nuiillers 1,3. muiller 2,8. orguillid 280,16. orgueillus 301,2.
orilles 12,8. 205,14. oueilles 88,10. oeillej 185,6. uwailles 65,1.
uweilles 336,18. paille 4, A. 2,2. 218,17. paveillun 103,5. 104,13.
recuillirent 23,14. remasilles 421,3. 435,15. repo.>tailles 92,4. re-
postaille 206,6. saillir 32,12. saillid 81, 10. taillurs 137,15. 245,2.
taillage 393,17. taillez 255,3. 266,19. taillie 245,8. taillies 267, 7.
travailli.ssez 350, 10. travaillerent 34, 16. traveillez 19,12. traveillad
59,19. vaillanz 28,14. 71,2. vaille 84,16. vielz 15, A. 1,1. 19,2.
veillard 288,19. vieillarz 288,8. viellesce 11,4. vieille.vce 276,3.
vitaille 2,A. 1,5. 89,13. voilled 78,9, vuille86,13. vuillent 262,18.
volille 240,2.
r.
Präpositionen -|- r.
1) ad -|- r.
Diese Verbindung hat fast ausnahmlos — rr findet sich nur in
ariiere in C P, Hs. A — einfaches r ergeben:
A arivet 17. ariver 39. areste 525. arosee 780.
300 Die Verdoppelung der Konsonanten im Altnonuannlschen.
R araisiinet 3536. arere 1251. arereguarde 754. arestant 1783.
arester 2450. aresteüe 1332.
LC ariere 692. 1434.
OP aracherat 24,16. arachie 128,5. ariere 9,3. 34,5. ariiserai
6,6. arouseras 50,8.
CC ariei-e 692. 1434.
CP arichiti 48,16. ariere 9, 3. 39,18. arrierc (Hs. B : r) 33,14.
69,2. aruserai 6,6. ariised 103,13. arusemenz 41,1. aracherat 24, 1 6.
arachie 128,5.
B arere 93,3. areste 125,28, ariver 108,5.
Q areinnad 31,3. areisnad 32,6. areisuna 3,4, arestud 22,1
aresteras 82,4. ariere 11,14. 20,4. arere 20,Rand. ariverunt 243,9.
2) C2im (c'o?i) -}- r.
A corocier 11. corucet ^ 53.
R curreies 3738. curueiez 469. curu^us^ 1835. ciiriicus 2164,
LC corrumpnz 159.
OP corrumput 13,2. corrumpues 37,5. corruptiiin 15, 10, 29,11.
curiiist 2,12. curuce 7,12, curucez 94,9,
C C corrumput 159,
CP corrumput 13,2. 52,1. corrupiiün 15,10. 29,10, curruzt
2,12, currucer 84,5. curecierent 105,15.
B corruptiün 87,29. 125,9, curucez 86,22.
Q corruptiiin 21,12. corrumpuz 262,15. curius '* 29,11. 32,14,
cuni9ad 37,3. curueiez 40,6. curruz (s.) 196, Rand, curuz 263,13.
362,7.
Mit Ausnahme der beiden aus dem Lateinischen herübergenomme-
nen Wörter corrumput und corruptiün (die also auch in dem hernach
i'olgenden Abschnitt: „Lat. rr" hätten erwähnt werden können) findet
sich teils r, teils rr. Die Präposition hat sich erhalten in :
A conreierent 100.
R cunreez 161. cunreer 343. cunreid 2493.
' OP hat riebe serat. In ariehit Vertauscbung von ad und en (in);
en Kleibt vor r, z. B. tnreiee B 76,9; enrenger 11 2181 e c.
- Nach Burguy von cholera, biie ; colerous ; nach Littre von corruptus ;
Gautier (Rol.) saj^it „<i'un verbe tel que corruptiare fait sur conuptum??"
' In der Mandsebrift sind u und c halb verwiscbt.
^ „Ein unorganisches Fremdwort, das dem gelehrten \'erfa«ser von
<iLR geläufig war." Förster in Ztscbr. f. rom Fhil. II, iS. 17o.
Die N'enioppelung <1er Konsonanten im Altnormannisclien. oOl
B cunrei 108, 5.
Q ciinrei 21,8. 30,5. cunreast 356,8.
3) des ~\- r
findet sich nur in den ei ^ Q 212, Rand. Dieses rv lautete wohl, Avie
Beza (S. 37) die Aussprache für das doppelte r angiebt: „quum gemi-
natur r, fortiter est efFerenda, una qiiidein priorem syllabam finiente,
altera vero sequentem inchoante, ut ... beurrc, errer, ferrer, fburrer,
quarre, verre ...", d. h., nach Vietor, „mit Schwächung und Wieder-
verstärkung". ^ Diese Aussprache des rr ist in allen Fällen angewandt
worden, in denen ausschliefslich oder doch vorzugsweise Doppelkonso-
nanz geschrieben wurde.
Lat. rr.
Wie die folgenden Beispiele zeigen, ist das lat. rr meistens ge-
blieben (cf. unten, Anm. 4).
A acorent 102. 104. curre (inf.) 16. 39. curante 85. errant 16.
23. terre 16. terres 23. terrestre 12. 41.
R Amborres 3297. carier 33. 131. carre 33. care 131. 186. curro
1197. 1281. eure 3541. curant 955. curanz 1142. encurent 2580.
Engletere 2332. enterrez 2960. enterrerent 3732. errer 167. erret 497.
ferree^ 1370. lariz 1085. 1125. mirre 2958. resurrexis 2385. sucurez
1794. 2786. sucurre 2617. sucurance 1405. sucurs 2562. tere 3. 35.
terremoete 1427.
LC chariere 1433. concurrent (s.) * 196. 2905. concurrenz 2894.
2898. curant 2908. erret 607. 612. error 2088. resurrectiün 206.
2121. surrectiün 279. terre 542. 603.
OP Amorriens 134,11. 135,19. curre 18,6. curi 58,4. cureies
49,19. curres (s.) 19,8. 67,18. decuranz 57,7. decnrurent 77,23.
1 Die ganze Stelle lautet: „firent le derrei en Tost as Philisthiens."
Nach Diez von raidjan, wie cunrei. Littiesagt: „des ... prefixe. et arroi";
letzteres sei „ar pour a<!, ä, et du mat germanique rät, conseil, secours,
Provision." (Q 425,7: deramez enthält de.)
- Vol. S. 288, Anm. 2.
^ Nach S. XI statt des im Texte stehenden feree.
^ „En Franceis est itant, c'est ensemble curant" sagt der Dichter selbst
('2907 und 2908), indem er das französisi he Wort mit einfachtm r schreibt.
Überhaupt erscheint dieses Zeitwort — mit Ausnahme des Inf. und Fut. — ,
sowie auch die von demselben abgeleiteten Hauptwörter encurement, decure-
ment, entrecuremenz und sucurance, stets in allen Handschriften mit ein-
fachem r. Nur zwei Formen in C P (acurrent und decurrurent) sind aus-
genommen. Es mufs also für alle diese Formen angenommen werden,
dafs sie auch mit einfachem r gesprochen wurden.
302 Die \'errlo|ipeiung der Konsonanten im AltnoiMnanniscIien.
encure/s Gl, 3. encurenient 90,6. ferrine 2,9. fenins lOG, IC. Gomorre
C. M. ad f. J. 47. niirra 44, 10. resiirrectiiin 138,1. seredures i 147,2.
terre 1,5. 2,2. terrien 48,2. turuiJz 106,16.
CC chariere 1433. concurrent (s.) 196. 2905. concurrenz 2894.
2898. curant 2908. erret 607. 612. eirur 340. resurrectiun 206. 2121.
surrectiün 279. terre 402. 542.
L mirre 114. purret 378. terres 12. 150. tere 523.
CP acurrent 61,10. Amorriens 134,11. barres (Vulg.: seras)
147,2. currunt 48,13. curre 18,5. curez 33,5. cureient 37, 12. curent
58,4. curust 104,38. curres 19,7. 67,18. decoreit 37,10. decurent
57.7. decururent 104,41. decurrurent (Hs. B: r) 77,20. decureient
76,17. decurable 67, 2. decurement 54, 24. entrecuremenz 18,6. errurs^
18,12. 38,10. eiramesl05, 6. ferrine 2, 9. feirins 106,16. Gomorre C. M.
(Deut.) 47. horribletez 144, 6. mirre 44, 8. resurrecciün 138,2. S. A. 7.
terre 2,2. 7,5. tere 71, 19. terae C. A. 7. torreiit 35,8. turuilz 106, 16.
B charere 93,3. eure 104,4. curant 93,4. enferre 106,5. Engle-
terre74, 5. errer79,24. 84,27. serra 3 103, 28. 104,14. serre 104,25.
deseree 128,4. terre 76,8. 76,23. tere 118,6. 126,7. terrestre 99, 19.
126,27.
Q acureit 387,6. Amoniens 201,5. 239,7. Arroer 385,1. barilz
177,14. curres (s.) 27,14. 42,11. curre 44,7. 353,9, curut 11,8.
44.8. ferrement 246,6. 246,7. ferrez 162,5. horrible 15,6. horribles
145,12. serred 267,8. serreement 127,8. 246,5. serres (= serrae,
Sägen) 162,5. serrures 90,2. 238,20. terre 7,9. 13,11.
German. rr (r).
Hierhin gehören:* bierre, esquire, guerre, marrir und Ableitungen;
besonders zu nennen ist dann noch guer(r)edun(er).
A marrement 28.
R guere 235. 595. guerre 242. 906. guerreier 1514. guerrer
206G. guerreit 597.
LC guerre 763. 1954. guerreie 783.
OP guerre 143,1 (C P hat bataille).
CC guerres 763. guerre 1954. guerrie 783.
' Vulg.: seras. „Früh im Mlat. mit einer wenig üblichen Verdoppe-
lung des r serra." Diez.
- Dieses Wort und das folgende fehlen in O P giinzlich, wo dafiir
fchmle (fesimes) lof),!;. forfaiz 18,12. iniquitez 38, 12. impiefez 64,3 stehen.
■^' „Est beste de mer'\ sagt der Dichter.
* Vgl. S. 303, Anra. 1.
Die Verdoppelung der Konsonanten im Altnormannisclien. 803
B guere 235. 595. guerre 242. 906. guerreier 1514. guerrer 2066.
guerreit 579. mariz 76,23. marri 106,27. 116,13.
Q bierre 132,20. esquire * 245,8. guerre 71,7. 107,8. guerreier
395.18. guprriad 36,5. marri.: 81,13. 132,19. marid 190,3. mariras
164.19. marrement 77,11. 369,17. marement 320,20. 321,15.
Das Wort guer(r)edun (widarlön, Aviderdonum) findet sich an fol-
genden Stellen:
A guereduner 56.
R gueredun 3409.
OP guerredun 27,6. guerredunanz 7,4. giieredurrat 17,27. re-
giieredunent 37, 21.
CP gueredunat (Hs. B : guerredtirrat) 17, 20. guaredurrat (Hs. B:
guerredurrat) 30,24. gueredunat (Hs. B geht nur bis Ps. 95) 102, 10.
reguerredurrai C. M. (Deut.) 62, reguerredunerat C. M. (Deut.) 66.
B gueredun 120,4.
Q guerredun 124,16.
L a t. r.
Dasselbe wurde nicht selten zu rr. Ein sichei-er Girrund für die Ver-
doppelung ist nicht zu erkennen, da auch einfaches r ebenso häufig ist.
A dire 25. 123. dirre 122.
R Arrabiz 1513. 3011. Arabiz 3518. Arabe 3555. dire 325.
582. cuntredire 195. Sarraguce („Ccesar-Augusta") 6. 8. Saraguce
2818. sarraguzeis 996. saraguzeis 995. Sarrazins 147. 367. Sarazin
269. sarazineis 994.
LC dire 221. 229.
OP defirre 38,15. gierres 2 72,13. serement 104,8. seremenz ^
C. Hab. 14.
' Vom „ahd. skerran kratzen" (Diez); ebenso decirer, das bereits auf
S. 143 aufgeführt und daher hier übergangen ist.
- In Ztschr. f. roiu. Phil. I, S. 431 sagt H. Sucbier: „üiez stellt gier(es)
mit ergo zusammen und halt ore für identisch mit dem lat. Ablat. hora . . .
Ich schlage, solange sich nichts Besseres findet, folgende Erklärungen vor.
Das archaische Latein kann neben dem ho von hodie auch ein Femininum
ha besessen haben, das später durch die Zusammensetzung hac (aus ha -|~ <'ß)
verdrängt wurde. Dieses ha glaube ich in jenen Worten zu finden, gier(es)
ist lat. de ha re. Das Wort lautet im Oxf. Ps. 72,13 gierres, im Cambr.
gierres und glerre (S. 282). Der Laut dzh entstand ans de, di ... -f- Vokal .. ."
Gegen diese Ableitung, die noch einmal in Ztschr. f. rom. Phil. Ill,
S. 149, Anm. 2 wiederholt wird, wendet sich Cornu in Komania X, S. 339,
ohne eine bessere vorzuschlagen; es ist igitur; nach ihm ist igitur geworden :
„*igetur, *i(g)edro, *iedre, *ierre etc....''
^ Joret, Du C... S. 322 sagt über dieses ^^'ort: „En fran9ais ...,
301 Die Verdoppelung der Konsonanten im Altnormannisclien.
CC dire 221. 229. dine 89.
CP gieres 30,23. G3, 7. gierres 77,31 (Hs. B: dune). 105,39
(Hs. A und B). gierre T. D. 19. serenient 104, 9. serenienz C. Abb. 13.
B Ariianon (Arius) 91,26. dire 127,23.
Q averrat (wurde wahr; jedoch averad = habebit 415, 7) 357, 1 2.
dire 131,2. 199,14. glorrifierai 9,19. glorifier 324,12. Sarraias
(= Saraias) 149,2. serement 77,9. 109,14. serrement 96,5. 194,
A. 1,1.1
Lat. atr = arr.2
R arreraent 1933. marrenes 3982. parrastre 1027. parastre 277.
parastres 308.
L C larruns 1 1 68.
OP larrun 49,19.
CC larruns 1168.
L larruns 846. larrun 850. lierres 475.
CP larrun 16,4. 49,18.
B larenesse 109, 11.
Q larruns 115,1. 134,3. laruns 131,11. laruncels 361,9.
Lat. i t r = irr
findet sich nur in eschalcirrouent Q 140,2.
Lat. utr = urr.
A nurrit Einleitung, nurrir 7. purirat 96.
R nurrit 1860. 2380.
OP bure3 C. M. ad f. J. 20. nurrit 22,2. nurriras 30,4. purri-
rent 37,5. purreture C. Hab. 25.
Mvant la tonique et apies, quand par suite de la chute d'une voyclle atone
iiitermediaire l'r est suivi d'une consonne, le g s'affkiblit en y (i); c'est
ainsi que sacramentum a donne successivement dans cette langue sagrament,
sairement ou sairment et enfin serment." Dem salrement nahe steht das
obige serrement. In der Bibliotheque, 16e f., S. .'^3 heifst es: „Dans les
sernients on trouvo encore le niot sagrament, qui devait devenir . . . saire-
ment."
' Auch sacrement findet sieh, z. B. 33,13.
"" In Romania Vif, S. 367 sagt Cornu: Tr so maintient au commen-
cement et dans le corps des mots apres une consonne. Criendre et criemur
tle tremere et tremorem sont les seules exeeptions h cette regle. Entre
ileux voyelles tr devient d'abord dr, puis rr et enfin l'requemment r. II y
a eu ... assimilation et non chute ou syncope de la dentale, corame l'adinet
Diez ... et comme semble le penser G. Paris, qui parle de suppression
du d . . ."
■'- „buturi (Butter; 301 n. Chr." Schuchardt II, S. 260.
Die Verdoppelung der Konsonanten im Altnormannisehen. 30ü
L nurice 765. norice 773.
CP burre 54,23. bure C. M. (Deut.) 20. nurrid 22,2. mirriras
30,3. purri 30,11. purrirent 37,5. purieture C. A. 24.
B nureture 108,28. 109,5. nuriz 109,5. nnri 120,12. niiiri
109,18.
Q bure 185,6. esourre (excutere) 117,2. nurrir 278,2. nurrie
158,4. nnrrice 135,18. nurice 385,10. purrisseient 19,3.
Nach a, i und u hat sich also der durch Assimilation des t an r
entstandene Doppelkonsonant meistens erhalten. Anders verhält es
sich mit rr (r) aus tr nach e.
Lat. atr, etr, itr nrz err (er).
A emperere 4. frere ^ 24. 57. medre 26.76. niezre2 89. pere Ein-
leitung. 121. pedre 4, 7. pedra 21.
R arere 1251. rereguarde 574. 584. arereguarde 754. rereguarder
2774. darere 3317. derere 574. 1832. emperere 1. 214. frere 490.
880. meres 1402. pere 306. peres 1308. perre 2373. Porre (Petrns)
373. 921. Piere 3094. perrun (petra) 12. perruns 2268. perres 1452.
perre 2300. piere 982. pierres 1661. proveires 2956.
LC ariere 692. 1434. derains 2446. derain 3144. dariere 1323.
deriere 1417. freres 1270. frere 1275. merchere 732. mere 731. 736.
pechiere 526. pere 515. 1276. pieres 2745. pruveires 3. 37.
OP aiderre 70,9. ajuerreS 18,16. 26,15. ajucre 9,9. 9,38.
ariere 9,3. 34,5. cultivere 104,21. 118,19. curabatere C. Moys. 4.
defenderre 17,3. 17,33. defendere 17,21. 70,8. delivrerre 17,51. de-
livrere 17,1. 70,7. derainetez* 67, 14. dederainetez 72,17. 77,72.
deraines 138,4. eirrent 11,9. frere 48,7. 49,21. gablere 108,10. ju-
gerre 7,12. 74,6. jugierre 49,7. mere 21,9. 26,16. peccherre 9,17.
9,24. perre 21,4. 26,16. pere 44,12. peres 44,18. pierre 18,11.
1 Zwar findet sich frere in unseren Texten nie mit rr; trotzdem haben
wir es citiert, weil perre dies wünschenswert erscheinen liefs ; merre findet
sich nur in CP; sonst heifst es stets mere (niedre, niezre in A). Cornu
sagt in der Romania \'II, Ö. 368: „Rire et rirai ne presentent ä ma con-
naissance jamais le redoublement de l'r. 11 en est de merae de frere ..."
Übrigens findet sich rirrunt in CP 51,. 5.
- Das z bezeichnete hier wie auch sonst häufig einen im Verschwinden
begriffenen, kaum hörbaren Laut. Dafs das z schon im Lateinischen in
den ältesten Zeiten einen weichen s-Laut hatte, erwähnt Schuchardt I, S. 74.
^ Nach Ztschr. f. rom. Phil. 1, S. 571 und III, S. 463 besser aiuerre etc.
'' So ist nach Meisters Kollation (S. 120) zu lesen statt derralnetez.
Archiv f. n. Sinaclien. LXXY. •^0
306 Die Verdoppelung der Konsonanten im Altnorniannischen.
26,10. porterre 83,7. proveire 131,9. raachaterre 18,16. rachatere
77,39. receverre 3,3. 17,3. remembrerre 8,5. 15,4. remembrere 6,5.
62,7. salverre 24,5. 26, 15. salvere 61,2. 61, 6. tiineire 103,8. tonelre
76,17. venquere C. Hab. 22.
CC ariere 692. 1434. dederains 2446. dederain 3144. deriero
1323. 1417. freres 1270. frere 1275. merchere 732. raere 731. 736.
pechiere 526. pere 515. 1276. pieres 2745. pruveires 3. 37.
L emperere 17. (en) eir 623. (en) erre 892. pierres 25. 38. piere
49. 73. perrier 347. 877. veirre 710.
CP abiterres 2,4. abiterre 21,3. abitore 9,11 (auch abiteour
32,8). aidierre 71,12. aiderre 53,4. 93,17. aidiere9,35. aidieres
143.2. ajuerres 21,11. ajuverre 29, 12. 58,18. ariere 9,3. 39,18.
arriere (Hs. B hat stets ariere) 33,14. 69,2. cultiverre 140,7. ciim-
batere 21,9. C. M. (Ex. 15) 4. defenderre 58,11. 70,6. defendere
67, 5. defenderes 45, 7. dereinetet 36, 38. dereinete 45, 9. dereine 47, 14.
60,2. derrein 138,10. derreines 138,16. eirres 139,5. escerchiere
108.12. esleverre 58,9. jugierres 9,4. 74,7. jugiere 49,6. T. D. 18.
merre 21,9. 21,10, mere 26,12. 33,15 (Hs. B). perre 21,4. paerre
38, 14. peres 26,12. 108,15. pierre 17,2. 26,6. piere C. M. 19. pere
C. M. 5. porterre 59,7. preveires 98,7. 131,16. pruverre 7,9. prou-
veirre 131,9. purseierre 15,5. raachatierre 18,14. raachaterre 77,35.
reeeverre 17,2. 61,6. remembrerre 73,18. 110,5. remembrere 73,22.
135,24. salverre 16,7. 17,2. salvere 143,2. salveres C. Y. P. 2.
seierres 98,1. tuneire 80,7. 103,7. toneiric 76,18. vengierres 8,3.
venquerre C. A. 31.1
B arere 93,3. derere 75,6. 122,21. gableres 91,16. mere 96,24.
109.3. pere 78,19. 78,22. peres (= pieres) 79,15. pere 95,17.
100.13. piere 86,14. veneres 87,19. 94,13.
Q ariere 11, 14. 20, 4. derain 35, 9. deraines210, 8. deriere 138, 20.
152,15. frere 45,10. 126,19. mere 1,A. 1,5. 81,5. perrette 182,16.
pierre 14,3. 17,8. piere 245,12. pruveire 1,4. 9,3. salveres 205,3.
tuneire 40, 14.
Es erscheint also in diesem Falle in den älteren Handschriften
die Schreibung mit rr, in den jüngeren diejenige mit r als die ge-
bräuchlichere.
1 Nach Ztscbr. f. rom. Phil. 1, S. 572 statt des im Texte stehenden
venquerere (H. Suchier).
Die Verdoppelung der Konsonanten im Altnormannischen. 307
Lat. d r.
A consirrer 32. 49. consiree ^ 80. desirrer 80. desirret 42. desiret
105, desirrables Einleitung, desirruse 92.
R desiret 1643. ocire 42, Rand, quarrel 2265. rire 323. 1368.
Tieiris2 3083. Tierri 3534,
LC Quaresnie 3302. 3381.
OP desirret 44,1 (zweimal), desirables 18,11.
CC Qiiaresme 3302. 3381.
L quarree 836.
CP desirer 9,23. desirant 16,12. desirad (= desideravit) 62,2.
desirrad (^ desideravit) 131,13. desirree 131,14. desirable 18,10.
quarruges 143,14.
B quarre 75,5. 75,19.
Q charrei 27,11. clorre 400, 11. desired 2, 10. ocire 9,4. 10, A.
1,1. quarriere 245,8. 423,10. quarrez 250,6. esquarie 266,19. as-
qiiarie 3 245,8. squarrie 250,9.
„L'assimilation du d ä l'r" — sagt G. Paris, AI. S. 97 — „avait
eu lieu dejä sans doute en latin vulgaire"; als Beweis hierfür könne
das arripere des „latin litteraire" gelten.
In unseren Handschriften ist rr und r für lat. dr gleich hcäufig.
Ger man. d r.
Diese Verbindung hat rr ergeben in :
R furrer 444.
Q fuerre 123,4. furre 240,3.
Lat. rr (aus rer) in qusErere.
A querre 23. 27.
R cunquere 2920. querre 2180. 2870. quere 1700. 3296. re-
querre 1782.
LC cunquerre 1532. 1612. requerre 604. 1780.
CC ebenso; aufserdem enquerre 346.
' Im Text steht fehlerhaft consireres.
^ Auch das Niederdeutsche assimiliert noch heute d und r zu rr (r)
in dem Worte Därrek (Därk) = Diederik = Dietrich. Ähnlich lautete
schon im 10. Jahrh. der Name des Entdeckers von Amerika: Dierk.
3 Von Steinen heifst es (245,8) que „fussent taillie a esquire e as-
quarie", und 250,9 steht: „cuverte d'or tut a riule e a squarrie"; es ist also
asquarie entweder = esquarie oder = a squarrie.
20*
808 Die Verdoppelung der Konsonanten im Altnormanniscben.
C P esquerre 110,2.
B conquere 76,8. 78,8. enquere 119,5. querre 77,13. quere
113,19. 130,19. requere 118,3.
Q cunquerre 62, 8. 62, 9. enquerre78, 14. 199, 14. esquerre 119,6.
querre 14, A. 2,4. 29,5.
Besonders zu erwähnen ist murrir A 88 und B 102,5; mit ein-
fachem r findet es sich R 536; LC und CC 1452. 1576; B 112,14.
112,16; Q 81,8.
rr im Fut. (u. Cond.).
Dafs diejenigen Zeitwörter, die schon im Inf. ein doppeltes r auf-
weisen, auch im Fut. dieses rr meistens beibehalten, ist um so natür-
licher, als das Normannische die Verdoppelung des r im Fut. über-
haupt liebt, mit der in diesem Falle, wie Bezas schon erwähnte Regel
für die Aussprache des rr bestätigt, eine gesonderte Aussprache jedes
einzelnen r verbunden war. ^
Mit rr im Inf. fanden sich: clorre, curre, dirre — während ocire
nur einfaches r zeigte — , murrir und querre.
clorre findet sich — und zwar mit einfachem r — im Fut. nur
B 128,8: clorat.
curre findet sich im Fut. :
R succurrat 1061. 3443. succuras 3996.
LC curra 3544. securrat 1815.
OP decurrat 1,4. decurrunt 147,7.
CC currat 3544. sucurat 1815.
CP currai 17,29. currunt 48,13. decurrat 1,4. decurrunt 17,46.
93,4.
Q currai 364,9.
dir{r')e findet sich im Fut.:
A dirrat 74.
LC dirrai 94. 2093. dirrum 307. dirrunt 107. dirum 1989.
OP dirrai 17,53. 26,11. dira 90,2. 105,46. maldirunt 108,27.
CC dirrai 94. 3137. dirrunt 107. dirrum 307. 1989. dirat 2505.
dirum 2093.
L dirai 47.
CP dirrai 41,9. 49,12. dirrad 105,48. dirrunt 34, 11. maldirrunt
108,29.
' ^'gl. s. 301.
Die Verdoppelung der Konsonanten im Altnoruiannisclien. 309
B dirai 87, 5. dirum 94, 3.
Q dirrad 29,13. dirrunt 32,13.
ocire hat im Fut. rr nur in OP und CP:
OP ocirras 138,18.
CO ocirrat 33,21. ocirrunt 93,6. ocirras 138,21.
Dagegen findet sich :
R ocirai 867. ocirum 884.
B ocirait 99, 14.
Q ocireient 13,13. ocirad 58,5.
mur(ryir findet sich im Fut. :
R murrat 615. murrez 437. murat 3043.
L C murreient 296.
OP morrai 117,17. murrat 40,5. murrez 81,7.
CG murreient 296.
CP murrat 40,5. 48,12. murrunt 36,9. 36,22.
B murrunt 92,20. 103,15. murunt 103,14. murat 122, 14.
Q murrunt 10, 10. 10, 11.
qiierre findet sich im Fut. :
A querreuns 105.
R cunquerrai 988. cunquerrat 401. querreient 404.
LC querras 3414. 3540.
OP aquerrunt 68,40. esquerrai 118,33. querras 36,10. querrat
9,25. requerrai 26,7. requerrat 9,36.
CC querras 3414. 3540.
L requerra 373.
CP enquerrat 43,21. querrai 121,9. querras 9,36. querrunt
82,16. requerrai 26,5. requerrat 9,24.
Q esquerrai 92,6. querrad 88,18. querrums 60,3. requerrai
40,11. requerrad 261,16.
Im Anschhifs an diese Formen mögen alle diejenigen Zeitwörter
folgen, welche vor der Infinitiv-Endung ein r haben, welches sie im
F'ut. mit dem r des Infin. zusammenrücken, wie: demuslerrad, aoverrai
u. s. w.
Die hierhin gehörigen Formen sind :
A soferaii 46.
' „Sicherlichlsind sofrirai, entrerai Neubildungen, welche sich an den
Infinitiv anlehnten und die ursprünglichen Bildungen soferrai, enterrai u. s. w.
310 Die Verdoppelung der Konsonanten im Altnormanniiichen.
R durerat 312. dureit 1707. ferrai i 1055. 1065. jurrez 605.
liverrai 658. plinrunt 1749. repairerat 573.
LC aparreit (C C : aparereit) 2568. demosterai 223. demusterum
311. demusterriins 2235. demusterrat 3188. 3502. durreit 315. dorra
2202. 3225. enterrat 3182. enterrimt 3001. enterat 3022. entera 3190.
labiirereit 1541.
ÜP abeverras 35,9. aorerai 5, 8. aorerunt 21, 30. 71,15. aoverrai
48,4. 77,2. coverrad 139,10. deliverras 17,47. 17,52. demurerat
24,14. 29,6. demusterrai 90, 16. deniimberrai 138,17 (CP: numbrerai,
V, 20). descuverrat 28,8. desseverras 67,10. desseverruras 79,19.
devurerat 20,9. devorerums 34,28. eniverrai C. M. ad f. J. 63. en-
terrai 5,8. entenat 23,7. enumberra 90,4. espererai 26,6. 54,27.
esperrai 55,3. esperrat 63, 11. ferrai C. M. ad f. J. 59. mesurerai
59,6. 107,7. niurmurerunt 58, 17. musterrai 49,24. odererunt 113, 14.
ofFerrai 65,14. ofFerrunt 67,32. orerai 5,3. orerad 31,7. remeraberrai
70,18. rememberrunt 21,29. repairerunt 103,30. sufferuut 58,7.
58,16.
CC aparereit 2568. deniusterai 223. demusterum 311. demuster-
runs 2325. demusterrat 3188. 3502. durreit 315. durad 2202. durat
2450. 3225. enterat 2924. 3022. enterrat 3182. enterrunt 3001. labu-
reit 1541.
L eniverra 389. liverra 451. oscurera 240.
CP abeverras 35,9. aüerai 5,7, aürrunt (Hs. B hat aorerunt)
85,9. aoverrai 48,4. 77,2. aparrai (O P : aparistrai) 41,2 (Hs. B: r)
76,18 (A und B). couverrad 139,10. cuvenunt 138,12. deliverrai
90,14. 90,15. deliverrad 33, 7. deliverai 49, 15. demurrat 29,6. 48,20.
demurerad 90,1. demusterrai 90,16. deniusterai 49,23. deseverrad
100,4. deseverrunt 103,22. devurrat 20,9. devorerat C. M. (Deut.) 34.
devoreruntC. M. (Deut.) 36. durrat 71,17. eniverrai CM. (Deut.) 63.
enterrai 5,7. 25,4. enumberrad 90,4. espererai 56,1. espereras 90,4.
esperrunt 39,4. esperrat 63, 10. estorras (= instaurabis) 103, 30. ferrai
verdrängt haben." Reinipred. S. XXX. Die in unseren Texten vorkom-
menden Formen beweisen die Richtigkeit dieser Anschauung.
' „Je ocirrai, et je vivre ferai; je ferrai, e je sanerai" heilst es in Q,
C. M. ad f. J. ü9. In dieser Stelle stehen die Fat. von ferir und faire
nebeneinander; faire hat im Fut. stets einfaches r, und das zwischen f und r
stehende e war, wie aus frum 18,14 und frez 21,4 in Q hervorgeht, stumm
oder doch beinahe stumm. Einige Beispiele des Fut. von faire sind: II ferai
787. 3494; LC und CC ferat '67. ferai 2034; B ferai 81,9. ferat 82,22;
Q ferai 363,18. frum 18,14. frez 21,4. refrez 20,13.
Die Verdoppelung der Konsonanten im Altncrniannischen. 311
88,24. ferrad 109,7. jurerad 109,5. liverrat 40,2. mesurrai 59,6.
107,7. niurmnrerunt 58,15. numbrerni 138,20, odererunt 113, 13.
offenunt 75,11. oßerunt (Hs. B: rr) G7, 30. 71,10. orerai 5,3. orerad
31,7. perseverrai ' 108,106. rememberrai - 86,3. repairera 34,14. re-
pairerunt 103,29. urrunt (= orabunt) 71,15. uverrad 137,8.
B apparat 124,14. cuvererat 96,16. demusferait 94,16. enterat
79,11. 82,19. parrat 75,16. parat 128,9. repairarat 112,22.
Q aparrum 46,8. aürrad 364,4. aiirrunt 263,9. cuverez 353,15.
deliveras 32,10. deliverad 24,8. delivrerad 51,17. demurrad 182,1.
demusterrad 336, 9. deseniveras 4, 1. deseverai 279, 14. devurrad292, 17.
devurreront 306,8. durrad 144,19. 374,3. encuntreras 80,1. 328,16.
encurteras 33,5. engendreras 260,9. enterras 33,5. 136,15. entreras
292, 20. 338, 1. enteras 113, 14. enteruns 372, 16. escurras (ex-curare)
336,1. ferrai 103,14. ferrad 293,6. guarrez 20,6. guarrad66,4.
liverai 89, 10. liverad 67, 12. memberad 100, 20. musterai 31, 5. 33, 14.
musterrai 55,11. musterreit 77,7. ofFereient 389,11. plurras 100,18.
sufferas 60,5. sufFerai 280,3. unurrai 327,18. unurreit 287,8. uverai
159,12.
Norm, rr»
entstand ferner aus n -^ r und d -\- r durch Assimilation von n und
d an r infolge des Ausfalls von e.
1) n -\- r.
A durai 45.
R durrez 30. durrai 75. 3398. durai 3399. durat 472. merrez
3204.
OP amerrunt 71,10. demerras 30,4. demerrums 43,7. dunrat
1,3. 13,11. durrai 2,8. durras 20,6. forsmerras 30,5. forsmerrat
36,6. guerredurrat 17,23. 30,30. merras C. Moys. 20. remerras 72,20.
L durra 660.
CP demenrat 71,8. demenrad 106,30. demerrad 24,8. 107,10.
durrai 2,8. durrat 1,3. durat (Hs. B: rr) 13,10. forsmerras 30,4.
forsmerrat 36,6. forsmerad 100,28. guaredurrat 30,24. guerredurrat
(Hs. B; Hs. A: gueredunat) 17,20. merrums 19,5. merras C. M. 20.
ramerrad 13,10. reamerrat 52,6. ramerras 72,20.
1 So ist statt perseverai — Michelet schreibt perseve(re)rai — nach
Ztschr. f. rom. Phil. I, S. 572 zu lesen (H. Suchier).
- Sonst hat CP z. B. recorderai 70,16. recorderunt 21,29 e. c.
ol2 Die \'erdoi)pelung der Konsonanten im Altnormiuinischen.
B dural 89,27. 130,11. dmeit 75,24. durait 130,7.
Q amerrat 124,5. amerrunt 71,10. amerrerai* 131,7. durreic
3,15. durreit 3, A. 1, 2. merrai 116, 2. remerrad 176,3. renierrai
181, 6.
Aufser in Q, wo überall rr steht, findet sich also neben der Doppel-
könsonanz bisweilen auch einfaches r ; in einigen Formen hat sich das
ursprüngliche n erhalten.
2) d -^ r.
R serai^ 86. serez 151. 434.
LC serrat 517. serrunt 621. serad 2506.
OP serreiz 126,3. serrunt 131,13. serez 4,3. serunt 1,4. pur-
serrat 68,41.
CC serrat 517. serrunt 621. serad 2306 (L C : eit). 2506.
L sera 372. sereit 391.
CP serrai 25,5. serrat 9,7. serat 7,16. 9,9 (Hs. B: rr). pur-
serrad 68,39, purseerunt 68,38.
B serat 76,23. 81,24. seraient 77,6. serunt 118, 18. serrunt
118,4 („will seat themselves").
Q serra 12,7. serrez 28,3. serunt 282,18.
Geht der Infinitiv-Endung ein a, ai, e, o oder u voran, so wird
das folgende r in einer Anzahl von Zeitwörtern meistens verdoppelt, '
nämlich in ;
air, ca'ir, esjoi'r, laier, oir, plaire, poir (* pnir), taire, traire und veir.
Die hierhin gehörigen Formen sind :
A lairai* 42. trairunt 41.
^ Schreib- oder Druckfehler für amernii.
^ In einer Besprechung von Cornns Glanures phonologiques (in Ro-
niania 27) heifst es in Ztschr. f. rom. Phil. III, S. 151: „Von Wichtigkeit
ist die Hcrleitung von ser(r)ai aus scdere habeo (nicht essere habeo, woraus
estrai wird ...)." H. Suchier. Erwähnt werde, dafs Hs. A von CP dort,
wo die V ulg. eine Form von sedere hat, stets rr aufweist (9,7. 2ö,5.
113,12 e. c), während das lat. ero in ilir nur einfaches r hat (Hs. B: rr;
jedoch auch einmal r: serunt 55,9). Die Handschriften R, L und B haben
stets einfaches r; daneben findet sich aber in B rr in der einen Form
serrunt (sedebunt) 118,4.
3 Andere als die hier genannten Verben finden sich (mit einfachem r)
auf S. .S15.
^ Zu lairai (A 42) sagt G. Paris S. 125: „de laier, verbe different de
laisscr." Joret dahingegen sagt in den Memoire« HI, S. 24fi (über den
heutigen Dialekt in der Normandie): „Je nie bornerai ii signaler le futur
]'r4 ile lesi6," und in einer Anmerkung: „lere de l^s(e)r^ (?)."
Die V^erdoppelung der Konsonanten im AUnormannischen. 313
R decarrat 2902. lerrai 785. lerreie 457. lerrat 574. lairat266G.
onat 55. orrez 336. purrat 34. porriim 973. purum 1007. purrez 133.
verrat 83. verrez 49. reverrunt 1402. 1421. revereiz 3802.
LC lerrai 97. 578. 1608 (C C : lerai). errat 147. 635. purras
3504. 3549. purrat 1469. sustrarra 3484. verrat 1466, verra 2666.
verrez 2072. verreient 2251.
0 P carrat 9, 33. 36, 25. carrunt 1 7, 42. 90, 7. complairunt 48, 1 3.
decarrunt 36,2. esjorrai 9,2. 30,8. esjoirunt ^ 5,13. onas 5,3. orrat
4,4. exorrai 90,15. exorras 37,16. porra77,22. 77,24. purrunt 17,42.
tairat 49,3. verrai 5,4. 8,4.
CC larrai 97. 578. lerai 1608. 3472. orrat 147. 635. purras
3504. 3549. purrat 1469. sustrairat 3484. verrad 1466. verreient
2251. verat 2666. verez 2072.
L chiarra 687. porra 214. 577. purra 337. verra 870.
CP atrerrat 9,30. charrat 36,24. charrunt 17,39. cbaerunt (Hs.
B: charrunt) 9,3. complairunt 48,13. cuntrerrad 106,42. detreirat
(Hs. A und B) ob, 7. detraifrat (Hs. B) 40,6. esjoirai 9,2. 30,7.
estrairad 51,4. forstrerrat 36,40. lerrunt 16,14. onas 5,2. 16,6.
37,15. oiras (Hs. B: orras) 80,8. purrat^ 77,19. purrunt 17,39.
teirrat (Hs. B: terrat) 49,3. tarrai 41,4. teirat (Hs. B: terrat) 61,1.
lairad (Hs. B: terrad) 75,8. verrai 8,4. 16,15. verras 34,18. verrat
10,8. verrums 35,9.
B arad 84,29. arrad 107,23. arrat 107,30. cliarat 97, 30. carrat
101,11. encharat 102,3. lairad 107,24. 107,30. lerai 95,8. larei
81,21. larai 117,8. orez 75,3. orunt 82,24. purrat 82,31. 97,11.
trarat 102,2. verad 84, 11. 84,29. verat 96,14.
Q attrarreient 275, 14. charrad 169,5. charrunt 209,9. larrai
78,17. larrums 182,13. orras 27,5. orrad 12,8. plarrad 46, 6. 93,16.
purrad 8,17. 9,1. retrarraie 415,12. sustrarreient 275,13. trarrai
79,17. 81,17. traruin 182,16. verrunt 10,5. 10,9.
Auch in einer ßeihe von Verben, in denen der Infinitiv-Endung
ein i vorangeht, wird das folgende r nicht selten verdoppelt ; es sind
die Wörter:
creire, deduire (findet sich nur einmal), despire, destruire, eslire,
1 So ist nach Meisters Kollation (S. 118) zu lesen statt esjorrunt.
- puvrrai 138,7 ist Schreibfehler für purrai (Ztschr. f. roni. Phil. I,
S. 57 2; 11. Suchiei).
314 Die Verdoppelung der Konsonanten im Altnormannischen.
gire, luire (findet sich nur einmal) und rire (findet sich zweimal, einmal
mit r). Wahrscheinlich hatte auch Doppel-r, wenn i bestehen blieb,
denselben Laut wie das einfache r, denn, wie wir sogleich noch sehen
werden, stehen jenen Formen mit rr (r) andere Zeitwörter genau der-
selben Kategorie mit stets einfachem r gegenüber. Wo jedoch e an die
Stelle von i trat (crerrat e. c), hatte rr die scharfe, gesonderte Aus-
sprache jedes einzelnen Konsonanten.
Zunächst raöfjen die oben genannten Verba folgen:
R crerez 196. 220. ierreiez 1721. recrerrai 3908. 3848.1
OP acrerrat 36,22. despirras 50,18. despirai 117,7. despiras
54,1. despirums 43,7. destruiras 27,7. destruirat 51,5. rirunt 51,6.
CP crerrad F. C. 42. despirrai 117,7. despirras 50,18. despirrad
91,11. destruiras (Hs. B: rr) 5,5. 142,15. destruirat 51,4. eslirrad
24,11. eslirras 64,4. girrai 138,9. luirrad (OP: sera elluminede v. 11)
138,13. rirrunt 51,5.
B crerunt 76,3. girat 82,29. 105,24.
Q deduirra 10,13. despirra 9,19. destruirrunt 139,3. destruirai
209,8. 292,13. eslirrai 181,1. eslirrad 293,4. girras 163,1. girrat
379,12.
Besonders genannt werde irai (irrai), weil hier die Schreibung
mit einfachem r bedeutend vorwiegt:
R irai 246. irez 250.
OP irai 22,4. irunt 80,11. 83,7.
CP irai 22,4. 60,4 (Hs. B: irrai 25,3. 25,11).
B irunt 103,7. 106,9. irrunt 84,28. 85,2.
Q irad 28,10. ireit 138,7. irrunt 21, 9. irrad 23,10. 103,8. irad
28,10. ireit 138,7.
Einige Formen von Zeitwörtern, die auch, wie die eben genannten
Verben, ein i vor der Infinitiv-Endung haben, und doch im Fut. das
einfache r behalten, sind :
A purirat 96.
R conduirai 892.
OP gehirai 7,18. gehirad 6,5. regehirai 9,1. nurriras 30,4.
CP nurriras 30,3. nurrirat 54,24.
Q conduirai 95,10. conduirunt 243,8. descunfirad 139,5. des-
' Es steht hier im Text fehlerhaft recrrai.
Die \'erdoppeluDg der Konsonanten im Altnormannisclien. 315
cunfirunt 139,4. dormirunt 159, lU. esparnirad 57,3. ensevelirad 293,1.
escundirad -164, 2. furnireit 290, A. 1,3. guarantirai 415,14. guaian-
tirad 30,15. guenchiras 153,1. guenchireit 175, 17. guerpirai 251,21,
guerpirad 41,5. mariras 164,19. merirad 208,7. nunciras 188,9.
partiras 328, 16. perirez 41,12. ravirad 314,12. repentirad 370,8.
revertiiad 392,4. servireient 302,15. vestirums 327,13.
Auch die vier Zeitwörter arester, atriwer (einmal), ester und rece-
voir (zweimal) zeigen bisweilen rr.
OP receverrat 47,3. 48,16. receverai 49,10. receveras 50,20.
receverad 145,8.
CP receverai 49,9. receveras 50,20. recevrad 145,10. esterat
(Hs. B: rr) 35,4. 75,7 (estera Hs. B 36,10).
B receverat 111,14.
Q aresterras 32,7. 53,16. aresterrnm 46,9. aresteras 82,4. atri-
werrai 328, 9. atriwerai 36, 7. esterras 150,8. esterrad 150, 15. esterrez
410,9. esterez 410,4. receverai 280,10.
Dafs in diesem Falle rr wie einfaches r lautete, beweisen die an-
geführten zahlreichen Formen mit einfachem r, besonders die Form
recevrad in CP, sodann aber auch folgende, der Kfirze wegen nur
der Hs. Q entnommenen Beispiele entsprechender Verba mit stets ein-
fachem r:
ardereit 290, A. 1,4. bevereie 287,11. cunfermerad 100,17. de-
ceveras 337,13. deveras 33,14. edifierai 280,13. enfrenerai 414,18.
enveierai 30,13. esbaierunt 268,11. escerchereient 323,10. espierunt
372,19. estuverad 28,3. leverai 219,1. osterai 66,2. remorderad
100,18. remuerai 430,4. respunderas 359,1. returnerad 415,12.
savereiez 288,1. siwereient 426,2. soldeirai 242,15. viverad 81,6.
Schreibfehler sind:
A prierrent 6.
B Frrance 827.
OP tricherresses 11,2 und 11,3 wegen trichorie 14,3. 37,13.
trioheruse 51,4. tricherusement 13,5. 35,2.
CC pine (LC: pire) 133.
C P tricherresse (Hs. B : r) 51,4 wegen trecherus 11, 2. trecheruses
11,3. trecherusement 35,2. tricheries 37,13.
Q attarriet 105,3 wegen attarier 64,9. attarie 62, 10 (auch targat
68, 1. targiez 192,1).
3I(j Die \'erdoiipelung tlcr Konsonanten im Altnorniannibchen.
m.
Präpositionen -|- m.
1) cZa -[- m.
A amanuet 47.
R amenet 435. ameneiz 508. amunt 1103. 2235.
LC amender 6. 130.
0 P amenerent 42, 3. amenedes 44, 16. amenuisas 8, 6. amenuisocs
11,1. amunuiserai 17, 46. amoliees 54, 24. anuü (obmutui) 38, 3. 38, 11,
CC amender 6. 130.
L amirable 441.
CP amenad77,7l. 104,40. amenuisiet (Hs. B: amenuisset) 11,1.
arnenuisad 77,50. aminuse 106,39. araui 38,3. 38,11.
Q amaledid 291,3. amaladid 357,16. amatid 25,13. amenad
140,18. 171,1. amaisnement 283,19. amendout 9,5. amendez 33,9.
amerrerai (Schreibfehler für amerrai) 131,7. amesured 167,10. amo-
nestement 24,5. amonested ^ 157,13. amortid ^ 101,14. amunt (s.)
171,6. 189,3. amunt (adv.) 33,5. 286,11. amuntast 161,5.
E